Deutsche Bibelgesellschaft

Andere Schreibweise: Gedaliah (engl.); Guedalia; Guedalias (frz.)

(erstellt: April 2011)

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Der Name Gedalja ist im Alten Testament und auf Siegeln für mehrere Männer belegt. Der bekannteste ist der Sohn Ahikams und Enkel → Schafans, der von den Babyloniern im Gefolge der Einnahme und → Zerstörung Jerusalems 587 v. Chr. als judäischer Verwaltungschef eingesetzt wurde.

1. Name

Der Name Gedalja (hebr. גְּדַלְיָהוּ Gədaljāhû und גְּדַלְיָה Gədaljāh) bedeutet „Jahwe ist groß / hat sich als groß erwiesen“ (ähnlich יִגְדַּלְיָהוּ Jigdaljāhû).

2. Gedalja, der Sohn Ahikams

Als Antwort auf eine Rebellion des judäischen Königs → Zedekia gegen die babylonische Herrschaft über Juda nahm in seinem „9. Regierungsjahr, am zehnten Tag des 10. Monats“ (2Kön 25,1; nach Albertz, 2001, 53: 15. Januar 588 v. Chr.) ein babylonisches Heer die Belagerung Jerusalems auf. Anderthalb Jahre später, im „11. Jahr des Königs Zedekia … am 9. Tag des 4. Monats“ (2Kön 25,2-3; nach Albertz, 2001, 73: am 29. Juli 587 v. Chr.) wurde die Stadt eingenommen. Einen weiteren Monat später folgte die systematische Schleifung Jerusalems, datiert auf den „7. Tag des 5. Monats“ (2Kön 25,8) bzw. den „10. Tag des 5. Monats“ (Jer 52,12; nach Albertz, 2001, 73: um den 25. August 587 v. Chr.). In dieser Zeit beriefen die Babylonier Gedalja ben Ahikam ben Schafan zum (judäischen) Oberhaupt der Verwaltung → Judas mit Residenz in → Mizpa in Benjamin (ca. 12 km nordwestlich von Jerusalem; Jer 40,5.7.11-13 u.ö.). Doch schon rund zwei Monate nach der Zerstörung Jerusalems, „im 7. Monat“, wurde Gedalja von → Jismael ben Netanja ben Elischama, einem Angehörigen der davidischem Königsfamilie, ermordet (Jer 41,1-7; vgl. auch das Exzerpt aus Jer 40-43 in 2Kön 25,22-26).

Dass die Babylonier Gedalja zu ihrem Verwaltungschef über Juda bestellten, erklärt sich aus der Vorgeschichte. Als Enkel → Schafans gehörte Gedalja der Sippe der Schafaniden an, die in den Jahrzehnten vor der Exilsepoche eine prominente Rolle in der judäischen Politik spielte. Namentlich wurden damals in Jerusalemer Hofkreisen heftige Richtungskämpfe um die Frage ausgetragen, ob man gegenüber dem babylonischen Imperialismus, von zionstheologischen Traditionen ermutigt (→ Zion), zum bewaffneten Widerstand greifen oder vielmehr eine gefügige Haltung einnehmen sollte (Jer 27-29; Jer 37f.; 2Kön 18f.*; Hardmeier, 1990). Die biblischen Quellen lassen durchblicken, dass die Schafaniden führende Rollen in jener Partei spielten, die für eine Hinnahme der babylonischen Okkupation eintrat (Jer 26,24; Jer 29,3; Jer 36,10.12 mit Jer 36,19.25). Damit steht die Einsetzung Gedaljas durch die Babylonier in Einklang (vgl. auch Jer 40,9). Bei der Wahl Mizpas als Residenz dürfte den Ausschlag gegeben haben, dass die Stadt – ähnlich wie der überwiegende Teil des benjaminitischen Territoriums – im Zuge des babylonischen Aufmarsches unzerstört geblieben war (Lipschits, 2005, 237-249), was möglicherweise als Folge probabylonischer Sympathien in diesem Raum zu werten ist (vgl. Jer 37,11ff.).

