VIII. Die Leidensgeschichte und der Tod Jesu
1. Letzte Leidensankündigung Jesu; Mordanschlag der Führer des Volkes
1Als nun Jesus alle diese Reden beendet hatte, sagte er zu seinen Jüngern: 2»Ihr wißt, daß übermorgen das Passah stattfindet; da wird der Menschensohn zur Kreuzigung überliefert.«
3Damals kamen die Hohenpriester und die Ältesten des Volkes im Palaste des Hohenpriesters namens Kaiphas zusammen 4und berieten sich in der Absicht, Jesus mit List festzunehmen und zu töten. 5Dabei sagten sie aber: »Nur nicht während des Festes, damit keine Unruhen unter dem Volk entstehen!«
2. Salbung Jesu in Bethanien
6Als Jesus sich aber in Bethanien im Hause Simons des (einstmals) Aussätzigen befand, 7trat eine Frau mit einem Alabastergefäß voll kostbaren Salböls an ihn heran und goß es ihm über das Haupt, während er bei Tische saß (bzw. lag). 8Als die Jünger das sahen, wurden sie unwillig und sagten: »Wozu diese Verschwendung? 9Dieses (Salböl) hätte man doch teuer verkaufen und den Erlös den Armen geben können.« 10Als Jesus es merkte, sagte er zu ihnen: »Warum macht ihr der Frau Vorwürfe? Sie hat ja doch ein gutes (oder: schönes) Werk an mir getan! 11Denn die Armen habt ihr allezeit bei euch, mich aber habt ihr nicht allezeit. 12Daß sie dieses Öl auf meinen Leib gegossen hat, das hat sie für mein Begräbnis getan. 13Wahrlich ich sage euch: Wo immer diese Heilsbotschaft in der ganzen Welt verkündet wird, da wird man auch von dem, was diese Frau getan hat, zum ehrenden Gedächtnis für sie erzählen.«
3. Verrat des Judas
14Hierauf ging einer von den Zwölfen namens Judas Iskariot zu den Hohenpriestern 15und sagte: »Was wollt ihr mir geben, daß ich ihn euch in die Hände liefere?« Da zahlten sie ihm dreißig Silberstücke aus (Sach 11,12). 16Von da an suchte er nach einer guten Gelegenheit, um ihn zu überliefern (= zu verraten).
4. Vorbereitung des Passahmahls
17Am ersten Tage der ungesäuerten Brote aber traten die Jünger zu Jesus und fragten ihn: »Wo sollen wir dir alles vorbereiten, damit du das Passahmahl halten kannst?« 18Er antwortete: »Geht in die Stadt zu dem und dem und sagt zu ihm: ›Der Meister läßt dir sagen: Meine Zeit ist nahe; bei dir will ich das Passahmahl mit meinen Jüngern halten.‹« 19Die Jünger taten, wie Jesus ihnen aufgetragen hatte, und richteten das Passahmahl zu.
5. Jesu letztes Mahl im Jüngerkreise; Enthüllung des Verrats des Judas; Einsetzung des heiligen Abendmahls
20Als es dann Abend geworden war, setzte er sich mit den zwölf Jüngern zu Tisch; 21und während des Essens sagte er: »Wahrlich ich sage euch: Einer von euch wird mich ausliefern (= verraten)!« 22Da wurden sie tief betrübt und fragten ihn, einer nach dem andern: »Ich bin es doch nicht etwa, Herr?« 23Er antwortete: »Der die Hand zusammen mit mir in die Schüssel getaucht hat, der wird mich ausliefern (= verraten). 24Der Menschensohn geht zwar dahin, wie über ihn in der Schrift steht; doch wehe dem Menschen, durch den der Menschensohn verraten wird! Für diesen Menschen wäre es besser (oder: das Beste), er wäre nicht geboren!« 25Da nahm Judas, der ihn verraten wollte, das Wort und fragte: »Ich bin es doch nicht etwa, Rabbi (= Meister)?« Er erwiderte ihm: »Doch, du bist es.«
26Während des Essens aber nahm Jesus das (oder: ein) Brot, sprach den Lobpreis (Gottes), brach das Brot und gab es den Jüngern mit den Worten: »Nehmt, esset! Dies ist mein Leib.« 27Dann nahm er einen (oder: den) Becher, sprach das Dankgebet und gab ihnen den mit den Worten: »Trinkt alle daraus! 28Denn dies ist mein Blut, das Blut des (neuen) Bundes (2. Mose 24,8; Sach 9,11), das für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. 29Ich sage euch aber: Ich werde von nun an von diesem Erzeugnis des Weinstocks nicht mehr trinken bis zu jenem Tage, an dem ich es mit euch neu trinken werde im Reiche meines Vaters.«
6. Jesus in Gethsemane
a) Gang nach Gethsemane; Vorhersagung des Ärgernisses der Jünger und der Verleugnung des Petrus; Treugelübde der Jünger
