Römerbrief
(erstellt: April 2011)
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1. Der Text des Römerbriefs
1.1. Die wichtigsten Textzeugen
Der Römerbrief befindet sich in den großen Majuskeln des 4. und 5. Jh.s. Aus diesen (א, A, B und C) und weiteren, wenn auch nicht vielen alten Zeugen, ist der vermutliche Text des Römerbriefs am ehesten zu rekonstruieren. Unter den frühen Zeugen verdient der in Kairo gefundene und von dem amerikanischen Ingenieur und Sammler Sir Chester Beatty im Jahr 1930 gekaufte Papyrus 46 (vermutlich um 200 n. Chr.) besondere Aufmerksamkeit. Dieser in großen Teilen beschädigte, lückenhafte und gegenwärtig an unterschiedlichen Orten aufbewahrte Chester-Beatty-Papyrus enthält folgende Abschnitte: Röm 5,17-6,3
1.2. Der Römerbrief und das Corpus Paulinum
Das Werden des Kanons steht mit der Sammlung der Paulusbriefe in einem festen Zusammenhang, auch wenn gegenwärtig sehr unterschiedliche Modelle entwickelt werden, um diesen Prozess zu verstehen und zu beschreiben (dazu Schnelle, 2011, 388-403). Während der früheste Textzeuge, Papyrus 46, die Paulusbriefsammlung mit dem Römerbrief eröffnet, bieten folgende Listen eine davon abweichende Anordnung: Marcion stellte in der Mitte des 2. Jh.s nach altkirchlichem Zeugnis den Römerbrief hinter Galater, 1. Korinther und 2. Korinther. Im Canon Muratori (evtl. Ende des 2. Jh.s) rangiert der Römerbrief hinter 1. Korinther, 2. Korinther, Philipper, Kolosser, Galater, 1. Thessalonicher und → 2. Thessalonicher
1.3. Der Briefschluss
Die Frage, welcher Text das ursprüngliche Ende des Römerbriefs darstellt, zählt zu den schwierigsten Aufgaben neutestamentlicher Textkritik (Aland). Die Textüberlieferung zerfällt in folgende Textformen und sie bezeugende, wichtige Handschriften:
a) 1,1-16,23.25-27 P61 א B C 1739
b) 1,1-14,23 Marcion
c) 1,1-15,33; 16,25-27; 16,1-23 P46
d) 1,1-16,23; 16,24 D (Vorlage) F (gr) G
e) 1,1-16,23; 16,24; 16,25-27 D F (lat)
f) 1,1-14,23; 16,25-27; 15,1–16,23; 16,25-27 A 0151
g) 1,1-14,23; 16,25-27; 15,1–16,23; 16,24 Ψ Mehrheitstext syh
h) 1,1-14,23; 16,25-27; 15,1–16,23; 16,25-27; 16,24 P33
Die von Marcion vertretene Kurzform des Römerbriefs wird von keinem weiteren Textzeugen belegt. Auch endet keine Handschrift des Römerbriefs bis auf die spätmittelalterliche Minuskel 1506 mit Friedensgruß und Amen in Röm 15,33
1.4. Die literarische Integrität
Es wird diskutiert, ob Röm 16
Weitergehende literarkritische Modelle, die den Römerbrief in mehrere Briefe zerlegen (zuletzt Schmithals, 1988, 25-29), konnten sich nicht durchsetzen.
