Deutsche Bibelgesellschaft

(erstellt: Oktober 2012)

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1. Begriffsklärung und Begriffsverwendung

Das Nomen Parusie (πaρουσία, parousia) leitet sich von dem zusammengesetzten Hilfsverb παρ-εῖναι (par-einai) ab, das „dabei sein, anwesend sein“ (z.B. Joh 11,28; Apg 10,33; Apg 24,19), aber auch „dasein, gegenwärtig sein = sich nähern, kommen“ (z.B. LXX: 4Kön 5,23 par.; 1Chr 14,14; Joh 7,6) bedeuten kann. Das NT verwendet das Nomen ausschließlich in personenbezogener Weise und bezeichnet damit:

1.1. Die Anwesenheit von Personen

Mit Parusie wird das räumliche Gegenwärtig sein, „die (leibliche) Anwesenheit“ von Personen angezeigt (vgl. Phil 2,12; Gegensatz: ἀπουσία, apousia, „Abwesenheit“). So erwähnt → Paulus 1Kor 16,17 die Präsenz der korinthischen Gemeindeabgesandten Stephanas, Fortunatus und Achaikus bei sich in Ephesus, als er den 1Kor (→ Erster Korintherbrief) verfasst. Paulus wie seine Gegner unterscheiden zudem zwischen der durch einen Brief hergestellten Wirksamkeit mittels eines Mediums und der unmittelbaren 'Wirkpräsenz' vor Ort (vgl. 2Kor 10,10, auch Phil 2,12).

1.2. Die Ankunft von irdischen Personen

Sodann bedeutet Parusie das räumliche Gegenwärtig werden, das Ereignis „des Eintritts der Anwesenheit“, also der „Besuch“ oder die „Ankunft“ (lat. adventus) von entfernt lebenden Personen (vgl. LXX: 2Makk 8,12; 2Makk 15,21; 3Makk 3,17; Jdt 10,18): In 2Kor 7,6f erzählt Paulus von Titus' Besuch in Ephesus, der aus Korinth bei ihm eingetroffen war. Handelt es sich hingegen um die erneute Parusie eines Abwesenden, ist seine „Rückkehr“ gemeint, so wenn Phil 1,26 Paulus der Gemeinde in Philippi für die Zukunft seinen Besuch ankündigt. Für den Empfangenen ist das u.U. sehnsüchtig erwartete Eintreffen erfreulich: Paulus z.B. empfängt von Titus einen tröstenden Bericht über die aktuelle Gemeindesituation in Korinth (vgl. 2Kor 7,6f).

1.3. Die Ankunft von göttlichen Personen

In besonderer Weise ist mit Parusie das zukünftige Eintreten eines göttlichen Besuches gemeint: Erwartet wird die „Ankunft“ des endzeitlich-eschatologischen „Tag Gottes“ (2Petr 3,12), ansonsten aber immer diejenige der Person Jesus Christus als dem endzeitlich-eschatologischen Agenten der wirkmächtigen Gottesherrschaft auf Erden.

Im Kontext der Christus-Parusie ist die Übersetzung von πaρουσία mit „Wiederkunft“ trotz Joh 14,3 („ich komme wiederum“) nicht zutreffend, da in neutestamentlicher Christologie nicht die Menschwerdung Christi mit Parusie bezeichnet wird, so aber Ign., Phld 9,2; → Justin, dial 88,2; 1apol 48,2; 54,7. Erst recht spricht das NT nicht systematisierend von der 'ersten' und 'zweiten Parusie' Christi (vgl. aber Joh 14,2f; Hebr 9,28), so aber Justin, dial 14,8; 49,2.7; 53,1; 54,1; 1apol 52,3; ApkSedr Prol.

Bezogen auf Christus werden spezifische nominale Genitivverbindungen in präpositionaler Verwendung (meistens mit ἐν, en, „bei“) gebraucht, so wenn von „der Parusie des Kyrios / Herrn“ (1Thess 4,15; Jak 5,7f), „der Parusie unseres Kyrios / Herrn Jesus“ (1Thess 3,13), vervollkommnend von „der Parusie unseres Kyrios / Herrn Jesus Christus“ (1Thess 5,23; 2Thess 2,1; 2Petr 1,16) sowie – vielleicht von Dan 7,13LXX: παρῆν, παρῆσαν (parēn, parēsan) inspiriert – von „der Parusie des Menschensohns“ (Mt 24,27.37.39, vgl. verbal Lk 18,8) getextet wird.

Eine gegen-christologische Analogiebildung liegt in der Bezeichnung „die Parusie des Satans“ (2Thess 2,9) vor.

1.4. Zur Bedeutung des Parusiebegriffs

Insofern in späteren neutestamentlichen Texten von der Parusie Christi bzw. Jesu auch mit einem Personalpronomen die Rede ist (vgl. 2Thess 2,8; 2Petr 3,4; 1Joh 2,28; kontextgemäß: Mt 24,3 [wörtliche Rede]; 1Kor 15,23; 1Thess 2,19), darf von einem → urchristlichen Terminus technicus endzeitlich-eschatologischer Erwartung gesprochen werden. Seine → exegetische Interpretation ist dabei eingeschränkt auf seine griechische → Semantik vorzunehmen.

Um der allgemeinen Verständlichkeit willen sollte im Deutschen der Parusiebegriff nur für diese spezifische christologische Erwartung und nicht – wie seit Mittelalter und Neuzeit eingeführt – generell für die Hoffnung der Rechts- und Herrschaftsdurchsetzung Gottes durch → Christus am Ende der Zeit verwandt werden.

