Deutsche Bibelgesellschaft

Matthäus 2,1-12 | Epiphanias | 06.01.2025

Einführung in das Matthäusevangelium

Das MtEv gehört seit seiner Entstehung zu den wichtigsten Büchern des Neuen Testaments und hat die Geschichte der weltweiten Christenheit geprägt wie kein anderes Buch. Entsprechend anhaltend ist das Interesse daran auch in der wissenschaftlichen Forschung. Allerdings hat die Durchsetzung der Mk-Prioriät im 19. Jh. das MtEv als ältestes und apostolisches Evangelium in der historisch-kritischen Forschung zurückgestuft zu einer Parteischrift judenchristlicher Gemeinden, die gegenüber anderen frühchristlichen Milieus das Festhalten an einem wörtlichen Verständnis der Tora des Mose vertraten. Damit verbunden ist die Frage, ob sich die sog. „Gemeinde des Matthäus“ noch als Teil der jüdischen Glaubens- und Volksgemeinschaft verstand (bzw. von dieser noch als Teil derselben akzeptiert wurde) oder ob das Evangelium von einer eigenständigen Entwicklung der sich auf Jesus als Messias beziehenden Gemeinschaften ausgeht, wissend, dass dies mit einem Abweichen vom Weg der Mehrheit in Israel einhergeht. In diesem Fall wird das Evangelium als Versuch einer eigenen Orts- und Zeitbestimmung in Gottes Geschichte mit seinem Volk und den Völkern der Welt verstanden. Eine zentrale Rolle in der Entscheidung dieser Frage hat das jeweils vorausgesetzte Verhältnis des Evangelisten zur Tora. Gegen das in der gegenwärtigen Forschung vielfach vertretene Verständnis eines von Mt intendierten wörtlichen Praktizierens aller Toragebote spricht, dass die kirchliche Praxis sein Evangelium nie in dieser Weise verstanden oder praktiziert hat. Die Interpretation pro Tora würde also bedeuten, dass Mt in der Kirche von Anfang an gegen seine eigene Intention gelesen und gepredigt wurde. Die Folge ist eine weitere Aushöhlung des protestantischen sola scriptura.

1. Verfasser

Das MtEv ist, wie alle neutestamentlichen Evangelien, anonym verfasst. Die Zuschreibung an Matthäus ist handschriftlich seit dem Ende des 2./Beginn des 3. Jh.s bezeugt; die älteste patristische Bezeugung stammt aus dem weitgehend verlorenen Werk des kleinasiatischen Bischofs Papias von Hierapolis. Nach ihm „hat Matthäus die Logien (Jesu) also in hebräischer Sprache zusammengestellt; es übersetzte sie aber jeder, so gut er konnte“ (Eusebius, h.e. III 39,16; Irenäus spricht von seinem „Evangelium in schriftlicher Form“, s. Adv. haer. III 1,1). Die Zuschreibung eines Evangeliums an den Apostel Matthäus bezieht sich in den ältesten Quellen jedoch nur auf das behauptete hebräische/aramäische Original. Für die vorhandene griechische Fassung wurde schon von Hieronymus festgehalten, dass der Übersetzer unbekannt ist (Vir.ill. III 1). Ohne auf die Übersetzungsfrage einzugehen, wurde das MtEv bis lange ins 19. Jh. hinein und mit nicht wenigen Vertretern bis heute als Werk des Apostels u. ehemaligen ‘Zöllners’ Matthäus angesehen. In der deutschsprachigen Forschung wird dagegen mehrheitlich ein unbekannter judenchristlicher Verfasser angenommen, der zwischen 80 und 100 das Evangelium auf der Grundlage älterer Quellen (Mk, Q, Sondergut) geschrieben hat. Die internationale u. nichtprotestantische Forschung ist in dieser Frage allerdings deutlich pluraler als die deutschsprachige Einleitungswissenschaft und Kommentarliteratur. Eine wichtige Rolle spielt in beiden exegetischen Traditionen die singuläre Referenz in der Jüngerliste Mt 10,3 (Matthäus der Zöllner), die erkennbar und absichtsvoll auf die Berufung des Zöllners Matthäus 9,9–13 (der in den Parallelen Mk 2,13–27; Lk 5,27–32 Levi heißt, woraus in der Tradition Matthäus-Levi wurde) zurückverweist. Dies wird weithin als Referenz auf den intendierten (oder eben tatsächlichen) Verfasser verstanden. Die Apostolizität – verstanden in einer Weise, dass wesentliche Teile des Inhalts auf Überlieferungen aus dem Zwölferkreis, repräsentiert durch Matthäus, zurückgehen – kann so in Einklang mit der frühchristlichen Tradition trotz des relativ späten Entstehungsdatums des kanonischen (= griechischen) MtEv vertreten werden.

2. Adressaten

Das Evangelium selbst enthält keine direkten Hinweise auf Adressaten, Abfassungszeit oder -ort. Alle diesbezüglichen Aussagen sind aus dem vorliegenden Text abgeleitet und angesichts deren Spärlichkeit entsprechend hypothetisch. Die patristischen Autoren berichten, dass Matthäus das Evangelium für die „Hebräer“ (d.h. die jüdischen Jesusgläubigen in Israel) schrieb, bevor er „zu den anderen Völkern“ gehen wollte (Eusebius, h.e. III 24 6). Die Annahme, dass das Evangelium ursprünglich an überwiegend judenchristliche Gemeinden gerichtet war und in deren Kontext entstanden ist, wird auch heute mehrheitlich vertreten. Nur wenige machten und machen sich für einen heidenchristlichen Ursprungskontext stark. Allerdings gibt es auch hier eine starke, insbesondere englischsprachige Forschungstradition, die solche Partikularadressierungen ablehnt und stattdessen von einer von Anfang an universalen Adressatenschaft ausgeht („The Gospel For All Christians“). In der deutschsprachigen Evangelienforschung dominiert dagegen ein Partikular- und Konfliktmodell, nach dem die einzelnen Evangelien an bestimmte Gemeindegruppen adressiert sind und sich dabei gleichzeitig von den Empfängergruppen der anderen Evangelien mehr oder weniger polemisch absondern. Der Zuweisung des MtEv an ein judenchristliches Milieu impliziert darum oft die Abgrenzung gegenüber anderen frühchristlichen Milieus (repräsentiert u.a. durch Paulus oder das MkEv, das Mt angeblich verdrängen oder ersetzen wollte). Damit wird das MtEv in erster Linie zu einem Zeugnis für die angenommene Konfliktgeschichte innerhalb des frühen Christentums zwischen 70 und 100, und die in ihm vermittelten Jesustraditionen gelten als so ausgewählt bzw. reformuliert, dass sie der Selbstvergewisserung dieser besonderen Gruppe dienten (die manche mit den Apg 15,5 genannten christlichen Pharisäern verbinden). Alternativ kann man im MtEv, basierend u.a. auf seiner breiten Rezeptionsgeschichte seit dem 2. Jh. in den geographisch sehr verschiedenen Milieus des frühen Christentums und im Hören auf die patristischen Traditionen, ein in seinen Anfängen apostolisches Zeugnis sehen, dessen griechische Endgestalt das Mk- und möglicherweise auch das LkEv bereits voraussetzt. In diesem Fall stellt es die abschließende synoptische Stimme im neutestamentlichen Kanon dar, in der die Verkündigung von Jesus im Kontext einer „kerygmatischen Biographie“ (so Martin Hengel) einschließlich ihrer fortlaufenden Formatierung bis ungefähr zum Jahr 85–90 enthalten ist.

