Lamm / Lamm Gottes
(erstellt: Juni 2011)
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1. Textbefund
Das griechische Wort für Lamm (ἁμνός, amnos) tritt nur vier Mal im Neuen Testament auf (Joh 1,29
Mit dem Wort Paschalamm (πάσχα, pascha) verweist Paulus auf den Kreuzestod Jesu (1Kor 5,7
Die Johannes-Apokalypse benutzt den Begriff Lamm (ἁρνίον, arnion) um den himmlischen Christus als ein geschlachtetes Lamm darzustellen (Apk 5,6
Dieser Sachverhalt erfordert eine Darstellung des metaphorischen Wertes des Lammes in der antiken Welt, um seine Signifikanz in den neutestamentlichen Texten darzulegen. Von besonderem Interesse sind die Vorstellungen, die in der hebräischen Bibel, besonders in der LXX-Fassung, und in den hellenistisch-jüdischen Schriften zum Ausdruck kommen.
Die relevanten Motive können in folgende Abschnitte eingeteilt werden: Das Opferlamm (2.), das apokalyptische Lamm (3.), das Lamm als Symbol (4.), das Paschalamm (5.) und das Lamm Gottes (6.). Danach kann die Wirkungsgeschichte in den Blick genommen werden (7.).
2. Das Opferlamm
2.1. Frühes Judentum
In den Beschreibungen des jerusalemischen Opferkultes in der LXX wird der Begriff ἀμνός (amnos) durchgängig für die Opferlämmer verwendet. Das gilt sowohl für das tägliche Tamidopfer (Ex 29,38-42
2.2. 1. Petrusbrief
Im 1. Petrusbrief wird Christus als ein makelloses Opferlamm dargestellt. Er hat mit seinem Blut die Menschen von ihrer alten Existenz erlöst (1Petr 1,18-19
3. Das apokalyptische Lamm
3.1. Frühes Judentum
Einzelne frühjüdische Schriften enthalten eine Vorstellung von einem apokalyptischen Lamm, das in der Endzeit herrschen wird. Das Lamm ist in diesen Schriften eine messianische Figur.
Am Schluss der Tierapokalypse im → Ersten Buch Henoch
In der armenischen Version des Testaments Josephs (noch kein Artikel) schließt Joseph seine Darstellung mit einer Allegorie, die er in einer Vision von der Endzeit gesehen hat (TestJos 19). Er sah zwölf Hirsche, von denen zunächst nur drei in Lämmer verwandelt wurden, im folgenden wurden alle zwölf Tiere in Schafe verwandelt. In einer weiteren Vision sah er aber zwölf Stiere, in deren Mitte ein Lamm von einer Jungfrau fortgebracht wurde. Sämtliche Tiere und Reptilien der Erde griffen das Lamm an, aber es besiegte sie alle, und die Stiere jubelten wegen ihm (TestJos 19,7-9). Auch in diesem Text symbolisiert das Lamm eine messianische Figur, die einen endzeitlichen Widerstand zu Gunsten der zwölf Stämme niederkämpft. Ob hier – wie in der griechischen Version des Textes – eine christliche Interpolation vorliegt, lässt sich nicht eindeutig beantworten. Wenn es sich um eine christliche Bearbeitung des jüdischen Originals handelt, so liegt ein Fall der Rezeptionsgeschichte der Johannes-Apokalypse vor.