Ob in der heutigen Zeit in einer christlichen Hoffnungslehre die Rede von einer Parusie Christi Platz beanspruchen darf, sollte zudem nicht biblizistisch durch ihren Gebrauch im neutestamentlichen → Kanon präjudiziert werden. Vielmehr ist gemäß eigenen systematisch-theologischen Erwägungen zur christlichen → Eschatologie zu entscheiden, ob a) eine an der Zukunft ausgerichtete → Hoffnung (die sog. futurische Eschatologie) und b) ob in diesem Rahmen sodann die Rede von einer Parusie Christi gewissheitstheologisch (noch) angemessen ist (vgl. Rosenau).

2. Zur Entstehung der Sprache von einer Parusie Christi im Urchristentum

Steht für Parusie als Ankunftsgeschehen einer (personal vorgestellten) Gottheit kein semitisches (→ Sem/Semiten) Äquivalent - z.B. im AT - zur Verfügung, und geht das Vorkommen in frühjüdischen Schriften auf christliche → Interpolation zurück (z.B. Test XII: TestJud 22,2; TestLev 8,15), finden sich jedoch Begriff wie Vorstellung im röm.-hell. Kulturkreis (s.u. 3.1), ist die Forschung überwiegend der Meinung, dass das Urchristentum den Begriff seiner Umwelt entnommen und für seine Erwartung aktiviert hat. Vergleichbares ist auch im nachbiblischen → Judentum zu beobachten (vgl. syrBar 30,1). Ob urchristlich auch der vorgeprägte Vorstellungsgehalt übernommen oder der Parusie Christi ein neuer Inhalt gegeben wurde, ist jeweils für den Einzelfall zu klären.

Da das Anliegen des 'Historischen Jesus' die personale Vermittlung der gegenwärtig ankommenden Gottesherrschaft für → Israel war (vgl. Lk 11,20; Lk 17,20f), deren geschichtlich wirkmächtiger Anfang (vgl. Mk 4,31.32a) sich trotz seines Todes in Vollendung durchsetzen wird (vgl. Mk 14,25), dürfte ihm die postmortale eschatologische Parusie-Hoffnung seiner Person (vgl. die Parusie des Menschensohn-Christus Mt 24,3ff) fremd gewesen sein.

Aus diesem Grund ist anzunehmen, dass von der Ankunft Christi erst in der nachösterlichen → Gemeinde gesprochen wurde, die ihre Hoffnung im Kontext einer röm.-hell. Umwelt artikulierte. Infrage kommen dafür die sich durch → Stephanus' Mission (vgl. Apg 6,8-10) rasch durch aus der hell. Diaspora stammenden Israelchristen vergrößernde, auch griechisch sprechende Jerusalemer Gemeinde (vgl. Apg 6,1-7) wie auch die von (ehemaligen) Stephanusanhängern vgl. (Apg 8,1; Apg 11,19f) in der → syrischenDiaspora gegründeten christlichen Gemeinden (z.B. in → Damaskus, → Antiochia).

Durch Vermittlung der antiochenischen Christenheit (vgl. Apg 11,26; Apg 13,1) dürfte Paulus Begriff wie Vorstellung einer ‚Parusie Christi’ erhalten haben, denn dieser Genitivausdruck stellt in seinen Schriften keine sprachliche Neuprägung dar.

3. Zu den religionsgeschichtlichen Voraussetzungen der Parusie Christi

3.1. Zur römisch-hellenistischen Religionskultur

In der röm.-hell. Mitwelt des Urchristentums wird im Unterschied zur 'Epidemie' – der zyklisch sich wiederholenden, zeitweiligen Anwesenheit eines Gottes – und im Unterschied zur → 'Epiphanie' – dem plötzlichen Sichtbar-werden und anschließenden Verschwinden einer Gottheit – mit dem Verb παρ-εῖναι (par-einai), jedoch weniger mit dem Nomen πaρουσία (parousia) das wirkungsmächtige Gegenwärtig-werden einer Gottheit zugunsten ihrer Verehrer an einem Kultort umschrieben (lat. praesens deus, vgl. Jos., Ant 3,80; 9,55).

Seit hell. Zeit kann sich der Begriff 'Parusie' als Terminus technicus (Deissmann 314f) auch auf ein religiöses Ritual beziehen, das die wirksame Ankunft eines Gottes als freudige Nähe inszeniert. Da auch Könige wie hochgestellte Herrscherpersonen göttliche Verehrung beanspruchten wie genossen, konnte ihr Besuch einer Stadt von deren Bewohnern in einer förmlichen Zeremonie begangen werden, die Ankunft und Empfang sowie Einzug des vergöttlichten Herrschers in die Polis feierlich begeht. Hatte doch die empfangene Bevölkerung von dem Sieg des als „Retter und Wohltäter“ (Jos, Bell. 3,459) gelobten Herrschers profitiert.

Mit der militärischen Ausdehnung des Röm. Reiches nach Osten wurde das hell. Empfangsritual röm. Brauch, so auch für provinziale Statthalter (sog. 'Reisemagistrate'). Seit Beginn der Prinzipatszeit prägt es die öffentliche kaiserliche Selbstdarstellung seiner militärisch-imperialen Friedensherrschaft (vgl. die Adventusmünzen mit dem Kaiser zu Pferd und der Aufschrift Parusie / Adventus, dazu Stutzinger) sowohl gegenüber den eroberten Provinzen als auch gegenüber seinen röm. Untertanen: So feierte die Stadt Rom dreimal (29, 19 + 13 v. Chr.) den 'Adventus Augusti' des Kaisers Gaius Octavius, genannt: Augustus, und z.B. die griech. Stadt Tegea den Besuch von Kaiser → Hadrian im Jahre 124 n. Chr. als Gottes Ankunft. Die Nähe des Kaisers galt als segensvolle Garantie für Bestand und Sicherheit des Reiches nach innen wie nach außen (Lehnen 66f).