3. Entstehungsort

Aufgrund der judenchristlichen Charakteristika wird häufig eine Entstehung in Antiochien vermutet, was dadurch gestützt wird, dass Bischof Ignatius von Antiochien das MtEv schon im 1. Drittel des 2. Jh.s zu kennen scheint. Aber auch andere Orte in Israel bzw. Syrien werden diskutiert. Mt 4,24f. beschreibt den unmittelbaren geographischen Radius von Jesu Wirksamkeit (und damit einen möglichen ersten Adressatenkreis), aber das Evangelium selbst lässt keinen Zweifel an seiner universalen Perspektive (24,9.14; 26,13; 28,18–20), die sich zudem in der wiederholten Erwähnung von nichtjüdischen Personen als Empfängern der guten Botschaft konkretisiert (Mt 1,5; 2,1; 8,5–13.28–34; 15,21–28; 27,54).

4. Wichtige Themen

Wichtige Themen der exegetischen Interpretation sind die Christologie (Jesus als Sohn Davids neben der Menschensohn-Christologie), Soteriologie (Vergebung der Sünden als Zielvorgabe von Jesu Wirken [1,21] und als Vollendung [26,28: nur Mt verbindet die Worte vom Bundesschluß im Abendmahl mit der Vergebung der Sünden εἰς ἄφεσιν ἁμαρτιῶν]; Gericht und Eingang ins Leben als wichtige Orientierungspunkte) und Ethik (6,1; 7,24; 25,40.45: die Betonung des Tuns/ποιέω) aus der besonderen Perspektive hinsichtlich des Verhältnisses zu den Traditionen Israels, dem jüdischen Volk in Vergangenheit und Gegenwart sowie der Tora. Das MtEv enthält einige der bekanntesten neutestamentlichen Texte, darunter die weltweit in allen Kirchen benützte Fassung des Vaterunsers und die Bergpredigt, aber auch problematische Texte wie die große Scheltrede gegen die Pharisäer und Schriftgelehrten (Mt 23), die antijüdische Voreingenommenheiten (z.B. Klischees über die Pharisäer) bis heute befeuern. Diese Gefahr bestand immer dann, wenn die Entstehungssituation des Evangeliums nicht reflektiert und die polemische Rhetorik einer Gemeinde in einer bedrängten Minderheitensituation, die gleichwohl selbstbewusst für ihre Botschaft eintrat, von einer sich über das jüdische Volk erhebenden christlichen Kirche bruchlos übernommen wurde. Das wirkte sich so unheilvoll aus, weil kein Evangelium im Lauf der Kirchengeschichte mehr gepredigt wurde als Matthäus. Dabei ist es vor allem der mt Redestoff, der für katechetische und homiletische Zwecke herangezogen wurde und wird, während im Erzählstoff die farbigeren Darstellungen bei Mk und Lk bekannter sind.

5. Besonderheiten

Das MtEv enthält eine Vielzahl klar abgrenzbarer Einheiten, die in sich deutlich strukturiert sind, insbesondere durch Dreiergruppen (vgl. 1,17, wo diese Struktur sogar benannt wird) oder „chiastische Ringkompositionen“ (U. Luz). Dagegen fehlt eine erkennbare Gesamtstruktur, indem der Aufbau insgesamt eher schlicht ist: Als Auftakt die Genealogie als Brücke in Israels Geschichte und die Kindheitsgeschichte als Erfüllungsgeschehen (vier der insgesamt 12 bzw. 13 Erfüllungszitate sind in Kapitel 1–2, beginnend mit 1,22: τοῦτο δὲ ὅλον γέγονεν ἵνα πληρωθῇ τὸ ῥηθὲν „Dieses alles aber ist geschehen, damit erfüllt werden würde, was gesagt worden ist durch …“, vgl. außerdem 2,15.17.23; 4,14; 8,17; 12,17; 13,14.35; 21,4; 26,56; 27,9), daran anschließend das Wirken in Galiläa, und ab 16,21 eine zunehmende Fokussierung auf Jerusalem; Passionsbericht und Auferstehung bilden den Abschluss. Einzelne Perikopen werden durch Schlüsselworte und gleichartige Formulierungen zu thematischen Erzählfäden verbunden, so dass sich die Gesamtsicht der mt Botschaft am besten durch wiederholtes und zusammenhängendes Lesen erschließt. Das macht es wahrscheinlich, dass das Evangelium von Anfang an für den gottesdienstlichen Gebrauch intendiert war. Herausragendes Merkmal sind die fünf großen Reden in den Kapiteln 5–7, 10, 13, 18 und 24f., die alle nahezu identisch abgeschlossen werden (7,28; 11,1; 12,53; 19,1; 26,1). Der biographisch-historische Rahmen ist durch die gleichlautenden Einleitungen in 4,17 (Ἀπὸ τότε ἤρξατο ὁ Ἰησοῦς + Infinitiv als Einleitung in das öffentliche Wirken Jesu vor allem in Galiläa) und 16,21 (als Beginn der Passionserzählung mit dem Fokus auf Jerusalem) markiert. Auch die Passionsgeschichte, die weitgehend mit Mk parallel geht, ist als Erfüllung dessen dargestellt, was der Evangelist in Israels Heiligen Schriften an Vorausverweisen auf Jesus fand (26,54.56; 27,9).