3.2. Johannes-Apokalypse
In der Johannes-Apokalypse hat ein Lamm (ἀρνίον, arnion) eine hervorragende Platzierung in den eschatologischen Szenarien. Diese apokalyptische Figur ist als eine symbolische Darstellung des himmlischen Christus zu verstehen, weswegen das Lamm wie geschlachtet aussieht (Apk 5,6
Auf der einen Seite bezieht sich das Lamm der Johannes-Apokalypse auf frühjüdische Vorstellungen, die nicht ausschließlich apokalyptisch sind, aber auch Vorstellungen vom Schlachten des Opferlamms umfassen. Auf der anderen Seite sind die Traditionen deutlich durch eine christologische Auffassung geprägt, daher besteht das grundlegende Erlösungsgeschehen der Johannes-Apokalypse weniger in dem künftigen endzeitlichen Krieg, sondern eher in dem schon stattgefundenen Schlachten des Lammes, das sowohl seine Rolle im Ablauf der eschatologischen Ereignisse erlaubt als auch das Heil der Menschen ermöglicht (vgl. Apk 5,9
4. Das Lamm als Symbol
4.1. Frühes Judentum
Schon in der hebräischen Bibel hat das Lamm symbolischen Wert als ein Muster an Wehrlosigkeit und Verletzbarkeit (z.B. Jes 5,17
„Als er gemartert ward, litt er doch willig und tat seinen Mund nicht auf wie ein Lamm (LXX: ἀμνός, amnos), das zur Schlachtbank geführt wird; und wie ein Schaf, das verstummt vor seinem Scherer, tat er seinen Mund nicht auf“ (Jes 53,7
Die gleiche Symbolik liegt der verbreiteten metaphorischen Vorstellung der Beziehung zwischen Gott und dem Volk zugrunde: Gott ist der Hirte Israels, und das Volk ist seine Herde. Die Symbolik der Wehrlosigkeit bedingt ferner, dass Israel ohne seinen Hirten schutzlos ist (z.B. Num 27,17
In der Tierapokalypse im → Ersten Buch Henoch
In der alttestamentlichen und frühjüdischen Literatur ist ein Lamm folglich besonders mit Konnotationen der Wehrlosigkeit und Verletzbarkeit belegt, aber auch mit Aspekten des Gehorsams verbunden, weil es sich führen lassen muss um sein Leben zu retten bzw. zu erhalten.
4.2. Evangelien
Diese Symbolik ist in die frühe christliche Literatur übernommen worden. Im Lukasevangelium beschreibt Jesus die Wehrlosigkeit der Jünger, wenn er sagt, dass er sie als Lämmer (ἄρνας, arnas) mitten unter Wölfe sendet (Lk 10,3
5. Das Paschalamm
5.1. Frühes Judentum
Das Schlachten von Lämmern ist ein integrativer Teil des jüdischen Pascharituals. Im ätiologischen Bericht von der Einstiftung des Pascha (Ex 12
Andere alttestamentliche Texte sind auf die nötige Reinheit der Teilnehmer am Pascharitual fokussiert (Num 9,6-14
Außerhalb des Alten Testaments findet man beide Funktionen wieder. Im → Jubiläenbuch
In einer allegorischen Auslegung des Paschafestes versteht → Philo von Alexandrien
Der jüdische Schriftsteller Ezechiel Tragicus betont die apotropäische Funktion des Pascharituals in seiner Darstellung des Exodus. Wie das Blut des Paschalammes das Volk gegen den Tod beschützt hat (Exagoge 184-187), so wird in der Folge die jährliche Paschafeier die Israeliten beschützen (Exagoge 188-191).
In seiner Relektüre des Exodus nennt → Josephus
In den frühjüdischen Auslegungen des Pascha treten zwei Motive hervor: es symbolisiert einerseits den Übergang aus der Sklaverei in die Freiheit und fungiert andererseits als Schutz gegen den Tod.
5.2. 1. Korintherbrief
Wenn Paulus die Korinther daran erinnert, dass das Paschalamm (πάσχα, pascha) schon geschlachtet ist (1Kor 5,7
6. Das Lamm Gottes im Johannesevangelium
Der Terminus „Lamm Gottes“ begegnet nur im Johannesevangelium, wenn Johannes der Täufer Jesus als „das Lamm Gottes (ὁ ἀμνὸς τοῦ θεοῦ, ho amnos tu theou), das die Sünde der Welt wegträgt“ (Joh 1,29
6.1. Jes 53
Zunächst ist die Beschreibung des Knechtes Gottes im vierten Gottesknechtslied (Jes 52,13-53,12
In Jes 53
6.2. Das Paschalamm
Im Johannesevangelium hat das Lamm aber eine noch größere Rolle, denn in der johanneischen Darstellung der Kreuzigung spielt der Verfasser mehrmals auf Paschatraditionen an. Zunächst wird Jesus in Gegensatz zu den Synoptikern nicht am 15. Nisan gekreuzigt, sondern am Tag davor (Joh 19,31