Darüber hinaus wird bei folgenden Textabschnitten diskutiert, ob sie zum ursprünglichen Bestand des Römerbriefs zählen:
a) Röm 16,25-27
b) Röm 16,24
c) Röm 16,17-20
d) Röm 7,25
e) Die gegenwärtige Forschung steht der Annahme von weiteren Interpolationen oder Glossen kritisch gegenüber. Die ältere Forschung sah außerdem folgende Texte als mögliche Glossen an: Röm 2,1
2. Die Abfassungssituation
2.1. Die Reisepläne des Paulus
In Röm 15,23-29
2.2. Abfassungsort und Abfassungszeit
Der Römerbrief wurde von Paulus diktiert und von einem Sekretär namens Tertius aufgeschrieben (Röm 16,22
2.3. Adressaten: Stadtrömische Gemeinden
Hier ist zunächst die Geschichte der Juden in der Stadt Rom zu bedenken. Wir wissen, dass Rom stets eine starke Immigration aus dem Osten erlebte. Diese Orientalen siedelten zumeist im Stadtteil Trastevere im Südwesten der Stadt, also in demjenigen Stadtteil, der dem Hafen am nächsten lag. Es war daher zugleich das traditionelle Judenviertel. Peter Lampe hat in seiner Untersuchung nachgewiesen, dass genau in diesem Stadtviertel und in dem weiter südlich gelegenen Viertel Aventin auch die ersten größeren christlichen Ansiedlungen zu verzeichnen sind (Lampe, 1989). Dies bedeutet wohl, dass sich das Christentum in Rom an das bereits seit Längerem, auf jeden Fall seit dem 2. Jh. v. Chr. ansässige Judentum anschließt bzw. sich in dessen Umgebung konstituiert. Nach → Philo
Dieser Sachverhalt ist insofern bedeutsam, als sich möglicherweise auch die einzelnen Hauskirchen in Rom analog als voneinander unabhängige christliche Gemeinden organisierten. Jedenfalls grüßt Paulus in Röm 16,5
Als eigentlichen Grund gibt Suetonius ‚impulsore Chresto‘ an, sie seien aufgehetzt von Chrestus. Bei Chrestus ist wohl (wegen des Itazismus e/i) an Christus zu denken. Es hat also in den Synagogen solche Unruhe im Zusammenhang von Auseinandersetzungen um Christus gegeben, dass einige (sicher nicht alle!) Juden / Judenchristen ausgewiesen wurden. Hierbei ist vorausgesetzt, dass auch Judenchristen Mitglieder der Synagoge waren und durch sie und ihr Christusbekenntnis Unruhe entstand. Die Römer müssen dies als Aufruhr (στάσις, stasis) interpretiert, wohl auch die messianisch interpretierte Person des Chrestus als Aufwiegler verstanden und die Ausweisung angeordnet haben. Nach dem Tod des Claudius im Jahr 54 n. Chr. verlor das Edikt seine Gültigkeit (Suetonius, Nero 33,1). Es gibt im Neuen Testament einen bekannten Fall, der näheres Licht auf diese Ereignisse wirft. Nach Apg 18,2
Diese Zusammenhänge des Claudius-Edikts bedeuten für die Entwicklung der römischen Christenheit: Zwischen den Jahren 49-54 n. Chr. muss es eine Phase gegeben haben, in der der jüdische Bevölkerungsanteil stark geschwächt oder massiv zurückgedrängt war. Es ist nicht davon auszugehen, dass alle Juden aus Rom vertrieben wurden, aber es war in dieser Zeit gewiss gefährlich, die jüdische Lebensweise zu praktizieren. Koscheres Essen, Sabbatfeiern und Einhaltung von Gebetszeiten wären aufgefallen. Diese Fragen sind insofern wichtig, als Paulus nur an einer einzigen Stelle im Römerbrief auf konkrete Gemeindeverhältnisse in Rom einzugehen scheint. In Röm 14,1-15,6
An einer weiteren Stelle steht die Zuordnung von Heidenchristen zu Judenchristen und Juden stets im Hintergrund. In Röm 9-11
Weitere Informationen über die römische Gemeinde können wir dem Schlusskapitel Röm 16,3-16
Schon die jüdischen Gemeinden in Rom lebten in einzelnen Synagogalverbänden, die Christen entsprechend in Hausgemeinden. Hierbei ist daran zu denken, dass ein Patron oder eine Patronin den großen Raum des Hauses als Versammlungsstätte zur Verfügung stellte. Wahrscheinlich aber lag der Kern der christlichen Gemeinde eben in der Sozialform des Hauses, zu der neben den Generationen von Eltern bis Kindern auch Bedienstete, Sklaven, Arbeiter, Freigelassene etc. gehörten. Röm 16,5
Wenn nun also mehrere christliche Hausgemeinden in Rom nebeneinander existieren, dann darf es nicht verwundern, dass Paulus in seinem Präskript den Brief nicht an die eine ἐκκλησία (ekklesia; Gemeinde) in Rom richtet, sondern eben nach Röm 1,7
3. Der Abfassungszweck
Mit dem Brief an die Römer wendet sich Paulus also an eine Gemeinde, die er nicht gegründet und die er bislang noch nicht besucht hat. Vordergründiges Anliegen des Briefs ist, jetzt endlich einen Besuch zu realisieren, auch um eine Unterstützung für die weitere Mission in Spanien zu erhalten. Paulus respektiert im Sinne des Nicht-Einmischungsprinzips in die von anderen Aposteln gegründeten Gemeinden eine relative Zurückhaltung.