Literatur:

  • Aktueller Kommentar: Matthias Konradt, Das Evangelium nach Matthäus, NTD 1, Göttingen 2015 (theologisch gehaltvolle Auslegung, aber kaum Hinweise auf Literatur; diese findet sich reichlich verarbeitet in dem Band: Matthias Konradt, Studien zum Matthäusevangelium, WUNT 358, Tübingen 2016).
  • Grundlegend: Ulrich Luz, Das Evangelium nach Matthäus, EKK I/1-4, Neukirchen-Vluyn u.a. 1985 (5., völlig neubearbeite Aufl. 2002), 1990, 1997, 2002 (umfassendster Kommentar in deutscher Sprache mit ausführlichen Hinweisen zur Auslegungs- und Wirkungsgeschichte).
  • Zur Diskussion um die Tora: R. Deines, Jesus and the Torah according to the Gospel of Matthew, in: The Gospel of Matthew in its Historical and Theological Context. Papers from the International Conference in Moscow, September 24 to 28, 2018, hg. v. M. Seleznev, W. R. G. Loader u. K.-W. Niebuhr, WUNT 459, Tübingen 2021, 295–327 (in diesem Band auch weitere Aufsätze zu dem Thema, so dass die verschiedenen Positionen gut erkennbar sind).
  • Angelsächsische Literatur und Auslegungsgeschichte: Ian Boxall, Matthew Through the Centuries, Wiley Blackwell Bible Commentaries, Hoboken: Wiley Blackwell, 2019.

A) Exegese kompakt: Matthäus 2,1-12

1Τοῦ δὲ Ἰησοῦ γεννηθέντος ἐν Βηθλέεμ τῆς Ἰουδαίας ἐν ἡμέραις Ἡρῴδου τοῦ βασιλέως, ἰδοὺ μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν παρεγένοντο εἰς Ἱεροσόλυμα 2λέγοντες· ποῦ ἐστιν ὁ τεχθεὶς βασιλεὺς τῶν Ἰουδαίων; εἴδομεν γὰρ αὐτοῦ τὸν ἀστέρα ἐν τῇ ἀνατολῇ καὶ ἤλθομεν προσκυνῆσαι αὐτῷ. 3ἀκούσας δὲ ὁ βασιλεὺς Ἡρῴδης ἐταράχθη καὶ πᾶσα Ἱεροσόλυμα μετ’ αὐτοῦ, 4καὶ συναγαγὼν πάντας τοὺς ἀρχιερεῖς καὶ γραμματεῖς τοῦ λαοῦ ἐπυνθάνετο παρ’ αὐτῶν ποῦ ὁ χριστὸς γεννᾶται. 5οἱ δὲ εἶπαν αὐτῷ· ἐν Βηθλέεμ τῆς Ἰουδαίας· οὕτως γὰρ γέγραπται διὰ τοῦ προφήτου·

6καὶ σὺ Βηθλέεμ, γῆ Ἰούδα,

οὐδαμῶς ἐλαχίστη εἶ ἐν τοῖς ἡγεμόσιν Ἰούδα·

ἐκ σοῦ γὰρ ἐξελεύσεται ἡγούμενος,

ὅστις ποιμανεῖ τὸν λαόν μου τὸν Ἰσραήλ.

7Τότε Ἡρῴδης λάθρᾳ καλέσας τοὺς μάγους ἠκρίβωσεν παρ’ αὐτῶν τὸν χρόνον τοῦ φαινομένου ἀστέρος, 8καὶ πέμψας αὐτοὺς εἰς Βηθλέεμ εἶπεν· πορευθέντες ἐξετάσατε ἀκριβῶς περὶ τοῦ παιδίου· ἐπὰν δὲ εὕρητε, ἀπαγγείλατέ μοι, ὅπως κἀγὼ ἐλθὼν προσκυνήσω αὐτῷ. 9Οἱ δὲ ἀκούσαντες τοῦ βασιλέως ἐπορεύθησαν καὶ ἰδοὺ ὁ ἀστήρ, ὃν εἶδον ἐν τῇ ἀνατολῇ, προῆγεν αὐτούς, ἕως ἐλθὼν ἐστάθη ἐπάνω οὗ ἦν τὸ παιδίον. 10ἰδόντες δὲ τὸν ἀστέρα ἐχάρησαν χαρὰν μεγάλην σφόδρα. 11καὶ ἐλθόντες εἰς τὴν οἰκίαν εἶδον τὸ παιδίον μετὰ Μαρίας τῆς μητρὸς αὐτοῦ, καὶ πεσόντες προσεκύνησαν αὐτῷ καὶ ἀνοίξαντες τοὺς θησαυροὺς αὐτῶν προσήνεγκαν αὐτῷ δῶρα, χρυσὸν καὶ λίβανον καὶ σμύρναν. 12Καὶ χρηματισθέντες κατ’ ὄναρ μὴ ἀνακάμψαι πρὸς Ἡρῴδην, δι’ ἄλλης ὁδοῦ ἀνεχώρησαν εἰς τὴν χώραν αὐτῶν.

