Sühne (NT)
(erstellt: Juni 2010)
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1. Alttestamentliche und frühjüdische Voraussetzungen
1.1. Voraussetzungen im Alten Testament
Im hebräischen Alten Testament (→ Masoretischer Text
1.2. Bedeutungsverschiebungen in der Septuaginta und der frühjüdischen Literatur
1.2.1. Sühneaussagen in der Septuaginta
Wo die Septuaginta das hebräische Äquivalent (כפר) mit „(ent)sühnen etc.“ ([ἐξ] ἱλάσκεσθαι κτλ) übersetzt, ergeben sich keine signifikanten Bedeutungsverschiebungen. Dagegen zeigt sich vor allem in den Spättexten der Septuaginta eine Umdeutung: hier begegnen die Vorstellung einer Beschwichtigung Gottes, das Motiv einer Abwehr des göttlichen Zorns, der Gedanke der Wiedergutmachung, die Aussage der Sündenvergebung, der Vorgang der Interzession und die Bewertung des Märtyrerschicksals.
1.2.2. Sühneaussagen im Frühjudentum
Auf dieser Linie liegen auch die verstreuten Sühneaussagen in der intertestamentarischen Literatur: neben kultischen Formulierungen sprechen die Texte von Beschwichtigung, aber auch von Erbarmen und Vergebung. Bei Philo von Alexandria herrscht ein allegorischer Bezug zum Sühnetag (ἡ ἡμέρα ἡ λεγομένοῦ ἱλασμοῦ) und zum Sühneort (τὸ ἱλαστήριον) vor. Josephus spricht von einer Einwirkung auf Gott bzw. die Götter mit dem Ziel der Besänftigung.
1.2.3. Sühneaussagen in den nichtbiblischen Texten der Qumran-Essener
Kultische Terminologie wird zwar (vor allem in 11QT) noch verwendet, zugleich aber transformiert. Sühnemittel sind die Langmut Gottes und seine Vergebungsfülle, seine Wundergeheimnisse und seine Gerechtigkeit. Durch Lobpreis und vollkommenen Lebenswandel erweist sich die Qumran-Gemeinde als eschatologischer Sühneort (s. Lichtenberger, 161-164) für sich selbst und für Israel. Die Substitution der Sühnemittel Opfer und Blut und die Übertragung priesterlicher Termini auf das Gemeindeleben ist durch die grundlegende Einsicht in die Notwendigkeit der Sühne motiviert.
1.3. Der Horizont der neutestamentlichen Sühnethematik
Zum begrifflichen und gedanklichen Horizont für die im Neuen Testament zu erwartende Sühnethematik gehören soteriologische Aussagen im → Opferkontext
2. Die Sühnevorstellung in der paulinischen Tradition
2.1. Sühneaussagen im vorpaulinischen Traditionsgut
Unter den vor Paulus formulierten und von ihm zitierten Sühneaussagen erscheint in Röm 3,25
2.2. Die Sühnetheologie des Paulus
Paulus selbst nimmt die Sühneaussagen der Herrenmahlstradition nicht nur auf, sondern er baut sie auch weiter aus, insofern er von der Partizipation (κοινωνία) des Blutes und Leibes Christi spricht (1Kor 10,16ff
Neben weiteren Anspielungen auf die Sühne, die in der Vorstellung von der Heiligung (1Kor 1,2
Bringen die Stellvertretungsaussagen das Geschehen der Sühne zur Sprache (anders Schröter, 66-71; s. jedoch Söding, 375ff; Kittel, 130-133), eben weil das Stellvertretungsmotiv ein konstituierendes Moment des Sühnegedankens formuliert, so expliziert die Rede von der Versöhnung die Wirkung des Sühnegeschehens, insofern der schuldig gewordene Mensch wieder neu der Gemeinschaft mit Gott teilhaftig wird (vgl. 2Kor 5,14-21
2.3. Sühneaussagen in den Deuteropaulinen
In der Paulusschule sind die Sühneaussagen weniger deutlich greifbar. Immerhin hebt aber die Rede vom Blut (Kol 1,20b
3. Der Sühnegedanke im Hebräerbrief
3.1. Zum Profil des Sühnegedankens
Allein Hebr 2,17b
3.2. Die Opfer und ihre Darbringung
Im Rahmen des ersten Bundes (πρώτη διαθήκη) werden Opfer dargebracht, die aber nicht (mehr) Gottes Wohlgefallen finden. Demgegenüber ist das eine, von Christus ein für allemal dargebrachte Selbstopfer des neuen Bundes (καινὴ διαθήκη) das dem Wohlgefallen Gottes entsprechende und somit vollkommene Sühnopfer. In paränetischem Kontext wird der Opferbegriff metaphorisch verwendet: er bezieht sich auf die Einmaligkeit der Umkehr, das Herrenmahl, den gottesdienstlichen Lobpreis und die soziale Verantwortung.