6.3. Das Johannesevangelium
Die Kombination des Gottesknechtes aus Jes 53
Wenn Jesus im Johannesevangelium das Lamm Gottes genannt wird, werden Teile des semantischen Potentials der Metapher an ihm aktualisiert; er ist das Lamm Gottes, das nach seinem unschuldigen Leiden und Tod erhöht und verherrlicht wird. Damit begründet er einen Glauben an seine Identität. Dieser Glaube ist eine Tilgung der Sünde (vgl. Joh 16,9
7. Wirkungsgeschichte
Die johanneische Formulierung „das Lamm Gottes, das die Sünde der Welt wegträgt“ (Joh 1,29
Obwohl sich die Interpretation des Abendmahles in der protestantischen Tradition von der katholischen und orthodoxen unterscheidet, hat das „Agnus Dei“ nichtsdestoweniger in deutscher Übersetzung („Christe, Du Lamm Gottes“) mit der Melodie von Martin Luther seinen Platz in der gottesdienstlichen Liturgie. Auch in vielen anderen liturgischen Formeln wird Christus als „das Lamm Gottes“ bezeichnet. Das früheste Beispiel stammt aus dem Gebet „Gloria in excelsis Deo“ aus den apostolischen Konstitutionen und Kanones aus dem 4. Jahrhundert. In diesem Gebet spricht der Beter Gott in folgender Weise an: „Herr, König des Himmels, Gott, allmächtiger Vater, Herr Gott, Vater Christi, des makellosen Lammes, welches die Sünden der Welt wegträgt“ (Apos. Cos. VII.47). Zu der in der östlichen und westlichen Liturgie weit verbreiteten Verwendung der Metapher kommt die allgemeine Aufnahme des Ausdrucks in die christlichen Hymnen hinzu. Insgesamt ist „das Lamm Gottes, das die Sünden der Welt wegträgt“ eines der bekanntesten Bilder im christlichen Gottesdienst.
Aus seiner zentralen Position im Gottesdienst folgt fast zwangsläufig die Rezeption des „Lamm Gottes“ auch in der bildenden Kunst. Jedenfalls ab dem 6. Jahrhundert gehört das Lamm zu den zentralen Christussymbolen in der altkirchlichen Kunst des Westens. Ikonographisch dominieren die Motive der Johannes-Apokalypse. Das triumphierende Lamm stellt symbolisch den siegenden Christus dar.
Gern wird das Lamm mit einem Kreuz oder einer Siegesfahne, die die Auferstehung symbolisiert, dargestellt
In den Fällen, in denen das Motiv eher aus dem Johannesevangelium stammt, wird „das Lamm Gottes“ in Übereinstimmung mit der Einverleibung des Bildes in der kirchlichen Liturgie als Ursprung der Kommunion dargestellt. Typisch ist die Anschaulichkeit der Symbolik, denn das Blut des Lammes strömt direkt in einen Kelch.
Im Osten wurde die Lamm-Symbolik zunächst weniger ikonographisch rezipiert. Um 692 wird die Darstellung des Lammes Gottes auf dem Kreuz verboten, um die Menschlichkeit Christi nicht anzutasten. Erst im 17. Jahrhundert wird das Motiv wieder ikonographisch aufgenommen.
Auch musikalisch hat das liturgische „Agnus Dei“ eine breite Rezeption erlebt und ist fester Bestandteil der Messekompositionen von u.a. J.S. Bach, L. van Beethoven und J. Haydn, aber auch viele andere Kompositionen haben „das Lamm Gottes“ aufgenommen. Am bekanntesten ist wahrscheinlich G.F. Händels Interpretation von Joh 1,29
Literaturverzeichnis
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- Zimmermann, R., 2004, Christologie der Bilder im Johannesevangelium, die Christuspoetik des vierten Evangeliums unter besonderer Berücksichtigung von Joh 10 (WUNT 171), Tübingen
Abbildungsverzeichnis
- „Die Verehrung des Lammes“, Detail aus dem Genter Altar von J. van Eyck (um 1432). Quelle: Wikimedia Commons, gemeinfrei
- Gemälde des Tonnengewölbes der St. Peter Kirche, Schönbrunn (um 1500). Foto: Nielsen
- Detail aus dem Isenheimer Altar von M. Grünewald (1506-1515). Quelle: http://www.zeno.org/Kunstwerke/B/Gr%C3%BCnewald,+Mathis+Gothart%3A+Isenheimer+Altar%3A+Kreuzigung,+Detail+%5B5%5D, gemeinfrei
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