Übersetzen der Bibel als theologisches Problem
Frühe Anfänge
Das Christentum ist ohne Übersetzungen nicht vorstellbar. Es entstand in einem Umfeld, in dem das Hebräische als gehobene Sprache der Synagoge und des Tempels, das Aramäische als Umgangssprache, das Griechische als internationale Gelehrtensprache und das Lateinische als Verwaltungssprache der Römer verwendet wurden. Die heiligen Schriften Israels waren im 1. Jh. auf Hebräisch, Griechisch und zumindest teilweise auf Aramäisch zugänglich. Dabei reichen die Übersetzungen der hebräischen Schriften bis in das dritte vorchristlichen Jahrhundert zurück, als in Alexandria die ersten Bücher ins Griechische übertragen wurden; so entstand die sogenannte Septuaginta. Vorchristlich belegt sind auch aramäische Targume der Propheten und des Buches Hiob.
Einfluss der Übersetzung
Schon in der Antike war deutlich, dass sich bei einer Übersetzung zwangsläufig Änderungen ergeben; eigens thematisiert wurde das im Vorwort zur griechischen Übersetzung des Buches Jesus Sirach. Vorlage und Übersetzung können nicht die identische Aussage oder Wirkung auf die Leser haben. Dennoch entwickelte sich wenig später die Tradition, dass die Septuaginta als von Gott inspirierte Übersetzung zu sehen ist und daher gleichberechtigt neben dem hebräischen Text steht; so belegt bei Philo von Alexandrien. Auch im Neuen Testament wird in den meisten Fällen nach dem Text der Septuaginta zitiert, nicht nach dem der hebräischen Schriften.
An verschiedenen Stellen kommt so ein anderes Verständnis des Textes zum Tragen. Besonders bekannt ist das Zitat von Jes 7,14 in Mt 1,23: „Siehe, eine Jungfrau wird schwanger werden“. Hier steht im hebräischen Text des Jesaja-Buches das Wort עַלְמָה (῾almāh), das eine „junge Frau“, nicht eine biologische Jungfrau meint. In der LXX wurde es mit παρθένος (parthenos), übersetzt, das eindeutiger eine Jungfrau benennt. Dies ist keine Fehlübersetzung, sondern offenbar ein bewusst gesetzter Akzent um zu verdeutlichen, dass der Messias von übernatürlicher Herkunft ist. Dieses modifizierte Textverständnis der Übersetzung wird im NT vorausgesetzt; dafür gibt es eine Fülle weiterer Belege.
Vulgata
Als das Lateinische ab dem 2. Jh. zur Sprache der westlichen Kirche wurde, gab es zunächst keine Übersetzungen aus dem Hebräischen, sondern die Vetus Latina als Tochterübersetzung aus dem Griechischen. Im 4. Jh. erarbeitete dann der Kirchenvater Hieronymus die Vulgata (= allgemeine Übersetzung). Dazu griff er im Bereich des Alten Testaments auf hebräische Handschriften zurück und schuf so einen Bibeltext, der an vielen Stellen von den bisherigen Übersetzungen abwich.
Auch in der Vulgata wurde an verschiedenen Stellen die urspüngliche Aussage des Bibeltextes abgeändert, dies auch deshalb, weil nun ein Christ die hebräische Bibel des Judentums übersetzte. So fließt an der berühmten Stelle in Hi 19,25f. die Auferstehungshoffnung ein, wenn der Text nun ins Futur übersetzt wird: „ich werde von neuem von der Erde auferstehen und mit meiner Haut umgeben werden“. Diese Leserichtung hat Luther dann noch verstärkt, als er den Vorsatz mit Bezug auf Christus übersetzte: „ich weiß, dass mein Erlöser lebt“.
Die Vulgata blieb bis ins 15. Jh. die wichtigste Bibel der römisch-katholischen Kirche. Zwar gab es seit dem 8. Jh. erste Übersetzungen ins Deutsche, doch vollständige deutschsprachige Bibeln gab es erst im 14. Jh., und auch sie waren nur Tochterübersetzungen nach der Vulgata. Erst mit der Bibelübersetzung Martin Luthers setzte sich der Ruf der Humanisten „ad fontes!“ (zu den Quellen!) durch: Die Bibel sollte aus den eigentlichen Quellen ins Deutsche übersetzt werden, das Alte Testament aus dem Hebräischen und das Neue aus dem Griechischen.