Über Gedaljas konkreten Status (Statthalter? Vasallenkönig? judäischer Verbindungsmann eines babylonischen Statthalters?) liefern die biblischen Zeugnisse keine schlüssigen Informationen. Dass der Mörder Gedaljas aus davidischem Geblüt stammte (Jer 41,1.10), bezeugt jedenfalls, dass die alte Königsfamilie in Gedaljas Rolle einen Übergriff auf ihre angestammten Rechte erblickte.

Bei der historischen Auswertung des Berichts von der Regentschaft und Ermordung Gedaljas in Jer 40f. ist zu beachten, dass die Darstellung aus einem polemischen Blickwinkel gegen seinen Mörder abgefasst ist. Die souveräne Art, wie Jismael in Mizpa aufgetreten sein soll, ist nur erklärlich, wenn er starken Rückhalt bei den Einwohnern genoss und die Gefolgschaft bei seiner Flucht nach Ammon sich ihm freiwillig anschloss (Stipp, 2000a).

Da der masoretische (hebräische) Text des → Jeremiabuches für das Jahr 582 v. Chr. eine weitere Deportation von Judäern ins → Exil verzeichnet (Jer 52,30), wird häufig angenommen, es habe sich hierbei um eine (alsbald erfolgte) babylonische Strafaktion für den Mord an Gedalja gehandelt; demnach hätte er sein Amt rund fünf Jahre lang ausgeübt. Davon wissen die biblischen Zeugnisse jedoch nichts: Die Angaben von Jer 39,2 und Jer 41,1 (par 2Kön 25,4.25) gestehen Gedalja nur wenige Monate zu, und wenn Jer 40,12 ihm eine erfolgreiche Stabilisierung der Lage in Juda bescheinigt, ist die Tendenz des Textes zu berücksichtigen, die später geschilderte Massenflucht aus Juda (Jer 43,1-7) als töricht hinzustellen. Schließlich ist auch die babylonische Reaktion auf den Aufstand → Jojakims (2Kön 24,1) mit mehrjähriger Verzögerung eingetreten (2Kön 24,10). Gelegentlich wurde sogar angenommen, Gedalja habe mit babylonischer Unterstützung in Juda Sozialreformen im Geist des Buches → Deuteronomium durchgeführt. Vom zeitlichen und machtpolitischen Korsett seiner Amtsperiode einmal abgesehen, müssen sich solche Hypothesen auf einen Beleg im Jeremiabuch stützen, der in der antiken griechischen Ausgabe (→ Septuaginta) des Buches noch fehlt und erst Jahrhunderte nach den Ereignissen in den Text eingetragen wurde (Jer 39,10).

Redaktoren des Jeremiabuches bemühten sich, die Eintracht zwischen Gedalja und dem Propheten Jeremia zu unterstreichen (Jer 39,14; Jer 40,1-6). In exilischer Zeit wurde des Mordes an Gedalja mit Trauerriten gedacht (Sach 7,5; Sach 8,19). In Sach 7,5 kommt die Praxis zur Sprache in einer Antwort auf Fragesteller, die durch ihre akkadischen Namen (Sach 7,2: Bet-El-Sar-Ezer = „[der Gott] Bet-El beschirme den König“ und Regem-Melech „der König hat gesprochen“) als Exilsheimkehrer kenntlich gemacht werden. Dies passt zu dem Umstand, dass sich unter den Exilanten allem Anschein nach auf die Dauer babylonfreundliche Tendenzen durchgesetzt hatten (Jer 27-29; Jer 37-43*; Ez).

Bei bestimmten in Palästina aufgefundenen Siegeln und Bullen mit dem Namen Gedalja wird diskutiert, ob sie mit Gedalja ben Ahikam ben Schafan zu verbinden sind. Wegen der mangelnden Eindeutigkeit der Inschriften und angesichts der Häufigkeit des Namens ist indes Vorsicht geboten (vgl. die Kontroverse zwischen van der Veen, 2003, und Becking, 2007).

