Petrusbrief, Zweiter
Andere Schreibweise: Der Zweite Petrusbrief / Der Zweite Brief des Petrus / Second Epistle of Peter (engl.)
(erstellt: Dezember 2018)
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1. Ein Brief gegen die Ungeduldigen
Der 2. Petrusbrief (2Petr) richtet sich an Gemeinden, die aufgrund des noch nicht eingetretenen Weltendes mit Anfragen an ihren Glauben konfrontiert wurden. Während → Paulus
Bibelkundlich relevant sind insbesondere die Schilderung der Verklärungsszene in 2Petr 1,16-18
2. Theologische Schwerpunkte
Die Theologie des Zweiten Petrusbriefes ist → Eschatologie
3. Konstruierte und reale Kommunikation
3.1. Autor und Erzähler des Textes
Die Einstufung des Zweiten Petrusbriefes als Pseudepigraph wird in der Forschung nur noch von Einzelstimmen bestritten (vgl. die Literatur bei Callan, 2014, 166 Anm. 2). Auch Versuche, den Text trotz dessen posthumer Abfassung mit allerlei Einschränkungen versehen thematisch auf → Petrus
Der Brief ist in vergleichsweise gutem Griechisch verfasst worden und setzt eine hellenistische Grundlagenbildung voraus. Wenngleich wir über die sprachlichen und intellektuellen Möglichkeiten des Apostels kaum gesicherte Angaben machen können, scheint fraglich, ob er sich eines solchen Griechisch bediente. Gegen die Niederschrift durch den Apostel Petrus spricht vor allem, dass sich Zweite Petrusbrief in Stil und Form deutlich vom → Ersten Petrusbrief
Während Petrus als angeblicher Verfasser des Briefes gleichsam als Erzähler fungiert und etwa auf seine Vita zurückblickt, ist er gerade nicht der reale Autor des Schreibens. Dieser hat nicht nur den 1. Petrusbrief gekannt, sondern sich bei der Abfassung des Textes auch des → Judasbriefs
Außerdem ist das oben skizzierte Problem der verzögerten Parusie zur Zeit des Apostels Petrus noch nicht zu beobachten und stellt eine Herausforderung dar, die frühestens ab dem Ende des 1. Jh.s n. Chr. auftrat und auch etwa die Abfassung des → 2. Thessalonicherbriefs
Der angebliche Verfasser, der sich als Symeon Petrus sowie als Sklave und Apostel Christi vorstellt (2Petr 1,1
Über den tatsächlichen Autor des Briefes können wir nichts sagen, was uns der von ihm verfasste Text nicht unter der Hand verrät. Abgesehen von seinem Griechisch, der Form seines Briefes und den theologischen Themen, die ihn bewegten, bleibt er für uns unkenntlich.
3.2. Zeiten und Orte
Über die Vorstellungen, die sich der reale Autor des Textes vom Todesjahr des Apostels machte, können wir keine Angaben machen. Unter der Voraussetzung heutiger Annahmen zu Petrusʼ Ableben ergäbe sich als fiktiver Zeitpunkt der Niederschrift ein Abfassungsjahr in den 60er-Jahren des 1. Jh.s n. Chr., sofern man annehmen dürfte, dass die Einschätzung des fiktiven Verfassers, er stehe am Ende seines Lebens, verlässlich wäre.
Realiter wurde der Brief einige Dekaden später abgefasst. Zu dem Urteil, dass die „Bestimmung der Abfassungszeit in der Literatur […] bei keiner neutestamentlichen Schrift so weit wie beim zweiten Petrusbrief“ (Broer, 2016, 670) schwanke und der Zeitrahmen eine Spanne zwischen 60 und 160 n. Chr. umfasse, gelangt man allerdings nur, wenn man die Ausreißer, die den Brief zu Lebzeiten des Apostels datieren, nicht ausklammert. Der reale Autor des Textes kannte den 1. Petrusbrief und den Judasbrief. Erstmalig sicher bezeugt wird das Schreiben erst von Origenes (vgl. Grünstäudl, 2013, 52-74). Wenngleich damit nur eine relative Chronologie abgesichert werden kann und die Datierung von der Einordnung der dem 2. Petrusbrief vorausliegenden Texte abhängt, empfiehlt es sich doch kaum, den 2. Petrusbrief vor dem 2. Jh. n. Chr. zu datieren.
