Eichhorn, Johann Gottfried
(1752-1827)
(erstellt: Dezember 2009)
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1. Leben
Johann Gottfried Eichhorn wurde am 16.10.1752 als Sohn des evangelischen Pfarrers Johann Georg Christoph Eichhorn und der Pfarrerstochter Sophie Friederike Storner in Dörrenzimmern im Fürstentum Hohenlohe-Öhringen (heute Ortsteil von Ingelfingen, Hohenlohekreis, Baden-Württemberg) geboren. Er besuchte die Schule in Weikersheim (heute Main-Tauber-Kreis, Baden-Württemberg) und das Gymnasium in Heilbronn. 1770 bezog er die Universität Göttingen und hörte u.a. bei dem semitischen Philologen Johann David Michaelis (1717-1791) und dem klassischen Philologen Christian Gottlob Heyne (1729-1812). 1774 wurde er Rektor am Gymnasium in Ohrdruf (heute Landkreis Gotha, Thüringen) und bereits ein Jahr später Professor für orientalische Sprachen an der Universität Jena. 1788 wechselte er wegen Querelen mit dem Jenaer Theologen → Johann Christoph Döderlein
2. Einordnung
Der Historiker und Philologe Eichhorn war vielseitig interessiert und publizierte auf den Gebieten der Orientalistik, der Welt-, Kultur- und Literaturgeschichte und der Bibelwissenschaft; er gab u.a. von 1777-1803 ein eigenes wissenschaftliches Journal heraus (vgl. Kraus 1969, 133-151; Smend 1989, 25-37; Graf Reventlow 2001, IV, 209-226; 2008, 1051-1057). Er nahm Anregungen von Johann Salomo Semler (1725-1791), → Jean Astruc
3. Begründer der Biblischen Einleitungswissenschaft
Eichhorns wissenschaftsgeschichtlich bedeutendstes Verdienst ist die Begründung einer kritischen Biblischen → Einleitungswissenschaft
4. Ältere Urkundenhypothese zum Pentateuch
Für das Buch → Genesis
5. Mythos
Von seinem Lehrer Christian Gottlob Heyne lernte Eichhorn den antiken Mythos als Ausdrucksform der Kindheitsphase des Menschengeschlechts kennen. Diese Vorstellung greift er in seiner Auslegung der Urgeschichte Gen 1-3 (zuerst 1779) auf. Die Ausdrucksweise der Texte sei die einzige zeitbedingt mögliche. Es handle sich um wahre, auf Mose als Verfasser oder Sammler zurückgehende Geschichten, nicht um freie Dichtungen oder Allegorien. Den Terminus Mythos möchte Eichhorn dafür allerdings nicht verwenden: „Also keine Mythologie, keine Allegorie, sondern wahre Geschichte!“ (Urgeschichte, hrsg. v. Gabler, 1793, Bd. II/2, 79). Der Herausgeber dieses Werks, Eichhorns Schüler → Johann Philipp Gabler
6. Hypothesen zu Jesaja und Hiob
Die Einsicht → Johann Christoph Döderleins
7. Urevangeliumshypothese
Für das Neue Testament übernimmt er in seinem Aufsatz „Über die drey ersten Evangelien“ (1794) die von Gotthold Ephraim Lessing (1729-1781) eingeführte Urevangeliumshypothese (1784, postum veröffentlicht) und baut sie weiter aus. Eichhorns methodisches Vorgehen ist bemerkenswert: Die Ähnlichkeit und zugleich die Verschiedenheit der drei ersten Evangelien führten ihn zur Annahme einer gemeinsamen hebräischen oder aramäischen Quelle. Diese liege in den überkommenen Evangelien doppelt gebrochen vor: Schon das Urevangelium habe Varianten und Erweiterungen enthalten. Die Differenzen seien durch die jeweilige Übersetzung und weitere Ergänzungen noch vermehrt worden. Matthäus und Lukas hätten den nur ihnen gemeinsamen Stoff aus anderen schriftlichen Quellen geschöpft. Der Haupteinwand gegen diese Hypothese ist, dass sich weder eine hebräische oder aramäische Urfassung der drei Evangelien noch unterschiedliche Übersetzungsvorlagen nachweisen lassen. Eichhorn hat allerdings bereits erkannt, dass die Gemeinsamkeiten von Matthäus und Lukas gegen Markus auf besondere Quellen (heute: Logienquelle Q) zurückgehen.
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Allgemeine Deutsche Biographie, München 1875-1912
- Realencyclopädie für protestantische Theologie und Kirche, Leipzig 1896-1913
- Neue Deutsche Biographie, Berlin 1953ff.
