Diakon - Diakonin
(erstellt: Mai 2011)
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1. Zum Begriff
1.1. Zum aktuellen Sprachgebrauch
Die Bedeutung des Begriffs „Diakon“ bzw. „Diakonin“ ist je nach konfessionellem Standpunkt verschieden. Im katholischen, anglikanischen und orthodoxen Kontext versteht man darunter einen Geistlichen, der zum dreigliedrigen Klerus gehört und vom Weihegrad her unter dem Priester steht. Inwiefern Frauen Diakoninnen sein können und ob sie als solche denselben Status innehaben können wie Diakone, wird in den verschiedenen Konfessionen unterschiedlich gesehen. Während dies in der anglikanischen Kirche möglich ist, wird es im orthodoxen Bereich diskutiert und in der römisch-katholischen Ämterlehre verneint. Im protestantischen Bereich ist der Diakon bzw. die Diakonin ein kirchlicher Beruf mit einem sehr weiten Tätigkeitsfeld, das je nach Einsatzort konkret festgelegt und eingegrenzt wird und z. B. Religionsunterricht, Jugendarbeit, Seniorenarbeit, Seelsorge, Verkündigung und liturgische Aufgaben beinhalten kann. Die Offenheit dieses Berufsbildes und die Unklarheit des damit verbundenen Sprachgebrauchs zeigt auch das Fremdwörterbuch des Dudens, der für die evangelische Kirche als Bedeutungen „Krankenpfleger, Pfarrhelfer oder Prediger ohne Hochschulausbildung“ angibt (Fremdwörterbuch 1990). Diese Wortverwendung ist im Kontext der Lehnworte „Diakonie“ und „diakonisch“ zu sehen, die sich in der deutschen Sprache nicht nur im protestantischen Bereich als Synonyme für die christliche Liebestätigkeit bzw. das durch den christlichen Glauben motivierte soziale Handeln eingeprägt haben.
1.2. Der Sprachgebrauch zur Zeit des Neuen Testaments
Der moderne Sprachgebrauch ist jedoch von der Wortverwendung im Neuen Testament zu unterscheiden. Das zugrundeliegende Verb διακονέω und seine Ableitungen gehören in der griechischen Sprache im weitesten Sinne zu dem Wortfeld → "Dienen
Mit dieser Wortgruppe wurde im Griechischen kein bestimmtes Aufgabenfeld assoziiert, auch nicht die Hausarbeit oder der Tischdienst. Vielmehr ist es typisch für die Wortverwendung, dass durch den literarischen Kontext bzw. die jeweilige Situation erst geklärt werden muss, wer hier wem welche Aufgabe übertragen hat. Gerade dann, wenn sprachlich deutlich gemacht werden soll, dass eine bestimmte Person für eine ganz konkrete Aufgabe beauftragt wurde und diese pflichtgemäß im Namen des / der Beauftragenden ausführen muss und dabei stets ihrer Auftraggeberin bzw. ihrem Auftraggeber rechenschaftspflichtig bleibt, findet der griechische Begriff Verwendung. In der Regel sind diese Aufträge zeitlich befristet, und der Status, diákonos des / der Beauftragenden zu sein, erlischt mit der Ausführung des Auftrags. Für die Dauer der Ausübung des Auftrags ist ein / eine diákonos in ein hierarchisches Verhältnis eingebunden, sie ist dem / der Beauftragenden gegenüber rechenschaftspflichtig und handelt in seinem bzw. ihrem Namen. Es wird erwartet, dass ein / eine diákonos rasch und zuverlässig arbeitet. Wenn sie oder er im Rahmen dieser Aufgabe zu Dritten geschickt wird, kann ein / eine diákonos diesen gegenüber im Namen und mit der Autorität ihrer Auftraggeberin bzw. ihres Auftraggebers agieren, solange sie sich auftragsgemäß verhält. In Einzelfällen ist es auch möglich, dass eine Situation selbst als Anlass für eine diakonía gesehen wird, zu der sich jemand verpflichtet sieht.
In antiken Texten findet sich der Begriff v.a. für folgende Aufgabenbereiche: für Botengänge unterschiedlichster Art, bei denen Sachen oder Nachrichten im Namen einer Person überbracht werden müssen, für die Ausführung von verschiedensten Aufträgen in verschiedenen öffentlichen und privaten Kontexten, auch für Tätigkeiten im Haushalt, u.a. wiederholt für den Tischdienst.
