Deutsche Bibelgesellschaft

Tau (AT)

(erstellt: Mai 2024)

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1. Terminologie

Der hebräische Terminus für Tau ist טַל ṭal. Im Neuen Testament wird Tau nicht erwähnt.

2. Lebenswelt

Tau kommt in Palästina nur bei Westwind vor, der ihn bei Nacht nach Sonnenuntergang vor allem im Frühjahr und Frühherbst in reichlicher Menge herbeiführt (Num 11,9) und am Morgen das Land befeuchtet und belebt (Ex 16,13f.; Sir 18,16; Sir 43,22). Die wärmer werdende Luft schlägt sich dann an den in der Nacht kalt gewordenen Oberflächen nieder und kondensiert. Beim Aufbrechen der Sonnenstrahlen allerdings verdunstet der Tau schnell (Hos 6,4; Ex 16,13f.). An heißen Sommertagen kann Taugewölk als eine dunkle Wand am Horizont entstehen (Jes 18,4). Dabei handelt es sich um Dunstwolken, die sich beim Aufsteigen der feuchten Meeresluft bilden.

Von Mai bis Oktober, in der Zeit also, in der in Palästina kein Regen fällt, geschieht durch Tau die einzige Feuchtigkeitszufuhr (vgl. die statistischen Angaben aus Palästina bei Dalman 1928). Durch seine Ergiebigkeit ermöglicht er das Wachsen der Pflanzen (Hi 29,19; Hos 14,6), insbesondere der Sommerfrüchte wie Gemüse und Melonen. Tau ermöglicht sogar eine spärliche Steppen- und Wüstenvegetation. Darum hat ausbleibender Tau – eine Folge von warmen Ost- und Südwinden (1Kön 17,1; Hag 1,10f.) – unmittelbare Folgen für die Landwirtschaft (→ Ackerbau): Für die Bauern war es eine Zeit des Unglücks (Gen 27,39; 2Sam 1,21; 1Kön 17,1; Hag 1,10).

Die durchnässende Kraft von Tau setzt Hhld 5,2 voraus, wenn der Geliebte um Einlass bittet und darauf hinweist, dass seine Haare durch den Tau völlig nass geworden sind (vgl. Dan 4,12.20.22.30; Dan 5,21). Auch Ri 6,33-40 verdeutlicht die Nässe, die von Tautropfen hervorgerufen wird: Gideon legt nachts Wolle auf die → Tenne und kann dann am nächsten Morgen eine Schale von Wasser aus der nass gewordenen Wolle ausdrücken.

3. Tau als Gabe Gottes

Als Teil der Schöpfung wird auch der → Fruchtbarkeit bringende Tau („der keinen Vater hat“) auf JHWH zurückgeführt (Hi 38,28). Er ist Zeichen seines Segens (Gen 27,28; Dtn 33,13.28). Auf Gottes Schöpfer- und Erhalterkraft führt Spr 3,20 das Triefen der Wolken von Tau zurück (vgl. Sir 43,22). Wie andere Erscheinungen in der Schöpfungswelt wird auch der Tau zum Lob Gottes aufgefordert (Dan 3,68 = ZusDan 3,41).

4. Metaphorik

Hiob beschreibt sein Leben in Segen und Glück mit dem Bild eines am Wasser gepflanzten Baumes, dessen Zweige in der Nacht vom Tau durchfeuchtet wurden (Hi 29,19). Mit Tau, der plötzlich und unaufhaltsam aufkommt, wird ein kriegerischer Überfall verglichen (2Sam 17,12). In Hos 6,4 dagegen ist es die Flüchtigkeit und Unbeständigkeit des Taus, die mit der unzureichenden Liebe Israels verglichen wird, die keinen Bestand hat (vgl. Riede 2023). Dem entspricht das Ergehen Israels, das dem Tau gleicht, der morgens vergeht (Hos 13,3). Wegen seiner lebensschaffenden Qualität vergleicht Spr 19,12 den Tau mit der Gnade des Königs. Wenn der Himmel seinen Tau gibt und damit dem Land die Fruchtbarkeit ermöglicht, so ist das Zeichen für eine Heilszeit (Sach 8,12). Jes 26,19 bezieht das verdichtete Heilsbild vom „Tau von Licht“ auf die Bewohner des Staubes, denen von Gott neues Leben geschenkt wird, und spielt damit auf den Vorgang an, dass sich am Morgen der wiederbelebende Tau auf den Feldern findet. Wenn der Rest Jakobs inmitten der Völkermenge „wie der Tau von JHWH“ wirkt (Mi 5,6), dann weist dieser Vergleich darauf hin, dass Israel in wunderbarer und überraschender Weise zum Segensmittler für die Völker wurde (vgl. Jeremias 1992, 226f.). Vom Tau des → Hermon, der auf die Berge Zions herabsteigt, ist in Ps 133,3 die Rede. Damit wird auf die große Feuchtigkeit, die im Umfeld des Hermon angetroffen werden kann, angespielt. Sie soll sich nun über Zion ergießen und dort ihre erneuernde und vitalisierende Kraft entfalten. Mit der belebenden Kraft des Taus vergleicht Sir 18,16 gute Worte, die eine größere Wirkung haben als Geschenke. Ein ähnlicher Vergleich findet sich Dtn 32,2 bezogen auf die Lehre des → Mose. Die auf den von Gott eingesetzten König aus Zion bezogene Rede vom „Tau deiner Jugend“ in Ps 110,3 bezieht sich auf dessen Lebenskraft und Wirksamkeit (vgl. Hossfeld / Zenger 2008, 209). Schließlich wird Gott selbst mit dem lebensschaffenden Tau verglichen (Hos 14,6).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928-2018
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • Calwer Bibellexikon, 2. Aufl., Stuttgart 2006

2. Weitere Literatur

  • Ashbel, D., 1930, Die Niederschlagsverhältnisse im südlichen Libanon, in Palästina und im nördlichen Sinai, Berlin
  • Dalman, G., 1928, Arbeit und Sitte in Palästina 1, Gütersloh
  • Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., 2008, Psalmen 101-150 (HThKAT), Freiburg
  • Jeremias, J., 1992, Tau und Löwe (Mi 5,6f), in: F. Crüsemann / Chr. Hardmeier / R. Kessler (Hgg.), Was ist der Mensch …? Beiträge zur Anthropologie des Alten Testaments (FS H.W. Wolff), München 1992, 221-227
  • Kilian, R., 1990, Der „Tau“ in Ps 110,3 – ein Mißverständnis?, ZAW 102, 417-419
  • Riede, P., 2023, Solarisierung im Amosbuch? Eine neuere Deutung der fünften Amosvision (Am 9,1-4) und das Problem des religionsgeschichtlichen Vergleichs (FzB 142), Würzburg

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