Ölberg
(erstellt: Juli 2018)
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1. Name
2Sam 15,30
Der Symbolname הַר הַמַּשְׁחִית har ha-mašḥît „Berg der Vernichtung“ in 2Kön 23,13
Im Aramäischen, wo מְשַׁח məšaḥ ein Konkretum ist („Öl“; Esr 6,9
Im Arabischen ist heute die Bezeichnung nach dem Wohnviertel, das sich über den eigentlichen Ölberg erstreckt, üblich: Ǧebel eṭ-Ṭūr „Berg von Et-Tur“, wobei ṭūr – vermutlich aus dem Syrischen entlehnt (vgl. Badawi / Haleem, 575) – die gleiche Bedeutung wie im Aramäischen hat, der arabische Dorfname also schlicht „der Berg“ bedeutet.
Im Griechischen heißt die Anhöhe τὸ ὄρος τῶν ἐλαιῶν to oros tōn elaiōn „der Berg der Olivenbäume“ (Sach 14,4
In 2Sam 15,30
2. Biblische Überlieferung
2.1. 2Sam 15f
Nach seinem Auszug aus dem Stadttor von → Jerusalem
Das Qere lautet עַרְבוֹת הַמִּדְבָּר ‘arəvôt ha-midbār „Steppen / Ebenen der Wüste“ ist aber doch wohl Angleichung an 2Sam 17,16
Vor dem nun beginnenden Anstieg auf den Ölberg werden der Priester Zadok und einige Leviten, die an der Stadtgrenze, im Talgrund, Opfer dargebracht hatten, mit der Bundeslade in die Stadt zurückbeordert (2Sam 15,24-29
„Und David stieg hinauf auf dem Aufstieg (bei den) Ölbäumen (מַעֲלֵה הַזֵּיתִים ma‘ǎleh ha-zêtîm), weinte dabei, und sein Haupt hatte er verhüllt, und er ging barfuß. Und das ganze Volk, das mit ihm war, jeder hatte sein Haupt verhüllt. Und sie stiegen auf, dabei weinend.“
In dem „slow-motion report of the flight, reinforced by the participial verbs“ (Alter, 287) ist מַעֲלֵה הַזֵּיתִים ma‘ǎleh ha-zêtîm treffende Bezeichnung für den steilen Weg zum Bergkamm.
McCarter (371) erwägt, ob dies der vorexilische Name für den Ölberg gewesen sei, aber in der Kombination Bewegungsverb + בְּמַעֲלֵה bəma‘ǎleh meint מַעֲלֶה ma‘ǎleh immer den Aufstieg (vgl. 1Sam 9,11
Um ins Jordantal zu gelangen, muss Davids Trupp den Kamm passieren, wo es nach Auskunft von 2Sam 15,32
„Und als David auf dem Gipfel ankam, dort, wo man sich vor den Göttern niederwirft, siehe, da kam ihm Huschai, der Arkiter, entgegen…“
Da der kürzeste Weg zum Jordan von Jerusalem aus nordöstlich über den zentralen Bergkamm führte, meint der Erzähler hier nicht die von Salomo errichteten Kultplätze für fremde Götter, die sich weiter südlich, der alten Davidstadt gegenüber, befanden (s.u. 2.2.; vgl. McCarter, 371; auch Zwickel, 85f).
2.2. 1Kön 11,7f und 2Kön 23,13
1Kön 11
„Damals baute Salomo ein Höhenheiligtum (בָּמָה bāmah) für Kemosch, das Scheusal Moabs, auf dem Berg, der Jerusalem gegenüber liegt, und für Milkom (so vermutlich von der Septuaginta vorausgesetzt und auch V.5.33; vgl. Noth, 241; Mulder, 556; der Masoretische Text liest: „für Molech“), das Scheusal Ammons. Und so tat er es für alle seine fremdländischen Frauen, (damit sie) ihren Göttern Rauchopfer und Schlachtopfer darbringen (konnten).“
Mit dem „Berg gegenüber von Jerusalem“ wird der südliche Teil der Ölbergkette gemeint sein, da die Stadt sich bis zum Ende des 8. Jh.s nur über den südlichen Sporn, die sogenannte Davidstadt, erstreckte. Sein mittelalterlicher Name „Mons offensionis“ rührt von 2Kön 23,13
„Auch die Kulthöhen (בָּמוֹת bāmôt), die Jerusalem gegenüber (עַל־פְּנֵי ‘al-pənê) lagen, rechts (= südlich) vom Berg des Verderbens, die Salomo, der König Israels, gebaut hatte für Astarte, das Scheusal der Sidonier, und für Kemosch, das Scheusal Moabs, und für Milkom, die Abscheulichkeit der Ammoniter, machte der König unrein (und entweihte sie auf diese Weise; vgl. 2Kön 23,16
Die Näherbestimmung mit dem Symbolnamen הַר הַמַּשְׁחִית har ha-mašḥît „Berg der Vernichtung“ gibt Rätsel auf. Die → Septuaginta
