Welche Kinderbibel für welches Kind?
Das Angebot an Kinderbibeln auf dem Buchmarkt ist nahezu unüberschaubar. Bei dieser großen Fülle fällt die Entscheidung für die eine passende Kinderbibel nicht leicht. Was aber könnte helfen, die Wahl zu erleichtern? Welche Kriterien sollten bei der Anschaffung einer Kinderbibel erwogen werden?
Der intuitive Zugang
Die erste Frage darf lauten: Gefällt mir das Buch? Nehme ich es gerne in die Hand? Spricht es mich unmittelbar an? Wer eine Kinderbibel kauft, wird meist selbst in der Rolle sein, das Buch zu verschenken, vorzulesen oder es dem Kind auf andere Art und Weise zu vermitteln. Und wenn die Begeisterung bei der vermittelnden Person bereits entfacht ist, ist die Hürde, auch das Kind für die biblischen Geschichten zu begeistern, nicht mehr allzu groß.
Die Textauswahl
Es lohnt sich, dann zunächst über den Kanon nachzudenken: Wie umfassend ist die Auswahl? Welche biblischen Texte sind in der Kinderbibel enthalten? Es gibt dabei durchaus einen heilsgeschichtlich bedingten, notwendigen Grundbestand. Darum herum gruppiert sich eine gewisse Anzahl von Texten, über die sich trefflich streiten lässt. Denn die Textauswahl entscheidet mit über das Gottes-, Jesus-, Menschen- und Weltbild, das die Kinderbibel vermittelt. Um dem Kind darüber hinaus verständlich zu machen, dass es sich bei der Bibel um eine im Lauf von eintausend Jahren aus verschiedenen Textgattungen zusammengestellte Bibliothek handelt, sollte auch eine Kinderbibel diese Verschiedenheit abbilden. Das bedeutet: Zusammenhängende Erzählungen, poetische und prophetische Texte, Abschnitte aus allen vier Evangelien und Abschnitte aus den neutestamentlichen Briefen sollten in einer guten Kinderbibel enthalten sein.
Die Sprache
Danach empfiehlt sich die Frage nach der Form, in der die biblischen Geschichten für Kinder nacherzählt sind. Welche Erzählweise wurde angewendet? Spricht die Sprache das Kind in seiner eigenen Wirklichkeit auch tatsächlich an?
Hat sie eine spielerische Leichtigkeit? Dadurch würde das Kind zum Zuhören oder aufmerksamen Lesen angehalten und zum Verstehen gelockt. Hat sie eine eigene Stimme? Eine Stimme, die von Humor und Heilsgewissheit geprägt ist? Gibt es in der Erzählweise Raum für Überraschungen, etwas Ungewöhnliches, auch Widersprüche? Mithilfe der Überraschung wird das Kind in seiner Neugier und Lebenslust gepackt und für die Geschichte begeistert. Werden klare Gefühle dargestellt, die deutlich erkennbar eine Rolle spielen und auch beschrieben werden? Dadurch wird das Kind sich verstanden und sicher fühlen. Wird auch das Dunkle des Lebens mit einbezogen? Kinder brauchen das Dunkle, aber sie brauchen es in dem Wissen, dass Gott auch im Dunkeln über sie wacht.
Die Illustrationen
Bilder in Kinderbibeln wirken oft stärker, in jedem Fall aber schneller als der Text. Sie können die Vorstellung von Gott und Jesus, den Menschen und der Welt nachhaltig bestimmen. Ihre Chance liegt darin, die Fantasie und Vorstellungskraft anzuregen.
Ein erster genauer Blick sollte dabei der Person Jesu gelten. Ist der dargestellte Jesus einer, dem Kinder vertrauen können? Wird er nicht zu distanziert oder gar zu albern gezeigt? Kommuniziert er, tritt er in Beziehung zu den Menschen, mit denen er dargestellt ist? Ist er erkennbar als Mensch mit einer göttlichen Dimension?
Ein weiterer Blick sollte auf Darstellungen kriegerischer Interaktion gerichtet sein. In den meisten Kinderbibeln wird es zum Beispiel die Geschichte von David und Goliat geben. Wie ist der Tod Goliats dargestellt, ist er für Kinder verträglich oder spritzt das Blut? (Es gibt durchaus Kinderbibeln, in denen das der Fall ist.)
Es sollte Wert gelegt werden auf Darstellungen von Menschen, die interagieren, kommunizieren und Gefühle zeigen. So wird den Kindern am ehesten klar, dass es in den biblischen Geschichten um das wirkliche Leben geht.
Die Theologie
Theologische Begriffe und Sachverhalte wie Vergebung, Sünde, die Zehn Gebote zum Leben, das Heil, die Heilung, die Rettung, die Gotteskindschaft, die Menschwerdung Gottes sind in einer Kinderbibel nicht einfach wiederzugeben. Zudem interessieren Kinder sich nicht wirklich für Begriffe, sie interessieren sich für Beziehungen und Gefühle. Eine gute Kinderbibel nimmt diese theologischen Begriffe deshalb so auf, dass ihr Sinngehalt in den Erzählungen aufleuchtet. Durch die Art und Weise, wie Menschen miteinander umgehen und wie Gott mit den Menschen umgeht, können Kinder verstehen, um was es im Kern geht. Die wichtigste Frage an eine Kinderbibel ist deshalb auch die Frage nach dem Gottesbild, das vermittelt wird: Wie ist Gott? Wie ist Gott zu den Menschen? Wie ist Gott zu Kindern?