Geht man von Origenesʼ Werken als Terminus ad quem aus, öffnet sich für die zeitliche Einordnung allerdings immer noch ein weites Feld. Maßgeblich für eine Eingrenzung ist insbesondere das Verhältnis zur → Petrusapokalypse
Nach Jörg Frey ist der Textbestand für einen Vergleich mit Justin allerdings zu klein. Da er sich aber hinsichtlich der Priorisierung der Petrusapokalypse Grünstäudl zögernd anschließt und sich seines Erachtens überhaupt keine Rezeption des Textes im 2. Jh. nachweisen lässt, datiert er den 2. Petrusbrief auf 140-160 n. Chr. (Frey, 2015, 142-144.170-173.186). In den Einleitungswerken setzt man den 2. Petrusbrief, der gern als jüngster Text des NT angesehen wird, tendenziell um 120 n. Chr. an, allerdings unter der Annahme, das Schreiben liege der Petrusapokalypse voraus (vgl. etwa Gielen, 2013, 533; Pilhofer, 2010, 469; Roloff, 2003, 222; Schnelle, 2013, 504, favorisiert einen Richtwert um 110 n. Chr.).
Vermutlich wird man den Abhängigkeitsverhältnissen der frühchristlichen Texte tatsächlich eher gerecht, wenn man den 2. Petrusbrief im ersten Drittel des 2. Jh.s n. Chr. ansiedelt, mindestens dann, wenn in 2Tim 3,1
Der fiktive Abfassungsort wird im Brief nicht ausdrücklich erwähnt. Setzte der reale Autor voraus, dass Petrus in → Rom
3.3. Adressaten und Leser des Textes
Die Einbindung des Schreibens in das Korpus der → Katholischen Briefe
2Petr 3,15
Da sich περὶ τούτων / peri toutōn („über diese“; 2Petr 3,16
Da 2Petr 3,15
Die Behauptung, manches in Paulusʼ Briefen sei missverständlich (δυσνόητά τινα / dysnoēta tina; 2Petr 3,16
Eigentümlich genug ist, dass 2Petr 3,15
Beide Erwähnungen der vorgeblich an die Adressaten gerichteten Briefe könnten daher für die Lesergemeinde transparente literarische Verweise darstellen, die gar keinen Rückhalt in der spezifischen geographischen Situierung einer konkreten Gemeinde haben mussten. Mit dieser Annahme enthebt man sich nicht nur der Notwendigkeit, einen Paulusbrief zur Parusie an eine Gemeinde in Kleinasien zu postulieren, man kann auch die offene adscriptio als eine Adressierung einordnen, die dieser Varianz gerecht werden sollte. 2Petr 3,1
In jedem Fall lässt sich die nur in Andeutungen greifbare Adressatengemeinde nicht ohne Weiteres mit der Lesegemeinde identifizieren. Wie weit verbreitet die Kritik an der Überlieferung war, die mindestens scheinbar eine baldige Wiederkunft Christi verkündete, und ob es sich gar um ein „katholisches“ Phänomen handelte, lässt sich nicht mehr eruieren, so wenig wie die Frage zu beantworten ist, wo die intendierten Leser des Autors zu suchen sind. Realiter dürften jedenfalls trotz der geographisch unkonkreten adscriptio eine oder mehrere konkrete Gemeinden angesprochen gewesen sein, in denen das Problem der Parusieverzögerung virulent war.
4. Ein Stück frühchristliche Literatur
Die Integrität des 2. Petrusbriefes ist in der aktuellen Forschung unbestritten. Teilungshypothesen haben im Text keinen hinreichenden Anhaltspunkt.
4.1. Quellen und intertextuelle Adaptionen des Textes
Der 2. Petrusbrief greift bereits auf eine Reihe von frühchristlichen Quellen zurück (zur Diskussion vgl. etwa Gilmour, 2002). Nicht nur der etwas überladen wirkende Bilderreichtum der Ketzerpolemik verdankt sich zu großen Teilen dem Judasbrief, auch darüber hinaus ist der Einfluss des Vorläufers unverkennbar (zur Abhängigkeit des 2. Petrusbriefes vom Judasbrief vgl. Callan, 2004). Übernahmen aus anderen Briefen sind in der pseudepigraphischen Briefliteratur des Neuen Testamentes nicht ungewöhnlich, wobei die Funktion der Adaptionen variieren kann. Aber während der Epheserbrief und der 2. Thessalonicherbrief mit dem → Kolosserbrief
Ein Vergleich von 2Petr 3,2-3
Bemerkenswert ist auch, dass 2Petr 3,16
Der Hinweis auf die Paulusbriefe macht jedenfalls deutlich, was sich schon beim Rückgriff auf den 1. Petrusbrief zeigte: Der Autor des 2. Petrusbriefes kannte verschiedene frühchristliche Briefe nicht nur dem Vernehmen, sondern auch dem Inhalt nach, verarbeitete sie aber ganz unterschiedlich. Der Umgang mit dem Judasbrief bildete dabei die Ausnahme. Diese Einsicht könnte gegebenenfalls auch für die Analyse anderer frühchristlicher Pseudepigraphen leitend sein, nicht nur für die Lektüre des Epheserbriefs. Mindestens für den 2. Petrusbrief wird man aber annehmen dürfen, dass der Text in der literarischen Zeit des frühen Christentums entstand, als man bereits unterschiedliche intertextuelle Verweise in die eigene Abhandlung einband.
