Logos
Andere Schreibweise: griech. λόγος (lógos)
(erstellt: Oktober 2015)
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1. Bedeutungspotenzial und Wortverwendung
Der griechische Begriff λόγος ist als Verbalsubstantiv von dem Verb λέγω (légō) abgeleitet und hat ein ausgesprochen weites Bedeutungsspektrum. Während das Verb mit „sammeln“, „zählen“, „aufzählen“ einerseits und „sagen“, „aussagen“ im Sinne einer bedeutungsvollen Aussage andererseits verstanden werden kann, sind als mögliche Bedeutungen des Verbalsubstantivs u.a. zu nennen: Sammlung, Zählung, Rechnung, Abrechnung, Rechenschaft; Rücksicht, Bewertung, Wert, außerdem Gesagtes, Wort, Behauptung, Darlegung, Aussageinhalt, Rede, Erzählung, Erklärung, Ursache, Maßstab, Verhältnis, Norm, Argument (Debrunner, 69f; Stead, 433). Außerdem kann Logos auch den Prozess bezeichnen, der zu Berechnungen oder Erklärungen führt, so dass es auch das logische Denken, die menschliche Rationalität sowie in einem umfassenderen Sinn das vernünftige Prinzip des Universums benennen kann (Tobin, 347). Angesichts dieses weiten Bedeutungsspektrums verwundert es nicht, dass das Substantiv im Griechischen häufig verwendet wird und sich auch in den biblischen Schriften oft findet. In der → Septuaginta
Die bekannteste Auseinandersetzung mit dem Verständnis von Logos in Joh 1,1 dürfte sich in Goethes Faust finden:
Geschrieben steht: »Im Anfang war das Wort!«
Hier stock ich schon! Wer hilft mir weiter fort?
Ich kann das Wort so hoch unmöglich schätzen,
Ich muß es anders übersetzen,
Wenn ich vom Geiste recht erleuchtet bin.
Geschrieben steht: Im Anfang war der Sinn.
Bedenke wohl die erste Zeile,
Daß deine Feder sich nicht übereile!
Ist es der Sinn, der alles wirkt und schafft?
Es sollte stehn: Im Anfang war die Kraft!
Doch, auch indem ich dieses niederschreibe,
Schon warnt mich was, daß ich dabei nicht bleibe.
Mir hilft der Geist! Auf einmal seh ich Rat
Und schreibe getrost: Im Anfang war die Tat!
(J. W. von Goethe, Faust I, vv. 1224-1237).
Im Folgenden soll zunächst ein Überblick über die spezifische Verwendung von λόγος (lógos) in der griechischen Philosophie gegeben werden, während auf die in der Antike ebenfalls verbreitete Wortverwendung im Kontext der Mathematik, der Logik und der Grammatik nicht weiter eingegangen wird. Anschließend wird der Wortgebrauch in der Septuaginta und den → jüdisch-hellenistischen Schriften
2. Griechische Philosophie
Schon allein aufgrund der Häufigkeit der Belege und der Problematik, dass sich auch bei philosophischen Texten im Einzelfall nicht immer entscheiden lässt, ob ein eher alltäglicher oder ein stärker philosophisch geprägter Wortgebrauch vorliegt und wie das Substantiv konkret zu übersetzen bzw. zu interpretieren ist, lässt sich eine historische Entwicklungslinie der Wortverwendung kaum nachzeichnen. In der Forschung wird häufig angenommen, dass bereits früh eine Differenzierung zwischen λόγος (lógos), μῦθος (mýthos) und ἔπος (épos) stattgefunden habe, wobei λόγος (lógos) auf die sinnvolle und vernunftgeleitete sprachliche Äußerung, μῦθος (mýthos) auf die erfundene oder nicht gesicherte Geschichte und ἔπος (épos) auf eine Darstellung in Versen zielte (Debrunner, 74). Auch wenn diese Differenzierung für die Anfangszeit der griechischen Philosophie nicht gesichert ist (Ierodiakonou), lässt sich dennoch zeigen, dass der Begriff λόγος (lógos) schon früh verwendet wurde, um vernünftige Argumentationen, begründete Darstellungen einer Sache, die menschliche Rationalität und auch die Vorstellung von einer rationalen Ordnung des Kosmos zu bezeichnen.