In der staatlichen Adventusideologie stellen die Semantiken παρ-εῖναι (par-einai) und ἀπ-αντεῖν / ἀπάντησις (ap-antein / apantēsis) ein festes Begriffspaar bei der Beschreibung des Empfangsrituals dar (vgl. 1Thess 4,15.17: die Nomen „Parusie / Ankunft“ und „Begegnung / Einholung“). Die Betonung hilfreicher Anwesenheit des gottähnlichen Herrschers bei seinen Untertanen, verbunden mit ihrer Bitte um seinen Einsatz für zukünftigen Frieden, setzt voraus, dass in der Zeit vor seinem Besuch andere Mächte zum Nachteil herrschten. Die Ankunft ist darum für die röm. beherrschten Bewohner ein u.U. lang ersehntes Ereignis, in dem sich in einem politischen Konsensritual die Autorität und kämpfende Fürsorge des Herrschers wie die Zustimmung und Ergebenheit seiner Untertanen bis ins Finanzielle hinein – die u.U. nicht unerheblichen Kosten der Festlichkeiten wurden mittels einer Sonderabgabe bestritten – Ausdruck verschafft (lat. consensus universorum, dazu Lehnen 281-283).

Der Ablauf des 'amtlichen' Advent-Zeremoniells – im Mittelpunkt steht hier der provinziale Advent – folgte festen Regeln: Auf die (langfristigen) Vorbereitungen, die Instandsetzung von Wegen und eventuell Errichtung einer Triumphpforte, die standesgemäße Quartierherrichtung und Bereitstellung von Nahrung und Viehfutter, folgte zeitnah die Ankündigung des Herannahens des herrschaftlichen Trosses, u. U. durch ein Trompetensignal (vgl. Sueton, Vit. 11; 1Thess 4,17). Es begann die sog. 'Einholung' (ἀπάντησις, apantēsis, lat. occursus [vgl. 1Thess 4,17]) des Herrschers mitsamt seinem nach Rang aufgestellten Gefolge und wohlgeordneten Heer in Prunkuniform (vgl. Philo, legadGai 252), begrüßt von einem städtischen Empfangskomitee in einer gewissen Entfernung vor der Stadt (vgl. Jos., Bell. 7,100). Bei der Begrüßung hielten städtische Honoratioren Willkommensreden und ließen Opfer zelebrieren. Initiiert wurden auch Huldigungen des hohen Besuches durch Kränze (vgl. Jdt 3,7; 1Thess 2,12) und → Hymnen (vgl. Joh 12,13; Jos., Bell. 3,459; 7,102; 11,332).

Der auf die Begrüßung folgende Einzug in die Polis (lat. ingressus), der den von seiner Nobilität umgebenen, zumeist zu Fuß gehenden und damit sich bürgernah gebenden Herrscher in seine Mitte nahm, führte den Zug durch die außerhalb der Stadtmauern Spalier stehende, nach Würde und Stand, Geschlecht und Alter geordnet angetretenen und akklamierenden städtischen Bevölkerung hindurch (vgl. Jos., Bell. 7,100-102). Dann öffnete man das Stadttor und die vereinte Menschenschar erreichte schließlich die gleichfalls vornehmlich mit Lorbeer (oder Palmenzweigen, vgl. Joh 12,13) festlich geschmückte Stadt (vgl. Jos., Bell 4,273). Es begannen Opfer und Spiele, in denen der Herrscher seinem Volk persönlich nahe war. Öffentliche Bauvorhaben fanden Unterstützung; notwendige Gerichtsprozesse wurden geführt.

3.2. Zur innerchristlichen Voraussetzung

Neben dem aus alttestamentlich-frühjüdischen Glauben (vgl. Ex 19,10-18 mit äthHen 1,3-9) erwachsenen allgemeinen Hoffnung auf eine Theophanie Gottes zur Einrichtung einer letztgültigen Heilsordnung für seine Verehrer (Müller) dürfte im Urchristentum die unmittelbare Voraussetzung für den nominalen Sprachgebrauch einer 'Parusie Christi' die verbal formulierte Hoffnung vom „Kommen des → Herrn / Kyrios“ gewesen sein (vgl. Mt 24,46.50 [Allegorie]; Lk 18,8 [Menschensohn]; Joh 14,3.5; Joh 21,22f; 1Kor 4,5; 1Kor 11,26).