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2005
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001 (Atk. Synoptische Frage)
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2005
- Metzler-Lexikon Christlicher Denker, Stuttgart / Weimar 2000
- Biographisch-Bibliographisches Kirchenlexikon (im Internet
; auch Artikel zu Karl Friedrich Eichhorn)
2. Werke (in Auswahl)
- Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur, 18 Bände, Leipzig (Weidmann) 1777-1786
- Urgeschichte (zuerst anonym in: Repertorium für Biblische und Morgenländische Litteratur 4 [1779] 129-256), hrsg. von J.P. Gabler, 3 Teile, Nürnberg (Monath und Kußler) 1790-1793
- Einleitung in das Alte Testament, 3 Bände, Leipzig (Weidmann) 1780-1783 (2. Aufl. 1787; 3. Aufl. 1803; 5 Bände, Göttingen [Rosenbusch] 4. Aufl. 1823-1824; Nachdruck der 2. Aufl. auch Reutlingen [Johannes Grözinger] 1790)
- Allgemeine Bibliothek der Biblischen Litteratur, 10 Bände, Leipzig (Weidmann) 1787-1803
- Commentarius in Apocalypsin Johannis, 2 Bände, Göttingen (Dieterich) 1791
- Über die drey ersten Evangelien. Einige Beyträge zu ihrer künftigen Behandlung: Allgemeine Bibliothek der Biblischen Litteratur 5 (1794) 759-996
- Einleitung in die apokryphischen Schriften des Alten Testaments, Leipzig (Weidmann) 1795
- Hiob, metrisch übersetzt, Leipzig (Weidmann) 1800 (2. Aufl. Göttingen [Rosenbusch] 1824)
- Einleitung in das Neue Testament, 5 Bände Leipzig (Weidmann) 1804-1827 (einzelne Bände auch in zweiter Auflage)
- Die hebräischen Propheten, 3 Bände, Göttingen (Vandenhoek und Ruprecht) 1816-1819
3. Sekundärliteratur
- Aner, K., Die Theologie der Lessingzeit, Halle/S. 1929 (Nachdruck Hildesheim 1964)
- Berges, U., Jesaja 40-48 (HThKAT), Freiburg i.Br. 2008
- Beutel, A., Kirchengeschichte im Zeitalter der Aufklärung (UTB 3180), Göttingen 2009
- D’Alessandro, G., L’illuminismo dimenticato: Johann Gottfried Eichhorn (1752-1827) e il suo tempo (La cultura storica 7), Napoli 2000
- Hartlich, C. / Sachs, W., Der Ursprung des Mythosbegriffs in der modernen Bibelwissenschaft, Tübingen 1952
- Herder, J.G., Briefe. Gesamtausgabe, hrsg. v. Dobbek, W. / Arnold, G., Bd. 5 September 1783 - August 1788), Weimar 1979
- Heussi, K., Geschichte der Theologischen Fakultät zu Jena, Weimar 1954
- Houtman, C., Der Pentateuch. Die Geschichte seiner Erforschung nebst einer Auswertung, Kampen 1994
- Kaiser, O., Eichhorn und Kant. Ein Beitrag zur Geschichte der Hermeneutik, in: F. Maass (Hg.), Das ferne und das nahe Wort (FS L. Rost; BZAW 105), Berlin 1967, 114-123; auch in: O. Kaiser, Von der Gegenwartsbedeutung des Alten Testaments. Gesammelte Schriften zur Hermeneutik und zur Redaktionsgeschichte, Göttingen 1984, 61-70
- Kraus, H.-J., Geschichte der historisch-kritischen Erforschung des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 2. Aufl. 1969
- Kümmel, W.G., Das Neue Testament. Geschichte der Erforschung seiner Probleme (Orbis Academicus), Freiburg i.Br. / München 2. Aufl. 1970
- Reventlow, H. Graf, Towards the End of the “Century of Enlightenment”: Established Shift from the Sacra Scriptura to Literary Documents and Religion of the People of Israel, in: M. Saebø (Hg.), Hebrew Bible / Old Testament: The History of Its Interpretation, Bd. 2, From the Renaissance to the Enlightenment, Göttingen 2008, 1024-1063
- Reventlow, H. Graf., Epochen der Bibelauslegung, Bd. IV Von der Aufklärung bis zum 20. Jahrhundert, München 2001
- Sehmsdorf, E., Die Prophetenauslegung bei J.G. Eichhorn, Göttingen 1971
- Smend, R., Deutsche Alttestamentler in drei Jahrhunderten, Göttingen 1989
- Smend, R., Epochen der Bibelkritik. Gesammelte Studien, Bd. 3 (BEvTh 109), München 1991
- Wahl, H.-M., Seit wann gelten die Elihureden (Hi 32-37) als Einschub? Eine Bemerkung zur Forschungsgeschichte, BN 63 (1992), 58-61
- Wilson, W.D. (Hg.), Goethes Weimar und die Französische Revolution. Dokumente der Kriegsjahre, Köln u.a. 2004
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