3.3. Die Stellvertretungsaussagen
Die Stellvertretungsaussagen, die das Handeln des levitischen Hohenpriesters betreffen, beziehen sich sowohl auf Sünden als auch auf schuldig gewordene Menschen. Angesichts der durch den Hebr behaupteten Wirkungslosigkeit der alten Kultordnung kann jedoch kaum von stellvertretender Sühne gesprochen werden. Dagegen impliziert die vielfältige Rede vom stellvertretenden Handeln des Hohenpriesters Christus die Aussage eines Sühnegeschehens. Paränetisch werden vom stellvertretenden Sühnetod Jesu aus Bezüge zur Nachfolge, zum Problem des Sündigens und zur Hoffnung hergestellt.
3.4. Die Rede vom Blut und der Ritualakt der Blutsprengung
Die Blutriten im levitischen Opferkult sind auf die Opfertiere und auf den Sühnetag (יוֹם הַכִּפֻּרִים) bezogen, wobei die Wirkung dieses Blutes als begrenzt hingestellt wird. Demgegenüber bezieht sich das Sühneblut Christi auf die endgültige und ein für allemal gültige Sühnewirkung seines Opfertodes, nämlich die umfassende Reinigung und Erlösung. In paränetischem Kontext dient die Rede vom Blut dazu, den Standort der christlichen Gemeinde zu bestimmen.
3.5. Die Wirkung der Opfer
Im Bereich des ersten → Bundes
4. Sühnetheologie in der johanneischen Literatur
Den expliziten Sühnebelegen und weiteren sühnetheologischen Formulierungen im 1Joh stehen im Joh einige implizite Sühneaussagen gegenüber. Für die Apk ist vor allem die Rede vom Blut des geschlachteten Lammes von sühnetheologischer Relevanz.
4.1. Das Sühneverständnis des ersten Johannesbriefs
Zur Verwendung des Terminus „Sühne“ (ἱλασμός) in 1Joh 2,2
4.2. Die Sühneaussagen des Johannesevangeliums
Durch die Aussagen in Joh 19,14a
4.3. Das Blut des Lammes nach der Johannes-Apokalypse
In der Apk wird der gekreuzigte und erhöhte Christus unter Hervorhebung der Sühnewirkung seines Blutes mit einem geschlachteten Lamm identifiziert. Schon die Formulierung des christologischen und soteriologischen Themas (Apk 1,5f
5. Sühneaussagen im übrigen Neuen Testament
In den übrigen neutestamentlichen Schriften finden sich implizite Sühneaussagen nur noch in den → Synoptikern
5.1. Sühneaussagen in den Synoptikern
5.1.1. Die Einsetzungsworte der synoptischen Herrenmahlsüberlieferung
In den Einsetzungsworten (verba testamenti) ist sowohl die Rede von Leib (σῶμα) und Blut (αἷμα) Jesu als auch das Motiv der Stellvertretung als Sühneaussage zu werten (s. auch Kittel, 127-130). Da diese Überlieferung zu den ältesten Traditionstexten im Neuen Testament gehört, ist hier der Ursprung des urchristlichen Sühnegedankens zu vermuten.