Hinweis auf frühen Gemeindegebrauch ist die 1Kor 16,22 unübersetzt in griechischen Buchstaben erscheinende → aramäische Wortfolge „Maran atha“. Der imperativisch (s. Offb 22,20b) mit: „Unser Herr komm!“ zu übersetzende kultische Akklamationsruf belegt, dass die Hoffnung auf ein geschichtliches Kommen des als göttlich verherrlichten „Kyrios / Herr“ bezeichneten → Jesus von Nazaret die gottesdienstliche Liturgie der aramäischsprachigen (vgl. Apg 6,1) Jerusalemer Erstgemeinde prägte. Diese verband mit Christus gegenwarts- wie zukunftsbezogene eschatologische Aussagen (vgl. Did 10,6): So feierte sie im sog. „Herrenmahl“ (vgl. 1Kor 11,23-25*; Mk 14,22-24*) mittels der Deuteworte zu Brot und Wein den am Kreuz gestorbenen, aber von Gott auferweckten Jesus (vgl. 1Thess 4,14a) als den in ihrer Mitte anwesenden Mittler der Gottesherrschaft (→ Reich Gottes), um das Kommen des zu Gott entrückten Herrn / Kyrios zur geschichtlich-vollkommenen Endaufrichtung der Gottesherrschaft über ganz Israel zu erwarten. Diese doppelte eschatologische Perspektive, die die christologische Hoffnung der Urchristenheit – aufgrund der Völkermission (→ Mission) universal erweitert – prägen wird (vgl. Apg 1,11; Apg 3,20f; Röm 1,2-4; 1Thess 1,9f; 1Thess 4,16; Phil 3,20; 2Thess 1,7 usw.), bewahrt der paulinische 'Kommentar' zur Tradition der sog. 'Herrenmahlsparadosis' (1Kor 11,23-25*), dass mit der Herrenmahlsfeier die Gemeinde „den Tod des Herrn verkündet, bis er kommt“ (V.26).

4. Zum urchristlichen Gebrauch der Hoffnung einer Parusie Christi

Während Paulus die Parusie Christi nur im Ersten Thessalonicherbrief und → Ersten Korintherbrief erwähnt – in beiden Schriften bereits austauschbar mit der Erwartung des „Herrentages“ (1Thess 4,15; 1Thess 5,2) bzw. „des Tages des/unseres Herrn (Jesu Christi)“ (1Kor 1,8; 1Kor 5,5) genannt – setzt sich der Hoffnungsausdruck im späteren Urchristentum breit durch (Mt; Jak; Joh; 1Joh; 2Thess; 2Petr; → Ignatius; Justin).

Dabei zeigt sich die Vorstellung variabel: Angeregt durch 1Thess 4,13-18 wie 1Kor 15,23-27 setzt eine Aufladung mit apokalyptischen Bildern (→ Apokalyptik) ein, die die auf personale Begegnung hin orientierte Parusie-Hoffnung durch das Szenario von einem siegreichen Entscheidungskampf zwischen Christus und → Satan übermalt (vgl. 2Thess 2,1 mit Vv.3-10) sowie negativ als → Gericht schildert (vgl. Mt 24,51; Mt 25,31-46; 2Thess 2,12; Jak 5,8f.; 2Petr 3,7; 1Joh 2,28). Es konkurriert dabei die Interpretation als universales Veränderungsgeschehen (vgl. Mt 24,3ff; 2Petr 3,5-7.10.12f) mit einer individualistisch am → Himmel orientierten Heilshoffnung (vgl. Joh 14,2f).

Unter dem Eindruck der Parusie-Verzögerung (vgl. 2Thess 2,2.6) werden ihre Bestreiter dem Gericht überantwortet (vgl. 2,12). Schließlich wird angesichts des Ausbleibens der verheißenen Parusie Christi (vgl. 2Petr 3,3f) die der apokalyptischen Propheteninterpretation verhaftete Hoffnungsvorstellung auf Ablösung der alten von einer neuen Welt (vgl. Jes 65,17; Jes 66,22 mit Jes 43,18f) für orthodoxe kirchliche Lehre reklamiert (vgl. Mt 24,25; 2Petr 3,1f).

Auf der anderen Seite kann die Parusie-Hoffnung durch die Sprache einer „Apokalypse/Offenbarung“ (1Kor 1,7; 2Thess 1,7; 1Petr 1,7; 1Petr 4,13) oder „Epiphanie / Erscheinung“ Christi ersetzt werden (vgl. 1Tim 6,14; 2Tim 1,10; 2Tim 4,18; Tit 2,13) bzw. wird die Parusie- mit der Erscheinungsaussage verbunden (2Thess 2,8). Auch kann Abstinenz von dem Parusiebegriff geübt werden, um die Sache dennoch beizubehalten, indem im Anschluss an Dan 7,13f von der Erwartung Christi als des kommenden → Menschensohns getextet wird (vgl. Mk 13,26 par.; Mk 14,62 par). Im Hebräerbrief kann sogar die Erwartung vom endeitlichen Kommen Christi als überkommene Tradition unvermittelt neben der Aussage von Christi → Ewigkeit stehen (vgl. Hebr 13,8 mit Hebr 9,28; Hebr 10,37).

Die Erwartung auf eine Parusie Christi bildet daher eine Variable in der plural formulierten, jedoch konstant christusbezogenen endzeitlich-eschatologischen Hoffnungssprache der Urchristenheit.

5. Zur Hoffnung der Parusie Christi bei Paulus

Paulus kommt auf die Parusie Christi in zwei thematischen Zusammenhängen zu sprechen: Zum einen, wenn es um das eschatische Heil aller an die → Auferstehung Christi Glaubenden geht (vgl. 1Thess 3,12f; 1Thess 4,13-18; 1Thess 5,23f; 1Kor 15,23) und zum anderen, wenn er sein eigenes eschatisches Heil als erfolgreich handelnder → Apostel eben dieser Glaubensgemeinde betrachtet (vgl. 1Thess 2,19f). Dabei gilt, dass die Hoffnung auf eine Parusie Christi das keiner Steigerung bedürftige, eben letztgültige Zielgeschehen christlicher Existenz in der → Welt ist, indem es in der Gegenwart die unbändige Erwartung äußert, die mit Christus im → Glauben bestehende → Gemeinschaft möge sich alsbald in der unmittelbar erlebten Verbundenheit mit ihm verwirklichen (vgl. 1Thess 4,17; 1Thess 5,10; dazu 2Kor 5,7). Sie ist für die Empfangenen ausschließlich freudige Heilserfahrung und nicht angstvoll erwartetes Gericht (vgl. 1Thess 4,17). Als ekklesiologisch gebundene Zukunftsnaherwartung vermittelt Paulus deshalb mit ihr Trauernden Trost (vgl. 1Kor 15,18-22; 1Thess 4,18) und ermutigt in ihrer Perspektive zum ethischen Handeln (vgl. 1Thess 3,12f).

