Haut
(erstellt: Dezember 2017)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/80326/
1. Biblische Grundbegriffe
Gegenüber modernen Hautkonzepten weisen antike Zeugnisse ein eigenes Profil auf. Die Hebräische Bibel stellt hierin keine Ausnahme dar. In ihr ist „Haut“ nicht gleich „Haut“. Die meisten deutschen Übersetzungen der Hebräischen Bibel geben die beiden hebräischen Begriffe בָּשָׂר bāśār und עוֹר ‘or zuweilen mit „Haut“ wieder. בָּשָׂר bāśār bleibt jedoch an fast allen Referenzstellen mehrdeutig. Der Begriff kann dort nicht nur mit „Haut“, sondern auch mit „Fleisch“ übersetzt werden (z.B. Ps 102,6
Allen Lebewesen, also Menschen, Säugetieren und selbst Ungeheuern (Hi 40,31
Demnach kann עוֹר ‘or sowohl „Haut“ als auch „Leder“ bedeuten. Da diese Nicht-Trennung selbst beim seltenen Synonym גֵּלֶד gelæd fortgeführt wird (Hi 16,15
Bei allen Gemeinsamkeiten hat das Hautkonzept der Hebräischen Bibel gegenüber den Kulturen des Alten Orients jedoch auch ein eigenes Profil – besonders in der Darstellung des Göttlichen.
Beispielsweise im Alten Ägypten ist die „Haut der Götter“ entweder golden (Götterstatuen), blau (Amun) oder grün (Osiris). Wie andere körperliche Attribute kann die Haut bei Göttern Veränderungen unterworfen sein – so beispielsweise bei Osiris, dessen Haut im Zuge seines körperlichen Zerfalls schwarz wird (z.B. im aus dem 4. Jh. v.d.Z. stammenden pSchmitt Berlin B. 3057). JHWH, der in der Hebräischen Bibel anthropomorph → Hand
2. Nutzung von Mensch- und Tierhäuten
Wie in allen bekannten menschlichen Kulturen werden im antiken Israel die Häute von Nutztieren im alltäglichen Leben verwendet. Auffällig ist jedoch, dass die in der Antike übliche königsideologische oder rituelle Nutzung von Häuten gejagter Wildtiere (zumeist Löwen oder Panther) in der Hebräischen Bibel nicht belegt ist. Doch werden auch dort Tierhäute nicht nur für alltägliche Zwecke, sondern in vielen Kontexten motivisch genutzt. Sie dienen der Deutung, Gestaltung und der Erzeugung menschlicher Erfahrungen.
2.1. Die Nähe der Menschen- zur Tierhaut
Der wohl eindrücklichste Beleg der motivischen Nutzung von Tierhaut zur Beschreibung gegenwärtiger Geschehnisse repräsentiert wohl die prophetische Kritik des → Michabuches
Ähnlich drastisch wird in einer Rede → Bildads
2.2. Kult und (Non-)Profit
Rechts ist anschließend zu sehen, wie es auf einem dreibeinigen Hocker glatt gezogen wird, um es so geschmeidig und gleichmäßig zu machen. Auf einem schrägen Arbeitstisch (Bildmitte unten) werden dann mit einem sichelförmigen Messer die für die Arbeit notwendigen Lederstücke herausgeschnitten.
Schon → Maimonides
Im Kontext von Ganz- und Sündopfern jedoch gehört auch die Haut explizit mit zu der zu verbrennenden Opfermaterie (Ex 29,14
Wenn aus dem Ganzopfer von Haut und Fleisch des Tieres auf menschlicher Seite nicht profitiert werden kann, wird es damit rituell ganz dem göttlichen Besitz zugeschrieben. Es geschieht also eine Anerkenntnis der göttlichen Herrschaft, welche beispielsweise im ägyptischen wie mesopotamischen Opferkult die Wiederherstellung kosmischer Harmonie impliziert.