עַל־פְּנֵי ‘al-pənê ist mehrdeutig. Es kann lokal „gegenüber von“, in der alttestamentlichen Topografie speziell „im Osten von“ oder auch modal „im Angesicht von“ verstanden werden. Die ersten beiden Aspekte fallen beim Mons offensionis zusammen. Doch auch auf den dritten ist hier wohl bewusst angespielt: Die Höhenheiligtümer in Sichtweite der Stadt und vor allem direkt gegenüber vom gerade erst eingeweihten Tempel, ja ihn überragend, sind in deuteronomistischer Sicht ein Affront gegen JHWH (vgl. עַל־פְּנֵי ‘al-pənê in Gen 25,18b
Möglicherweise steht hinter dieser Überlieferung die Kenntnis von entsprechenden Kultstätten im Jerusalem der mittleren oder späten Königszeit, die von Handelsdelegationen der Nachbarländer frequentiert wurden (vgl. Noth, 249; Knauf, 325). „Dass diese Tempel oder Kapellen auf dem Ölberg stehen und nicht im Tempel- oder Palastareal, hat wohl den gleichen Grund wie der Sachverhalt, dass der Ölberg die alte jüdische Nekropole Jerusalems wurde: die Hl. Stadt sollte nicht verunreinigt werden“ (Knauf, 325).
2.3. Ez 11,23
In → Ezechiels
„Und die Herrlichkeit JHWHs stieg auf aus der Mitte der Stadt, und sie stellte sich auf den Berg, der im Osten (מִקֶּדֶם miqædæm) der Stadt liegt.“
Mit dem Auszug werden Tempel und Stadt dem Untergang preisgegeben: „Kein Tempel wurde zerstört – so war der allgemeine Glaube im Alten Orient –, bevor sein Gott ihn verlassen hatte…“ (Greenberg, 232, mit altorientalischen Beispielen; zum Auszug JHWHs vgl. Ps 78,60-61
Über den weiteren Weg der „Herrlichkeit“ Gottes wird an dieser Stelle nichts gesagt.
Für Block (358) markiert der Ölberg nur den Horizont des Betrachters: hier endet das Sichtfeld von Jerusalem aus und damit auch die Vision (ähnlich Fohrer, 58; Allen, 166).
Allen (166), Greenberg (221f.233) und schon die Rabbinen (Babylonischer Talmud, Traktat Rosch Haschana 32a [Text Talmud
Wagner (274) geht von einem dauerhaften Aufenthalt auf dem Ölberg aus: „die Tatsache, dass sich der kābôd JHWHs in der Nähe der Stadt niederlässt, ist als Hoffnungsschimmer auf ein Leben in Jerusalem nach dem Gericht zu verstehen“.
Laut Pesigta de-Rav Kahana 13,11 kommentierte Rabbi Jochanan das Stehen (עמד) auf dem Ölberg als geduldiges Abwarten: „Die Gegenwart [השׁכינה] wartete noch dreieinhalb Jahre auf dem Ölberg und verkündete jeden Tag dreimal: ‚Kehrt um, ihr widerspenstige Söhne‘ (Jer 3,22
Aus dem Kontext des Ezechielbuches ließe sich aber auch ableiten, dass die „Herrlichkeit“ zu den 597 v. Chr. deportierten Judäern ins Exil auswandert: Der ganze Abschnitt Ez 8-11 handelt ja von der Frage nach Gottesnähe oder Gottesferne (vgl. Greenberg, 232f; Kiefer, 614-625). Den vermeintlich Fernen im Exil wird Gottes Gegenwart zugesagt (Ez 11,16
Zu bedenken ist bei alledem, dass in Ezechiels Visionen Gottes Gegenwart nicht auf einen Ort festgelegt ist (vgl. Greenberg, 226-231) „Sie kann an jedem Ort zu jeder Zeit erscheinen“ (a.a.O., 228).
Der Fokus der Vision von der ausziehenden „Herrlichkeit“ in Ez 8-11 liegt fraglos auf dem Woher, nicht auf dem Wohin, also auf „Gottes Rückzug seiner schützenden Gegenwart von der Stadt“ (Greenberg, 228; vgl. Zimmerli, 234; Block, 357f). Auch die auffällige Wegstation auf dem Ölberg weist in diese Richtung: Dies war der Fluchtweg Davids und seiner Leute, die am Ölberg tränenreich Abschied von Jerusalem nahmen (s.o. 2.1.; vgl. Greenberg, 221). Aber auch die Deportierten auf ihrem Zug nach Nordosten, ins Jordantal zu den internationalen Handelsstraßen werden auf diesem Weg ihre Heimat verlassen haben. Der Ölberg ist hier Inbegriff des Abschieds und des Heimatverlustes (s.u. 5.).