5.1. Zur Parusie Christi im Ersten Thessalonicherbrief

Sind die Ausführungen im Ersten Thessalonicherbrief die ausführlichsten zur Parusie Christi im NT, so ergibt sich aus ihnen allein kein in sich stimmiges und vollständiges Gesamtbild (Radl 151), gibt Paulus doch nur am Rande Informationen zum Ereignis der Parusie Christi selbst. Auch achtet der Apostel darauf, dass bei ihrer Erörterung als Teil endzeitlicher Eschatologie die enge Verbindung zur, ja der grundsätzliche Vorrang der gegenwartsbestimmenden Eschatologie bestehen bleibt (vgl. 1Thess 3,12 mit 1Thess 13; 1Thess 4,13-18 mit 1Thess 5,1-11).

5.1.1. Zum Parusie-Geschehen

In Übereinstimmung mit einem dualen Weltbild stellt Paulus die als unmittelbar bevorstehend erwartete Ankunft Christi als räumliches Herabkommen des durch seine Auferstehung von Toten in den Himmel zu Gott entrückten Jesus von Nazaret vor (vgl. 1Thess 4,16). Als inthronisierter, den Kosmos regierender Kyrios / Herr wird er zusammen mit den ihm unterstellten heiligen Engelsmächten (→ Engel) (vgl. 1Thess 3,13) in → Herrlichkeit die Gottesherrschaft mit den gleichermaßen heiligen Glaubenden aus allen Völkern einschließlich Israel als irdische Friedensherrschaft ausüben (vgl. 1Thess 5,23f). Zur Begegnung mit ihrem zur Erde hinab reisenden Herrn werden die aus dem → Tod auferstandenen wie die noch lebenden Gläubigen zeitgleich aus ihren jeweiligen Aufenthaltsorten → Philippi, → Thessaloniki, → Korinth, → Jerusalem etc. ihm entgegen „auf den Wolken in die Luft entrückt“ (1Thess 4,17), um anschließend ihrem Kyrios / Herrn das einholende Geleit zur Erde zum Antritt seiner Herrschaft zu geben.

5.1.2. Paulus' ekklesiologisches Anliegen

Angesichts von Todesfällen in der Gemeinde (vgl. 1Thess 4,13) sollen die thessalonischen Gläubigen ihre durch den Glauben an Christi Auferstehung induzierte spezifische Hoffnung nicht verlieren. Insofern Paulus ausführt, dass die am Leben teilnehmenden Gläubigen den verstorbenen Gläubigen bei der Parusie Christi „nichts voraus haben“ (v.15b), geht es ihm

  • weder um das Anliegen, dass Gläubige vor Eintritt der Parusie sterben und dadurch ihres Endheils verlustig gehen – der Tod von Stephanus (vgl. Apg 7,58, ca. 31 n. Chr.) und dem Zebedaiden → Jakobus (vgl. Apg 12,2, ca. 44 n. Chr.) ist erfolgt und urchristlich bekannt,
  • noch um die grundsätzliche Begründung einer Auferstehungshoffnung für gestorbene Gläubigen – vgl. 1Thess 4,14b mit 1Kor 15,3b-23,
  • sondern um das ekklesiologische Problem von Benachteiligung bzw. Bevorzugung angesichts der sich auf Erden zukünftig verwirklichenden Parusie Christi. Paulus' Grundannahme dabei ist, dass das Erleben der Parusie der Normalfall ist (Klein 279).

Die systematisierende Zuordnung der Auferstehungs- zur Entrückungsvorstellung (vgl. Holleman 203) bewirkt, dass es in der Tote und Lebende umfassenden Parusie-Gemeinde aller Gläubigen zum Zeitpunkt der Parusie Christi keine Rangordnung gibt (vgl. Gal 3,26-28*) und darum auch in der auf diese Hoffnung hin existierenden thessalonischen Gemeinde nicht mehr geben darf.

5.1.3. Zwei religionsgeschichtliche Beobachtungen

Paulus' Ausführungen zur Parusie Christi verwenden Bezeichnungen, die – alttestamentlich inspiriert – in apokalyptischen Schriften des Frühjudentums gebraucht werden: So ist von den 'Übriggebliebenen' (4Esr 6,25; 7,28; 9,8 u.ö.), von der 'Stimme des Erzengels' (ApkMos 22), von der 'Trompete Gottes' (4Esr 6,23; vgl. Offb 4,1), vom Herabkommen Gottes bzw. des → Messias (äthHen 1,3f; Sib 3,286.308), vom Wolkentransportmittel (grApkEsr 5,7; vgl. Offb 11,12) die Rede und der Befehlsruf ist sachlich AscJes (vgl. 10,3) ausgeführt. Die traditionsgesättigte Sprache dürfte Hinweis sein, dass Paulus abhängig von seiner Sozialisation als → pharisäisch gebildeter → Jude formuliert. Sachlich bedeutsam ist, dass er im Unterschied zur apokalyptischen Literatur nicht an den Einzelheiten des endzeitlichen Geschehens interessiert ist, sondern in den Mittelpunkt die terminliche Unverfügbarkeit stellt: Gott allein bestimmt den Zeitpunkt der Parusie Christi (vgl. 1Thess 4,16: ansagender Befehl, ausführende Stimme und Schall).

