Götter in der Umwelt des Neuen Testaments
Christlicher Monotheismus
Wenn Paulus in seinem Brief an die Thessalonicher schreibt, dass der Glaube der Adressaten allseits bekannt sei und man sich erzähle, „… wie ihr euch zu Gott bekehrt habt von den Götzen, um dem lebendigen und wahren Gott zu dienen“ (1Thess 1,9), nimmt er auf die Lebenswelt der Gemeinde Bezug, in der eine Vielzahl von Göttern selbstverständlich präsent war und Verehrung genoss. Zugleich formuliert er diese Bezugnahme als sich klar positionierenden Rückblick – das Bekenntnis zu dem „lebendigen und wahren Gott“ bedingt, dass die Götter der Umwelt nur als „Götzen“ bzw. als sogenannte Götter (1Kor 8, 4-6; vgl. Gal 4,8) angesehen werden können.
Mit dieser exklusiven Theologie bildet das frühe Christentum mit dem Judentum eine Ausnahme in der religiösen Welt der Antike. Für einen antiken Menschen ist es vollkommen unproblematisch, zu verschiedenen Anlässen unterschiedliche Götter zu verehren bzw. anzurufen – als Bürger einer Polis anlässlich des Festes die lokalen Hauptgottheit, als Mitglied eines Vereins beim jährlichen Vereinsfest die entsprechende Schutzgottheit oder bei privaten Höhepunkten wie Hochzeit oder Geburt die jeweils „zuständigen“ Götter. Man hat zwar persönliche Präferenzen, aber das bedeutet nicht, anderen Göttern ihre Macht oder gar ihre Existenz abzusprechen.
Lokale Gottheiten
Der theologische Exklusivanspruch des einen wahren Gottes ist wohl auch die tiefere Ursache dafür, dass kaum einer der vielen Götter der Welt des Imperium Romanum in den Texten des Neuen Testaments mit Namen genannt wird.
Eine der Ausnahmen bildet die in Apg 14,8-18 erzählte Episode, in der Barnabas und Paulus von den Einwohnern der lykaonischen Stadt Lystra als Zeus und Hermes verehrt werden. In diesem Zusammenhang ist dann auch von einem „Zeus vor der Stadt“ (V. 13) die Rede. Außerdem notiert Lukas am Rande, dass in Lystra Lykaonisch gesprochen worden sei (V. 11). Kombiniert man beide Angaben miteinander, scheint die Annahme plausibel, dass der von der Stadt verehrte Gott ursprünglich eine lykaonische Lokalgottheit war, die erst im Zuge der Hellenisierung Lystras mit Zeus identifiziert worden ist.
Dieses Phänomen einer so genannten Interpretatio Graeca ist weit verbreitet. Auch die berühmte Artemis Ephesia ist ein Beispiel für eine derartige sekundäre Identifizierung. Sie trägt sowohl Züge einer Segen spendenden Fruchtbarkeitsgöttin als auch der „Herrin der Tiere“. Letzteres führte wohl zu ihrer Identifikation mit der griechischen Artemis. Im Laufe der Zeit kamen weitere Aspekte hinzu. So zeigen die astralen Symbole am Gewand der berühmten im Prytaneion in Ephesos gefunden Artemisstatue, dass die Göttin in der Blütezeit der Stadt auch Züge einer kosmischen Herrscherin angenommen hatte.
Ihr Heiligtum, von dem heute nur noch geringe Reste sichtbar sind, befand sich außerhalb der Stadt und scheint nach Ausweis der archäologischen Funde von hohem Alter gewesen zu sein. Zur Zeit der Entstehung der neutestamentlichen Schriften war der Tempel der Artemis Ephesia ein bedeutendes Wallfahrtszentrum. Außerdem fungierten Tempel und Priesterschaft auch als Grundbesitzer und Bank.
Nichtgriechische Götter
Häufig werden aber auch alte nichtgriechische Götter unter ihrem ursprünglichen Namen weiter verehrt. Das betrifft sowohl den öffentlichen Kult als auch die private Religiosität. So sind auf einem Berg ca. 3,5 km nordöstlich der Stadt Antiochia Pisidia die Ruinen des zentralen Heiligtums des anatolischen Mondgottes Men Askaênos erhalten, der bis weit in die römische Kaiserzeit hinein hohe Wertschätzung genoss. Zahlreiche Weihereliefs entlang eines Prozessionsweges von der Stadt zum Heiligtum belegen, dass Men Askaênos die Hauptgottheit Antiochias war.
Ein anderes Beispiel findet sich in Philippi. Der Felsen der Akropolis der Stadt diente über Jahrhunderte als Ort der Götterverehrung. Hier finden sich sowohl – meist relativ bescheidene – Heiligtümer, die von Kultvereinen genutzt wurden, als auch kleine Felsnischen (für Götterstatuetten oder -reliefs) und Felsreliefs mit Götterdarstellungen, die von Privatleuten angebracht worden sind. Unter den verehrten Göttern erscheinen neben dem italischen Gott Silvanus (Philippi ist römische Kolonie!) und der griechischen Artemis auch thrakische Gottheiten (Philippi liegt auf ehemals thrakischem Gebiet) – die Muttergöttin Bendis und der so genannte Thrakische Reiter, der in Philippi als „Heros Aulonites“ auch öffentliche Verehrung erfuhr.