Aber wie die Deportierten (Ez 11,17
2.4. Sach 14,4
Die prophetische Vision Sach 14
„Und an jenem Tag treten seine Füße auf den Ölberg (הַר הַזֵּתִים har ha-zetîm), der Jerusalem gegenüber, im Osten liegt, und der Ölberg spaltet sich von seiner Mitte her nach Osten und nach Westen – (durch) ein sehr großes Tal. Da weicht die Hälfte des Berges nach Norden und seine (andere) Hälfte nach Süden.“
Durch das künstlich geschaffene breite Tal können die Israeliten mühelos, ohne den kräftezehrenden Anstieg auf den Ölberg aus der tiefer gelegenen Stadt entkommen (V.5; so auch Meyers / Meyers, 421-427; Reddit, 146f; Wolters, 456-459; anders Willi-Plein 2007, 220).
2.5. Neues Testament
Im Neuen Testament wird der Ölberg dann eine für die Jesus-Geschichte wichtige Ortslage (Mt 21,1
3. Lage und geografische Charakteristika
Die nördlichste Kuppe ist der heutige French Hill / Giv‘at Shapira (834 m; Abb. 2, Nr. 1; dort „rās dār ṣalāḥ“ und „rās abu ḥalāwe“), der im Norden und Osten von einer Bergmulde (bei Dalman „še‘b zēdān“), die in das zur Jordansenke führende Wādī Salīm übergeht, begrenzt wird (vgl. Dalman, 22).
Südlich schließt sich der Rās el-Mušārif (Ras el-Mušarif) „Spähergipfel“ an (Abb. 2, Nr. 2), ein heute überbauter Vorsprung mit steilen Hängen, der zwar mit 819 m etwas niedriger ist als die nördliche Kuppe, aber nach Westen aus dem Kamm der Ölbergkette herausragt und deshalb eine besondere strategische und symbolische Bedeutung als „Späherberg“ (mons scopus) gewann.
Nach einem Sattel (720 m ü.M.), über den die südliche Straße nach Jericho (Route 417) führte, die seit 2006 an der Sperrmauer endet, erhebt sich als letzter Gipfel der Ölbergkette der „Berg des Ärgernisses“ (mons offensionis, arabisch Baṭn el-Hawā (Batn el-Hawa) „Windhalde“ [vgl. Küchler, 533]; 741 m). Heute steht auf der Kuppe mitten im arabischen Viertel Rās el-‘Amūd das Gästehaus Maison d’Abraham in einem ehemaligen Benediktiner-Kloster (Abb. 2, Nr. 23). Von hier fällt der Berg steil ab: im Westen zum Dorf Silwān und dem Kidrontal, im Süden zum Wādī en-Nār, wie das zum Toten Meer führende Kidrontal nach der Einmündung des Hinnomtales heißt, im Osten zu dessen Seitental Wādī Qaddūm.
Die Ölbergkette gehört zum zentralen Bergland, das Israel-Palästina von Norden nach Süden teilt. Sie ist im Westen durch das tief eingeschnittene Kidrontal / Wādī el-Ǧōz (Wādī el-Joz; südlich des Har HaTzofim 720 m ü.M., beim Mariengrab / Getsemane 703 m ü.M., an der Einmündung des Hinnomtales 620 m ü.M.) und im Osten durch die zum Jordantal und Toten Meer etwas sanfter abfallende Judäische Wüste deutlich begrenzt.
Die Niederschläge und die kreidehaltige Deckschicht der kreidezeitlichen Kalksteinberge (vgl. Heard, 13) ermöglichen einen Baumbewuchs. Neben den namengebenden Olivenbäumen gab es in alttestamentlicher Zeit vermutlich einen umfangreichen Bestand an Obstbäumen und auch Pinien, die erst bei der Belagerung durch Titus abgeholzt wurden (vgl. ebd.).
Auch der Ortsname Betfage „Feigenhausen“ (s.u. 4.4.3.1.) und die neutestamentliche Erzählung vom Einzug in Jerusalem (Mt 21,8
Der relativ weiche Kalkstein lässt sich leicht behauen, ist deshalb zum Bau von Höhlen und Gräbern wie auch zur Herstellung von Steingefäßen (s.u. 4.3.) gut geeignet. Während die Ostseite der Ölbergkette im Altertum locker besiedelt war und auch auf dem nördlichen und dem südlichen Gipfel Siedlungen nachweisbar sind, finden sich am steilen Westhang vornehmlich Grabanlagen, die von Jerusalem aus gebaut und genutzt wurden.
