Deutsche Bibelgesellschaft

Die Revisionen 1912 und 1984

Schon wenige Jahre, nachdem die erste kirchenamtliche Revision 1892 erschienen ist, wurden Rufe nach einer weiterführenden Überarbeitung laut. Das Ergebnis: Die Revision 1912 und ein langer Weg über mehrere Teilrevisionen hin zur dritten kirchenamtlichen Revision 1984.

Die Revisionen der Lutherbibel 1912 und 1984

Mit der ersten kirchenamtlichen Revision 1892 wurde zwar nach langer Zeit wieder eine einheitliche Textfassung der Lutherbibel erstellt, aber vielen gingen die Anpassungen an die Sprache ihrer Zeit nicht weit genug.

1. Konservativ und langlebig – die Revision von 1912

Die Revisionsgeschichte des 20. Jahrhunderts steht ganz im Zeichen der Modernisierung des Textes – wenngleich die zweite kirchenamtliche Revision von 1912 diese Tendenz zunächst kaum erkennen lässt.

Bereits 1905, also nur 13 Jahre nach Abschluss der ersten Revision, klagt die Sächsische Haupt-Bibelgesellschaft darüber, dass die Eingriffe in den Text nicht ausreichend gewesen seien. Die Kritikpunkte sind indes dieselben wie schon nach der „Probebibel“ 1883: Die Lutherbibel enthalte zu viele Archaismen und die Orthografie entspreche nicht dem Standard. Besonders der zweite Punkt wurde als schwerwiegend anerkannt, da mit Einführung des Dudens im Deutschen Reich erstmals eine verbindliche Rechtschreibung galt, die in den Schulen gelehrt wurde. Dass ausgerechnet die Lutherbibel davon abwich, erschwerte ihren Stand in den Bildungsanstalten. Nach dem einheitlichen Beschluss der Bibelgesellschaften stimmte 1906 schließlich auch die Deutsche Evangelische Kirchenkonferenz einer erneuten Revision zu, beschloss aber ein schonendes und bewahrendes Vorgehen.[1] Eine Kommission von theologischen Sachverständigen wurde einberufen, die bis 1910 sämtliche biblischen Bücher überarbeitete. 1912 erfolgte die Annahme des Textes durch die Kirchenkonferenz mit dem Untertitel: „Neu durchgesehen nach dem vom Deutschen Ev. Kirchenausschuß genehmigten Text“. [...]

2. Wunsch und Not einer modernen Lutherbibel

Obwohl sich die Revision von 1912 als langlebig erwies, war das Ergebnis seinerzeit für alle, die sich eine sprachlich moderne Lutherbibel wünschten, unbefriedigend. Bemerkenswerterweise waren es wieder die Bibelgesellschaften, welche die Initiative ergriffen und nun – während sie im 19. Jahrhundert nicht eben durch großen Modernisierungswillen aufgefallen waren – das Ergebnis von 1912 als zu antiquiert rügten. Außerdem sorgte man sich, dass die Lutherbibel ihren Charakter als Volksbibel verlieren könnte. Schon nach neun Jahren einigten sich die Bibelgesellschaften deshalb bei einem gemeinsamen Treffen auf eine weitere Überarbeitung, die ausdrücklich „eine zeitgemäße Erneuerung der alten Lutherbibel“[3] zum Ziel hatte.

3. Die Grundsätze der Bearbeitung

Dass sich diese dritte kirchenamtliche Revision über 60 Jahre und etliche Teilrevisionen hinziehen würde, war zu diesem Zeitpunkt nicht im Mindesten absehbar, im Gegenteil: 1927 schließt sich auch die Evangelische Kirche dem Vorhaben an und beauftragt Bearbeiter, sodass von einem zügigen Fortgang der Revision auszugehen war. Gemeinsam formulierte man bis 1928 Grundsätze für das Revisionsvorhaben, die bis zum Abschluss der Revision 1984 Bestand haben sollten. Darunter fiel die Verpflichtung auf zuverlässige textkritische Ausgaben der Grundtexte, die Korrektur von Fehlern und ein „stärkere[r] Anschluss an den Text von 1545“.[4] Das ursprüngliche Bestreben einer modernen Sprachgestalt fand dagegen nur als drittletzter Punkt Eingang in die Liste und beschränkte sich einmal mehr auf die Beseitigung offensichtlich veralteter Formen. „Der Ersatz ist möglichst aus Luthers Bibelsprache zu nehmen.“[5] [...]