2.1. Heraklit (ca. 544-484 v. Chr.)
Heraklit, ein Philosoph aus Ephesus, verwendet den Begriff im Rahmen seines Bedeutungsspektrums. In seinem Wirklichkeitsverständnis ging er davon aus, dass die Welt trotz aller Gegensätze eine Einheit ist, da die gegensätzlichen Größen voneinander abhängig sind und sich alle aus einem Grundelement, dem Feuer, ableiten lassen. Die Welt ist folglich ein Prozess beständigen Wandels, der jedoch einer bestimmten Abfolge, einem göttlichen Gesetz unterworfen ist. Auch der Mensch ist Teil dieser geordneten Welt (κόσμος kósmos). Heraklit verwendet in diesem Zusammenhang den Begriff λόγος (lógos, Fragm. 1.2.50), womit er vermutlich eine Art rationale Struktur oder kosmisches Prinzip beschreibt, das von weisen Menschen erkannt werden kann. Die Texte legen nahe, dass der Logos nach Heraklit „weder als bewußt noch als intelligent (d.h. als selbst denkend) erachtet“ wurde (Ierodiakonou). Nicht alle Menschen nutzen nach Heraklit ihre Fähigkeit, mit Hilfe der Philosophie, des vernünftigen Nachdenkens diesen Logos zu verstehen. Mit dem Substantiv λόγος (lógos) kann Heraklit nicht nur die vernünftige Struktur der Welt, sondern zugleich auch ihre angemessene Beschreibung in Form seiner eigenen Lehre darstellen. Zwischen diesen beiden Aspekten – der → Wirklichkeit
2.2. Die Sophisten
Die Sophisten, wie zum Beispiel Gorgias (ca. 480-380 v. Chr.), befassten sich mit der Kunst der Rede. Mit dem Begriff λόγος (lógos) wurde in diesem Kontext die machtvolle öffentliche Rede bezeichnet, welche u.a. die Fähigkeit besitzt, Furcht auszutreiben oder Fröhlichkeit zu verleihen. Der λόγος (lógos) wurde dabei von Gorgias in seinem Werk „Lob der Helena“ sogar als ein „großer Machthaber“, der „wahrhaft göttliche Dinge vollbringt“, beschrieben, wobei diese Personifizierung als rhetorisches Stilmittel verstanden werden kann und nicht im Sinne eines personifizierten göttlichen Wesens interpretiert werden sollte (Stead, 434).
2.3. Platon (428/7-348/7)
Platon benutzt das Substantiv λόγος (lógos) im Einklang mit seinem weiten Bedeutungsspektrum mit jeweils unterschiedlichen, durch den Kontext bestimmten Bedeutungen. In seinem Werk Theaetetus lässt er Sokrates den Logosbegriff definieren, unter dem man erstens den Ausdruck der Erkenntnis durch Worte, zweitens die Aufzählung der Elemente eines Gegenstandes in richtiger Reihenfolge und drittens die Darstellung des Wesens einer Sache verstehen könne (Theaet 206d-208c; Kleinknecht, 77).
Gemäß Platon wird das Weltall nicht von einem der Welt immanenten Logos hervorgebracht, sondern von einem δημιουργός (dēmiourgós), einem als „Handwerker“ bezeichneten Gott, der die geordnete materielle Welt nach einem vorliegenden Plan entstehen lässt (Baltes). Der Plan bzw. das Modell des Kosmos wird gebildet von der Welt der Ideen, an deren Spitze die Idee des Guten steht, die jenseits des Seins ist und eine geistige Größe darstellt.