4. Geschichtlicher und archäologischer Befund
In der folgenden Aufstellung archäologischer Befunde und historischer Quellen werden die oben beschriebenen Abschnitte der Ölbergkette von Nord nach Süd behandelt:
4.1. French Hill / Giv‘at Shapira und Rās el-Mušārif
Nicht der nördlichste und höchste Gipfel (heute French Hill / Giv‘at Shapira, 834 m; Abb. 2, Nr. 1), sondern sein südwestlicher Ausläufer, der nur 817 m hohe, aber zur Stadt hin hervortretende Rās el-Mušārif (bei Dalman: el-mešārif) „Spähergipfel“ (Abb. 2, Nr. 2; Koordinaten: 1725.1344; N 31°48' 08'', E 35° 14' 11''
Cestius Gallus errichtete im Oktober 66 n. Chr. 7 Stadien (ca. 1,3 km) von der Stadt entfernt sein Heerlager, musste aber bald erfolglos abziehen (Josephus, De bello Judaico II,528-555). Titus begann seine Belagerung, die zum Fall der Stadt führte, im Frühjahr 70 n. Chr. mit der Errichtung dreier Lager: Die XII. und XV. Legion ließ er wie Cestius auf einem Bergvorsprung am Hang des Rās el-Mušārif (7 Stadien vor der Stadt) lagern, die V. Legion auf dem Gipfel (10 Stadien = ca. 1,8 km; De bello Judaico V,67-68; vgl. Dalman 30f). Zusätzlich beorderte er die X. Legion aus Jericho auf den Ölberg, wo sie 6 Stadien (ca. 1,1 km) von der Stadt entfernt ihre Zelte aufschlug (De bello Judaico V,69-70). In Gräbern auf der Himmelfahrtskuppe und auf der Viri-Galilaei-Kuppe wurden Ziegel mit Stempelzeichen der X. Legion entdeckt (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 297.321f). Nach der Belagerung war der einst idyllische Westhang ein „abgeholzter, mit Schanzanlagen durchzogener kahler Bergrücken, von dem aus man auf eine niedergerissene Stadt und einen verbrannten Tempel blickte“ (Küchler, 540).
In Antiquitates Judaicae (XI,329) nennt Josephus den Ort, an dem – nach einem wohl legendarischen Bericht (vgl. Bieberstein / Bloedhorn I,95) – Alexander der Große eine Delegation aus Jerusalem traf, Σαφειν Saphein, was er mit σκοπός skopos übersetzt, also als Transkription des hebräischen צופים ṣôfîm bzw. aramaisiert צופין ṣôfîn versteht.
In der rabbinischen Terminologie ist nicht eindeutig, ob צופים ṣôfîm als Eigenname den Scopus-Berg im Nordosten von Jerusalem oder einen von mehreren „Späher(punkten)“ bezeichnet, die für spezielle, nur in der heiligen Stadt gültige halachische Bestimmungen die Grenze bilden; so bei הצופים haṣôfîm in Mischna, Pesachim 3,8; Tosefta, Pesachim 3,13; Babylonischer Talmud, Traktat Pesachim 49a; 81b; Jerusalemer Talmud, Traktat Berakhot 9,5 (14b) bzw. הצופין haṣôfîn in Tosefta, Megilla 3,26, wo jeweils absolut von „dem oder den Ṣôfîm/n“ die Rede ist (vgl. Dalman, 28f; Albeck, 152). Handschriften und talmudische Kommentare überliefern auch die Lesart צופית ṣôfît / צפית ṣofît, Tosefta, Pesachim 3,12 den Singular: „Welcher ist ein ṣôfæh? Wenn man (Jerusalem) sieht und (die Sicht) nicht wieder aufhört“ (vgl. Epstein, 386; Albeck, 447). Die Zweideutigkeit bleibt auch in Sifre Devarim 43 (Finkelstein 95); Babylonischer Talmud, Traktat Moed Qatan 26a; Jerusalemer Talmud, Traktat Moed Qatan 3,7 (83b); Ekha Rabba 5,18, die den Brauch schildern, dass Juden, wenn sie an den oder einen Ṣôfîm (לצופים lə- bzw. laṣôfîm [Abstraktplural]) gelangen, wo sie des zerstörten Tempels ansichtig werden, ihre Kleider einreißen (vgl. in diesem Zusammenhang Lk 19,41). Allerdings scheint die narrative Logik doch eher den einen, bekannten Ort vorauszusetzen. Babylonischer Talmud, Traktat Makkot 24b überliefert die gleiche Tradition mit der Lesart הר־צופים har-ṣôfîm „Späher-Berg“.