3. Weitere Träger des Namens

Gedalja heißen im Alten Testament ferner ein Gegner → Jeremias aus judäischen Führungskreisen (Gedalja ben Paschhur Jer 38,1); der Großvater des Propheten → Zefanja (Zef 1,1); ein Mitglied einer legendären Tempelsängergilde zur Zeit Davids (1Chr 25,3.9); sowie ein priesterlicher Zeitgenosse → Esras (Esr 10,18). Ein gewisser Jigdalja galt als Stammvater einer Prophetengilde, die am vorexilischen Tempel kurz vor seiner Zerstörung über eine für Versammlungen geeignete Räumlichkeit verfügt haben soll (Jer 35,4).

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin u.a. 1977-2004
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • The New Interpreter’s Dictionary of the Bible, Nashville 2006-2009

2. Weitere Literatur

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  • Becking, B., 2007, Gedaliah and Baalis in History and as Tradition: Remarks on 2 Kings 25:22-26, Jeremiah 40:7-41:15, and Two Ammonite Seal-Inscriptions, in: ders., From David to Gedaliah. The Book of Kings as Story and History (OBO 228), Göttingen / Freiburg (Schweiz), 147-173
  • Bianchi, F., 2005, Godolia contro Ismaele. La lotta per il potere politico in Giudea all’inizio della dominazione neobabilonese (Ger 40-41 e 2Re 25,22-26), Rivista Biblica Italiana 53, 257-275
  • Fischer, G. 2005, Jeremia 25-52 (HThKAT), Freiburg / Basel / Wien
  • Fritz, V., 1998, Das zweite Buch der Könige (ZBK.AT 10.2), Zürich
  • Hanhart, R., 1998, Dodekapropheton 7.1: Sacharja 1-8 (BK 14/7.1), Neukirchen-Vluyn
  • Hardmeier, C., 1990, Prophetie im Streit vor dem Untergang Judas. Erzählkommunikative Studien zur Entstehungssituation der Jesaja- und Jeremiaerzählungen in II Reg 18-20 und Jer 37-40 (BZAW 187), Berlin / New York
  • Keel, O., 2007, Die Geschichte Jerusalems und die Entstehung des Monotheismus, Teil 2 (Orte und Landschaften der Bibel IV, 2), Göttingen, 772-784
  • Lipschits, O., 2005, The Fall and Rise of Jerusalem. Judah under Babylonian Rule, Winona Lake
  • Pakkala, J., 2008, Gedaliah’s Murder in 2 Kings 25:25 and Jeremiah 41:1-3, in: A. Voitila / J. Jokiranta (Hgg.), Scripture in Transition (FS R. Sollamo; Supplements to the Journal for the Study of Judaism 126), Leiden, 401-411
  • Peels, E., 2009, The Assassination of Gedaliah (Jer. 40:7-41:18), in: B. Becking (Hg.), Exile and Suffering. A Selection of Papers Read at the 50th Anniversary Meeting of the Old Testament Society of South Africa Pretoria, August 2007 (OTS 50), Leiden, 83-103
  • Reventlow, H. Graf, 1993, Die Propheten Haggai, Sacharja und Maleachi (ATD 25/2), Göttingen
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  • Stipp, H.-J., 2000a, Gedalja und die Kolonie von Mizpa, ZAR 6, 155-171
  • Stipp, H.-J., 2000b, Jeremia, der Tempel und die Aristokratie. Die patrizische (schafanidische) Redaktion des Jeremiabuches (KAANT 1), Waltrop
  • Van der Veen, P., 2003, Beschriftete Siegel als Beweis für das biblische Israel? Gedalja und seine Mörder par exemple (Eine Antwort an Bob Becking), in: F. Ninow (Hg.), Wort und Stein. Studien zur Theologie und Archäologie (FS U. Worschech, Beiträge zur Erforschung der antiken Moabitis 4), Frankfurt (am Main), 238-259
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  • Yates, G. E., 2005, Ishmael’s Assassination of Gedaliah: Echoes of the Saul-David Story in Jeremiah 40:7-41:18, WthJ 67, 103-112

Abbildungsverzeichnis

  • Abdruck des Siegels mit der Aufschrift: lgdljhw ’šr ‘l hbjt „dem Gedaljahu, der über dem Haus“, d.h. Palastvorsteher ist. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart

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