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Übersetzung

1 Es war, nachdem Jesus geboren worden war im Bethlehem Judäas in den Tagen des Königs Herodes, siehe da tauchten Sternkundige vom Osten in Jerusalem auf 2 und sagten: „Wo ist der König der Juden, der geboren worden ist; wir haben nämlich seinen Stern im Osten/im Aufgang gesehen und wir sind gekommen um ihm zu huldigen.“ 3 (Dies) hörend wurde der König Herodes bestürzt und ganz Jerusalem mit ihm. 4 Nachdem er darum alle, die Hohenpriester und die Schriftgelehrten des Volkes, versammelt hatte, erfragte er von ihnen, wo der Messias geboren werden soll. 5 Sie aber sagten ihm: Im Bethlehem Judäas. Denn so ist es geschrieben worden durch den Propheten: 6 „Und du Bethlehem, (im) Land Juda, mitnichten bist du die Kleinste unter den Herrschaften Judas; denn aus dir wird hervorgehen ein Anführer, welcher weiden wird mein Volk, das ist Israel.“ 7 Nachdem Herodes heimlich die Magier (zu sich) gerufen hatte, erforschte er genau von ihnen den Zeitpunkt des Sternes, der erschienen war, 8 und indem er sie nach Bethlehem schickte, sagte er: „Geht und erkundigt euch aufs Genaueste bezüglich des Kindes. Wenn ihr (es) dann gefunden habt, berichtet es mir, sodass auch ich, hingehend ihm huldige.“ 9 Sie aber, die den König gehört hatten, gingen los und siehe, der Stern, welchen sie beim Aufgang/im Osten gesehen hatten, ging vor ihnen her, bis er zum Stillstand kam oberhalb von wo das Kind war. 10 Als sie den Stern sahen, freuten sie sich mit sehr großer Freude 11 und, indem sie in das Haus gingen, sahen das Kind mit Maria seiner Mutter, und, indem sie niederfielen, huldigten sie ihm und, indem sie ihre Schatzkisten öffneten, brachten ihm Gaben, Gold, Weihrauch und Myrrhe. 12 Und weil sie eine göttliche Weisung erhielten im Traum nicht zu Herodes zurückzukehren, zogen sie von dannen auf einem anderen Weg in ihre Heimat.

1. Fragen und Hilfen zur Übersetzung

V.1 „Bethlehem in Judäa“ – diese Näherbestimmung des Geburtsortes ist wichtig, weil es auch ein „Bethlehem in Galiläa“ bzw. im Stammesgebiet von Sebulon gibt (vgl. Jos 19,15), das nur ca. 11km nordwestlich von Nazareth liegt und darum von manchen Forschern als Geburtsort von Jesus angenommen wird. Für Mt und Lk ist Bethlehem der Geburtsort, obgleich beide Evangelisten Jesus auch als „Galiläer“ (Mt 26,69; Lk 23,6) bzw. „Nazoräer“ (Mt 2,23; Lk 18,37) bezeichnen können. Das bedeutet allerdings nicht „aus Nazareth“—> Exegese von Mt 2,13–23. Die in fast allen Kommentaren und Jesusbüchern zu lesende Auskunft, dass die Evangelisten aufgrund der Verheißung von Micha 5,1 eine Möglichkeit suchten, den Geburtsort von Jesus von Nazareth nach Bethlehem zu verlegen, macht es sich jedenfalls zu einfach: es gibt keinen vorschristlichen jüdischen Beleg dafür, dass der Messias aus Bethlehem stammen müsse (vgl. Rowlands).

μάγοι ἀπὸ ἀνατολῶν – auch wenn das griechische μάγοι (Sing. μάγος magos) in dem deutschen Wort „Magier“ steckt, sollte man diese Übersetzung und die damit verbundenen Assoziationen vermeiden. Philo beschreibt die persischen μάγοι als „diejenigen, die die Werke der Natur durchforschen, um zur Erkenntnis der Wahrheit zu kommen“ (Philo, prob. 74, zit. in NW I/1.1, 113). Gemeint sind hier also, wie auch durch den Kontext deutlich wird, „Sternkundige“ bzw. Astronomen aus dem Zweistromland (im 1. Jh. v.Chr. gehörte das Gebiet zum Partherreich), die schon im 2. Jahrtausend v.Chr. genaue Berechnungen der Planetenbewegungen vor dem Fixsternhimmel (der durch den Tierkreis geordnet war) vornehmen konnten. Die letzten Ausläufer dieser besonderen Wissenskultur reichen bis ins 1. Jh. n.Chr. (Ferrari d’Occhieppo, Stern, 27). Es sind also Vertreter der geistigen Elite der östlichen Welt, die Israels Geschick über Jahrhunderte bestimmt hat, die sich auf den Weg machen, um dem neuen, von den Sternen verkündigten Herrscher zu huldigen (vgl. Strobel, Stern, 37). Dass dies nicht einfach ein legendäres Motiv ist, zeigt der Bericht über die Gesandtschaft persischer μάγοι im Jahr 66 n.Chr., die unter Leitung des armenischen Prinzen Tiridates mit großem Gepränge nach Rom kamen, um Nero als Gott zu huldigen (vgl. Hengel/Merkel, Magier, 335; Strobel, Stern von Bethlehem, 41).

V.2 ἐν τῇ ἀνατολῇ: das griechische Wort ἀνατολή bezeichnet die Sichtbarwerdung eines Himmelskörpers über der Horizontlinie, d.h. den „Aufgang“ eines Sterns oder Sternbildes. Abgeleitet davon ist die Bedeutung „Osten“ als dem Aufgangsort der Sonne. Dafür wird jedoch zumeist der Plural verwendet und bei Matthäus sogar durchgängig: 2,1; 8,11; 24,27. Darum ist hier zu übersetzen „seinen Stern im Aufgang“ und nicht „seinen Stern im Osten“, wie es viele Bibelübersetzungen tun. Dass für Herodes und sein Umfeld auf astronomischen Berechnungen basierende Zukunftserwartungen eine große Rolle spielten, ist in den Quellen gut belegt (s. besonders die Arbeiten von Strobel).

προσκυνέω „anbeten“ (außer hier auch noch in V.8 und V.11) ist eine Vorzugsvokabel des Matthäus (13-mal bei Mt, aber nur 2-mal bei Mk und 3-mal bei Lk; bei Joh sind 9 von 11 Belegen in Joh 4,20–24). Schon im Alten Testament ist damit die angemessene menschliche Reaktion auf die unmittelbare Begegnung mit Gott oder einer Repräsentation Gottes gemeint. Wo sich das Göttliche offenbart, gebührt es dem Menschen, dieses anbetend wahrzunehmen und gegebenenfalls das Gebotene zu tun. Entscheidend für die Christologie des Matthäus ist, dass er in Mt 4,8–10 (mit Zitat von Dtn 6,13) ausdrücklich auf die Alleinverehrung Gottes verweist, diese dann aber – angefangen mit 2,11 – auf Jesus ausweitet (14,33; 28,9.17).