„Die vernünftig denkende Aktivität der von dem Demiurg geschaffenen Weltseele wird als l. [logos] bezeichnet. [...] wenn sich der l. mit wahrnehmbaren Dingen beschäftigt, bringt er Meinungen und Annahmen hervor, wenn er aber über Ideen nachdenkt, sind Geist oder → Verstand
Die Erkenntnis der Ideen ist für die Menschen nötig, da diese normativ bindend sind und der Mensch nur so in → Ethik
„Form (ἰδέα idéa / εἶδος eídos) hat bei Plato eine vielfache Bedeutung (Allgemeingültiges, Vorbild, Urbild, Wesensgestalt), aber sie ist ausdrücklich faßbar in einem Logos oder einer Formulierung entweder in Worten (durch dialektische Abgrenzung) oder – wie Plato später meinte – mathematisch (nach Maßgabe der Idealzahlen)“ (Stead, 434).
2.4. Aristoteles (384-322)
Auch Aristoteles benutzt λόγος (lógos) im Rahmen seines weiten Bedeutungsspektrums, u.a. im Bereich der Kosmologie. Für Aristoteles ist wie für Platon nicht der Logos der Ursprung des Kosmos und seiner Ordnung, sondern „der unbewegte Beweger, ein transzendenter göttlicher Intellekt“, der auch als νοῦς (noús) bezeichnet wird (Ierodiakonou). In seinen biologischen Schriften und in De Anima verwendet er Logos für eine Art inhärente Formel, welche „Natur, Leben und Aktivität eines Körpers determiniert, d.h. l. [logos] ist die Triebfeder des Körpers und wird durch den Samen und seine Bewegung übertragen“ (Ierodiakonou).
In der Ethik spielt der Begriff eine Rolle, wenn es darum geht, „einen Logos für das rechte Verhalten zu finden (ethica Nicomachea [eth.Nic.] 1128 b 20), nicht einfach ein vernünftiges Prinzip, sondern eine gleichsam mathematische Formel als Mitte zwischen zwei Extremen“ (Stead 434). Gut zu leben, heißt für Aristoteles, im Einklang mit der Vernunft, dem ὀρθός λόγος (orthós lógos) zu leben (eth.Nic. 1144b) und dabei zugleich die irrationalen Anteile von → Seele
2.5. Die Stoa
Die in → Athen
Die Natur ist gemäß der Stoa „wesentlich vernünftig, erklärbar und zweckgerichtet“ und sie setzt die „Normen für die sie bewohnenden vernünftigen Wesen, so daß der Schlüssel zum Glück für die Menschen das ‚Leben gemäß der Natur‘ ist (τὸ ἀκολούθως τῇ φύσει ζῆν tó akoloúthōs tēi phýsei zēn, Diog.Laert. 7,87)“ (Inwood). Inhalt der Ethik ist deshalb für die Stoa das Leben im Einklang mit dem Logos, der sich sowohl im Menschen selbst als auch im Kosmos findet. „Das stoische Universum ist ein vorausbestimmtes System; demgemäß wird der universelle Logos mit der εἱμαρμένη (eimarménē, dem Schicksal, gleichgesetzt“ (Stead, 435). Daraus resultierte für die Ethik das Problem, dass ein Leben im Einklang mit dem Logos ebenfalls vorherbestimmt und der freie Wille der Menschen, sich zwischen guten und bösen Taten zu entscheiden, grundlegend in Frage gestellt war. Eine Lösung des Problems sah man in der Annahme, dass der Logos letztendlich auch die bösen Taten in die vollkommene Ordnung des Kosmos integrieren würde (Tobin, 348).