Möglicherweise ist auf einem der nördlichen Gipfel der Ölbergkette auch das biblische → Nob
Für sich genommen könnte Jes 10,28-32
Der letzte Ort, bevor der heranstürmende Krieger Jerusalem erreicht, ist Nob. Dort „schwingt er seine Hand (gegen) den Berg (Qere, wie 1QIsaa und Septuaginta; vgl. Christensen, 392) der Tochter Zion, die Anhöhe Jerusalems“ (Jes 10,32b
Bei Ausgrabungen von Ora Negbi wurden 1969 auf dem French Hill / Giv‘at Shapira (Abb. 2, Nr. 1; Koordinaten: 1727.1348; N 31° 48' 21'', E 35° 14' 19''
Andere Vorschläge für die Lokalisierung von Nob in Sichtweite Jerusalems sind eṭ-Ṭūr (vgl. McCarter, 371), die Auguste-Victoria-Kuppe (vgl. Wildberger, 430) oder die ebenfalls höher gelegenen Viertel American Colony und Sheikh Jara (so Zissu, s.u. 4.2.; weitere Identifizierungen bei Zwickel, 91). Unwahrscheinlicher sind Orte, die keinen freien Blick auf Jerusalem gewähren, etwa Rās eṭ-Ṭemīm (s.u. 4.2.), das Zwickel, 91-93, auf Grundlage der Neh 11,32
Wie überall rings um Jerusalem finden sich auch rund um den nördlichen Gipfel der Ölbergkette zahlreiche in Stein gehauene Gräber aus der Zeit des Zweiten Tempels (vgl. Kloner / Zissu, 446-459).
4.2. Har HaTzofim / Mt. Scopus (Hebräische Universität)
Auf dem Gipfel und an den Hängen befand sich in der Spätzeit des Zweiten Tempels eine ausgedehnte Nekropole (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 264f.272.277.292f.306-310.320.323.337.338.340.350; Kloner, Nr. 251-262.264.281.283.285-303; Kloner / Zissu, 152-196; Kloner / Whetstone), u.a. das Familiengrab des Nikanor aus Alexandria, der das Osttor im inneren Tempelhof gestiftet hat (vgl. Mischna Middot 1,4; 2,3.6; Tosefta Yoma 2,4), aus der ersten Hälfte des 1. Jh.s n. Chr. (vgl. Stauffer; Bieberstein / Bloedhorn III, 307f; Kloner, Nr. 293), auch am östlichen Hang (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 340.349f; Kloner, Nr. 275.284.305; Kloner / Zissu, 177-196; Eirikh-Rose), an dem auch Gebäude und Weinpressen die landwirtschaftliche Nutzung in dieser Zeit belegen (vgl. ebd. Eirikh-Rose).
Südwestlich der Universität (Abb. 2, Nr. 4; 1728.1332; N 31° 47' 29'', E 35° 14' 23''
Ca. 0,5 km westlich von diesem Ort, nahe des Nahmanides-Grabes wurde in einem Gräberfeld aus der Spätzeit des Zweiten Tempels ein alter Wasserkanal entdeckt, in dessen Verfüllung sich Scherben aus dem 7.-6. Jh. v. Chr. befanden (Abb. 2, Nr. 5; Koordinaten: 1721.1332; N 31° 47' 23'', E 35° 14’ 02''
4.3. Augusta-Victoria-Kuppe
Auf dem Grundstück der Auguste-Victoria-Stiftung (Abb. 2, Nr. 6; Koordinaten: 1737.1327; N 31° 47' 13'', E 35° 14' 57''
Gräber aus hellenistisch-römischer Zeit finden sich am Westhang (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 257f.276f.306.318-320.322f.339f; Kloner Nr. 347-352.357) und auch am Osthang (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 351; Kloner, Nr. 353.366; Eirikh-Rose).
Südlich der Kuppe überquerte die alte Römerstraße (vgl. Beauvery; Wilkinson) – vermutlich auf der Trasse älterer Handelsrouten – den hier eingesenkten Kamm (Abb. 2, Nr. 7). An einem Ausläufer des Osthangs, ca. 1 km nordöstlich der Auguste-Victoria-Kuppe, abseits dieser Straße, aber von der Ölbergkette einsehbar und erreichbar, liegt Rās eṭ-Ṭemīm (Ras et-Temim / Ras Tumeim; Abb. 2, Nr. 8; Koordinaten: 1744.1332; N 31° 47' 30'', E 35° 15' 26''
Die Nacherzählung des Josephus (Antiquitates Judaicae VII,225) spiegelt Ortskenntnis: die Boten verlassen die Straße, als sie die Verfolger – wahrscheinlich auf der Höhe des Ölberges – entdecken und gehen nach Bahurim (vgl. Voigt 1925, 71).
