7. Die Apokryphen des Alten Testaments
Terminologie
Seit der Reformationszeit werden im Bereich der protestantischen Kirchen diejenigen Bücher als apokryph (verborgen) bezeichnet, die zwar in der griechischen und lateinischen Bibel enthalten sind, aber kein hebräisches Original haben. Solche Bücher sollten – im Gegensatz zur katholischen Kirche – nicht mehr Bestandteil des evangelischen Kanons sein. Immerhin hat Martin Luther die Schriften als „der Hl. Schrift nicht gleichzuhalten und doch nützlich und gut zu lesen“ bezeichnet; er ordnete sie in einen eigenen Buchteil zwischen Altem und Neuem Testament ein. Daher waren sie bis ins 19. Jh. hinein stets Teil lutherischer Bibelausgaben; heute gibt es Ausgaben mit und ohne Apokryphen.
Kanonisierung
Auf dem Konzil von Trient (1546-63) wurden die meisten der in der Septuaginta zusätzlich zu den in der hebräischen Bibel enthaltenen Schriften offiziell zum Bestandteil des katholischen Kanons erklärt. Obwohl sie hier (wie auch in der orthodoxen Kirche) als ebenfalls inspiriert gelten, tragen sie die Bezeichnung deuterokanonisch; sie haben also eine etwas geringere Bedeutung. Die so kanonisierten Bücher sind Tobit, Judit, 1. und 2. Makkabäer, die Weisheit Salomos, Jesus Sirach, Baruch (mit dem Brief Jeremias als Kap. 6) und Zusätze zu Ester und Daniel. In der lutherischen Tradition gehört auch das Gebet des Manasse zu den Apokryphen. Die Septuaginta bietet außerdem noch das 3. Esra-Buch, 3. und 4. Makkabäer, Oden und die Psalmen Salomos. Diese Bücher wurden nicht kanonisiert, weil sie in der kirchlichen Praxis und damit in der lateinischen Bibel (Vulgata) keine besondere Rolle spielten.
Ursprache
Die wichtigste Erkenntnis der neueren Forschung ist, dass einige der Apokryphen auf hebräische oder aramäische Originale zurückgehen. So wurde der hebräische Text des Buches Jesus Sirach in verschiedenen Manuskripten in einem Lagerraum (Geniza) einer Synagoge in Kairo und später auch auf der Bergfestung Massada am Toten Meer gefunden. Von Tobit fanden sich in Qumran aramäische und hebräische Fragmente. Für andere Bücher, etwa die Zusätze zu Daniel, ist aufgrund der Besonderheiten der erhaltenen griechischen Übersetzung ebenfalls ein aramäisches Original zu vermuten. Hinzu kommt, dass die neutestamentlichen Schriftsteller die so definierte Kanonsgrenze nicht kannten. Sie haben aus den „alttestamentlichen“ Büchern zitiert, die in ihrer Gemeinde als heilige Schrift galten, so etwa 2Makk 7,19 in Apg 5,39 (vgl. auch den entsprechenden Anhang im Novum Testamentum Graece).
Auf den folgenden Seiten wird eine kurze Einführung in die einzelnen apokryphen Schriften gegeben. Sie soll eine erste Orientierung ermöglichen und vor allem zur eigenen Lektüre dieser Bücher anleiten. Sie sind nämlich nicht einfach „nützlich und gut zu lesen“, sondern sie führen ihre Leser/innen in das Denken und den Glauben des Judentums in der Zeit zwischen den Testamenten ein. Damit sind sie für die Wirkungsgeschichte des Alten Testaments und das geistige Umfeld des Neuen Testaments von hoher Bedeutung. Als Kriterium für die hier gegebene Auswahl gilt einzig die Zugehörigkeit der Bücher zur Apokryphensammlung der Lutherbibel. Eine ausführlichere Darstellung müsste auch auf die Bücher Henoch, 4. Esra, Jubiläen und einige der wichtigsten Qumranschriften eingehen. Dies jedoch würde den Rahmen einer Bibelkunde sprengen.
Im Bereich der apokryphen Bücher gibt es zum Teil erhebliche Unterschiede bei der Vers- und Kapitelzählung der einzelnen Bibelausgaben. In der folgenden Darstellung wird durchgängig der Verszählung des griechischen Referenztextes, der Göttinger Septuaginta-Ausgabe gefolgt, an die sich auch die neue Lutherbibel (2017) anlehnt. Daher gibt es an vielen Stellen Differenzen zur Zählung in alten Lutherbibel-Ausgaben.
Kapitel zu den Apokryphen des Alten Testaments
Literatur
Jüdische Schriften aus hellenistisch-römischer Zeit, hg. v. W. G. Kümmel u. a., 5 Bände in Einzellieferungen seit 1973.
Septuaginta Deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, hg. v. W. Kraus, M. Karrer, 2009.
Septuaginta Deutsch. Erläuterungen und Kommentare zum griechischen Alten Testament, hg. v. M. Karrer, W. Kraus, 2011.
Chr. Böttrich, M. Rösel (Hg.), Die Apokryphen der Lutherbibel. Einführungen und Bibeltexte, 2017.
Digitale Bibelkunde
Die Texte auf dieser Seite sind mit freundlicher Genehmigung übernommen aus: Rösel, Martin: Bibelkunde des Alten Testaments. Die kanonischen und apokryphen Schriften. Mit Lernübersichten von Dirk Schwiderski, Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 11., veränd. Aufl. 2021. Zur Vorbereitung auf die Bibelkunde-Prüfung: Die Lernkartensets zur Bibelkunde für RepeticoDie ideale Ergänzung