4. Vereinzelte Probedrucke nach Kriegsende

Über die Arbeiten während der Kriegsjahre lässt sich wenig mit Sicherheit sagen. Burghart und zwei Bearbeiter trieben die Arbeiten beharrlich, wenn auch in kleinem Rahmen voran. Zu Kriegsende lagen jedenfalls auch die alttestamentlichen Schriften in einer überarbeiteten Form vor. Das Licht der Öffentlichkeit erblickt diese bis auf die Apokryphen vollständig revidierte Bibel aber nie. Zwei Manuskripte werden hergestellt: eines für die Bibelgesellschaften und eines für die Kirchenleitung. Das der Kirchenleitung verschwindet in den Wirren der Nachkriegszeit. Das Exemplar der Bibelgesellschaften bleibt unversehrt und bildet die Grundlage für weitere Nacharbeiten. Es sollte aber noch bis 1949 dauern, bis tatsächlich ein neuer Probedruck des Neuen Testaments veröffentlicht wird. Für die anderen Bibelteile folgen solche Probedrucke erst 1955 (Altes Testament) und 1956 (Apokryphen).[7] Wie das Probetestament von 1949 aufgenommen wurde, ist ebenso unbekannt wie die Umstände seiner Verbreitung. Bekannt ist allerdings das Fazit des Rats der EKD. Der beschließt 1951, dass keines der bisherigen Probetestamente annehmbar sei und die Revision in neuer Form fortgesetzt werden müsse. Die anschließende Bildung einer neuen Kommission ist allein schon deshalb notwendig, weil alle Mitarbeiter der vorherigen bis auf Burghart zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben waren.[8]

5. Teilrevisionen 1956, 1964 und 1970

Der Rat der EKD beruft daraufhin eine neue Gruppe an Überarbeitern, um die Revision des Neuen Testaments zu Ende zu führen. Nach ersten Verzögerungen durch interne Konflikte schreiten die Arbeiten zügig voran und können bereits 1955 abgeschlossen werden. Für die Prüfung des Textes durch die Gliedkirchen wird die Frist von einem Jahr festgesetzt. Das Ergebnis findet schließlich 1956 die Zustimmung der Evangelischen Landeskirchen und kann damit als »Erstes Teilergebnis der dritten kirchenamtlichen Revision« betrachtet werden. Von weiten Teilen der Pfarrerschaft und der Kirchengemeinden wird es allerdings als zu konservativ empfunden. [...]

6. Das „Luther-NT“ von 1975

Mit Abschluss der Arbeiten am Neuen Testament 1975 erreichen die Modernisierungsbestrebungen ihren Höhepunkt – und lösen einen Sturm des Protests aus. Die Arbeiten waren unter derselben Agenda vorgenommen worden wie bei Altem Testament und Apokryphen und führten zu bislang nie da gewesenen, massiven Änderungen des Luthertextes: Altmodische Ausdrücke wurden beseitigt, die Satzstellung angepasst und fast durchgängig der Konjunktiv getilgt. Maßgeblich war dabei eine lebendige gehobene Umgangssprache der Gegenwart. Nachdem der Text zunächst von Kirchenkonferenz und Rat der EKD bestätigt wurde, veröffentlichte die Deutsche Bibelstiftung 1976 das neue Teilstück einzeln als „Luther-NT“ und machte es einer breiten Öffentlichkeit zugänglich. [...]

7. Der Abschluss der dritten kirchenamtlichen Revision 1984

Der fehlende Rückhalt sowohl in den Kirchenleitungen als auch unter den Gläubigen zwingt die EKD dazu, 1981 eine neuerliche Revision des Neuen Testaments zu beschließen, welche die „Treue gegenüber Luthers Sprache“ als gleichberechtigtes Kriterium neben die Verständlichkeit stellt. Es folgt eine intensive Nacharbeit, die 1984 abgeschlossen ist und als „Revision 1984" vom Rat der EKD angenommen wird: „Der Rat heißt den Text der Revision des Neuen Testaments der Lutherbibel gut. Er sieht in der Lutherbibel (Fassung der Revision des Alten Testaments von 1964 und der Revision des Neuen Testaments von 1984) den in der Evangelischen Kirche maßgeblichen Text in Gottesdienst, Unterricht und Seelsorge.“ [17] [...]