Da das Lexem üblicherweise eine besondere Beauftragung voraussetzt, wird bei dessen Verwendung für den Tischdienst bereits sprachlich signalisiert, dass es sich nicht um die übliche und alltägliche Form der Aufwartung bei Tisch handelt. Ein feierlicher Anlass, wie etwa besondere Ehrengäste oder die Heiligkeit einer kultischen Feier, ist oft der Grund dafür, dass nicht wie üblich Sklaven oder das Hauspersonal den Tischdienst verrichten, sondern die Speisen von eigens für diesen Anlass beauftragten diákonoi – z. B. den Kindern des Hauses oder freien jungen Männern – zu den Mahlteilnehmern gebracht werden (vgl. z. B. Athenaios, Deipno Sophistai 263a; Philo, Vita Contemplativa 70.1; 71.2). Bei der Verwendung im Bereich der Hausarbeit wird in der Regel ein spezieller Aspekt hervorgehoben, wie z. B. die Tatsache, dass das Hauspersonal im Auftrag der Familienmitglieder tätig ist und deren Aufgaben zuverlässig ausführt. In der 10. Rede des Dion Chrysostomos tröstet Diogenes einen Bekannten, dessen Sklave entlaufen ist, mit dem Hinweis, dass ein Leben ohne Hausangestellte eine größere Unabhängigkeit und Selbständigkeit für die Familienangehörigen, insbesondere für die Kinder des Hauses mit sich bringe: Denn einen Knecht zu haben, lasse die Kinder faul werden, weil sie jemand haben, der für sie „Dienstleistungen ausführt“ (Dion Chrysostomos 10,13). Als letztes Verwendungsbeispiel ist noch auf Philo zu verweisen, der Dike, die Göttin der Gerechtigkeit, als subdiákonos bezeichnet, die den Menschen im Auftrag Gottes den Krieg als Strafe bringen soll, da Gott selbst nur Frieden bringen will (Philo, De Decalogo 176ff.). Die Vorsilbe „sub“ betont zwar zusätzlich die Unterordnung Dikes unter Gott, dennoch ist ihre Rolle weder durch Niedrigkeit noch durch einen wohltätigen Dienst an den Menschen zu charakterisieren, sondern sie tritt vielmehr als mächtige Rächerin im Namen Gottes auf.
In allen Bereichen dieses weiten Spektrums an Tätigkeiten finden sich in den antiken Texten als Subjekte Männer und Frauen unabhängig von ihrem sozialen Status. Götter, Göttinnen und Könige können genauso als diákonos bezeichnet werden wie Sklaven und einfache Leute, denn anders als z. B. der griechische Begriff „Sklave“ gibt das Substantiv diákonos gerade keine Auskunft über den sozialen Status einer Person. Deshalb ist auch der deutsche Begriff „Diener“, der neben der Beauftragung auch den Aspekt der Niedrigkeit mitschwingen lässt, nicht grundsätzlich als Übersetzung des griechischen Substantivs geeignet. Im Hinblick auf das Geschlecht der Subjekte kann man keine allgemeinen Aussagen machen, denn das griechische Substantiv diákonos gibt es nur in der maskulinen Form. Es wird sowohl für Männer als auch für Frauen benutzt. Die Wortverwendung in antiken Texten zeigt zudem, dass das Lexem in allen Tätigkeitsbereichen in gleicher Weise sowohl für Frauen als auch für Männer vorkommt.
2. Die Wortverwendung im Neuen Testament
2.1. Die Wortverwendung bei Paulus
Diákonos wird von Paulus im Einklang mit der üblichen griechischen Wortverwendung v.a. im Kontext von Mission, Verkündigung und Gemeindeleitung benutzt.
So bezeichnet in 1Kor 3,5
Eine tragende Rolle spielen der griechische Begriff diákonos und dessen Ableitungen jedoch im 2Kor, in welchem Paulus seine in Frage gestellte Autorität als → Apostel
In 2Kor 3,6
In 2Kor 11,12-15
Eine Botenfunktion steht ebenfalls im Zentrum der Wortverwendung, wenn Paulus bestreitet, dass Jesus ein Vermittler von Sünde sei (Gal 2,17
Eine typische Botentätigkeit ist auch die Überbringung der Kollektengelder nach Jerusalem, die Paulus in 2Kor 8,4
In Röm 16,1f
Ob die epískopoi in Philippi als die Auftraggeber / innen der Diakoninnen und Diakone angesehen werden können, ist in der Forschung umstritten und lässt sich aus dem Philipperbrief selbst nicht eindeutig klären. Spätere Belege im Neuen Testament und in weiteren kirchlichen Quellen aus dem 2. Jh. n. Chr. zeigen, dass Episkopen / Episkopinnen und Diakone / Diakoninnen literarisch unmittelbar nebeneinander stehen können, ohne dass sich eine hierarchische Zuordnung aus den Texten nahelegt (vgl. z. B. 1Tim 3,1-13
Bei Paulus lässt sich ein Schwerpunkt der Wortverwendung für die Bereiche Verkündigung und Gemeindeleitung beobachten. Mit Blick auf Röm 16,1-16
2.2. Die Wortverwendung in den Deuteropaulinen