2.3. Verwendung
Leder wurde im altorientalischen Kulturraum zur Aufbewahrung und zum Transport von Lebensmitteln genutzt. Auch die Hebräische Bibel kennt Ledergefäße als Behälter von Wasser (Gen 21,19
2.4. Kleidung und Status
Hauptpunkt sozialer Distinktion ist das, was auf der Haut zu sehen ist, die Kleidung (→ Kleidung / Textilherstellung
Die mit der Nacktheit verbundene Furcht des Menschen (Gen 3,10
Zu den Aspekten der Nacktheit und der Aussagekraft von Lederkleidung tritt in der Hebräischen Bibel noch der von Bekleidung, die direkt auf der Haut getragen wird. Hierbei handelt es sich ausschließlich um den auch im Deutschen bekannten Sack (hebr. שַׂק śaq; → Kleidung / Textilherstellung
3. Anthropologische Bedeutung
Die Betrachtung der Oberfläche des Menschen, seiner Haut, als dessen – nach dem Mund – zweitwichtigstes Kommunikationsorgan zeigt sich auch, wenn diese nicht nur durch Artefakte, wie Kleidung, sondern als Ganze anders ist oder verändert wird. Kurzum: Nicht nur das, was auf der Haut ist, sondern die Haut selbst hat Signalwirkung.
3.1. Signalwirkung
Hautdarstellungen, die in großer Zahl aus dem Alten Ägypten sogar koloriert erhalten sind, dienen der Grenzziehung zwischen Eigenem und Fremden. Pharao → Amenophis IV. Echnaton
An den Beschreibungen der Geliebten im wohl sehr ägyptisch beeinflussten → Hohelied
Doch finden sich im selben Text auch kritische Töne zum Thema Hautfarbe. Letztere ist nicht nur ein ethnisches, sondern auch ein soziales Distinktionsmerkmal. Ein durch dauerhaften Kontakt mit Sonnenstrahlen gefärbter Teint ist Zeichen der Zugehörigkeit zur Gruppe der Landarbeiter und Landarbeiterinnen, Hirten und Tagelöhner. So lässt es sich als Erniedrigungsmaßnahme der Brüder der Braut verstehen, dass diese sie zur Arbeit in den Weinbergen zwingen und sie demnach direkter Sonneneinstrahlung aussetzen (Hhld 1,5ff
Noch deutlicher wird das eigene Profil biblischer Literatur zum Thema Hautfarbe bei den vor allem als Palastpersonal und Söldnern bekannten → Kuschiten
Die betonteste Erwähnung, in der zudem das Spiel zwischen dunkler und heller Hautfarbe als motivischer basso continuo der Episode auftaucht, findet in Num 12
Hauptgrund dieses Gottesurteiles ist nach dem Narrativ der Tora jedoch kein – möglicher aber nicht zwingender – Rassismus der Mosegeschwister, sondern vielmehr deren Hinterfragung der Gottesbeziehung Moses, die an anderer Stelle wiederum durch dessen Haut signalisiert wird.
An einer narrativ exponierten Stelle, der Erneuerung der Bundestafeln, kommt Mose nach 40 Tagen vom Gottesberg herab; ohne zu wissen, dass seine Gesichtshaut durch das Reden mit JHWH zu strahlen begonnen hatte. Mose, vor dem die Israeliten und Israelitinnen eine numinose Furcht bekommen, partizipiert durch diese Ausstrahlung am göttlichen Strahlen JHWHs, was an der einzigen Erwähnung mit JHWH als Subjekt bei Habakuk als „Vorratskrug seiner Kraft“ (Hab 3,4
3.2. Marker der Vergänglichkeit
Der Mensch ist vergänglich. Bei der Untermalung seiner daraus resultierenden Verletzlichkeit nimmt die Haut – z.B. in Klagegebeten an JHWH – eine prominente Rolle ein. JHWH ist in der Hebräischen Bibel derjenige, der den Menschen mit Haut und Fleisch einkleidet (Hi 10,11
Die anthropologische Zentralstellung der Haut liefert den Gedankenhintergrund für die Antwort des → Satans
