Benzinger, Immanuel
(1865-1935)
(erstellt: März 2010)
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1. Leben
Der Alttestamentler Immanuel Gustav Adolf Benzinger wurde am 21.2.1865 als Sohn des Lehrers Michael Benzinger (1823-1904; Rektor der höheren Mädchenschule Reutlingen 1866-1873; Rektor des Evangelischen Töchterinstituts Stuttgart 1873-1896) und seiner aus Schweden stammenden ersten Frau Johanna Maria Elisabeth Sehmann (1839-1882; Tochter des im schwedischen Militärdienst stehenden Adolf Ludvig Sehmann und der Emilie Östberg) in Stuttgart geboren und starb am 12.3.1935 in Riga. Er war mit Rosa Binder verheiratet und hatte zumindest einen Sohn (s.u.). Benzinger gehört zu einer Gruppe von bedeutenden deutschen protestantischen Alttestamentlern in der ausgehenden Kaiserzeit. Bemerkenswert ist, dass seine Tätigkeit nicht auf Deutschland beschränkt blieb. Nach dem Studium 1883-1888 in Tübingen, u.a. bei dem semitischen Philologen Albert Socin (1844-1899) und dem Alttestamentler Emil Kautzsch (1841-1910), dem Vikariat in Stuttgart und einer Repetententätigkeit am Evangelisch-theologischen Seminar in Tübingen wurde er 1894 Pfarrer in Neuenstadt am Kocher (heute Kreis Heilbronn, Baden-Württemberg) und 1898 Privatdozent für Altes Testament an der Universität Berlin. Im Jahr 1901 reiste er über Ägypten nach Jerusalem, wo er sich niederließ und als Lehrer an christlichen Einrichtungen und Schulen des Hilfsvereins der deutschen Juden unterrichtete. Seit 1906 war er zudem Vizekonsul der Niederlande in Jerusalem. 1912 übernahm er eine Professur in Toronto (Kanada), aus der er aber zu Beginn des Ersten Weltkrieges u.a. wegen der Kriegsteilnahme seines Sohnes auf deutscher Seite ausscheiden musste (vgl. Horn 1999, 41-43; Friedland 2002, 260). Es gelang ihm, seine Tätigkeit von 1915-1918 an der Meadville Theological School, Meadville, Pennsylvania, und von 1919-1920 am Wagner College, New York, fortzusetzen. 1921 folgte er einem Ruf an die im Jahr zuvor errichtete theologische Fakultät in Riga (Lettland), um deren Aufbau er sich verdient machte (vgl. Kiploks 1938, 4). Das Verhältnis zu seinem prominenten deutschen Fakultätskollegen, dem Religionswissenschaftler Gustaf Mensching (1901-1978; 1927-1936 in Riga) war gespannt (vgl. dazu Yousefi / Braun 2002, 46-50). Zu Benzingers 70. Geburtstag kurz vor seinem Tod widmeten Kollegen ihm eine Festschrift (Studia Theologica I, Hrsg. Ordo Theologorum Universitatis Latviensis, Riga 1935).
2. Alttestamentler
Benzinger gilt als ein Vertreter der historisch-kritischen Exegese im Gefolge von Julius Wellhausen (1844-1918). Besonders deutlich wird dies in seinem Werk „Jahvist und Elohist in den Königsbüchern“ (1921), in dem er versucht, die Hypothese der Quellenschriften des Pentateuchs auf die Königsbücher auszudehnen. Obwohl er damit zu seiner Zeit nicht allein stand, schlug die Forschung doch andere Wege ein (vgl. Nicholson 2002, 45f.). Zu den Königsbüchern hatte Benzinger zuvor schon (1899) ebenso wie zu den Chronikbüchern (1901) einen grundlegenden und auch heute noch interessanten Kommentar in der von Karl Marti (1855-1925) herausgegebenen Reihe „Kurzer Hand-Commentar zum Alten Testament“ veröffentlicht. In der allgemein verständlichen „Sammlung Göschen“ erschien Benzingers „Geschichte Israels bis auf die griechische Zeit“ (1904; 3. Aufl. 1924). Sein Hauptwerk schrieb er aber schon in Tübingen, die „Hebräische Archäologie“ (1894; 2. Aufl. 1907; 3. Aufl. 1927; Ndr. 1974), in der er auf über 500 Seiten Lebensverhältnisse, Sitten und Gebräuche sowie die bürgerlichen und religiösen Institutionen der Israeliten darstellt. In der zweiten Auflage dieses Werks nimmt er die von dem Panbabylonisten Hugo Winckler (1863-1913) eingeführte Vorstellung einer gemeinsamen altorientalischen Weltanschauung positiv auf und wird dafür von Rudolf Kittel (1853-1929) in einer Rezension heftig kritisiert (vgl. 1910, 165-168). Diese neue Sichtweise bedeutete für Benzinger aber keine Abkehr von der historisch-kritischen Methode (vgl. nur „Jahvist und Elohist in den Königsbüchern“ 1921). Auch für die Jewish Encyclopedia (12 Bände, 1901-1906) und Paulys Realencyclopädie (1893ff.) war Benzinger tätig.