Ob die Erzählung über die Verklärung Jesu schon vor dem → Markusevangelium
4.2. Die Gattung des Textes: Fiktion oder Täuschung?
Das Präskript kennzeichnet den 2. Petrusbrief als Brief, wenngleich der Text das → Briefformular
Die Frage, ob der 2. Petrusbrief darauf abzielte, als echter Brief des Apostels rezipiert zu werden und folglich seine Leser zu täuschen, oder ob er als fiktionales Verfasserkonstrukt gar nicht behauptete, von Petrus zu stammen, ist nicht so leicht zu beantworten, wie es scheinen mag. Zunächst ist man gewillt, dem Text unumwunden eine Täuschungsabsicht zu unterstellen, nimmt er in der Verklärungsszene doch die besondere Autorität des Apostels in Anspruch. Wurde diese Autorität nicht verspielt, wenn bekannt war, dass ein anderer Autor, der sie nicht geltend machten konnte, den Text verfasst hatte?
Zugleich wird man aber in Anrechnung bringen müssen, dass der Brief kaum etwas mit dem 1. Petrusbrief gemein hatte, obwohl er sich selbst dem gleichen vorgeblichen Verfasser, nämlich Petrus, zuschrieb (2Petr 3,1
5. Gliederung und Argumentationsverlauf
5.1. Ein Gliederungsvorschlag
Die hier präferierte Gliederung, die für das Korpus eine Zweiteilung vorschlägt, geht von einer parallelen Gestaltung in 2Petr 1,12-2,1
Da der zweite Teil des Korpus (2Petr 3,1-13
5.2. Der Argumentationsverlauf
Der 2. Petrusbrief widmet sich einem einzigen Problem: der Auseinandersetzung mit der Kritik am Christentum aufgrund einer scheinbaren Verzögerung der Parusie. Die Argumente der gegnerischen Position werden im zweiten Teil des Korpus vergleichsweise klar benannt oder gar zitiert: Die Vätergeneration ist bereits entschlafen, obwohl sie die Parusie noch erleben sollte, alles scheint zu bleiben, wie es von jeher war, eine Veränderung der Welt ist nicht in Sicht (2Petr 3,4
Der Text versucht die Argumente mit Schriftbeweisen zu entkräften: Schon die Sintflut sollte unmissverständlich deutlich machen, dass die Schöpfung dem Gericht Gottes unterworfen ist und dieser einen neuen Anfang mit der Welt machen kann (2Petr 3,5-7
Der erste Teil des Hauptteils dient zwar dazu, mittels der polemischen Anwürfe gegen die Gegner deren Ethos zu untergraben, zugleich werden in 2Petr 2,3-6
Konnte dieser ostentative Rückgriff auf die Autorität des Apostels Petrus, der im Text nicht zuletzt als Begleiter Jesu inszeniert wird, im Rahmen einer transparenten Fiktion produktiv wirksam werden? Der Gedanke ist vielleicht nicht grundsätzlich abwegig. Denn als zentrales Ziel gibt der Text an, die → Erkenntnis
Diese Erinnerungsarbeit konnte grundsätzlich auch ein fiktionaler Text leisten, der das Zeugnis des historischen Jesusbegleiters und die Ereignisse auf dem Berg der Verklärung bei seinen Lesern wachrief. Denn dieses Zeugnis und die Erfahrungen des Apostels Petrus dürften bei den Teilen der Lesegemeinde, die der Text ansprechen wollte, weitgehend unstrittig gewesen sein. Damit ist die Frage nach der pragmatischen Funktion der Verfasserkonstruktion nicht entschieden, die Frage ist aber vielleicht offener, als sie auf den ersten Blick erscheinen mag.
