5.3. Der 2. Petrusbrief (2Petr)
Übersicht über den 2. Petrusbrief
1,1f. | Präskript |
1,3-11 | Proömium |
1,12-21 | Der scheidende Apostel und die Notwendigkeit der Erinnerung |
2,1-22 | Auseinandersetzung mit den Irrlehrern |
3,1-13 | Die Gewissheit der Parusie |
3,14-18 | Schlussparänese; Schlussdoxologie |
Der Verfasser
Der 2Petr nennt im Präskript Simon Petrus als Absender (1,1). Vor allem aus dem Abschnitt 1,13-15 geht hervor, dass der Brief das Testament des Apostels sein will. Dieser Anspruch erweist sich spätestens in 3,4 als Fiktion. Der Verfasser zitiert „Spötter“, die an der verheißenen Parusie Christi zweifeln, und als Begründung für diesen Zweifel darauf verweisen, dass die Väter, d. h. die erste Generation der Christen, tot sei. Zu diesen entschlafenen Vätern gehört aber Petrus selbst!
Die Sprache des 2Petr belegt, dass sein Verfasser ein hellenistisch gebildeter Judenchrist war, der im Namen des Petrus ein Schreiben an die gesamte Christenheit richtete (1,1).
Der Anlass des Briefes
Anlass des Schreibens sind die schon erwähnten „Irrlehrer“ (2,1), denen „Petrus“ mit dem gesamten Arsenal gängiger Polemik zu begegnen sucht. Gerade diese im Grunde austauschbare Gegnerpolemik macht es für den heutigen Leser schwer, die Gegner genauer zu charakterisieren. Sicher scheint, dass sie für die traditionellen (juden)christlichen Parusievorstellungen nur Hohn und Spott übrig hatten (3,3f.; vgl. 2,12). Die ausbleibende Parusie hat sie sogar zu der Ansicht geführt, dass Gott die Erfüllung der Verheißung verzögere (3,9). Aus der Sicht des Briefschreibers verleugnen sie damit den Herrn (2,2). Er wirft ihnen vor, ihren Anhängern eine falsche Freiheit zu versprechen. Da er ausdrücklich davor warnt, Weissagungen der Schrift willkürlich auszulegen (1,20f.) und in 3,16 davon redet, dass die Unwissenden die eschatologischen Passagen der paulinischen Briefe verdrehen würden, haben sich die Irrlehrer wohl auf Paulus berufen. Manche Forscher meinen, in ihnen eine Frühform der Gnosis erkennen zu können. Dafür könnte sprechen, dass der Verfasser den Terminus „Erkenntnis“ (ἐπίγνωσις/epignōsis) mehrfach ausdrücklich für seine Theologie in Anspruch nimmt (vgl. 1,3; 2,20).
Abfassungszeit und -ort
Aufgrund des behandelten Problems und seiner Bewältigung sowie der literarischen Abhängigkeit des 2Petr vom Jud wird jener etwa auf 110 datiert. Der Brief selbst gibt keinen Hinweis auf den Entstehungsort. Da der Verfasser in 3,1 aber auf den 1Petr Bezug nimmt, ist wohl an Kleinasien zu denken.
Literarischer Charakter
Der 2Petr hat die ganze Fülle jüdisch-christlicher Enderwartung aufgenommen. Dabei benutzt er den Jud als literarische Vorlage, lässt aber auffälligerweise die Bezugnahmen auf die pseudepigraphe jüdische Tradition aus. Auch die Ankündigung, dass die Gegner die Einheit der Gemeinde zerstören werden (Jud 19), fehlt. 1,17f. zeigt, dass der Verfasser des 2Petr vermutlich das Mt gekannt hat.
Im 2Petr finden sich neben brieflichen Elementen solche der literarischen Gattung Testament. Da der briefliche Charakter dominiert, kann der 2Petr als Testament in Briefform bezeichnet werden.
Der Inhalt des Briefes
Bereits das Präskript des 2Petr (1,1f.) verrät durch seine Sprache („der gleiche kostbare Glaube wie wir“), dass der Verfasser in den Kategorien von Orthodoxie und Irrlehre denkt. In 1,1 ist die Bezeichnung Jesu Christi als Gott zu beachten.
Im Proömium (1,3-11) verbindet „Petrus“ den Rückblick auf die Berufung der Christen mit der Mahnung, sich um eine immer tiefere Erkenntnis Jesu Christi zu bemühen. Die „kostbaren und überaus großen Verheißungen“ wurden geschenkt, damit die Christen der Begierde entfliehen und „an der göttlichen Natur Anteil erhalten“ (Übernahme hellenistischer Terminologie).
Der Abschnitt 1,12-21 dient dazu, die Autorität des Apostels zu betonen. Als exklusiver Offenbarungsempfänger (Verklärung Jesu) kann er seine Lesart der Prophetenworte als vom Heiligen Geist inspirierte für verbindlich erklären. Deshalb sollen sich die Leser auch nach seinem Tod jederzeit an das erinnern, was er geschrieben hat (typische testamentarische Wendung).
So wie es falsche Propheten gab, wird es in der Gemeinde Irrlehrer geben (Futur ist Teil der Verfasserfiktion). „Petrus“ charakterisiert sie als Verleugner des Herrn, in Ausschweifungen Lebende und Habgierige. Gott aber wird sie am Tag des Gerichts bestrafen (Beispiele: sündige Engel, Sintflut, Sodom und Gomorra). Ab 2,10b wird die einleitende Kurzcharakteristik der Irrlehrer wieder aufgenommen und ausgeführt. Sie lästern die überirdischen Mächte und lassen sich erneut vom Schmutz der Welt einfangen (2,1-22).
Erst die Argumentation in 3,1-13 lässt erkennen, wo der eigentliche Dissens mit den bekämpften Irrlehrern liegt. „Petrus“ hält den Leugnern der Parusie des Herrn 4 Hauptargumente entgegen: Es gab bereits ein Gericht durch Wasser (diese Welt wird durch Feuer vergehen); Gott hat ein anderes Zeitmaß (Tausend Jahre wie ein Tag); die angebliche Verzögerung der Parusie ist in Wirklichkeit Langmut Gottes; der Tag des Herrn kommt wie ein Dieb in der Nacht (es gibt also keine Vorzeichen). Aus diesen Argumenten wird ersichtlich, wie sich der Verfasser bemüht, die apokalyptische Weltsicht mit der Erfahrung der sich dehnenden Zeit bis zur Parusie Jesu Christi zu verbinden.
In der Schlussparänese (3,14-18) wendet sich „Petrus“ wiederum (vgl. 1,20f.) gegen eine „Verdrehung“ der Schrift, hier speziell der Paulusbriefe. Nach einer erneuten Mahnung, in der Gnade und Erkenntnis Jesu Christi zu wachsen, schließt er sein Schreiben mit einer Doxologie ab.
Digitale Bibelkunde
Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Bull, Klaus-Michael: Bibelkunde des Neuen Testaments. Die kanonischen Schriften und die Apostolischen Väter. Überblicke – Themakapitel – Glossar, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 8. Aufl. 2018. Zur Vorbereitung auf die Bibelkunde-Prüfung: Die Lernkartensets zur Bibelkunde für RepeticoDie ideale Ergänzung