Die große Vielfalt
Es ist gut, wenn Kinder im Lauf des Heranwachsens unterschiedliche Kinderbibeln kennenlernen und die Bilder und Texte miteinander vergleichen können. Auf diese Weise erfahren sie, dass es verschiedene Zugänge zu den biblischen Geschichten und Texten gibt und dass es spannend ist, die Bibel immer wieder neu zu lesen und zu interpretieren.
Kinder brauchen Bilder und Geschichten, um ihre Fantasie zu entwickeln und sich einen Vorrat an Beispielen für die zukünftige Lebensgestaltung anlegen zu können. Die Bibel bietet Kindern einen reichen Schatz an Deutungsmustern. Die Aufgabe einer Kinderbibel ist es deshalb, die biblischen Texte für die jeweilige Altersgruppe und Entwicklungsstufe zu übersetzen und dabei der sowohl intellektuellen als auch sozialen Kompetenz der Kinder zu entsprechen. Das bedeutet nicht weniger, als die Alltagstauglichkeit und Relevanz der biblischen Texte für Kinder zu erschließen.
Das Bild oben im Header stammt aus der Ausgabe „Noah und die große Flut“ in der Reihe „Bibelgeschichten für Erstleser“, illustriert von Mathias Weber. [ISBN 978-3-438-04004-6]
Über den Autor
Mathias Jeschke, geboren 1963 in Lüneburg, hat Theologie in Göttingen, Heidelberg und Rostock studiert. Er arbeitet seit 1999 als Lektor bei der Deutschen Bibelgesellschaft, wo er das Kinder-, Jugend- und Geschenkbuchprogramm betreut. Darüber hinaus veröffentlicht er als freier Autor Lyrik und Kinderbücher.
Bonus: Leitfragen zum Kauf einer Kinderbibel
Welche Fragen Sie sich beim Kauf einer Kinderbibel stellen sollten und die Ihnen helfen können, die richtige Kinderbibel zu finden, haben wir hier für Sie zusammengestellt:
- Für welches Alter suche ich eine Kinderbibel? Wie ist der Entwicklungsstand des Kindes?
- Suche ich eine Kinderbibel zum Vorlesen? Oder soll das Kind selbst darin lesen?
- Wie ist der erste Eindruck des Buches? Wie liegt es in der Hand? Spricht es mich unmittelbar an?
- Gefallen mir die Illustrationen? Sind sie für Kinder in der entsprechenden Altersgruppe passend und zugänglich? Sind sie zu einfach oder zu detailliert? Illustrieren sie den Inhalt begleitend oder vermitteln sie eine zusätzliche, eigenständige Botschaft?
- Werden Jesus und andere Schlüsselfiguren so dargestellt, dass Kinder einen guten Zugang zu ihnen finden? Tritt Jesus in Beziehung zu Menschen? Zeigt er Gefühle?
- Ist der Bibeltext ansprechend und lebendig nacherzählt? Hat er eine eigene literarische Qualität? Ist er verständlich und altersgemäß? Werden die Gefühle und Beziehungen der Menschen untereinander und zwischen Gott und den Menschen sichtbar und glaubhaft dargestellt?
- Werden schwierige Geschichten, werden Gewalt und Tod so dargestellt, dass es für Kinder verträglich ist (zum Beispiel bei David und Goliat oder bei der Kreuzigung Jesu)? Kann und will ich das dem Kind so zumuten?
- Wie werden theologische Grundbegriffe wie Sünde, Schuld, Vergebung, Nächstenliebe, Freiheit etc. aufgenommen und den Kindern vermittelt?
- Ist die Textauswahl stimmig? Sind wichtige biblische Aspekte abgedeckt (Schöpfung, Noah, die Urväter und -mütter, Könige, Propheten, Jesus, sein Tod und seine Auferstehung, Paulus und die Apostel)? Wird die Heilsgeschichte Gottes mit den Menschen sichtbar?
- Bietet die Kinderbibel neben Erzählungen auch prophetische Texte, sind Psalmen und Gebote integriert? Erfahren Kinder auch über das, was Jesus gelehrt hat? Kommen die Bergpredigt und die Briefe der Apostel vor?
Broschüre »Empfehlenswerte Kinderbibeln«
Die Fülle an Kinderbibeln auf dem Buchmarkt ist ein Schatz, aber auch eine Herausforderung. Welche Bibel sollte ich vorlesen? Welche in meinem Religionsunterricht, meinem Kindergottesdienst oder in unserer Familie einsetzen? Die Broschüre »Empfehlenswerte Kinderbibeln« stellt eine Auswahl von 34 Kinderbibeln vor und gibt in einer kurzen Einführung Auskunft über die Kriterien, die zu dieser Auswahl geführt hat. Um einen noch besseren Einblick in die jeweilige Bibel zu ermöglichen, wurden ausführliche Textbeispiele abgedruckt. Sie zeigen, wie unterschiedlich in Kinderbibeln erzählt wird.