Auch die Belege aus späterer Zeit können die These erhärten: Kolumbarien, hasmonäische und herodianische Zisternen, im Umkreis auch eine Kelter, Höhlen, eine Werkstatt für Steingefäße aus der Spätzeit des zweiten Tempels (vgl. Kloner, Nr. 311; Eirikh-Rose; Amit / Seligman / Zilberbod 2008) und ein byzantinisches Kloster mit Herberge (vgl. Amit / Seligman / Zilberbod 2003) charakterisieren den Ort als Pilgerstation auf dem Weg nach Jerusalem und machen eine Identifikation mit „Baorin“ im 16. Kapitel des Pilgerberichts des Anonymus von Piacenza wahrscheinlich (vgl. Zissu / Kloner; Text bei Zwickel, 86).
Zu dem 2Sam 3,16
4.4. Der Ölberg im engeren Sinne: Himmelfahrtskuppen / eṭ-Ṭūr
4.4.1. Gipfel
Drei der vier Kuppen des eigentlichen Ölbergs sind mit Kirchen besetzt: im Nordwesten die Viri-Galilaei-Kirche (Abb. 2, Nr. 9; Koordinaten: 1733.1322; N 31° 46' 57'', E 35° 14' 41''
Der höchste Punkt, nahe bei der russischen Himmelfahrtskirche, ist zugleich der östlichste Gipfel. Hier wird man sich die Ölberg-Station der in der rabbinischen Literatur berichteten Leuchtfeuer-Signalkette zur Verkündigung des Neumond-Termins (Mischna Rosch HaSchanah 2,4; Tosefta Rosch HaSchana 2,2) vorzustellen haben (vgl. Dalman, 47).
4.4.2. Westhang
4.4.3. Ortslagen am Osthang: Betanien und Betfage
1) Betanien: Am Osthang, am südlichen Passweg nach Jericho liegt das Dorf el-‘Āzarīje (Abb. 2, Nr. 17), das neutestamentliche Betanien, griechisch Βηθανία Bēthania, hebräisch בֵּית עֲנָנְיָה bêt ‘ǎnānjāh „Ananjashausen“ (vgl. Küchler, 619; andere: בֵּית עֲנִיָּה bêt ‘ǎnijjāh „Armenhausen“, vgl. Görg 1991, 279), Heimat des Lazarus (deshalb Λαζαριον Lazarion, daraus arabisch el-‘Āzarīje), der Schwestern → Maria und Martha
2) Betfage: Nahe bei Betanien, noch am Anstieg auf den Ölberg, bevor Jerusalem in Sicht kommt (Lk 19,36-37
Auf dem franziskanischen Grundstück im (späteren) Betfage wurden Grabanlagen mit Inschriften aus frühhellenistischer bis byzantinischer Zeit entdeckt (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 341-345; Küchler, 632-635; und Kloner / Zissu, 220-222, mit weiteren Gräbern in Betfage). An der Grundstücksmauer, 200 m nordöstlich der Kirche liegt die Ruinenstätte Chirbet el-Kaše (Koordinaten wohl 1741.1317; N 31° 46' 41'', E 35° 15' 12''
Ein Ritualbad am Anstieg nach Betfage (Abb. 2, Nr. 19; 1740.1313; N 31° 46' 27'', E 35° 15' 09''
Rabbinische Diskussionen verweisen exemplarisch auf Betfage als äußerste Grenze des Jerusalemer Stadtgebietes, in dem besondere Halakhot galten (vgl. Mischna, Menachot 7,3; 11,2; Tosefta, Menachot 8,18; 11,1; Babylonischer Talmud, Traktat Menachot 78b; Pesachim 91a; Sanhedrin 14b; Sota 45a; Baba Metzia 90a; im Gegensatz zu Sifre Bemidbar 151 zu Num 29,35
4.4.4. Weitere Grabanlagen
Östlich der el-Qa‘de-Kuppe (Abb. 2, Nr. 20; Koordinaten: 1734.1313; N 31° 46' 27'', E 35° 14' 45''
Grabanlagen aus derselben Zeit sind auch in eṭ-Ṭūr, ca. 500 m nordöstlich der russischen Himmelfahrtskirche (Abb. 2, Nr. 21; Koordinaten: 1740.1320; N 31° 46' 50'', E 35° 15' 06''
Im heutigen Viertel eš-Šēch an der Straße 417 am beginnenden Wādī Qaddūm (Abb. 2, Nr. 22; Koordinaten: 1736.1312; N 31° 46' 25'', E 35° 14' 56''
Gräber aus der Spätzeit des Zweiten Tempels finden sich nicht nur am Westhang, sondern auch am Osthang (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 339; Kloner, Nr. 444.448.449; Kloner / Zissu, 420-430), an der nördlichen Viri-Galilaei-Kuppe (vgl. Beʼeri 2015; Bieberstein / Bloedhorn III, 305.318.321f; Kloner Nr. 359.360; Kloner / Zissu, 206), in eṭ-Ṭūr (vgl. Bieberstein / Bloedhorn III, 338; Beʼeri 2015; Kloner / Zissu, 209f) sowie auf der el-Qa‘de-Kuppe (vgl. Kloner, Nr. 435; Kloner / Zissu, 209) und an ihrem südöstlichen Abhang (vgl. a.a.O., 294.311.321; Kloner, Nr. 436.437.439.502).