Zum anderen ist auffällig, dass Paulus Terminologie verwendet, die röm.-hell. in höfisch-sakraler Amtssprache für die Ankunft eines Königs/Kaisers (3Makk 3,17) oder Statthalters in einer provinzialen Stadt gebräuchlich ist (Näheres bei 3.1). Dabei sind Übereinstimmungen (1), aber auch Unterschiede (2) zu beachten:

Zu 1: Dem Polis-Besuch des Herrschers mit seinem aristokratischen wie militärischen Gefolge entspricht die Parusie-Begleitung des Kyrios Jesus durch „heilige Engel“ (1Thess 3,13b). Dem Öffentlichkeitscharakter des festlichen Advents analog ist die Ankündigung der Christus-Parusie unter Posaunenschall (vgl. 1Thess 4,16; 1Kor 15,52). Ist die 'Einholung' des Herrschers durch die nach sozialem Status aufgestellte Bevölkerung üblich, indem sie diesen in die Stadt geleitet (vgl. Jos., Bell 7,100: ἀπάντησις / ap-antesis), spricht Paulus „von der Einholung (εἰς ἀπάντησιν / eis apantesin) des [niederfahrenden] Herrn / Kyrios“ durch alle Gläubigen gleichen Standes (1Thess 4,17, vgl. 1Sam 18,6; 2Sam 19,16; anders Plevnik 74f.). Und gehört es zum ritualisierten Geschehen, dem Herrscher zur Ehrung goldene Kränze zu überreichen, schreibt Paulus von der von ihm (und seinem Missionsteam, vgl. 1Thess 1,1) gegründeten und per Gemeindebrief erhaltene Gemeinde in Thessaloniki, dass er sie dem Kyrios bei seiner Ankunft als den sein eigenes eschatisches Heil sichernden „Ruhmeskranz“ überreichen wird (vgl. 1Thess 2,19).

Zu 2: Gehört zur innerzeitlichen Herrscherparusie die Erfahrung der vormaligen, machtlosen Abwesenheit des Gebieters, so verbietet die Gemeinschaftserfahrung (vgl. 1Thess 5,10) mit dem zur Herrschaft inthronisierten Kyrios Jesus (vgl. 1Kor 16,22) jedoch die Gegenaussage, er sei bis zur endzeitlichen Parusie von der Welt machtlos abwesend (Karrer 60). Ist sodann der innerzeitliche Advent Bestandteil der auf kriegerischer → Gewalt und siegreicher Unterdrückung beruhenden Pax Romana (vgl. 1Thess 5,3), so ist die Parusie Christi öffentliche Friedensmachtdemonstration Gottes (vgl. 1Thess 5,23f), die ausschließlich Heil den auf sie wartenden, nur passiv bewaffneten Wachsoldaten verleihen wird (vgl. 1Thess 5,8). Das Wachregiment der auf Christus ihre Hoffnung setzenden kennt sodann keine Unterteilung nach Geschlecht, Stand, sozialem Ansehen und Alter.

Die paulinischen Anklänge der Parusie Christi an die politisch-religiöse Herrscherparusie dürften daher rezipientenorientiert formuliert worden sein (Eisen 209–213), damit die aus pagan sozialisierten Christen nichtjüdischer Abstammung bestehende thessalonische Gemeinde (vgl. 1Thess 1,9f) die Hoffnungserwartung einer Parusie Christi als endzeitlich-eschatologisches Ereigniswerden des wahren Herrschers über die Völker der Welt assoziieren möge. Bei dieser Bezugnahme ist implizit, dass die teilnehmenden Parusiegläubigen sich als Bürger einer in das Kosmische ausgeweiteten Gesellschaft verstehen sollen (Peterson 698).

5.2. Zur Parusie Christi im Ersten Korintherbrief

Die Vorstellung über die Parusie Christi im später als dem Ersten Thessalonicherbrief abgefassten Ersten Korintherbrief, der sich Kap. 15 mit der prinzipiellen Entfaltung der Auferstehungshoffnung (vgl. 2Makk 7,1-41; Mk 12,18-27 par) für die in der Parusie-Perspektive existierenden Gemeinde (vgl. 1Kor 15,23) befasst (Mell 278-282), enthält andere Motive und ist mit den Ausführungen im Ersten Thessalonicherbrief nicht kompatibel. Paulus' Grundannahme ist jetzt, dass die Zahl der Verstorbenen, die an der Parusie teilnehmen werden, größer ist als diejenige, die sie (noch) als Lebende erfahren werden (Klein 279).