2.6. Mittel- und Neuplatonismus
Der spätere Platonismus ist nicht nur Interpretation der Lehren Platons, „sondern vielmehr ein stets konstruktiv und situativ rezipierendes Denken, das jeweils gegenwärtige konzeptuelle Bedürfnisse befriedigen will“ (Mojsisch / Summerell). Im Mittel- und Neuplatonismus wurde in Übereinstimmung mit Platon die immaterielle, intelligible Realität als die primäre angesehen, welche das materielle Sein, die Erkenntnis und auch die Werte erst ermöglicht. Die unsterbliche dreigeteilte Seele kommt dann zur wahren Tugend und Erkenntnis, wenn sie sich auf die Realität der Ideen konzentriert und durch ihr Erkennen zum wahrhaften, transzendenten Sein, der einen Idee des Guten, aufsteigt. Während sich im theologisierenden Mittelplatonismus eine „kosmogonisch fundamentale Dreiheit von Gott, Ideen und Materie als Wirk-, Form- und Stoffursache“ herauskristallisiert, zeichnet sich der spätere sogenannte Neuplatonismus durch eine zunehmend seinsstrukturierende und hierarchisierende Denkweise aus, die, wie z.B. bei Plotin als einem seiner frühen Vertreter erkennbar, alles Gegensätzliche und Vielfältige in der erfahrbaren Welt auf das transzendente unveränderliche und ewige Eine zurückführt (Mojsisch / Summerell).
Der Logosbegriff konnte dabei auf unterschiedliche Weise mit der Welt der Ideen oder Formen verbunden werden und stellte eine vermittelnde, allerdings in der Regel selbst noch transzendente Instanz zwischen dem transzendenten Gott und der sichtbaren Wirklichkeit dar. Auch Gottheiten konnten als Repräsentanten des Logos verstanden werden, wie z.B. → Osiris
Die Vorstellung, dass Götter oder göttliche Wesen sich in Menschengestalt zeigen, ist eine Vorstellung, die der griechischen Philosophie und Kultur nicht fremd war. Platon überliefert die Vorstellung, dass Zeus Hermes als Boten zu den Menschen schickt, um ihnen Recht und Scham zu vermitteln (Platon Protagoras 322c-d). Auch hinter Apg 14,11-12 steht diese Vorstellung, wenn die Menschen in Lystra denken, dass mit → Paulus
3. Jüdisch-hellenistische Schriften
3.1. Septuaginta
In der Septuaginta wird λόγος (lógos) häufig benutzt, um unterschiedliche hebräische Begriffe wiederzugeben, schwerpunktmäßig jedoch zur Übersetzung von Ableitungen der Wurzeln אמר (amar) und דבר (dabar), die u.a. auch für „sagen, denken, versprechen, befehlen“ verwendet werden. Gemeinsam mit ρῆμα (rhēma) findet sich λόγος (lógos) als Übersetzung des hebräischen Nomens dabar, wobei im → Pentateuch
Auch im Bereich der Erschaffung und Bewahrung der Welt offenbart sich die schöpferische und geschichtliche Wirkmächtigkeit des Wortes Gottes (u.a. Ps 33,6; Jes 55,11; Spr 8,22; Sir 39,17-18; Sir 39,31; Sir 43,10; Sir 43,26). Diese Vorstellung gründet im Schöpfungslied von Gen 1, das zwar nicht das Nomen dabar bzw. logos oder rhema verwendet, jedoch den Befehl Gottes jeweils in direkter Rede darstellt. Auch im Hinblick auf das → #xeschatologische#Heil 47910#x gilt die Hoffnung dem Wort Gottes (Jes 55,11). Gemäß den jüdischen Schriften wirkt Gott selbst durch sein Wort, während der Logos in der Philosophie eher unpersönlich als ein wirksames, vernünftiges Prinzip dargestellt wird, das die Welt durchwaltet und ordnet.