Eine differenzierte Bestimmung des Abfassungszwecks kann nicht auf ein einziges Motiv zurückgeführt werden. Die Forschung, die seit Ferdinand Chr. Baur zu diesem Thema eine Vielzahl von Vorschlägen vorgelegt hat, kann zunächst in Modelle gegliedert werden, die sich entweder an den Adressaten oder am Verfasser orientieren, wiewohl beide Aspekte nicht zu trennen sind (Theobald, 2001, 2-14; ausführlich dazu Schreiber, 2008, 292f.; Schnelle, 2011, 131f.). Gegenwärtig hat sich mehrheitlich die Sicht durchgesetzt, dass der Abfassungszweck des Römerbriefs nur aus dem Zusammenspiel mehrerer Faktoren zu begreifen ist.
3.1. Adressatenorientierung
Alle Vorschläge zu einer Adressatenorientierung an römischen Christen stehen vor dem Problem, dass Paulus die römische Gemeinde nicht gegründet und sie bislang auch nicht besucht hat, dass er sich im Sinne des Nicht-Einmischungsprinzips in solche Gemeinden einen Einfluss untersagt und doch in ihnen im Rahmen seines apostolischen Auftrags als Heidenmissionar auf sie einwirken möchte (Horn, 2009).
a) Der Römerbrief ist ein versöhnendes Schreiben. Wichtig ist der Ausgangspunkt bei Röm 14,1-15,6
b) Der Römerbrief ist ein die Kirche konstituierendes Schreiben (Schmithals, 1988): Die verschiedenen Hausgemeinden sollen zusammengeführt werden zum Bewusstsein der einen Kirche.
c) Der Römerbrief eröffnet eine apostolische Partnerschaft. Der Zweck des Briefs bestand darin, die persönliche Beziehung zu begründen (Theobald, 2001, 12). Nach Anglika Reichert (2001, 321) möchte Paulus mit seinem Schreiben die uneinheitlich geprägte Adressatenschaft zu einer paulinischen Gemeinde machen und sie für den Fall der eigenen Verhinderung an der Durchführung seiner weiteren Missionspläne zur selbstständigen Weiterführung seines Evangeliums befähigen.
d) Klaus Haacker (2006) möchte die These der Gleichheit von Juden und Heiden vor dem Evangelium als eine gezielte Versöhnungsparole im Vorfeld der Spannungen des 1. Jüdischen Kriegs aufnehmen.
e) Nicht Rom und auch nicht Jerusalem sind ausschließlich im Blick des Autors, sondern Korinth ist der gedachte Nebenadressat des Schreibens. Paulus führt Themen der Korintherkorrespondenz weiter aus (Hartwig / Theißen, 2004).
3.2. Verfasserorientierung
a) Der Römerbrief ist ein Vorstellungsschreiben. Orientiert man sich an Röm 15,14-33
b) Der Römerbrief ist als „gedachte“, nicht wirkliche Apologie des Paulus für Jerusalem zu verstehen. Vor der Kollektenreise entfaltet Paulus apologetisch seine Position (vor allem Jervell bei Donfried, 1971, 61-74; auch Bornkamm, 1971; Wilckens, 1974). Hiernach ist Jerusalem die heimliche Adresse des Römerbriefs. Günter Bornkamms Formulierung „Testament des Paulus“ nimmt darüber hinaus auf, dass der Apostel sich der tödlichen Gefahr dieser Reise bewusst ist.
c) Der Römerbrief ist als grundsätzliche Apologie des Paulus gegenüber den judaistischen Kontrahenten zu sehen, die mittlerweile in fast allen paulinischen Gemeinden Fuß gefasst haben (Stuhlmacher, 1998; Kettunen, 1979).
d) Der Römerbrief ist als Rundschreiben gedacht und hat keine spezielle Gemeinde im Blick. Die Vertreter dieser These erkennen in Röm 16
e) Eduard Lohse (2003) interpretiert den Römerbrief als eine nahezu zeitlose Rechenschaft des Paulus über das Evangelium. Lohse grenzt sich massiv von allen Versuchen ab, das situative Moment in der Abfassungsfrage über Gebühr zu betonen.