Diese satanische Darstellung der Haut als Gesamtheit des menschlichen Lebens findet großen Widerhall in den Klagen, die Hiob im Verlauf des Textes an Gott richtet. In Klagetexten wie denen des Hiobtextes (ausschließlich im Munde Hiobs) oder den → Klageliedern Jeremias
Auch hier ist es JHWH, der den Zustand der Haut zu verantworten hat: „Mein Fleisch und meine Haut hat er zerfallen lassen“ (Klgl 3,4
Auch Hiob ist sich im Klaren, wen er als eigentlichen Urheber seines Hautausschlages auszumachen hat:
Hi 19,6a.20.26
Diese (exegetisch hoch umstrittene) Stelle verdeutlicht, dass in den Zeugnissen der Hebräischen Bibel keine andere Instanz als JHWH für Wohlergehen und Verfall der Haut als Urheber ausgemacht wird. Dies deckt sich auch mit altorientalischen Konzepten, in denen das Zerschlagen der Haut in der Regel auf Götterurteile zurückgeht. Demnach entspricht die göttliche Erlaubnis an den Satan, Hiobs Haut zu schlagen (Hi 2,6
Den in Klagetexten stereotypen Darstellungen des Hautverfalls (Hi 7,5
Eine Kollektivierung dieser sehr verbreiteten Motive ist vermutlich bei Jesaja zu finden. Das Auftaktkapitel scheint rituelle Klageformulare zum Ausgangspunkt der prophetischen Umkehrbotschaft zu nehmen und zum Motiv für das Schicksal des gesamten Landes zu machen:
Jes 1,5f
4. Rechtliche Regelungen
Der oben angeführte Vers aus dem → Jesajabuch
In der Anamnese findet keine begriffliche Unterscheidung zwischen Hautschädigungen statt, die mittels oder ohne physische Einwirkung aufgetreten sind. In beiden Fällen handelt es sich jeweils um „Schläge“ (hebr. Wurzel נכה nkh; → schlagen
Die enorme Relevanz der Hauterscheinung für das Selbstkonzept des Betroffenen sowie die gesellschaftliche Öffentlichkeit erklärt, warum auch in der Hebräischen Bibel der Begriff „Haut“ statistisch am häufigsten im Kult- und Sozialrecht auftaucht. In den zentralen kultrechtlichen Regelungen aus Lev 13f. ist der Begriff „Haut“, wie in medizinischen Texten des Alten Orients, mit einer Fülle an nur dort auftauchenden diagnostischen und differentialdiagnostischen Fachtermini verbunden. Die diagnostischen Verfahren sind standardisiert und professionalisiert.
Ihre Besonderheiten zeigen sich besonders an drei Leerstellen, die sie gegenüber zeitgenössischen Behandlungsweisen aufweisen:
1. Vom im Alten Orient fast immer gleichen Schema diagnostischer Prozess – Behandlung – Gesunderklärung – Reintegration und der dazugehörigen Arbeitsteilung wird in Lev 13ff. nur das Schema diagnostischer Prozess – Gesunderklärung – Reintegration übernommen. Sowohl die Behandlung wie der praktisch Behandelnde, der therapeutische Maßnahmen einleitet, fehlen.
2. Zur dermatologischen Diagnostik gehört in der Regel die Frage, ob das Leiden des Betroffenen durch Schadenszauber oder eigene Vergehen induziert wurde. Diese häufig diagnostizierte und rituell zu behandelnde Störung der kosmischen Harmonie wird in Lev 13f. als Ursache nicht aufgeführt.
3. Obwohl die zeitgenössische medizinische Literatur unheilbare Krankheiten kennt, bei denen Kranke gelegentlich nur noch durch Palliativmaßnahmen begleitet werden können, gibt es in Lev 13f. keinen Hinweis auf die Unheilbarkeit der Krankheit oder deren möglichen tödlichen Verlauf.