In der biblischen Forschung wird diskutiert, ob das Wort Gottes im Laufe der Entwicklung des Judentums zunehmend als eine vermittelnde Instanz bzw. eine Hypostase Gottes betrachtet wurde. Im Rahmen des Bemühens, den Namen Gottes aufgrund seiner Heiligkeit möglichst nicht zu verwenden, lässt sich zumindest beobachten, dass zahlreiche Umschreibungen benutzt wurden, um Gott zu bezeichnen und in diesem Kontext das Handeln Gottes auch von seinem „Wort“ oder seiner „Weisheit“ ausgesagt wurde (Stead, 436). Dadurch entsteht in den entsprechenden Texten zumindest zum Teil der Eindruck von eigenständigen Hypostasen Gottes. Dies lässt sich insbesondere in der Weisheitsliteratur beobachten, in welcher die → Weisheit
Die jüdische Weisheitsliteratur kennt die Weisheit Gottes in Person einer Frau, die als Schöpfungsmittlerin und Herrscherin den Willen Gottes in der Welt ausführt (Spr 8,1-36; Weish 10,1-11,1) und die Menschen in ethisch-alltagspraktischen Fragen unterweist. Diese Beschreibung der Sophia erinnert durchaus an die Logosvorstellung der Stoa (v.a. in Weish 7,21; Weish 8,6), und es verwundert nicht, wenn in diesem Kontext auch vom Logos Gottes die Rede ist, der mit den Attributen der Weisheit dargestellt wird (Weish 9,1-2; Weish 18,15; vgl. auch Ps 119,25; Ps 119,89; Ps 119,105). Auch wenn keine unmittelbare Abhängigkeit der jüdischen Weisheitsliteratur von der Stoa oder anderen philosophischen Logoskonzeptionen nachgewiesen werden kann oder auch muss, sind die jüdischen Texte doch in einer Zeit und Kultur entstanden, in welcher diese und ähnliche Vorstellungen zum Weltverständnis weit verbreitet waren.
3.2. Philo von Alexandrien (ca. 15 v. Chr. - ca. 50 n. Chr.)
Als hellenistisch gebildeter Jude versucht → Philo von Alexandrien
Die Weisheit und der Logos werden bei Philo zum Teil „gleichgesetzt (Legum allegoriae [All] 1,65) oder unterschiedslos gebraucht (vgl. Her 199; De specialibus legibus [SpecLeg] 1,81), zuweilen unterschieden“, ohne dass sich eine durchgehende Systematik feststellen ließe (Stead, 437). Die Weisheit kann als Gefährtin Gottes (Fug. 109) und der Logos als dessen erstgeborener Sohn (De acricultura [Agr] 51; De confusione linguarum [Conf] 63; [Conf] 146), manchmal sogar als Sohn Gottes und der Weisheit (Fug. 109) dargestellt werden. Andere Texte rücken den Logos näher zu Gott selbst, wenn er aus Gott hervorgeht wie ein Wort aus seinem Geist. Er ist die oberste seiner Kräfte (De Cherubim [Cher] 27; Quaestiones in Exodum [Quest in Ex] 2,68) und sein Abbild (Conf 97; Conf 147). Er kann sogar als ein Gott, im Griechischen ohne Artikel, beschrieben werden (De somniis [Somn] 1,228-230; vgl. Joh 1,1), womit er zwar als Gott bezeichnet, aber trotzdem noch von „dem Gott“ unterschieden und diesem untergeordnet wird. In Bezug zur Schöpfung ist der Logos das höchste aller Geschöpfe (Fug 101), der → Hohepriester
Die Vielzahl der Verwendungsweisen bei Philo macht es schwierig zu entscheiden, ob der Logos seiner Ansicht nach als eine Metapher für Gottes Macht, als eine Hypostase Gottes oder als von ihm getrennte Macht verstanden werden soll, die dann entweder personal oder unpersönlich interpretiert werden könnte (Tobin, 350). Die Art und Weise seiner Darstellung zeigt jedoch, dass es Philo offensichtlich ein Anliegen war, den biblischen Gott in Übereinstimmung mit bestimmten philosophischen, v.a. platonischen Wirklichkeits- und Gottesvorstellungen zu beschreiben und dabei seine Transzendenz zu betonen, so dass der Logos als eine vermittelnde Instanz zwischen dem transzendenten Gott und der materiellen Schöpfung agiert, die sprachlich zum Teil eher wie ein Prinzip oder eine Macht, zum Teil jedoch auch wie eine eigene Person charakterisiert werden kann.