30Nachdem sie dann den Lobpreis (Ps 115–118) gesungen hatten, gingen sie (aus der Stadt) hinaus an den Ölberg. 31Dabei (= unterwegs) sagte Jesus zu ihnen: »Ihr werdet alle in dieser Nacht an mir Anstoß nehmen (oder: irre werden); denn es steht geschrieben (Sach 13,7): ›Ich werde den Hirten niederschlagen, dann werden die Schafe der Herde sich zerstreuen.‹ 32Nach meiner Auferweckung aber werde ich euch voraus nach Galiläa gehen.« 33Da antwortete ihm Petrus: »Mögen auch alle an dir Anstoß nehmen (oder: irre werden): ich werde niemals an dir Anstoß nehmen (oder: irre werden)!« 34Jesus erwiderte ihm: »Wahrlich ich sage dir: Noch in dieser Nacht, ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.« 35Petrus antwortete ihm: »Wenn ich auch mit dir sterben müßte, werde ich dich doch niemals verleugnen!« Das gleiche versicherten auch die anderen Jünger alle.
b) Jesu Seelenkampf und Gebet in Gethsemane; Schwäche der Jünger
36Hierauf kam Jesus mit ihnen an einen Ort namens Gethsemane (d. h. Ölkelter) und sagte zu den Jüngern: »Setzt euch hier nieder, während ich dorthin gehe und bete!« 37Dann nahm er Petrus und die beiden Söhne des Zebedäus mit sich und fing an zu trauern und zu zagen (vgl. Mk 14,33). 38Da sagte er zu ihnen: »Tiefbetrübt ist meine Seele bis zum Tode; bleibt hier und haltet euch wach mit mir!« 39Nachdem er dann ein wenig weitergegangen war, warf er sich auf sein Angesicht nieder und betete mit den Worten: »Mein Vater, wenn es möglich ist, so laß diesen Kelch an mir vorübergehen! Doch nicht wie ich will, sondern wie du willst!« 40Hierauf ging er zu den Jüngern zurück und fand sie schlafend und sagte zu Petrus: »So wenig seid ihr imstande gewesen, eine einzige Stunde mit mir zu wachen? 41Wachet, und betet, damit ihr nicht in Versuchung geratet! Der Geist ist willig, das Fleisch aber ist schwach.« 42Wiederum ging er zum zweitenmal weg und betete mit den Worten: »Mein Vater, wenn dieser Kelch nicht (an mir) vorübergehen kann, ohne daß ich ihn trinke, so geschehe dein Wille!« 43Als er dann zurückkam, fand er sie (wieder) schlafend, denn die Augen fielen ihnen vor Müdigkeit zu. 44Da verließ er sie, ging wieder weg und betete zum drittenmal, wieder mit denselben Worten. 45Hierauf kehrte er zu den Jüngern zurück und sagte zu ihnen: »Schlaft ein andermal und ruht euch aus! Doch jetzt ist die Stunde gekommen, daß der Menschensohn Sündern in die Hände geliefert wird! 46Steht auf, wir wollen gehen! Seht, mein Verräter ist nahe gekommen!«
c) Gefangennahme Jesu; Flucht der Jünger
47Während er noch redete, da kam plötzlich Judas, einer von den Zwölfen, und mit ihm eine große Schar mit Schwertern und Knütteln, von den Hohenpriestern und Ältesten des Volkes her (= gesandt). 48Sein Verräter hatte aber ein Zeichen mit ihnen verabredet, nämlich: »Der, den ich küssen werde, der ist’s; den nehmt fest!« 49Er trat also sogleich auf Jesus zu mit den Worten: »Sei gegrüßt, Rabbi (= Meister)!« und küßte ihn. 50Jesus aber sagte zu ihm: »Freund, (tu das) wozu du hergekommen bist!« Hierauf traten sie herzu, legten Hand an Jesus und nahmen ihn fest. 51Einer jedoch von den Begleitern Jesu streckte die Hand aus, zog sein Schwert, schlug damit nach dem Knechte des Hohenpriesters und hieb ihm das Ohr ab. 52Da sagte Jesus zu ihm: »Stecke dein Schwert wieder an seinen Ort (= in die Scheide)! Denn wer zum Schwerte greift, wird durchs Schwert umkommen! 53Oder meinst du, ich könnte meinen Vater nicht bitten, und er würde mir nicht sogleich mehr als zwölf Legionen (= Heerscharen; vgl. Mk 5,9) Engel zu Hilfe senden? 54Wie sollten dann aber die Aussprüche der Schrift erfüllt werden, daß es so geschehen muß?« 55In jener Stunde sagte Jesus zu den Haufen: »Wie gegen einen Räuber seid ihr mit Schwertern und Knütteln ausgezogen, um mich gefangen zu nehmen. Täglich habe ich im Tempel gesessen und gelehrt, und ihr habt mich nicht festgenommen. 56Dies alles ist aber geschehen, damit die Schriften der Propheten erfüllt werden!« Hierauf verließen ihn die Jünger alle und ergriffen die Flucht.