4.5. Mons offensionis / Batn el-Hawa
4.5.1. Rās el-‘Amūd
Nach Ausgrabungen 2008/9 im Gebiet des heutigen Stadtviertels Rās el-‘Amūd (Abb. 2, Nr. 25; Koordinaten: 1732.1309; N 31° 46' 15'', E 35° 14' 38''
Am Südhang des Bāṭn el-Hawā (Abb. 2, Nr. 27; Koordinaten: 1728.1306; N 31° 46' 05'', E 35° 14' 23''
Auf der Anhöhe rund um das Maison d’Abraham (Abb. 2, Nr. 23; Koordinaten: 1728.1309; N 31° 46' 14'', E 35° 14' 23''
4.5.2. Silwān
Das Dorf Silwān ist aus einer alten Nekropole entstanden (Abb. 2, Nr. 24; Koordinaten: 1725-6.1310-2, N 31° 46' 18'', E 35° 14' 16''
Bei dem Grab eines Palastvorstehers, von dessen Namensinschrift nur die Endung -jahu erhalten ist, könnte es sich um den in Jes 22,15-16
Um- und Neubauten von Grabhöhlen sind in hellenistisch-römischer Zeit vielfach belegt (vgl. Ussishkin, 335-337; vgl. zur Nekropole von Silwān insgesamt: Ussishkin; Bieberstein / Bloedhorn I, 80-82; III, 176-179.190-192.211-223.230f.259; Barkay, 248-255).
5. Topographische Symbolik und Theologie
Dass → Berge
Dazu kommt, dass sich im Ölberg die Heiligkeit Jerusalems spiegelt.
Nicht zufällig holt Noahs Taube in einer rabbinischen Tradition den Olivenzweig (Gen 8,11
Der Brauch der Verbrennung der Roten Kuh (Num 19,1-10
Sowohl für die praktischen Vollzüge als auch für die theologisch-topografische Symbolik des Ölbergs ist seine Lage „gegenüber“ der Heiligen Stadt entscheidend:
Die Fokussierung auf Jerusalem definiert die Ölbergkette zugleich als eine Grenzzone: Sie liegt schon außerhalb der befestigten Stadt, aber noch im Gültigkeitsbereich halachischer Regeln (s.o. 4.2. und 4.4.3.2.), durfte z.B. am Sabbat zu Fuß besucht werden (Apg 1,12
Der Ölberg ist somit ein Bereich des Übergangs, ein Ort von Ankunftsjubel (jüdische und christliche Festtagspilger, Jesus am Palmsonntag; und vgl. die Berge, die der Friedensbote in Jes 52,7
Klimatisch und botanisch bildet die Ölbergkette die Grenze zur Wüste (vgl. ebd.). Wie ein Riegel versperrt sie dem Fliehenden den rettenden Weg nach Osten (2Sam 15f; 2Kön 25,5
Obwohl sanfter ansteigend ist auch der Weg von Osten her über den Ölberg und durch das Kidrontal in die Stadt ungeeignet für einen Triumphzug. Kaiser wie Pompeius oder Wilhelm II. zogen auf den Straßen von Norden bzw. von Westen in die Stadt ein. Der Weg von Osten, den Jesus und der „Prophet aus Ägypten“ (Josephus, Antiquitates Judaicae XX,169-172; De bello Judaico II,261-263; dazu Küchler, 539) wählen, ist dagegen „voll gefährlicher messianisch-politischer Anspielungen“ (a.a.O., 616).