4. Neues Testament
4.1. Der allgemeine Wortgebrauch
Das Neue Testament verwendet den griechischen Begriff ca. 330 Mal im Rahmen seines weiten Bedeutungsspektrums, wobei er sowohl im Singular als auch im Plural vorkommt.
Mit Logos kann z.B. eine Aussage (Lk 20,20), ein Standpunkt (Mt 15,12), eine Erzählung oder ein Bericht (Mt 28,15), der Kern einer Sache (Mk 9,10), ein Ausspruch (Joh 4,37), eine Prophetie (Joh 2,22), eine Rede (Mt 15,12) oder Lehre (1Kor 1,5) bezeichnet werden, aber auch das Reden neben dem Handeln (Röm 15,18; Kol 3,17) oder die rhetorisch-überzeugende Redefähigkeit (1Kor 1,17; 1Kor 2,4). Logos kann auch geschriebene Texte unterschiedlichen Umfangs benennen (Apg 1,1; Hebr 5,11). Im Einklang mit der antiken Wortverwendung kann es auch den Grund, die Ursache oder den Sinn einer Sache ausdrücken (Apg 10,29; Apg 18,14), aber auch eine verbindliche moralische Forderung, das Gebot Gottes (Röm 13,9; Gal 5,14) oder die Rechenschaft (Röm 9,28; Röm 14,12).
Oft wird Logos zur Bezeichnung des Wortes Gottes verwendet, im Sinne der heiligen Schrift oder im Sinne einer Offenbarung oder Botschaft Gottes. Dabei ist das Wort Gottes häufig die christliche Verkündigung: die christlichen Verkündigerinnen und Verkündiger predigen oder lehren das Wort Gottes (Apg 4,31; Apg 13,5; Apg 18,11, 1Kor 14,36; 2Kor 2,17; 2Kor 2,4). Da sich Gott in → Christus
Von diesem Sprachgebrauch aus ist der Weg nicht mehr sehr weit, um Jesus Christus selbst als das Wort Gottes in Person zu verstehen, als denjenigen, der durch seine Existenz, sein Leben, Wirken und Verkündigen die Botschaft Gottes zu den Menschen bringt.
4.2. Die spezifisch christologische Verwendung von Logos
Im Prolog des Johannesevangeliums (Joh 1,1-18) wird Logos verwendet, um Jesus selbst zu bezeichnen. Auch in 1Joh 1,1 wird Jesus als Logos des Lebens (λόγος τῆς ζωῆς lógos tēs zōēs) eingeführt, der das Leben offenbart und vermittelt (1Joh 1,2). In Apk 19,13 wird „Logos Gottes“ als Name des wiederkehrenden Christus genannt. Offensichtlich kann der, der das Wort Gottes den Menschen vermittelt, auch umfassend mit seiner Person, seinem Leben, Reden und Wirken als das Wort Gottes verstanden werden. Im Prolog des Johannesevangeliums sind diese Gedanken in philosophisch anmutender Art und Weise ausgeführt.