Bei allem Bemühen, die Kritik an der Parusieverkündigung unter Verweis auf die Verlässlichkeit des Offenbarers und seiner Zeugen durch die Konstatierung einer zeitlich unbestimmten Parusie zu entkräften, birgt die Argumentation des 2. Petrusbriefes in der Konstruktion der Abfassungssituation doch auch ein Problem: Ähnlich wie im 2. Thessalonicherbrief wurde die Naherwartung durch die Verfasserkonstruktion aktualisiert. Denn der Apostel verfasste vorgeblich einen Brief im Blick auf die Zukunft der Gemeinden. Die Zukunft des Briefes war jedoch die Gegenwart der realen Lesegemeinde. Da 2Petr 3,3
6. Rezeption
Im Gegensatz zum 1. Petrusbrief verliefen Rezeption und Kanonisierung des 2. Petrusbriefes schleppend (vgl. Frey, 2015, 141-148). Wie gesehen, wird der 2. Petrusbrief erstmalig von Origenes ausdrücklich zitiert. Justin dürfte ihn gekannt haben. Möglicherweise setzt auch die Petrusapokalypse ihn doch bereits voraus, die Frage ist jedoch nicht leicht zu entscheiden. Die großen Unterschiede zwischen dem 1. Petrusbrief und dem 2. Petrusbrief wurden dem jüngeren Text zur Last gelegt, weil der ältere als authentisches Schreiben des Apostels verstanden wurde. Das Fragment des Kanon Muratori umfasst nicht die Position der beiden Petrusbriefe, die thematisch vermutlich mit der Behandlung des Markusevangeliums verknüpft waren. Eine Aussage über die Wertung der beiden Briefe ist daher nicht möglich. Schon bald kamen jedoch Zweifel an der Authentizität des Briefes auf (vgl. etwa Eusebius, Historia ecclesiastica III 3,1; 25,3). Es dauerte, bis sich der Text im Osten wie im Westen durchgesetzt hatte.
Literaturverzeichnis
1. Verwendete Literatur
Broer, I., in Verbindung mit H.-U. Weidemann, 42016, Einleitung in das Neue Testament, Würzburg
Callan, T., 2004, Use of the Letter of Jude by the Second Letter of Peter, Bib. 85, 42-64
Callan, T., 2014, The Gospels of Matthew and John in the Second Letter of Peter, in: A.J. Batten / J.S. Kloppenborg (Hgg.), James, 1 & 2 Peter, and Early Jesus Traditions (LNTS 478), London, 166-180
Davids, P.H., 2014, A Theology of James, Peter, and Jude (Biblical Theology of the New Testament 6), Grand Rapids
Frey, J., 2015, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus (ThHK 15 / II), Leipzig
Gielen, M., 22013, Der zweite Petrusbrief, in: M. Ebner / S. Schreiber (Hgg.), Einleitung in das Neue Testament (KStTh 6), Stuttgart, 528-535
Gilmour, M.J., 2002, The Significance of Parallels between 2 Peter and Other Early Christian Literature (AcBib 10), Leiden
Grünstäudl, W., 2013, Petrus Alexandrinus. Studien zum historischen und theologischen Ort des zweiten Petrusbriefes (WUNT II / 353), Tübingen
Kraus, T.J., 2001, Sprache, Stil und historischer Ort des zweiten Petrusbriefes (WUNT II / 136), Tübingen
Miller, R.J., 1996, Is there Independent Attestation for the Transfiguration in 2 Peter?, NTS 42, 620-625
Pilhofer, P., 2010, Das Neue Testament und seine Welt. Eine Einführung (UTB 3363), Tübingen
Roloff, J., 2003, Einführung in das Neue Testament (Reclam Universal-Bibliothek 9413), Stuttgart
Schmidt, K.M., 2003, Mahnung und Erinnerung im Maskenspiel. Epistolographie, Rhetorik und Narrativik der pseudepigraphen Petrusbriefe (HBS 38), Freiburg i. Br.
Schnelle, U., 82013, Einleitung in das Neue Testament (UTB 1830), Göttingen
2. Literaturempfehlungen
Bauckham, R.J., 1988, 2 Peter: An Account of Research, ANRW II.25.5, 3713-3752
Frey, J., 2015, Der Brief des Judas und der zweite Brief des Petrus (ThHK 15 / II), Leipzig
Müller, P., 2001, Der 2. Petrusbrief, ThR 66, 310-337
Paulsen, H., 1992, Der Zweite Petrusbrief und der Judasbrief (KEK XII / 2), Göttingen
Vögtle, A., 1994, Der Judasbrief / Der 2. Petrusbrief (EKK XXII), Solothurn / Neukirchen-Vluyn
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