Der Beitrag wurde dem Artikel „Von der Reformationszeit bis 2017. Die Revisionsgeschichte der Lutherbibel“ von Sven Bigl entnommen, der in folgender Broschüre erschienen ist: „… und hätte der Liebe nicht“. Die Revision und Neugestaltung der Lutherbibel zum Jubiläumsjahr 2017: 500 Jahre Reformation, hrsg. v. Hannelore Jahr, Stuttgart 2016, S. 31–41.

Fußnoten
(1) Vgl. Klaus Dietrich Fricke: Die Fortsetzung der Revisionsarbeit von 1870 bis 1956. In: Die Geschichte der Lutherbibelrevision von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001, 149–187, S. 153.
(2) Erst im Sommer 2015 erschien in Kooperation zwischen dem Verlag der Lutherischen Buchhandlung und der Deutschen Bibelgesellschaft ein Nachdruck der Originalausgabe der »Jubiläumsbibel« in lateinischer Schrift.
(3) August Nebe, Johannes Herrmann, Gerhard Kittel: Einführung in die revidierten Teile der Lutherbibel von 1926. In: Die Geschichte der Lutherbibelrevision von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001, 343–350, S. 343.
(4) Georg Burghart: Die Revisionsgrundsätze von 1928. In: Die Geschichte der Lutherbibelrevision von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001, S. 352.

(5) Ebd.
(6) Vgl. Klaus Dietrich Fricke: Die Fortsetzung der Revisionsarbeit von 1870 bis 1956. In: Die Geschichte der Lutherbibelrevision von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001, 149–187, S. 167.
(7) Ebd., S. 171.
(8) Vgl. ebd., S. 172–173.
(9) Vgl. Fritz Tschirch: Die Sprache der Bibelübersetzung Luthers heute. In: Die Bibel in der Welt Bd. 6. Stuttgart 1963, S. 32–77.
(10) Fritz Tschirch: Die Frage einer Nachrevision des Neuen Testaments von 1956. In: Die Bibel in der Welt Bd. 12. Stuttgart 1969, S. 44–70.
(11) DIE ZEIT , Hamburg, 17. Dezember 1976.
(12) Eine ausführliche Sammlung der Reaktionen bietet der Band: Verrat an Luther? Bilanz einer Bibelrevision, hrsg. v. Siegfried Meurer. Die Bibel in der Welt Bd. 17. Stuttgart 1977.
(13) Oldenburger Sonntagsblatt, 27. Februar 1977. Als Beispiele nennt er die Änderung von „Bischöfen“ in „Verwalter“ (Philipper 1,1) und „Hirten“ (Apostelgeschichte 20,28) und die Tilgung des Begriffs „Fleisch“, etwa in Johannes 1,14.
(14) Das hatte den paradoxen Effekt, dass nicht jedes „Eimer-Testament“ den „Eimer“ in Matthäus 5,15 überhaupt noch enthielt. Die Nachdrucke ab 1977 setzen das Licht wieder unter den „Scheffel“.
(15) Der Titel lautete damals: Gute Nachricht für Sie. NT 68. Stuttgart 1968.
(16) Die Evangelische Landeskirche in Kurhessen-Waldeck etwa gibt ein eigenes Gutachten in Auftrag, das die Causa „Luther-NT“ auf 80 Seiten darlegt und dazu führt, dass die Landeskirche weiterhin das Neue Testament von 1956 für den Gebrauch empfiehlt.
(17) Zitiert nach: Ernst Lippold: Die Revision des Neuen Testaments der Lutherbibel 1981–1984. In: Die Geschichte der Lutherbibelrevision von 1850 bis 1984, Stuttgart 2001, 229–252, S. 230–231.

Deutsche Bibelgesellschaftv.4.25.2
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