Isis und Sarapis
Schließlich begegnet im Imperium Romanum das Phänomen, dass ursprünglich orientalische Gottheiten einen Siegeszug durch das Reich antreten. Bekanntestes Beispiel neben dem frühen Christentum ist das ägyptisch-hellenistische Götterpaar Isis und Sarapis. Ihr Kult findet sich an vielen Orten, in denen auch frühe christliche Gemeinden belegt sind, z. B. in Pergamon und dem östlichen korinthischen Hafen Kenchreai. Da Isis von ihren Anhängern als Allgöttin verehrt wurde und die Einweihung in ihre Mysterien „wie ein Symbol freiwilligen Todes und einer aus Gnaden gewährten Erlösung“ (Apuleius, Metamorphosen, XI 21,6) gefeiert wurde, war sie eine starke Konkurrentin der frühchristlichen Mission.
Mysterienkulte
Die Verehrung einer ganzen Reihe von Gottheiten ist in der römischen Kaiserzeit mit Mysterienkulten verbunden. Hier sind an erster Stelle die seit grauer Vorzeit gefeierten Mysterien der Demeter im griechischen Eleusis zu nennen. Aber auch die schon erwähnte Isis, Dionysos, Kybele und Mithras waren für ihre Mysterien berühmt. Wer sich in einen Mysterienkult einweihen ließ, erhoffte sich durch das rituelle Einswerden mit dem Schicksal der Gottheit individuelle Erlösung. Von den Details der Kulte wissen wir aufgrund der sog. Arkandisziplin, die das Ausplaudern der Mysterien unter strenge Strafe stellte, nur wenig. Lediglich einzelne literarische (z. B. Apuleius, Metamorphosen, Buch XI) und archäologische (Mithräen) Quellen erlauben gewisse Einblicke. Demnach waren die Kulte von einer Dreiheit aus ritueller Handlung, Präsentation heiliger Gegenstände und Lesung der Mythen geprägt. Für jedermann sichtbar waren die teils prachtvollen bzw. ekstatischen Umzüge, die von den Kultvereinen veranstaltet wurden.
Kaiserkult
Als die Römer Kleinasien für ihr Imperium in Besitz nahmen, hatte die Verehrung des lebenden Herrschers in diesem Gebiet bereits eine lange Tradition. Insofern ist es nur folgerichtig, dass diese Gewohnheit auf die neuen Machthaber übertragen wurde. Da zur Zeit der römischen Republik keine personale zentrale Autorität existierte, ehrte man entweder hohe römische Beamte oder errichtete Tempel zu Ehren der Dea Roma, der Personifikation der Macht des Imperium Romanum. Das änderte sich, als Augustus als Princeps die Macht in einer Hand vereinte. Ab diesem Zeitpunkt konzentrierte sich die Verehrung auf den Herrscher, dem als divus (Staatsgott) Dankbarkeit und Verehrung für erfahrene Wohltaten entgegengebracht wurden.
Für die Kaiser wurden Ehrenstatuen errichtet und Tempel gebaut, deren größte in den Orten einer Provinz entstanden, die offiziell mit einer Neokorie (wrtl. Tempelhüterin) für einen Kaisertempel privilegiert worden waren, z. B. in Ephesos und Tarsus. Diese Tempel waren damit zugleich die Zentralorte des Kaiserkultes der entsprechenden Provinz. Daneben gab es den Fall, dass die Kaiser im Zentralheiligtum einer Stadt mit den Stadtgöttern eine Tempelgemeinschaft eingingen, so z. B. in der pamphylischen Stadt Side.
Die Priesterämter an den Kaisertempeln wurden wie auch sonst ehrenamtlich ausgeübt. Sie hatten einen hohen Prestigewert und dienten dazu, die Elite der Provinzen an das Kaiserhaus und die römische Reichsidee zu binden. Die Festtage des Kaiserkultes waren üblicherweise mit dem Geburtstag des Kaisers verbunden, dem das entsprechende Heiligtum geweiht war. Alternativ konnte auch das Datum der Verleihung der Neokorie gewählt werden. Diese Festtage waren mit besonderen Opfern, festlichen Umzügen, gemeinsamen Mahlzeiten und sportlichen und/oder musischen Wettkämpfen verbunden. Insofern hatten Städte, die das Privileg einer Neokorie genossen, durchaus auch einen wirtschaftlichen Vorteil davon, zumal die Kaiser dieses Privileg häufig mit der steuerlichen Freistellung entsprechender Spiele verbanden.
Zusammenfassend kann man sagen, dass der Kaiserkult das Machtgefüge im Imperium Romanum symbolisierte. Insofern wirkte er stabilisierend im Sinne der inneren Ordnung des Reiches. Man hat ihn sogar als „institutionelle Metapher“ bezeichnet, d. h. im Vollzug der Verehrung des Kaisers wurde die Grundstruktur der Gesellschaft des Imperium Romanum erinnert und zugleich weiter tradiert.
Literatur
H.-J. Klauck. Die religiöse Umwelt des Urchristentums I + II, Stuttgart 1995f.
J. Schröter/J. Zangenberg (Hrsg.), Texte zur Umwelt des Neuen Testaments, UTB 3663, Tübingen 2013
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