Über den religionsgeschichtlichen Hintergrund des johanneischen Prologs und insbesondere des Logosbegriffs wurde in der neutestamentlichen Forschung seit dem späten 17. Jh. viel nachgedacht und kontrovers diskutiert. Von Anfang an wurde sowohl eine Herleitung aus dem jüdischen Traditionshintergrund (z.B. John Lightfoot) als auch aus dem hellenistisch-philosophischen Bereich (z.B. Hugo Grotius) vertreten. Im 18. Jh. findet man schließlich die Thesen, dass die Logosvorstellung aus der Gnosis stammen könnte (z.B. Johann D. Michaelis), dass ein orientalisch geprägter Sprachgebrauch im Hintergrund stehen könnte (z.B. → Johann Gottfried Herder
Ohne etwas über den Ursprung oder die Herkunft des Logos auszusagen, hält Joh 1,1f fest, dass der Logos bereits im Anfang bei Gott war, als die Welt noch nicht existierte. Mit der Einleitung „im Anfang“ knüpft Joh 1,1 an Gen 1,1, indem die Formulierung der Septuaginta übernommen wird. Dadurch wird der Logos als Schöpfungsmittler eingeführt, der selbst aller Schöpfung vorausgeht. Der Logos wird prädikativ als ein Gott, ohne Artikel, bezeichnet, was am ehesten im Sinne einer Wesensgleichheit zu verstehen ist, nicht jedoch dahingehend, dass der Logos als zweiter Gott gleichwertig neben Gott steht (vgl. Philo, Somn 1,228-230). Durch den Logos wird nach dem Willen Gottes schließlich alles geschaffen (Joh 1,3). In Joh 1,4f wird der Logos mit dem Leben und dem Licht verbunden. Der Logos kommt in die Welt und erleuchtet die Menschen (Joh 1,9). Doch die Welt kannte ihn nicht (Joh 1,10) und die Seinen nahmen ihn nicht auf (Joh 1,11). Die ihn aufnehmen, macht er zu Kindern Gottes (Joh 1,12).
Als wichtigste Parallele zu diesen Vorstellungen ist die jüdische Weisheitsliteratur zu nennen. Sie beschreibt, dass die Weisheit von Anfang an bei Gott war (Spr 8,22-23; Spr 8,27; Spr 8,29-30; Sir 24,9; Weish 9,9) und als Schöpfungsmittlerin wirkte (Weish 7,22; Weish 9,9; Sir 24,9). Sie verbindet die Weisheit mit Leben (Spr 8,35; Weish 8,13) und mit Licht oder Erleuchtung (Weish 8,26; Weish 7,29-30). Auch die Weisheit wohnt nach der Schöpfung in der Welt (Weish 8,30-31; Sir 1,15; Sir 24,10), aber die Menschen erkennen sie nicht (Bar 3,12; Spr 1,20-30). Sie stellt eine Beziehung zu Gott her, indem sie die Menschen zu Freunden Gottes und Propheten macht (Weish 7,27). Die Anwesenheit der Weisheit unter den Menschen wird zum Teil als ein „Zelten“ beschrieben (Sir 24,8; Sir 24,10; vgl. Joh 1,14).
Der in Joh 1 erwähnte Logos wurde Fleisch und wohnte unter den Menschen und die Verfasser des Textes bezeugen, dass sie seine Herrlichkeit als die des einziggeborenen Sohnes des Vaters gesehen haben, die voller Gnade und Wahrheit ist (Joh 1,14-17). Der Logos ist deshalb der Exeget des Vaters, da er den Vater gesehen hat, an dessen Brust er lag (Joh 1,18; vgl. dieselbe Beschreibung findet sich beim → Lieblingsjünger, der an der Brust Jesu liegt; Joh 13,23). Der Prolog zielt darauf, dass der Logos als Fleisch bzw. Mensch gewordenes Wort Gottes verstanden wird, das Gott offenbart, Leben und Erleuchtung bringt und die Menschen zu Kindern Gottes macht.