V.3 ἐταράχθη von ταράσσω „erregen“, „aufwühlen“, Passiv: „aufgewühlt/erschreckt werden“. Das Verb ist bei den Synoptikern selten und beschreibt die menschliche Resonanz auf ein epiphanes Geschehen (vgl. Mt 14,16 par. Mk 6,50; Lk 1,12; 24,38). Ist es auch hier so gemeint, dann geht es darum, die Göttlichkeit des Kindes hervorzuheben: ein Stern verweist auf seine Geburt; Gelehrte kommen aus fernen Landen, um es anzubeten; der König und – auffällig: „ganz Jerusalem mit ihm“ – werden von einer Art Gottesschrecken erfasst.

V.4 Hohepriester und Schriftgelehrte des Volkes: erste Nennung dieser beiden Gruppen, deren Angehörige bei Mt als Amtsträger mit Ausnahme von Kaiphas (Mt 26,3.57) namenlos bleiben. Während die Schriftgelehrten, oft in Verbindung mit den Pharisäern, zu den häufigsten Gesprächspartnern Jesu zählen, sind die Hohenpriester (bei Matthäus überwiegt der Plural) ab 16,21, wo sie erstmals wieder in der ersten Leidensweissagung erwähnt werden, durchgängig als Jesus-feindliche Gruppe dargestellt.

ὁ χριστός: während die Sterndeuter in V.2 nach dem „König der Juden“ fragen, lässt Matthäus Herodes nach dem Geburtsort des Messias fragen (der ansonsten in der jüdischen Überlieferung keine Rolle spielt). Die Tatsache, dass es innerhalb der heillos zerstrittenen herodianischen Familie gerade um 7/6 v.Chr. messianische Erwartungen gab (vgl. Josephus, Antiquitates XVII 41–45), und Herodes zwei seiner Söhne wegen ihrer Ambitionen auf den Thron im Winter 7/6 v.Chr. hinrichten ließ (Antiquitates XVI 392–394), macht das von der Botschaft der Sterndeuter ausgelöste Entsetzen (V.3) verständlich.

V.5–7 Das Zitat ist eine Kombination aus Mi 5,1 (die ersten drei Zeilen von V.6) und 2Sam 5,2 (letzte Zeile „er wird weiden mein Volk Israel“). Die letzte Zeile hat aber auch inhaltliche Ähnlichkeit mit Mi 5,3 (der in V.1 angekündigte Herrscher aus Bethlehem wird Israel „weiden in der Kraft des Herrn“). Ausgelassen, aber sehr wahrscheinlich mitgemeint ist Mi 5,2, wo eine Zeit der Bedrängnis für Israel bestimmt ist bis zu dem Zeitpunkt, da die, die gebären soll, geboren hat. Dass Matthäus die Micha-Stelle in Verbindung mit Jes 7,14 (zitiert in Mt 1,23) verstanden hat, ist naheliegend, da es in beiden Kontexten um das davidische Königshaus geht und Matthäus die Geburtsgeschichte des davidischen Messias schreibt (vgl. Mt 1,1.20). Dem Text ist die 4. Ekloge des Vergil zur Seite zu stellen, wo durch die Geburt eines Jungen als zukünftigem Herrscher ein neues Zeitalter angekündigt wird, weil Virgo (das Sternbild Jungfrau) wiederkehrt und „das Reich des Saturnus“ kommt: „Jetzt steigt nieder ein neues Geschlecht aus himmlichen Höhen“ (Text b. Schreiber, Weihnachtspolitik, 119). Dieser Text aus dem Jahr 41 v.Chr. ist dem Konsul des Jahres 40 v.Chr., Gallus Asinius Pollio, gewidmet, unter dessen Konsulat Herodes in Rom die Königswürde erhielt. Mit ihm verband Herodes eine Freundschaft, und die beiden 7 v.Chr. hingerichteten Söhne des Herodes lebten etwa fünf Jahre (ca. 23–18 v.Chr.) im Haus des Pollio in Rom, um dort erzogen zu werden (Josephus, Antiquitates XV 342f.). Die Erwartung des Goldenen Zeitalters und jüdisch-messianische Erwartungen traten damit in engste Verbindung und in beiden Fällen waren astronomische Berechnungen und Zeichen wichtig.

ἠκρίβωσεν παρ᾿ αὐτῶν τὸν χρόνον τοῦ φαινομένου ἀστέρος: die Erkundigung bezieht sich, setzt man eine astronomische Terminologie voraus, auf das Datum des heliakischen oder Frühaufgang des Sternes im Osten. Dass hier „Stern“ im Singular steht, wird häufig als Einwand gegen die astronomische Interpretation vorgebracht, weil es da um das Zusammentreffen von Jupiter und Saturn geht. Entscheidend ist aber das Aufgehen des Königssterns Jupiter, so dass der Singular einen guten Sinn ergibt.

V.11 „das Kind mit Maria, seiner Mutter“ – in 2,1–12 kommt Josef nicht vor, obwohl die mt Darstellung der Kindheitsgeschichte auf ihn fokussiert ist. An der entscheidenden Stelle, wo es zur Anbetung des Kindes kommt, ist neben dem Kind nur Maria.

χρυσὸν καὶ λίβανον καὶ σμύρναν die Gaben der Weisen (aus der Dreizahl ergab sich die Dreizahl der „Heiligen Drei Könige“) orientieren sich an biblischen Vorbildern: die Königin von Saba, die Salomo, dem Sohn Davids, Gaben bringt (1Kön 10,2.10), dazu die Verheißungen, dass zukünftig die Völker ihre Schätze nach Jerusalem bringen (Ps 72,9–11.15; Jes 60,9; zu den Schätzen der Könige, mit denen diese Gäste beeindrucken wollten, s. Jes 39,2). Aber Matthäus übernimmt die Gabenliste nicht einfach aus einem dieser Texte: Gold kommt in Jes 60,9 und Ps 72,15 vor, Weihrauch nur in Jes 60,9 und Myrrhe fehlt gänzlich.