5.1.2. Weitere implizite Hinweise auf die Sühne
Die beiden expliziten Belege für den die Sühne bezeichnenden griechischen Wortstamm (Mt 16,22
5.2. Die Wirkung des Sühnebluts nach der Apostelgeschichte
Unter den Aussagen über das Blut (αἷμα) wird in Apg 20,28
5.3. Die Sühnevorstellung des ersten Petrusbriefs
5.3.1. Die Aussage über die Blutbesprengung
Schon im Präskript des 1Petr findet sich eine Aussage über die durch den Geist vollzogene „Besprengung mit dem Blut Jesu Christi“ (1Petr 1,2
5.3.2. Die Rede von Christi stellvertretendem Leiden
Auch die Rede von Christi stellvertretendem Leiden (1Petr 2,21
6. Einzelfragen
6.1. Zum literarischen Genus der Sühnetradition
Insgesamt zeigt sich, dass die materiale Aussagenbasis über das Thema der Sühne in den neutestamentlichen Briefen breiter ist als in den Evangelien. Die Thematik der Sühne lässt sich in den Briefen, allen voran Hebr und 1Joh, die ihrem Wesen nach christliche Lehraussagen entfalten, angemessener verhandeln. Demgegenüber ist das literarische Genus des Evangeliums als Bericht über Verkündigung, Leben und Tod Jesu nicht der primäre Ort für eine Entfaltung theologischer Themen.
6.2. Zur theologiegeschichtlichen Entwicklung
„Im Neuen Testament wird der Tod Jesu in bemerkenswerter Breite und von ganz unterschiedlichen Überlieferungsschichten im Sinne stellvertretender Sühne gedeutet“ (Merklein, 1987, 181). Ist der Ursprung des urchristlichen Sühnegedankens in der Herrenmahlsüberlieferung zu suchen und verweist auch die Röm 3,25f
6.3. Zur Kultmetaphorik
Schon verschiedene Sühneaussagen in der Septuaginta und in der frühjüdischen Literatur, vor allem aber Sühneaussagen in den Texten der → Qumran-Essener
„Eine noch so ‚neue‘, alttestamentliche Gegebenheiten überbietende Kulthandlung ist mit dem Ereignis von Tod und Auferstehung Jesu Christi gerade nicht intendiert“ (Janowski, 2000, 352; im Original z. T. kursiv). Denn die kultischen Sühnopfer sind, sofern ihnen eine sühnende Wirkung überhaupt zugestanden wird, mit dem Sühnetod Jesu außer Kraft gesetzt worden. Insoweit ist auch von einer Annullierung des Kultischen zu sprechen: „Das eschatologische Verständnis der im Tode Jesu gewährten Sühne … macht den Tempelkult christlich überflüssig“ (Merklein, 1987, 190; im Original z. T. kursiv).
6.4. Zur Relation von Kult und Eschatologie
Auf die Frage nach der Relation von Kult und Eschatologie gibt es keine für das ganze Neue Testament gleichermaßen gültige Antwort. In den Sühneaussagen, die kultische Terminologie verwenden oder in denen die Vorstellung von Jesu Tod als einem Sühnopfer präsent ist, lässt sich eine Verknüpfung von Kultischem und Eschatologischem erkennen: in Jesu Kreuzestod hat sich der eschatologische Sühnetag ereignet.
7. Zur Bedeutung der neutestamentlichen Sühnethematik
Es ist kaum zu bestreiten, dass „die Sühneaussagen eine enorme Verbreitung und in fast allen neutestamentlichen Schriften ihren Niederschlag gefunden haben“ (Hahn, 2006, 315). Dieses Urteil ist freilich nicht mit der Ansicht zu verwechseln, der Sühnegedanke impliziere die anderen neutestamentlichen Deutungen des Todes Jesu oder mache sie theologisch erst plausibel (so Hofius, 2001, 346). Die eigenständige Relevanz anderer christologisch-soteriologischer Aussagen bleibt unbestritten; „die Sühneaussagen besitzen aber in der Regel eine vorrangige Stellung“ (Hahn, 2006, 316).
Trotz der seltenen Verwendung des für explizite Sühneaussagen charakteristischen Wortes „sühnen etc.“ (ἱλάσκεσθαι κτλ) ist unter Heranziehung weiterer, Begriff und Sache der Sühne in den Blick nehmender Wörter und Wendungen eine gewichtige Rolle der Sühnethematik im Rahmen der neutestamentlichen Soteriologie festzustellen. Insofern das Geschehen des Kreuzestodes Jesu in der Regel als Ausgangspunkt der neutestamentlichen Soteriologie und durchweg als Bezugspunkt der neutestamentlichen Rede von der Sühne fungiert, ist die Sühnethematik im Zentrum der Christologie und Soteriologie verankert.
Literaturverzeichnis
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