Die Mehrheit der Auslegerinnen und Ausleger von Lev 13f. geht davon aus, dass es sich beim zentralen diagnostischen Begriff צָרַעַת ṣāra‘at nicht um die erst seit dem 13. Jh. n.d.Z. mit dem griechischen Begriff lépra oder dem deutschen „Aussatz“ identifizierten Elephantiasis Graecorum handelt. Vielmehr hat sich das Verständnis von צָרַעַת ṣāra‘at als Oberbegriff verschiedener kultisch verunreinigender Anomalien von menschlicher Haut, Leder (Lev 11,32
Anders als in anderen biblischen Texten (z.B. Num 12,10
Die einheitliche Konsequenz der Diagnose „Aussatz“ (צָרַעַת ṣāra’at) ist in allen anderen Fällen ausschließlich eine Quarantänepflicht für den Zeitraum des Befalls, die als Maßnahme auch aus den königlichen Archiven in → Mari
In anderen Rechtstexten fällt eine deutliche Tendenz zur Begrenzung negativer Einwirkungen auf die Haut auf. Generell sind Verletzungen oder Veränderungen des größten, offensichtlichsten und ungeschütztesten Organs des Menschen verboten.
Besonders eindrücklich zeigt dies Ex 21,25
Bei der Auslegung dieses Verses findet die von der rabbinischen Exegese einhellig gegenüber der Deutung von Lev 24,19f
Der durch die anderslautende Anwendung in Lev 24,19f
Darüber hinaus findet in strafrechtlichen Präskripten eine Begrenzung des hautschädigenden Strafmaßes beispielsweise in Dtn 25,1-3
Aber auch kleine Hautveränderungen werden im biblischen Recht verboten. So verbietet Lev 19,28
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Reallexikon der Assyriologie und vorderasiatischen Archäologie, Berlin 1928ff
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Lexikon der Ägyptologie, Wiesbaden 1975-1992
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Dictionary of Judaism in the Biblical Period. 450 B.C.E. to 600 C.E., New York 1996
- The Oxford Encyclopedia of Archaeology in the Near East, Oxford / New York 1997
- New International Dictionary of Old Testament Theology and Exegesis, Grand Rapids 1997
- The Oxford Encyclopedia of Ancient Egypt, Oxford 2001
- Lexikon der ägyptischen Götter und Götterbezeichnungen, Leuven 2002-2003
2. Weitere Literatur
- Alter, R. / Kermode, F., 1987, The Literary Guide to the Bible, Cambridge
- Black, J. / Cunningham, G. / Fluckiger-Hawker, E. / Robson, E. / Zólyomi, G., 2001, The Electronic Text Corpus of Sumerian Literature (http://www-etcsl.orient.ox.ac.uk/), Oxford
- Dossin, G., 1967, Correspondance Feminine (Archives Royales de Mari 10), Paris
- Foster, B., 1996, Before the Muses. An Anthology of Akkadian Literature, Bethesda
- Keel, O. / Uehlinger, Chr., 5. Aufl. 2001, Göttinnen, Götter und Gottessymbole. Neue Erkenntnisse zur Religionsgeschichte Kanaans und Israels aufgrund bislang unerschlossener ikonographischer Quellen (QD 134), Freiburg / Basel / Wien
- Köhler, L., 1955, Aussatz, ZAW 26, 290f
- Pantelia, M., 2014, Thesaurus linguae Graecae. A Digital Library of Greek Literature, (http://stephanus.tlg.uci.edu/), Irvine
- Ritner, R.K., 1995, The Mechanics of Ancient Egyptian Magical Practice (SAOC 54), Chicago
- Robertson, J.F., The Social and Economic Organization of Ancient Mesopotamian Temples, in: J. Sasson u.a. (Hg.), Civilizations of the Ancient Near East, Vol. 1-4, New York 1995, Bd. 1, 443-454
- Wolff, H.W., 2. Aufl. 2011, Anthropologie des Alten Testaments, Gütersloh
Abbildungsverzeichnis
- Lederverarbeitung: Fleischreste werden von der Tierhaut geschabt (oben), in Krügen wird das Leder eingeweicht und gegerbt (links), auf einem dreibeinigen Hocker wird es glatt gezogen (rechts) und schließlich wird es geschnitten (Mitte), (Ägypten; 18. Dynastie, 1539-1292 v.Chr.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
- In einem Tierbalg konnte aus Milch durch stetes Schütteln und Stoßen Butter hergestellt werden. © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)