V.12 χρηματίζω, eigentlich „ein Geschäft betreiben“ oder „verhandeln“, gehört in der LXX und im NT zur Offenbarungsterminologie (z.B. Jer 32,30LXX = 25,30; 43,2LXX = 36,2; Lk 2,26; Röm 8,5), mit der insbesondere göttliche Weisungen oder Beauftragungen bezeichnet werden. Die hier vorliegende Passivform verweist auf Gott als Subjekt (so auch in 2,22; in den parallelen Wendungen Mt 1,20; 2,13.19.22 sind es Engel als göttliche Boten, die die Botschaft vermitteln).

2. Literarische Gestalt und Kontext

Die Perikope ist Teil der matthäischen Kindheitsgeschichte, die mit dem königlichen Stammbaum Jesu beginnt und mit der Umsiedlung von Bethlehem nach Nazareth in Galiläa endet. Sie ist gerahmt von den zwei judäischen Herrschern, Herodes (2,1), der 4 v.Chr. starb und Archelaus (2,22), der im selben Jahr sein Nachfolger wurde. Die beiden erzählerischen Hauptteile, 1,19–25 (die eigentliche Geburtsgeschichte) und 2,1–18 (mit zwei Teilen, 2,1–12 und 2,13–18), sind durch die auffällige, weil sehr seltene Satzeinleitung τοῦ δέ zueinander in Parallele gesetzt. Abgeschlossen sind die Kindheitserzählungen mit 2,19–23 (das nachgestellte δὲ τοῦ in 2,19 ist möglicherweise als Einleitung dieses dritten Abschnitts zu lesen). Der inzwischen eingetretene Tod des Herodes und Herrschaftswechsel zu Archelaus setzt eine zeitliche Zäsur zu den voranstehenden Teilen voraus von mindestens zwei bis drei Jahren voraus. Eine weitere Verklammerung der Geschichten sind Anweisungen im Traum (κατ᾽ ὄναρ) bzgl. des Kindes (1,20; 2,12, auch in 2,19) und die typische Einleitung der sog. Erfüllungszitate (erstmalig in 1,22; 2,15.17.23). Das lässt erkennen, dass Matthäus die ihm vorliegenden Traditionen bewusst gestaltet und miteinander verknüpft hat.

3. Historische Einordnung

Legende oder kerygmatische Geschichte, das ist hier die Frage. Theissen/Merz und mit ihnen die Mehrheit der Ausleger verstehen die Episoden der Geburtsgeschichte (Geburtsankündigung durch Engel; die Weisen aus dem Morgenland, die einem Stern folgten; Kindermord des Herodes in Bethlehem; Flucht nach Ägypten; Rückkehr nach Judäa und Umsiedlung nach Nazareth) des Matthäus als „Legenden…, in denen atl. und frühjüdische Traditionen über Mose, den Messias und den messianisch gedeuteten Stern von Num 24,17 auf Jesus übertragen wurden“ (Der erinnerte Jesus, 146). Als historischer Kern gilt die Geburt Jesu gegen Ende der Regierungszeit des Herodes sowie dessen Sorge um seine Herrschaft, dazu die Namen Maria und Josef als Eltern von Jesus. Matthias Konradt, Das Evangelium nach Matthäus, NTD 1, Göttingen 2015, 33, versteht Mt 2 als einen „durchweg legendarischen Erzählzyklus“ und konstatiert zu Mt 2,1–12: „Einen historischen Kern enthält die Erzählung nicht“ (39). Dagegen betont August Strobel, dessen materialreiche Darstellung der Hintergründe dieser Perikope vielfach übersehen wird, dass es bei Mt 2,1–12 um „eine der geschichtlich-kompliziertesten und theologisch-reflektiertesten Erzählungen des Neuen Testaments“ handelt, die „ein eindrucksvoll verdichtetes Zeugnis von geschlichtlichen Abläufen und theologischen Einsichten“ bietet (Stern von Bethlehem, 11).

Geht man von einem historischen Bericht aus und sieht im „Stern von Bethlehem“ ein rekonstruier- und datierbares astronomisches Phänomen (da sich die mt Aussagen zu den Bewegungen des Sterns in diesem Sinn lesen lassen), dann ist die wahrscheinlichste Erklärung die dreifache Konjunktion von Jupiter und Saturn an der Grenze der Tierkreisbilder Fische und Widder beim Frühlingspunkt, der als Welterschaffungstermin galt – eine Erklärung der Perikope, die erstmals von Johannes Kepler aufgrund astronomischer Berechnungen 1606 vorgebracht wurde. Diese besondere Konstellation, die nur alle 854 Jahre eintritt, ereignete sich vom 19. April 7 v.Chr. bis zum 3. Februar 6 v.Chr. und ihre Berechnung ist in zeitgenössischen Quellen belegt.

Zu beachten ist dabei, dass diejenigen, die den Text sehr weitreichend als Legende mit nur geringem historischem Gehalt bewerten, die Schwierigkeiten einer stärker historischen Lesart zumeist übertreiben und relevante Literatur nicht berücksichtigen, während die Vertreter, die vor allem im Aufgehen des Sterns ein reales, datierbares astronomisches Phänomen sehen, die interpretatorischen Elemente übersehen, die den Text traditions- und damit heilsgeschichtlich verstehbar machen.