Dies entspricht der Darstellung Jesu im gesamten Johannesevangelium, insbesondere der Botenchristologie, auch wenn die absolute Bezeichnung Logos für Jesus Christus selbst im weiteren Verlauf des Evangeliums nicht mehr verwendet wird. Immer wieder betont Jesus, dass er gekommen ist, um das Wort Gottes zu verkündigen (Joh 5,24; Joh 12,28; Joh 14,23f; Joh 17,6), aber auch um die Werke Gottes zu wirken (v.a. Joh 5,19-26; Joh 5,37f; Joh 7,16; Joh 10,37f; Joh 12,44-50; Joh 14,9-11; Joh 17,6-10). Das Verhältnis von Gott und Jesus lässt sich als Einheit im Wirken beschreiben.
5. Ausblick
Der Begriff Logos wird auch von den christlichen Verfassern in der nachapostolischen Zeit im Rahmen seines weiten Bedeutungsspektrums gebraucht. Unter anderem können die Heiligen Schriften oder einzelne Schriftstellen, der Glaube bzw. die christliche Lebensweise, das Gebet oder die eucharistische Danksagung und auch Jesus Christus in seiner Beziehung zu Gott als Logos bezeichnet werden (Stead, 440f). Seit dem 2. Jh. n. Chr. wird der Logosbegriff zunehmend im Bereich der Christologie verwendet, wobei die Traditionshintergründe und auch die Zielrichtung der jeweiligen Wortverwendung bei den verschiedenen Verfassern unterschiedlich sind. Nur zum Teil lässt sich eine direkte Abhängigkeit vom Johannesevangelium nachweisen, häufig findet sich jedoch eine verstärkte Auseinandersetzung mit der Philosophie, da im Rahmen der sogenannten → Apologetik
„Der göttliche Logos war nach seiner Ansicht als λόγος σπέρματικος (lógos spérmatikos) unter den Philosophen ‚ausgesät‘. Die Menschen als solche haben als vernünftige Wesen (λογικοί logikoí) den λόγος (lógos) zu einem Teil erhalten, während den Christen jetzt die ganze Wahrheit bekannt ist (Apologia II 7). Wie Philo denkt Justin Gott als gänzlich transzendent (Apologia I 61; II 12 u.a.) und allein durch seinen Logos offenbart“ (Stead, 441).
Aber auch im Hinblick auf die Beziehung zu Gott sowie die Frage nach der Göttlichkeit oder Menschlichkeit Jesu wird der Logosbegriff auf unterschiedliche Weise verwendet. So schreibt → Tertullian
„Es gibt aber eine Glaubensregel [...], wonach geglaubt wird, es gebe nur einen einzigen Gott und keinen anderen neben dem Weltschöpfer, der alles aus nichts hervorgebracht hat durch sein zuerst vor allem hervorgegangenes Wort. Dieses Wort sei sein Sohn genannt worden, unter dem Namen Gott verschiedentlich von den Patriarchen geschaut, bei den Propheten stets gehört, zuletzt aus dem Geiste und durch die Kraft Gottes des Vaters in die → Jungfrau Maria
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
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3. Weitere Literatur
- Bultmann, R., 1967, Der religionsgeschichtliche Hintergrund des Prologs zum Johannesevangelium (1923), in: E. Dinkler (Hg), Exegetica, Tübingen, 10-36
- Bultmann, R., 1967, Die Bedeutung der neuerschlossenen mandäischen und manichäischen Quellen für das Verständnis des Johannesevangelium (1925), in: E. Dinkler (Hg), Exegetica, Tübingen, 55-104
- Theobald, M., 1988, Die Fleischwerdung des Logos: Studien zum Verhältnis des Johannesprologs zum Corpus des Evangeliums und zu 1Joh, Münster
- Kruck, G. (Hg), 2009, Der Johannesprolog, Darmstadt
- Siegert, F., 2004, Der Logos, „älterer Sohn“ des Schöpfers und „zweiter Gott“. Philons Logos und der Johannesprolog, in: J. Frey (Hg), Kontexte des Johannesevangeliums. Das vierte Evangelium in religions- und traditionsgeschichtlicher Perspektive, Tübingen, 277-294.
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