Der Blick auf Jerusalem von weitem und die Übersicht über die Stadt, die der Berg bietet, machen ihn zu einem strategisch wichtigen Aussichtspunkt, von dem aus Feinde (s.o. 4.2.), aber auch JHWH selbst zur Rettung seines Volkes (Sach 14,4
Die eindrucksvolle Schau auf Jerusalem prädestiniert den Ölberg aber auch als Ort der Reflexion und des Nachsinnens über Stadt und Tempel: Hier weinen David (2Sam 15,30
Der neutestamentliche Topos der Jünger-Belehrung auf dem Ölberg (Mk 13
In byzantinischer Zeit werden die christlichen Heiligtümer am und auf dem Ölberg angesichts des seit 70 n. Chr. immer noch desolat daliegenden Tempelplatzes als eine Art „christliches Anti-Jerusalem“ (Küchler, 541) empfunden. Euseb von Caesarea interpretiert in seiner Auslegung von Sach 14 den Ölberg als allegorischen Verweis auf die Kirche, die neue Pflanzung Gottes (Demonstratio Evangelica VI, 18,17-21), und die biblische Ortsangabe „gegenüber (κατέναντι katenanti) von Jerusalem“ in Sach 14,4
Durch seine Rolle in Sach 14
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Abbildungsverzeichnis
- Alte Ölbäume im Garten Gethsemane. © Jörn Kiefer
- Karte der Ölberg-Region (G. Dalman) mit Einzeichnung der im Text beschriebenen Orte. Ausschnitt aus „Topogr. Karte v. Jerusalem und Umgebung“ in: G. Dalman, Jerusalem und sein Gelände, Gütersloh 1930, mit Einzeichnungen von Jörn Kiefer
- Blick von der Auguste-Victoria-Kuppe nach Osten (Ma‘ale Adumim) – die Richtung, in die die Römerstraße führte. © Jörn Kiefer
- Der Berg „gegenüber“. Blick vom Hang des Ölbergs (Dominus Flevit) auf Jerusalem. © Jörn Kiefer
- Höhenprofil der Ölbergkette von Norden nach Süden (Kammlinie). Grafik erstellt von Jörn Kiefer mit dem Google Developer Sample von Ernst Basler + Partner AG 2010 unter http://geo.ebp.ch/gelaendeprofil/
(Zugriff: 15.5.2018), Apache License, Version 2.0 - Höhenprofil von Süden nach Norden (Tempelplatz nach Rās el-Mušārif). Grafik erstellt von Jörn Kiefer mit dem Google Developer Sample von Ernst Basler + Partner AG 2010 unter http://geo.ebp.ch/gelaendeprofil/
(Zugriff: 15.5.2018), Apache License, Version 2.0 - Höhenprofil Ölberg von Westen nach Osten. Grafik erstellt von Jörn Kiefer mit dem Google Developer Sample von Ernst Basler + Partner AG 2010 unter http://geo.ebp.ch/gelaendeprofil/
(Zugriff: 15.5.2018), Apache License, Version 2.0 - Der heute verbaute Blick vom Rās el-Mušārif (1929). aus: G. Dalman, Jerusalem und sein Gelände, Gütersloh 1930, 362
- Blick aus dem Wādī el-Ǧōz auf den Har HaTzofim. © Jörn Kiefer
- Blick vom Har HaTzofim in die Judäische Wüste Richtung Rās eṭ-Ṭemīm. © Jörn Kiefer
- Südlicher Westhang des Ölbergs (el-Qa‘de) mit neuzeitlichem Gräberfeld und Kidrontal mit „Absalom-Grab“. © Jörn Kiefer
- Südlicher Westhang des Ölbergs: „Grab der Söhne des Hesir“ und „Zacharias-Grab“ (unten im Kidrontal), neuzeitliches Gräberfeld, Kirche und Garten Dominus Flevit (oben links) und Himmelfahrtskirchen auf dem Ölberg. © Jörn Kiefer
- Kirchen am Ölberghang, wo nach traditioneller Auffassung Gethsemane lag (Kirche der Nationen, russische Maria Magdalena Kirche). © Jörn Kiefer
- Osthang des Ölbergs: Betanien und Ölberg (russische Himmelfahrtskirche) von Osten (zwischen 1940 und 1946). Matson Photo Service: “Distant view, Bethany & Olivet from Abu Dis slope, for ‘Life of our Lord’”, aus der G. Eric and Edith Matson Photograph Collection, Library of Congress Prints and Photographs Division Washington, D.C., USA (http://hdl.loc.gov/loc.pnp/matpc.12774
, Zugriff: 3.7.2018), Public domain - Ölberg (links), el-Qa‘de (mittlerer Gipfel), Baṭn el-Hawā mit Rās el-‘Amūd (rechter Gipfel) und Silwān (rechts). Foto: Ricardo Tulio Gandelman: „Panorama 1“ (www.flickr.com/photos/rictulio/6979723858
, Zugriff: 25.6.2018), CC BY 2.0 - Gräberfeld am westlichen Ölberghang mit Blick auf den Tempelplatz. © Jörn Kiefer
- Ezechiels Vision von der Auferstehung der Toten verbunden mit der Vorstellung von der Spaltung des Ölbergs (Fresko in der antiken Synagoge von Dura Europos; 3. Jh. n. Chr.). Aus: Wikimedia Commons; © public domain; Zugriff 3.7.2018
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