4. Schwerpunkte der Interpretation

Auch wenn in der Auslegungsgeschichte dieses Textes die Frage nach dem Stern eine dominierende Rolle spielt, ist dies bei Matthäus doch nur ein weiterer Hinweis darauf, dass dieser „Sohn Davids“ eben auch ein „Sohn Abrahams“ ist (vgl. Mt 1,1), in dem sich nicht nur die Verheißungen für Israel sondern für „alle Völker auf Erden“ (Gen 22,18, vgl. Mt 28,18) erfüllen sollen. Die Gelehrten aus dem Osten sind die Ersten, die dies zeichenhaft erkennen und sie bilden mit dem römischen Zenturio und seinen Leuten, die im Gekreuzigten den Sohn Gottes erkennen (Mt 27,54), eine eindrucksvolle Klammer um das Evangelium: das Heil, das Gott bereitet, ist verborgen im Kind und im Gekreuzigten, und dies erkennt nur, wem es der Vater offenbart (Mt 16,17). Im Kontext des ganzen Evangeliums liegt der Schwerpunkt also nicht auf dem Stern und auch nicht auf den Geschenken, sondern auf dem Gegensatz zwischen Herodes als dem König des jüdischen Volkes auf der einen Seite und den – namenlosen! – nichtjüdischen Weisen „aus dem Osten“: Diese Weisen verstanden das Zeichen, das am Himmel geschrieben stand (2,2) zu deuten, während der jüdische König und alle (vgl. V.4) von ihm versammelten Hohepriester und Schriftgelehrten daran scheiterten. Sie hatten die Schrift vor sich, aber sie erfüllte sich ihnen nicht (vgl. im Unterschied dazu die Zitateinleitungen in 1,22f.; 2,15.17f.); sie fanden zwar den entscheidenden Hinweis in Micha 5,1–3, aber sie verstanden nicht, was sie lasen (2,5-6); die Weisen „waren überwältigt vor Freude“ (2,10), während Herodes –„erschrak“ (2,3); die Weisen verehrten den neugeborenen König mit reinen Absichten (2,2.11), während Herodes nur vorgab, ihn verehren zu wollen (2,8); die Weisen brachten Geschenke (2,11), während Herodes nicht nur keine Geschenke brachte, sondern sogar versuchte, seinen vermeintlichen Rivalen zu töten (2,16); die Weisen waren gehorsam gegenüber Gottes Befehl (2,12), während Herodes nicht einmal nach dem Willen Gottes fragte. Damit nimmt „König Herodes“ (V.1) vorweg, wie die Mehrheit seiner Untertanen auf den „neugeborenen König der Juden“ (V.2) reagieren würde, der als „König der Juden“ sterben sollte (vgl. 27,37).

5. Theologische Perspektivierung

Entscheidend im Hinblick auf die Predigt dieses Textes sind nicht die historischen Details (die allerdings nicht vorschnell ins Reich der Legende verbannt werden sollten), sondern seine eindeutige Botschaft: es geht darum, in diesem Kind die Erscheinung Gottes in dieser Welt (vgl. 1,23: das Kind ist „Immanuel“ – „mit uns ist Gott“) zu erkennen und anzuerkennen. Ausgedrückt wird die Anerkennung durch den Anbetungsgestus, das Darbringen von Geschenken und dem Hören auf die Weisung Gottes (in diesem Fall der in V.12 geschilderte Auftrag an die Weisen, in der Fortsetzung die Weisungen an Josef in V.13 und V.20). Angesprochen sind Israel und die Völker der Welt, letztere repräsentiert durch die gelehrten (und demütigen) Sternkundigen aus dem Osten als der „geistige[n] Elite der Heidenwelt“ (Hengel/Merkel 147). Ihnen konstratiert Herodes, der die Menschen um sich herum für seine Zwecke missbraucht: die Hohepriester und die Schriftgelehrten (deren Darstellung nicht negativ sondern neutral ist) einerseits und die Weisen andererseits. Mit dieser Figurenkonstellation: Anbetung (die Weisen), Ablehnung (Herodes, was allerdings erst ab V.13 deutlich gesagt wird) und Unbestimmtheit (die Hohenpriester und Schriftgelehrten) eröffnet Matthäus seinen Lesern ein Identifikationsangebot („wo stehe ich am Ende der Geschichte?), das auch die Predigt aufnehmen kann. Dabei kann der Weg zur Anbetung und zur „großen Freude“ (V.10, vgl. Lk 2,10) über den Stern (das Wissen der Welt) oder die Schrift führen, denn „Gottes Spuren in dieser Welt sind eben nicht nur wunderbare, sondern zutiefst geschichtliche“ (Strobel, Stern von Bethlehem, 13). Entscheidend ist, den Stern zu finden, „der in unserer Welt auf das göttliche Licht hinweist“ (ebd.).

Literatur

  • Martin Hengel u. Helmut Merkel, Die Magier aus dem Osten und die Flucht nach Ägypten (Mt 2) im Rahmen der antiken Religionsgeschichte und der Theologie des Matthäus, in: M. Hengel, Jesus und die Evangelien, Kleine Schriften Bd. 5, hg. v. C.-J. Thornton, WUNT 211, Tübingen 2007, 323–351.
  • Schreiber, Stefan, Weihnachtspolitik. Lukas 1–2 und das Goldene Zeitalter, NTOA/StUNT 82, Göttingen 2009.
  • Gerd Theißen/Annette Merz, Wer war Jesus? Der erinnerte Jesus in historischer Sicht, UTB 6108, Göttingen 2023.

Zu Bethlehem als Geburtsort: Jonathan Rowlands, On Chickens, Eggs, and the Birthplace of Jesus, JSHJ 20 (2022), 218–238.

Zum Stern von Bethlehem als historischer Frage:

  • Konradin Ferrari d’Occhieppo, Der Stern von Bethlehem in astronomischer Sicht. Legende oder Tatsache?, BAZ 3, Giessen 31999
  • August Strobel, Weltenjahr, grosse Konjunktion und Messiasstern, ANRW II.20, Berlin u. New York 1987, 988–1187
  • ders., Der Stern von Bethlehem. Ein Licht in unserer Zeit?, Fürth 1985 (eine populäre Zusammenfassung der Ergebnisse des großen Artikels)

B) Praktisch-theologische Resonanzen

1. Persönliche Resonanzen

Sympathisch und in der Sache erhellend finde ich, die Perikope nicht voreilig mit der exegetischen Mehrheitsmeinung als „Legende“ abzutun, sondern in ihrer Historizität ernstzunehmen. Die Sternkundigen aus dem Osten bezeugen eine astronomische Erkenntnis, die sich naturwissenschaftlich und historisch verifizieren lässt. Das Evangelium erzählt von ihnen mit einer Verkündigungsabsicht: um zu zeigen, wo der neugeborene König der Juden zu finden ist. Davon wird theologisch reflektiert erzählt, nämlich im Rückgriff auf Erwartungen Israels und der Völker, die nur durch einen Retter eingelöst werden können, der sich von irdischen Herrschern und (angeblichen) Heilsbringern von Grund auf unterscheidet und für alle Völker auf Erden verheißungsvoll ist.