Entgegengesetzt zum Ersten Thessalonicherbrief macht Paulus die aus dem Evangeliumsbekenntnis von Christi Totenauferstehung (vgl. 1Kor 15,3b-5) induzierte eschatologische Auferstehungshoffnung für Tote zur Basisaussage seiner Argumentation (vgl. vv.13-16). Gleichzeitig ersetzt er die räumlichen Kategorien verhaftete Entrückungsvorstellung durch die dem unvergänglichen Lebens- (vgl. v.22) wie Geistverständnis (vv.44-49) zugehörige Verwandlungsvorstellung (vgl. 1Kor 15,51-53 mit 1Thess 4,15-17). Zum zukünftigen Zeitpunkt der Parusie – das Wie beschreibt Paulus hier nicht – werden alle der geschöpflichen Verwesung unterliegenden Glaubenden, sie seien bereits gestorben oder noch am Leben, nach Christi prägenden und anfänglichem Vorbild (vgl. 1Kor 15,22.45.47) in die himmlische Unverweslichkeit verwandelt. Die Parusie Christi ist zwar auf diese Weise die auf Erden für alle Gläubigen als todüberwindendes Neuschöpfungsheil sich verwirklichende Gottesherrschaft, jedoch erst der Anfang vom endzeitlich-eschatologischen Ende: Dieses wird erst mit Christi siegreichem Kampf über alle widergöttlichen Mächte einschließlich der Vernichtung des Todes als letzten Feind erreicht sein (vgl. vv.24-27), so dass der mit Gottes Hilfe erfolgreich agierende König Christus als Gottes Sohn seine Herrschaft letztendlich Gott selbst übergeben wird (vgl. v.28).

5.3. Paulus' Variabilität in der endzeitlichen Eschatologie

Erwähnt Paulus Begriff und Vorstellung einer Parusie Christi in seinen sonstigen überlieferten späteren Schriften nicht, so heißt das nicht, dass er sich von einer christologisch bestimmten endzeitlichen Hoffnung (vgl. nur 2Kor 1,14; Phil 1,6.10) geschweige denn von einer endzeitlichen Eschatologie (vgl. Röm 13,11; Phil 3,20f; Phil 4,5b) getrennt hat, sondern dass er die mit dem Auferstehungsglauben verbundene Erwartung auf Todesüberwindung (vgl. Röm 8,11.18-23) enger an die die Gegenwart der Glaubenden bestimmende geduldige Hoffnung bindet (vgl. Röm 8,24-25.38-39).

6. Zur Hoffnung der Parusie Christi im Matthäusevangelium

Im Matthäusevangelium wird der Ausdruck „Parusie“ (Christi) bei der Be- bzw. Verarbeitung von vorgegebenen apokalyptischen Q- (vgl. Q 17,24.26-28 mit Mt 24,27.37.39) und Mk-Texten (vgl. Mk 13,4 mit Mt 24,3) zur Ausgestaltung einer großen Endzeitrede Jesu (= Mt 24,1-25,46) redaktionell hinzugesetzt. Dadurch wird zwar Wert auf den urchristlich eingeführten Begriff gelegt, die Motivik folgt jedoch nicht hell.-röm. Parusievorstellungen (s. 3.1; 5.1.3), sondern jüd. Apokalyptik. In der Belehrung der Jüngergemeinde über den nahen, jedoch terminlich völlig unbekannten Zeitpunkt des endzeitlich-eschatologischen Ankunftsgeschehen Christi in seinem Doppelgänger dem Menschensohn wird dieses mit dem Ende des bestehenden Welt-Äons und dem Gericht in eins gesetzt.

Die Abfolge der linear auf einer Zeitachse angesiedelten apokalyptischen Ereignisse ist, dass die allseits sichtbare Parusie des Menschensohn-Christus am Himmel alle Völker in Trauer und Schrecken versetzt, währenddessen dieser mit seinem Engelsheer zur Erde kommt, um seine Auserwählten aus den Völkern (einschließlich Israel) zu sammeln (vgl. Mt 24,30f). Sodann wird er auf dem irdischen Herrschaftsthron Gericht nach den Werken über alle vor ihm versammelten (Völker-)Christen (vgl. Mt 25,31f. mit Mt 7,21-27; Mt 13,37-43.47-50; Mt 18,23-35; Mt 22,10, dazu Luz III, 532) nach dem Kriterium der an ihren Not leidenden Geschwistern geübten → Barmherzigkeit abhalten. Außerhalb der Zeitachse wird von der Belohnung von → ewigem Leben und ewiger Bestrafung geredet.

Die defizitären Endzeitvorstellungen – göttliches Gericht über die Völker und das Aussehen des neuen Äons – sperren sich der weltanschaulichen Konkretion. Durch den Einschub von mehreren → Gleichnisreden zur mahnenden Wachsamkeit (vgl. Mt 24,37-25,30) achtet das Matthäusevangelium bei der Entfaltung einer Zukunftseschatologie auf den Vorrang der die Gegenwart durch hoffende Stetserwartung (Luz III, 549) gestaltenden eschatologischen Einstellung (vgl. Paulus 1Thess 4,13-5,11).

7. Zur Bewältigung der Parusieverzögerung im Zweiten Thessalonicherbrief

Der in nachpaulinischer Zeit gegen die Fehldeutung des Ersten Thessalonicherbriefs sich einsetzende pseudepigrafische → Zweite Thessalonicherbrief wendet sich 2Thess 2,1-12 gegen die 1Thess 4,17a von Paulus geäußerte Naherwartung der Parusie (s. 2Thess 2,2-10), weil aufgrund der ereignislos vergehenden Zeit die Annahme einer (unerklärlichen) Parusieverzögerung unausweichlich wird und sich damit ein endzeitlich ausgerichteter christlicher Hoffnungsglaube ein Plausibilitätsdefizit schafft. Die 1Thess 3,3.7 angesprochene endzeitliche Bedrängnis der Gemeinde interpretiert der Zweite Thessalonicherbrief darum als Endzeit der Gesetzlosigkeit (vgl. 2Thess 2,5-7), die der Grund dafür ist – V.7: „das Geheimnis der Gesetzlosigkeit“ –, dass die Ankunft Christi aufgehalten wird. Anknüpfend an frühjüdische Erfahrungen in der Zeit von → Antiochus IV. Epiphanes aus der 1. Hälfte des 2. Jh. v. Chr. benennt er zwei einander bedingende geschichtliche Vorzeichen für das Eintreten der Parusie Christi: 1. Den Abfall von der verbindlichen christlichen → Wahrheit und 2. das Auftreten „des Menschen der Gesetzlosigkeit“, der sich selbst zu Gott macht. Während letzterer erst im Moment des Eintretens der „Epiphanie der Parusie“ Christi beseitigt wird (V.8), werden die von der christlichen Lehre abfallenden Gläubigen dem Gericht überantwortet.