Die Belege in den Deuteropaulinen bestätigen die Beobachtungen, die bereits bei Paulus im Hinblick auf die Verwendung des Begriffs diákonos gemacht wurden. Paulus selbst kann weiterhin in seiner Funktion als Missionar und Verkündiger des Evangeliums als diákonos Christi bezeichnet werden (vgl. Kol 1,23
Auf diesem Hintergrund ist die Wortverwendung in 1Tim 3,1-13
Im Diakonenspiegel fällt auf, dass in 1Tim 3,11
Auch in den späteren neutestamentlichen Briefen wird diákonos also für Paulus, Timotheus sowie weitere Männer und Frauen verwendet, die eine gemeindeleitende Funktion und eine besondere Verantwortung für die Verkündigung bzw. Lehre haben. Weitere Gemeindemitarbeiter werden namentlich erwähnt und als diákonoi bezeichnet (Kol 1,7
2.3. Die Wortverwendung in den Evangelien und der Apostelgeschichte
Die wohl einflussreichste Belegstelle für die Vorstellung dessen, was eine / einen diákonos auszeichnet, ist Mk 10,45
Mit diesem Bedeutungsaspekt lässt sich auch der folgende Vers Mk 10,45
Aus den Belegen der Wortgruppe in Evangelien und Apostelgeschichte ist nun noch ein Text darzustellen, der wirkungsgeschichtlich für die Vorstellungen des Diakonats besonders einflussreich war, obwohl in diesem das Substantiv diákonos nicht einmal verwendet wird: Apg 6,1-7
Überraschenderweise verwendet der Verfasser des lukanischen Doppelwerks kein einziges Mal das Verbalsubstantiv diákonos, weder dort, wo es sich bei Markus findet, noch dort, wo es im Blick auf seine ausführliche Darstellung der Wirksamkeit des Paulus zu erwarten wäre. Da Lukas den Aposteltitel weitgehend auf die Zwölf reduziert, wäre es angesichts des Sprachgebrauchs im Corpus Paulinum naheliegend gewesen, Paulus mit der von ihm auch verwendeten Selbstbezeichnung diákonos Christi vorzustellen. Dass dem Verfasser der Apostelgeschichte der Sprachgebrauch grundsätzlich vertraut war, der sich in der paulinischen Briefliteratur findet, zeigen z. B. Belege wie Apg 1,25
Wenn in Apg 6,4
Gegen eine solche Trennung von „Wortamt“ und „Dienstamt“ spricht unter anderem, dass sowohl vor als auch nach Apg 6,1-7
3. Zusammenfassung
Die Untersuchung neutestamentlicher Belege von diákonos zeigt, dass die Verfasser der neutestamentlichen Schriften den Begriff in Übereinstimmung mit dem griechischen Wortgebrauch verwenden. Die Wortgruppe bezeichnet auch im Neuen Testament unterschiedliche Beauftragungen und deren Ausführung im Namen eines Auftraggebers bzw. einer Auftraggeberin. Aufgrund der Wortbedeutung hat sich der Begriff als Bezeichnung für die Evangeliumsverkündigung im Namen Gottes sowie für weitere Funktionen in und zwischen den Gemeinden und für die sich daraus entwickelnden Ämter angeboten. Die Schwierigkeit bei der Interpretation der Textbelege besteht jedoch darin, dass ohne Kenntnis des Inhalts der Beauftragung bzw. der Gemeindesituation für heutige Leserinnen und Leser oft nicht klar ist, wofür ein / eine diákonos konkret zuständig war. Es muss davon ausgegangen werden, dass in den frühchristlichen Gemeinden diákonoi für unterschiedliche Aufgabenbereiche zuständig waren und es – trotz des einheitlichen und offensichtlich häufig verwendeten Begriffs – kein für alle Gemeinden einheitliches Aufgabenfeld der diákonoi gab.
Die dargestellte Wortverwendung im Neuen Testament belegt wiederholt die Zuständigkeit von diákonoi in den Bereichen Verkündigung und Gemeindeleitung, wobei zur Verkündigung üblicherweise auch das verkündigungsgemäße Verhalten, d.h. die Fürsorge für die Menschen und die Verantwortung für evangeliumsgemäße Gemeindestrukturen gehörte.
Auch Boten bzw. Botengänge zwischen den Gemeinden wurden nachweislich mit der Wortgruppe bezeichnet.
Diákonos ist im Neuen Testament jedoch keine typische oder geprägte Bezeichnung für einen Beauftragten im sozial-karitativen Bereich. Bei Bedarf kann zwar auch das karitative Engagement Inhalt einer offiziellen Beauftragung sein, diese Wortverwendung ist im Neuen Testament allerdings eher selten belegt (Apg 6,1-7
Bemerkenswert ist, dass sich in der neutestamentlichen Briefliteratur kein einziger Beleg der Wortgruppe im Kontext von Abendmahl oder Mahlzeiten findet. Die Anschaulichkeit des lukanischen Doppelwerks und die hervorgehobene Wortverwendung in Apg 6,1-7
Bzgl. der Darstellung der Apostelgeschichte ist außerdem zu beachten, dass Lukas ausschließlich Männer in hervorgehobenen Leitungsfunktionen erscheinen lässt (vgl. insbes. Apg 1,21-26
Literaturverzeichnis
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- Roloff, J., 1993, Die Kirche im Neuen Testament, NTD Ergänzungsreihe Bd 10, Göttingen
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