2. Thematische Fokussierung

Sie weist klar auf die Botschaft des Textes: es gilt, in diesem Kind Jesus die Erscheinung Gottes in dieser Welt zu erkennen und anzuerkennen. Die Sternkundigen repräsentieren die Völker der Welt, die hier neben Israel angesprochen werden, es sind, wie die Exegese betont, demütige und gelehrte Männer, wie der erwähnte Astronom Johannes Kepler, ein Naturforscher der frühen Neuzeit, der überzeugt war, „in den Naturgesetzen die Handschrift des Schöpfers lesen“ zu können (Posch, 79). Ihnen steht Herodes gegenüber, der Machtmensch, der andere für seine Zwecke missbraucht. Das betrifft sowohl Hohepriester und Schriftgelehrte, die weder das Zeichen am Himmel zu deuten wissen, noch verstehen, was sie in der Schrift lesen, als auch die Weisen, die sich zuletzt aber nicht instrumentalisieren lassen. Die Schriftgelehrten finden die richtige Stelle in der Schrift, aber die sternkundigen Weisen finden sie auch in Wirklichkeit (s. Steiger, 251).

Im Übrigen lässt die Exegese Fragen offen, denen die Predigt nachgehen könnte: Weshalb fügt Matthäus zu Gold und Weihrauch noch Myrrhe hinzu? Myrrhe begegnet im biblischen Kontext als Accessoire der Liebenden (Hhl 5,5.13) und Bestandteil des heiligen Salböls (Ex 30,23). Nach Mt 2,12 werden die Weisen durch einen Traum zu einem anderen Rückweg veranlasst. Die göttliche Weisung bewegt sie dazu, dem gefährlichen Machthaber auszuweichen. Kann also, wer gefunden hat, was er suchte, durch Träume hellsichtig und ungehorsam werden?

3. Theologische Aktualisierung

Die Geschichte nimmt die Lesenden und Hörenden hinein in eine Suchbewegung: Wo finden wir Gottes Spuren in der Welt? Dabei fordert sie heraus, nicht nur cartesisch nach subjektiver Gewissheit zu suchen, sondern sich mit allen Sinnen für die Phänomene der Welt, d.h. des Himmels aus irdischer Perspektive zu öffnen. Auf der Linie dieser Suchbewegung liegt es, in der Natur, in den Erscheinungen des Himmels wie in einem Buch zu lesen – erst Galilei bezweifelte, dass alle darin lesen könnten (s. Blumenberg, 74–76) – und die Schrift so auszulegen, dass die Geschichte uns Möglichkeiten aufschließt, dem Kind auf die Spur zu kommen, in dem „Gottes und Marien Sohn“ (EG 38,1) erscheint. Wichtig ist der Hinweis, dass der Weg zur Anbetung über den Stern oder die Schrift führen kann.

4. Bezug zum Kirchenjahr

Als altkirchliches Evangelium bestimmt er das Thema des Epiphaniastags: Gottes Offenbarung in Jesus Christus gilt allen Völkern. Sie brechen auf, um seine Herrlichkeit mit eigenen Augen zu sehen. Auf dem Hintergrund der alttestamentlichen Lesung (Jes 60,1–6) kann die Geschichte von den ‚Weisen aus dem Morgenland‘ als konkretes Beispiel für die vom dritten Jesaja angekündigte Völkerwallfahrt verstanden werden. „Auch die Sterndeuter brechen aus fernem Lande auf, auch sie folgen dem Licht in Gestalt eines Sternes“ (Perikopenbuch, 87), um die Herrlichkeit Gottes zu sehen, die über Israel erscheint. Das Lied „Stern über Bethlehem“ (EG. E 1; EG Hessen 542) erzählt von diesem Geschehen, indem es die singende Gemeinde in die Rolle der Sterndeuter versetzt. Im klassischen Epiphaniaslied „Wie schön leuchtet der Morgenstern“ (EG 70) spricht die gläubige Seele Christus als ihren Bräutigam an. Mit Str. 1–4 kann die Anbetung des Kindes ausgedrückt werden, wobei dem Gesangbuchtext der originale Wortlaut von Str. 4 vorzuziehen ist („Nimm mich freundlich / in dein Arme, dass ich warme wird in Gnaden …“). Näher an Mt 2,1-12 ist das Anbetungslied „O König aller Ehren“ (EG 71), das Jesus als gütigen und gerechten König anspricht, auf den der „neu Stern“ und „das göttlich Wort“ (Str. 2) hinweisen. Lieder und liturgische Gesänge, die ausdrücklich alle Völker zum Lobpreis einladen, nehmen die innere Bewegung des Aufbruchs der Sterndeuter auf (z.B. EG 181.6: Laudate omnes gentes; EG 293: Lobt Gott den Herrn, ihr Heiden all).

5. Anregungen

Die Predigt kann dem Vorschlag der Exegese folgen, die am Geschehen beteiligten Figuren (die Weisen, Herodes, die Schriftgelehrten) als Repräsentanten menschlicher Haltungen gegenüber dem Erscheinen Gottes in der Welt darzustellen. Dabei käme es darauf an, im Heute oder in der jüngeren Vergangenheit einleuchtende Entsprechungen zu entdecken für Anbetung, Ablehnung und Unbestimmtheit. Die Einbildungskraft des Predigers oder der Predigerin wird angeregt durch die Frage: Wo stehe ich am Ende der Geschichte? Bei denen, die das Kind anbeten – bei dem, der sich nur vor Machtverlust fürchtet – oder bei denen, die weder durch Weltwissen noch durch Bibelwissen zu einer lebensentscheidenden Erkenntnis gelangen? Eine denkbare Identifikation mit den Sterndeutern könnte darin bestehen, sich selbst und die Zuhörenden zu fragen: Welche Gaben habe ich, die ich Jesus zum Zeichen meiner Hingabe mitbringe? 

Literatur

Hans Blumenberg, Die Lesbarkeit der Welt, Frankfurt am Main 21983

Perikopenbuch. Nach der Ordnung gottesdienstlicher Texte und Lieder, hg. von der Liturgischen Konferenz für die EKD, Leipzig-Bielefeld 2018

Thomas Posch, Johannes Kepler. Die Entdeckung der Weltharmonie, Darmstadt 2017

Lothar Steiger, Erzählter Glaube. Die Evangelien, Gütersloh 1978

Autoren

  • Prof. Dr. Roland Deines (Einführung und Exegese)
  • Dr. Michael Heymel (Praktisch-theologische Resonanzen)

Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/500089

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