7. Jesu Verhör und Verurteilung vor dem Hohenpriester und dem Hohen Rat
57Die Männer aber, die Jesus festgenommen hatten, führten ihn zu dem Hohenpriester Kaiphas ab, wo die Schriftgelehrten und die Ältesten sich versammelten. 58Petrus aber folgte ihm von fern bis zum Palast des Hohenpriesters, ging hinein und setzte sich dort unter den Dienern hin, um den Ausgang der Sache abzuwarten.
59Die Hohenpriester aber und der gesamte Hohe Rat suchten nach einer falschen Zeugenaussage gegen Jesus, um ihn zum Tode verurteilen zu können; 60doch sie fanden keine, obgleich viele falsche Zeugen herzutraten. Zuletzt aber traten zwei auf 61und sagten aus: »Dieser Mensch hat behauptet: ›Ich kann den Tempel Gottes abbrechen und ihn in drei Tagen wieder aufbauen.‹« 62Da stand der Hohepriester auf und fragte ihn: »Entgegnest du nichts auf das, was diese Zeugen gegen dich aussagen?« Jesus aber schwieg. 63Da sagte der Hohepriester zu ihm: »Ich beschwöre dich bei dem lebendigen Gott: Sage uns, bist du Christus (= der Messias), der Sohn Gottes?« 64Da gab Jesus ihm zur Antwort: »Ja, ich bin es! Doch ich tue euch kund: Von jetzt an werdet ihr den Menschensohn sitzen sehen zur Rechten der Macht (= des Allmächtigen) und kommen auf den Wolken des Himmels.« (Dan 7,13; Ps 110,1) 65Da zerriß der Hohepriester seine Kleider und sagte: »Er hat Gott gelästert! Wozu brauchen wir noch Zeugen? Jetzt habt ihr selbst die Gotteslästerung gehört! Was urteilt ihr?« 66Sie gaben die Erklärung ab: »Er ist des Todes schuldig!« 67Hierauf spien sie ihm ins Gesicht und schlugen ihn mit den Fäusten; andere gaben ihm Backenstreiche 68und sagten: »Weissage uns, Christus (= Messias)! Wer ist es, der dich geschlagen hat?«
8. Verleugnung und Reue des Petrus
69Petrus aber saß (unterdessen) draußen im Hof. Da trat eine Magd auf ihn zu und sagte: »Du bist auch bei Jesus, dem Galiläer, gewesen!« 70Er aber leugnete vor allen und sagte: »Ich verstehe nicht, was du da sagst!« 71Als er dann in die Torhalle hinausgegangen war, bemerkte ihn eine andere Magd und sagte zu den Leuten dort: »Dieser ist auch mit Jesus, dem Nazoräer (vgl. 2,23), zusammen gewesen!« 72Da leugnete er wieder, (diesmal) mit einem Eid: »ich kenne den Menschen nicht!« 73Nach einer kleinen Weile aber traten die Leute, die dort standen, hinzu und sagten zu Petrus: »Wahrhaftig, du gehörst auch zu ihnen: schon deine Sprache (= Mundart) verrät dich!« 74Da fing er an, sich zu verfluchen und zu schwören: »Ich kenne den Menschen nicht!«, und sogleich darauf krähte der Hahn. 75Da dachte Petrus an das Wort Jesu, der ihm gesagt hatte (vgl. V. 34): »Noch ehe der Hahn kräht, wirst du mich dreimal verleugnen.« Und er ging hinaus und weinte bitterlich.