Luther-Bibel
Die Luther-Bibel, die 1534 erstmals vollständig vorlag, will keine philologisch exakte Übersetzung sein, sondern nimmt sich bewusst Freiheiten, um das Verständnis zu erleichtern. So fügt sie etwa Explikationen zu oder ergänzt die Namen der handelnden Personen in unübersichtlichen Erzählzusammenhängen. Dazu gehören auch wichtige theologische Akzentsetzungen. So kann der Gegensatz von „Frommen“ und „Gottlosen“ für eine ganze Reihe hebräischer oder griechischer Worte verwendet werden, statt von „Rettung“ ist vom „Heil“ die Rede, und selbst die Richter des AT werden als „Heiland“ bezeichnet, da sie nach Luthers Verständnis Gottes Heilstat in Christus präfigurieren.
Überzeugungen nehmen Einfluss
Diese wenigen Beispiele verdeutlichen, dass theologische Grundüberzeugungen die Übersetzungsarbeit beeinflussen können. Von daher ist verständlich, dass jüdische und christliche Bibelübersetzer zu unterschiedlichen Wiedergaben desselben Textes kommen. Schon die Wiedergabe des Gottesnamens JHWH stellt ein Problem dar: Wird er mit einem Teil der jüdischen Tradition durch „Herr“ wiedergegeben? Wird dieses als „HERR“ durch einen besonderen Druck gekennzeichnet? Oder wird eine Umschreibung gewählt, etwa „der Ewige“? Schließlich lässt sich auch ein feminines Nomen wie „die Heilige“ wählen, um auf die Problematik einer gendersensiblen Sprache zu reagieren. Eine ähnliche Frage entsteht bei der Wiedergabe von חּוֹרָה, tôrāh, für das die Übersetzung „Weisung“ angemessen wäre. Oft wird es aber mit „Gesetz“ wiedergegeben, damit der Zusammenhang zur Theologie des Paulus (vgl. Röm 3,20) deutlich wird.
Anpassung der Sprache
Schließlich ist zu berücksichtigen, dass sich die Sprache verändern kann. So ist die letzte eigenhändige Version von Luthers Bibelübersetzung aus dem Jahr 1545 heute an vielen Stellen nicht mehr verständlich. Bei Worten wie „Dirne“ (= Mädchen) oder „lustig“ (= begehrenswert) gab es einen Bedeutungswandel, andere wie „Eidam“ (=Schwager) oder „glosen“ (= auslegen) sind gänzlich unverständlich geworden. Daher wurde die Luther-Bibel ab dem 19. Jh. verschiedenen Revisionen unterzogen. Man versuchte dabei nicht nur, die Sprache behutsam zu modernisieren, sondern auch neue wissenschaftliche Erkenntnisse in die Übersetzung einfließen zu lassen. Gegenwärtig in Benutzung ist die Ausgabe von 1984/1999; eine neue Revision der Luther-Bibel ist 2016 zum 500. Reformationsjubiläum erscheinen.
Charateristika deutschsprachiger Übersetzungen
Neben der Luther-Bibel gibt es eine Fülle weiterer deutschsprachiger Bibelübersetzungen. Schon 1524 wurde auch in Zürich ein neu übersetztes NT für die Reformation in der Schweiz veröffentlicht, 1531 folgte die Ausgabe der vollständigen Bibel. Auch die Zürcher Bibel wird in regelmäßigen Abständen den Erfordernissen der jeweiligen Gegenwartssprache und neueren wissenschaftlichen Einsichten angepasst. Sie ist eine sehr textgetreue Übersetzung mit einem hohen Sprachniveau. Als Studienbibel ist die Ausgabe von 2007 geeignet, besonders in der dreibändigen Ausgabe, in welcher der Bibeltext fortlaufend von einem Kommentar begleitet wird. Die Übersetzung der Apokryphen fehlt noch. Ebenfalls sehr nahe am Ausgangstext bleibt die Übersetzung der Elberfelder Bibel, die allerdings nicht das sprachliche Niveau der anderen genannten Bibeln erreicht. Ein Manko ist auch, dass die Apokryphen des AT fehlen. Ihre Wurzeln reichen zurück in die Mitte des 19. Jh., die aktuelle Ausgabe stammt aus dem Jahr 2006.