8. Zur gegenwartsbezogenen Umarbeitung der Parusiehoffnung im Johannesevangelium

Im Johannesevangelium wird in einer Abschiedsrede des scheidenden Christus (Joh 14,1-26) eine individualistische Parusietradition über die erhoffte himmlische Wohnung im väterlichen (Gottes-)Haus (= Joh 14,2f) mittels einer gegenwartsbezogenen Eschatologie überarbeitet und in eine zeitlich unbestimmte Fernerwartung (vgl. v.18) überführt. Grundlegend ist nämlich für die johanneische Wort-Theologie, dass die durch das Johannesevangelium vermittelte Christuspräsenz den Gläubigen in ihrer jetzigen Existenz sowohl (Zukunfts-)„Weg“ als auch (weltunterschiedene) „Wahrheit“ als auch (ewiges) „Leben“ vollgültig gibt (v.6). Darum rückt in den Lebensmittelpunkt das gegenwärtige „Kommen“ von Gott und Christus, die in den (Häusern der) Gläubigen Wohnung beziehen (vgl. v.23).

Dieses worthaft vermittelte göttliche Gegenwärtigwerden wird seit Christi Kreuzestod durch den von Gott gesandten → Parakleten verwirklicht (s. Joh 14,16f.25f). Dieser fungiert als Stellvertreter des von der Welt abwesenden Christus, indem er die Gläubigen an die Offenbarungsgemeinschaft Christus mit Gott (vgl. vv.7-11) sowie an dessen Liebesgebot (vgl. vv.21-24) erinnert. Durch dessen Vermittlung werden die Freunde Jesu (vgl. Joh 15,14f) das von Gott begonnene Rettungswerk in größeren Dimensionen weiterführen (vgl. vv.12-15).

9. Zum Problem des Ausbleibens der Parusie Christi

Während in der zweiten urchristlichen Phase – literarisch gesehen – die Naherwartung der Parusie Christi in ihre Stetserwartung überführt wurde (vgl. 6; zu den Synoptikern und der Apostelgeschichte: Gräßer), setzen sich am Übergang von der zweiten zur dritten (s. 1Clem 23,3f; 2Thess 2,1-10, s. 7), erst recht aber in der dritten urchristlichen Phase (s. 2Clem 11,2-4; 2Petr 3,3-13) vermehrt Texte mit dem innerchristlichen Zweifel an der göttlichen Präsenz in der erhofften zukünftigen Geschichte auseinander, wobei nur 2Petr 3,3f auf die grundsätzliche Infragestellung der Parusie Christi eingeht.

Der theologischen Krise zukünftig ausgerichteter Eschatologie stellt sich der Zweite Petrusbrief (→ Petrusbriefe) mit drei alttestamentlich-jüdisch bekannten Argumenten entgegen: 1. Die Welt sei endlich (vgl. 2Petr 3,5-7), 2. Zeit sei bei Gott und Menschen ein relativer Begriff (vgl. vv.8-10) und 3. die christliche Gemeinde habe es durch ihren Lebenswandel selbst in der Hand, die Ankunft Christi zu beschleunigen (vgl. vv.11f). Diese „Apologie der urchristlichen Eschatologie“ (Käsemann 146) führt besonders durch letzteres Argument zur Ethisierung der terminlich zu einer Fernerwartung domestizierten Hoffnung einer Parusie Christi und etabliert zugleich diese Erwartung als das normative christliche Weltbild.

10. Zur Parusievorstellung im frühen Christentum

Da entsprechend dem röm.-hell. Kulturkontext der Alten → Kirche die endzeitlich-eschatologische Parusie Christi gemäß dem kaiserlichen Adventsritual vorgestellt wurde, bittet → Philippus nach ActPhil 144 (= AAAp 2,2,86, 4. Jh. n. Chr.) Jesus um die → Gnade, ihm zur Einholung in die Luft entgegeneilen zu dürfen. Diese Bitte ist in der Liturgie der griechischen Kirche lebendig geblieben (Text bei Peterson 701f). Überliefert ist zudem bei Cyrill von Jerusalem (catech. 15,22, 4. Jh. n. Chr.), dass der Parusie Christi zum Zeichen ihrer Unverwechselbarkeit das (glänzende) → Kreuz vorausgeht (vgl. auch ApkPetr 1 [2. Jh. n.Chr.]; ApkElia 39,19 = 3,2 [3-4. Jh. n. Chr.]).

Ikonografisch ist die Parusie Christi im Bildtyp des in seiner Majestät aufrecht stehenden Christus auf einer Tafel der in frühchristliche Zeit datierten Holztüre von Santa Sabina in → Rom dargestellt (Jeremias).

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Abbildungsverzeichnis

  • Abbildung 1: Relief LI der Trajanssäule (aus K. Lehmann-Hartleben, Die Trajanssäule. Ein römisches Kunstwerk zu Beginn der Spätantike [Tafelband], Berlin/Leipzig 1926, Taf. 25).

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