3. Palästinaforscher
Seine Lehrer Socin und Kautzsch (s.o.), die Mitbegründer des → Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Who was Who? Vol. III 1929-1940, London 1941, 2. Aufl. 1967
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965 (Art. Riga)
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996, 2. Auflage, Detroit u.a. 2007 (Art. Benzinger; Hilfsverein der deutschen Juden; Israel, State of; Education)
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004 (Art. Baltikum)
- The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East, Oxford / New York 1997
- Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet
)
2. Werke (in Auswahl)
- [vgl. E. Kiploks, Index Scriptorum Immanuelis Benzinger, Riga 1938]
- Hebräische Archäologie (Grundriß theologischer Wissenschaften 2,1), Freiburg i.Br. 1894; 2. Aufl. Tübingen 1907; 3. Aufl. Leipzig 1927; Ndr. Hildesheim New York 1974
- Die Bücher der Könige (KHC.AT 9), Freiburg i.Br. 1899
- Die Bücher der Chronik (KHC.AT 20), Tübingen 1901
- [mit Schulrat Frohnmeyer] Bilderatlas zur Bibelkunde. Ein Handbuch für den Religionslehrer und Bibelfreund, Stuttgart 1903; [als Alleinverfasser] Stuttgart 1913
- Geschichte Israels bis auf die griechische Zeit (Sammlung Göschen 231), Berlin 1904; 2. Aufl. 1908; 3. Aufl. 1924
- Nähere Umgebung von Jerusalem [Karte]. Entworfen von C. Schick, Leipzig 1905
- Die Ausgrabungen auf dem Tell el-Mutesellim. VI. Die Ausgrabungen im Herbst 1903: MNDPV 10 (1904) 65-74
- Erläuterungen zu 108 ausgewählten Lichtbildern für den Religionsunterricht, Stuttgart 1921
- Jahvist und Elohist in den Königsbüchern (BWANT 27 [N.F. 2]), Berlin 1921
- Baedeker, Palaestina und Syrien. Handbuch für Reisende [bearbeitet von I. Benzinger], 3. Aufl. Leipzig 1891; 4. Aufl. 1897; 5. Aufl. 1900; Palaestina und Syrien nebst den Hauptrouten durch Mesopotamien und Babylonien, 6. Aufl. 1904; Palaestina und Syrien, die Hauptrouten Mesopotamiens und Babyloniens und die Insel Cypern, 7. Aufl. 1910
3. Sekundärliteratur
- Baumgartner, W., Eine alttestamentliche Forschungsgeschichte: ThR N.F. 25 (1959), 93-110
- Friedland, M.L., The University of Toronto. A History, Toronto 2002
- Horn, M., Academic Freedom in Canada. A History, Toronto 1999
- Hübner, U. (Hg.), Palaestina exploranda. Studien zur Erforschung Palästinas im 19. und 20. Jahrhundert anläßlich des 125jährigen Bestehens des Deutschen Vereins zur Erforschung Palästinas (ADPV 34), Wiesbaden 2006 (zu Benzinger vgl. auch meine Rez. in OLZ 102 [2007], Sp. 530 [Sp. 527-531])
- Kittel, R., Rez.: Benzinger, I., Hebräische Archäologie. 2., vollständig neu bearbeitete Aufl., Tübingen 1907, ZDPV 33 (1910), 165-168
- Kraus, H.-J., Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, 2. Aufl., Neukirchen-Vluyn 1969
- Lehmann, R.G., Friedrich Delitzsch und der Babel-Bibel-Streit (OBO 133), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1994
- Nicholson, E.W., The Pentateuch in the Twentieth Century. The Legacy of Julius Wellhausen, Oxford 1998, Ndr. 2002
- Roi-Frey, K. de la, Schulidee: Weiblichkeit. Höhere Mädchenschulen im Königreich Württemberg, 1806 bis 1918, Diss. Tübingen 2003 (zu Michael Benzinger)
- Yousefi, H.R. / Braun, I., Gustaf Mensching – Leben und Werk. Ein Forschungsbericht zur Toleranzkonzeption, Würzburg 2002
zur Familie Benzinger / Sehmann: http://benzinger.se/sehmann/slaekttavla_Sehmann_080910_publik.htm
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