Die Einheitsübersetzung von 1979/80 ist zwar gemeinsam von katholischen und protestantischen Wissenschaftlern übersetzt worden, hat sich jedoch nur im katholischen Bereich durchsetzen können. Ihr Problem ist die uneinheitliche Übersetzungsweise, die zwischen den einzelnen biblischen Büchern mitunter stark variiert. Eine revidierte Ausgabe, die nur noch von katholischen Wissenschaftlern übersetzt wurde, ist 2016 erschienen. Sie ist stärker als bisher am hebräischen und griechischen Ausgangstext orientiert.
Einen besonderen Leseeindruck vermittelt die „Verdeutschung“ der Schrift von M. Buber und F. Rosenzweig (revidiert 1956f.). Sie will den hebräischen Sprachklang erlebbar machen. So wird etwa das berühmte tohu wabohu aus Gen 1,2 – einer der seltenen Reime der hebräischen Bibel – mit dem deutschen Reim „Irrsal und Wirrsal“ übersetzt. Der Gottesname wird je nach Redesituation durch ein Personalpronomen „Ich/Du/Er“ wiedergegeben, um den Anredecharakter der Schrift auszudrücken.
Aufsehen hat die 2006 publizierte Bibel in gerechter Sprache erregt. Hier bemühten sich die Übersetzer/innen darum, Gerechtigkeit hinsichtlich frauenspezifischer und sozialer Fragen walten zu lassen und Erkenntnisse des christlich-jüdischen Dialogs zu berücksichtigen. Das führte z. B. dazu, dass der Gottesname JHWH nicht mit „Herr“ übersetzt wurde, sondern wechselnd etwa mit „Adonaj“, „die Eine“, „der Name“ u. a. Auch hier gilt, dass die Übersetzungen der einzelnen Bücher von recht unterschiedlicher Qualität sind.
Eine neuere Entwicklung seit den 1960er Jahren sind sogenannte „kommunikative Übersetzungen“, denen es um größtmögliche Verständlichkeit in der aktuellen deutschen Zielsprache geht. Hier werden schwierige oder fremd gewordene Sachverhalte expliziert, unbekannte Begriffe umschrieben und ganze Sätze umformuliert. Bekanntestes Beispiel im Deutschen ist die Gute Nachricht. In der aktuellen Ausgabe von 1997 lautet z. B. der zweite Vers des Priestersegens in Num 6,25: „Der Herr blicke euch freundlich an und schenke euch seine Liebe!“ Zum Vergleich die Luther-Übersetzung von 1984: „der HERR lasse sein Angesicht leuchten über dir und sei dir gnädig“. Im Studium lassen sich kommunikative Übersetzungen meist nicht sinnvoll nutzen.
Im Erscheinen begriffen sind zwei weitere Übersetzungen: Die Neue Genfer Übersetzung versucht, einen Mittelweg zwischen wörtlicher und kommunikativer Übersetzung zu gehen und verwendet ein leicht verständliches, einfaches Deutsch. Bisher sind nur das NT und die Psalmen erschienen. Andere Wege geht die BasisBibel. Sie ist eng am Ausgangstext orientiert, formuliert aber in sehr knappen, elementaren Sätzen, um so zu großer Verständlichkeit zu kommen. In den elektronischen Versionen ist eine Fülle von Zusatzinformationen zur Erklärung des Textes zugänglich.
Welches ist nun die beste Bibelübersetzung? Die einfachste Antwort ist: Die, die man als zweite zur Hand nimmt! Keine Übersetzung ist in der Lage, alle Facetten des Originals abzubilden. Daher ist es empfehlenswert, wichtige Texte in verschiedenen Übersetzungen zu lesen und miteinander zu vergleichen. So erhält man einen Eindruck von der Sinnfülle des Ausgangstextes.
Literatur
W. Groß (Hg.), Bibelübersetzung heute, 2001.
G. Tauberschmidt, Streit um die richtige Bibelübersetzung, 2007.
B. Salzmann, R. Schäfer, Art. Bibelübersetzungen, christliche deutsche
E. Werner (Hg.), Bibelübersetzung als Wissenschaft, 2012.
Digitale Bibelkunde
Zur Übersicht der Themenkapitel Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften. Mit Lernübersichten von Dirk Schwiderski, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11., veränd. Aufl. 2021. Zur Vorbereitung auf die Bibelkunde-Prüfung: Die Lernkartensets zur Bibelkunde für RepeticoDie ideale Ergänzung