Paulus erhofft die Unterstützung der römischen Gemeinde bei seiner geplanten Spanienmission (Röm 15,22-29
4. Gattungsfragen
Die jüngere Forschung hat die rhetorischen und epistolographischen Aspekte der neutestamentlichen Briefe thematisiert. Damit verlor der Römerbrief zunächst den Charakter eines Kompendiums der christlichen Lehre, der ihm seit Melanchthons in Anlehnung an den Römerbrief verfassten Schrift Loci Communes anhaftete. Unter Berücksichtigung der oben genannten Aspekte wurden dann aber etliche Briefaussagen deutlicher, da ihre rhetorische Inszenierung und ihre Disposition im Briefganzen klarer erkannt wurden.
4.1. Der Briefrahmen
Der Briefrahmen ist klar abgegrenzt. Im Eingangsteil folgt auf das Präskript (Röm 1,1-7
Der Briefschluss setzt im Anschluss an den Friedenswunsch (Röm 15,13
4.2. Das Briefkorpus
Das Briefkorpus setzt in Röm 1,16f
4.3. Rhetorische Analyse und literarische Form
Der Römerbrief orientiert sich an den üblichen Formelementen eines Briefs (s.o.). Allerdings wirken seine Ausführungen über weite Strecken wie eine thematische, belehrende Darlegung, in der die Kommunikation mit der Gemeinde zurücktritt. Dies hat dazu geführt, den Brief nach rhetorischen Gesichtspunkten zu klassifizieren. Als einen Logos Protreptikos (Werbeschrift für eine Disziplin) versteht David E. Aune (1991) den Brief, da dieser belehre und versuche, die Angeredeten für seine Botschaft zu gewinnen. Michael Theobald (2000, 67) hingegen erachtet das genus dikanon (auf Streit beruhend) und nicht das genus epideiktikon (Lob / Tadel) oder das genus symbuleutikon (Beratschlagung) als nächste Analogie. Leander E. Keck (2005) spricht von einem „discourse as letter“, er versteht also das Schreiben von seinem argumentativen Inhalt her, das in eine briefliche Form gegossen wurde. Die Klassifizierung als Traktat missachtet den epistolographischen Rahmen (so aber Starnitzke, 2004). Eine ausgeführte Gliederung des Römerbriefs nach rhetorischen Dispositionsregeln bietet Theobald (2000, 61f.).
4.4. Traditionen
Im Römerbrief begegnen etliche Texte, die als frühchristliche, vorpaulinische Traditionen oder Überlieferungen bestimmt werden. Wahrscheinlich hat Paulus diese bewusst in den Brief an die ihm unbekannte Gemeinde integriert, um ihr gegenüber die gemeinsame Glaubensgrundlage in Erinnerung zu rufen bzw. um die eigene Theologie im Einklang mit der Tradition darzustellen. Es ist nicht eindeutig auszumachen, wie der exakte Wortlaut dieser Traditionen lautete, wo ihr ursprünglicher Sitz im Leben war, woher Paulus diese Traditionen kannte und wie er sie im Kontext des Römerbriefs bearbeitete.
Als wesentliche, in der Substanz in der Forschung relativ einmütig anerkannte, zumeist judenchristliche Traditionen sind zu nennen: Röm 1,3f
Daneben lassen zunächst Einleitungsformeln wie ‚wir wissen‘ (Röm 3,19
5. Der Themavers 1,16f.
Rhetorisch ist Röm 1,16f
6. Aufbau und Gliederung des Briefkorpus
Die „Architektur“ des Briefs innerhalb des Briefkorpus ist relativ klar, zeigt aber an wenigen Stellen Abgrenzungsprobleme. Sie orientiert sich sowohl an formalen Beobachtungen (thematische Hinweise, Überschriften, Übergänge, Fragen, Thesen) als auch an Sachzusammenhängen und bedenkt überdies übergeordnete formale Aspekte, von denen Paulus sich in allen seinen Briefen mehr oder weniger leiten lässt.
Die propositio Röm 1,16f
In einem ersten Gedankengang in Röm 1,18-3,20
Manche Ausleger ziehen noch Röm 5,1-21
Ein zweiter Gedankengang beschreibt die Wirklichkeit dieser offenbar gewordenen Glaubensgerechtigkeit in mehreren Schritten. Zunächst stellt Paulus in Röm 5
Ein dritter Gedankengang fragt in Röm 9-11
Ab Röm 12
7. Theologie des Briefs
7.1. Das Verhältnis zum Galaterbrief
Während der Galaterbrief gezeichnet ist von Polemik und der Irritation über das Auftreten antipaulinisch ausgerichteter Missionare und ihrer Wirkung auf die Gemeinde erscheint der Römerbrief, der die gleichen Themen nochmals aufnimmt, im Ganzen reflektierter, umfangreicher, aber auch milder. Auffällig ist, dass Paulus in Röm 3-8
7.2. Das Evangelium (Röm 1,1-7)
Das Präskript des Römerbriefs unterscheidet sich von den Präskripten anderer paulinischer Briefe durch seinen ungewöhnlichen Umfang und seinen Inhalt. Es wird daher von Eduard Lohse (2000, 104-116) als theologisches Programm angesprochen. Während das übliche Präskript Absender, Adressaten und Gruß bietet, erweitert Paulus es in Röm 1,1-7
7.3. Dem Juden zuerst und dem Heiden
Das Proömium des Römerbriefs (Röm 1,8-17
7.4. Die Rechtfertigungslehre des Römerbriefs
Die Theologie des Römerbriefs umspannt einen weiten Horizont. Es empfiehlt sich eingangs, die Argumentation der ersten Gedankengänge in Röm 1-11
Der harte, bisweilen polemische Einstieg, der die Schuldverfallenheit der Juden und der Heiden beschreibt und auf die theologische Kategorie zielt, dass alle Menschen unterschiedslos unter der Sünde stehen (Röm 3,9
Der Basissatz der paulinischen Rechtfertigungslehre aus Gal 2,16
8. Wirkung und Rezeption
Seit Origenes (ca. 185-254) wurden Kommentare zum Römerbrief verfasst. Allein bis zum 15. Jh. liegen mehr als 30 bedeutende Kommentarwerke vor (Lagrange, 1931, VIII-X; Theobald, 2000, XI-XIII). In der Vorrede zu der „Epistel von St. Paulus an die Römer“ aus dem Jahr 1522 schreibt Martin Luther: „Diese Epistel ist das eigentliche Hauptstück des Neuen Testaments und das allerlauterste Evangelium. Sie ist es wohl würdig und wert, dass sie ein Christenmensch nicht nur von Wort zu Wort auswendig wisse, sondern dass er auch täglich damit als mit täglichem Brot der Seele umgehe. Denn sie kann nimmer zu viel und zu gründlich gelesen oder betrachtet werden. Je mehr sie behandelt wird, umso köstlicher wird sie und schmeckt sie.“
Luther hat im Zusammenhang seiner Auslegung des Römerbriefs vom 3.11.1515 bis zum 7.9.1516 die ersten Früchte seiner evangelischen Erkenntnis festgehalten, ehe ab 1520 die großen reformatorischen Entscheidungen anstanden. Freilich gilt: „M. Luthers Deutung des Römerbriefs ist nicht so sehr eine Auslegung des paulinischen Gedankens als vielmehr eine Interpretation des Paulus für die damalige Zeit“ (Michel, 1978, 57). Noch bedeutsamer für den Protestantismus waren Philipp Melanchthons „Loci Communes“ aus dem Jahr 1521. Es war dies die erste evangelische Dogmatik, geschrieben von einem damals dreiundzwanzigjährigen Theologieprofessor in Wittenberg. Sie ist aus der Arbeit am Römerbrief erwachsen und man kann den Aufbau des Römerbriefs in den Loci Communes erkennen. Melanchthon hat diese immer wieder bearbeitet und schließlich auch eine eigene deutsche Übersetzung angefertigt, da ihn die Übersetzungen seiner Mitarbeiter Georg Spalatin und Justus Jonas nicht befriedigten. Wir treten mit diesen Arbeiten Luthers und Melanchthons in eine länger anhaltende Phase der Römerbriefauslegung ein, die durch einen systematisch-theologischen Zugang gezeichnet ist.
In der nachreformatorischen Epoche der Orthodoxie dominieren die dogmatisierenden Auslegungen dermaßen, dass Hugo Grotius (1583-1645) mit seinen „Annotationes in Novum Testamentum II“ (Paris, 1641-1650) eine bewusste Rückkehr zum Text des Römerbriefs einschlug und sich also wieder stärker der historischen und philologischen Frage zuwandte. Zum Durchbruch hat der historischen Frage dann eine Schrift Ferdinand Chr. Baurs (1792-1860) aus dem Jahr 1836 verholfen („Über Zweck und Veranlassung des Römerbriefs“; vgl. außerdem ders., 1845). Er versucht, den Brief an die römische Gemeinde kirchenpolitisch von Röm 9-11
Literaturverzeichnis
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