Lippen (AT)
(erstellt: April 2013)
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→ Körper
1. Körperteil des Menschen
1.1. Bezeichnung
Das hebräische Wort שָׂפָה śāfāh bezeichnet zunächst die Lippe des Menschen oder die Lefze eines Tieres. Es wird daneben aber auch für Dinge verwendet die Lippen in ihrer Funktion ähneln, d.h. ebenfalls etwas umrahmen / umranden wie die Lippen die Mundöffnung, z.B. das Ufer eines Flusses oder Meeres (vgl. z.B. Ex 14,30
Außerdem kann es ebenso wie das hebräische Wort für Zunge (לָשׁוֹן lāšôn), mit dem es oft im Parallelismus vorkommt, für seine Funktion (wesentlich am Erzeugen von Sprache beteiligt zu sein) stehen und somit Sprache, Rede und Sprachfähigkeit bezeichnen. Häufig werden die Lippen näher bestimmt. Dabei werden allerdings meist nicht die Lippen als Körperteil charakterisiert, sondern der Sprecher oder die Art der Rede werden mit einem Merkmal versehen. Hinter Letzterem steht die im Alten Orient weitverbreitete Ansicht, dass sich im Reden eines Menschen sein Charakter offenbare. Ob eine Charaktereigenschaft im Blick ist oder ob eine einmalige Rede näher bestimmt wird, kann man nur über den Kontext entscheiden (Kedar-Kopfstein, 844-845).
Außerdem wird das Wort pars pro toto für den ganzen Mund, mit dem es auch im Parallelismus vorkommen kann, verwendet.
Das hebräische Wort שָׂפָם śāfām, das Lippenbart bedeutet, findet sich dreimal in dem Ausdruck „den Lippenbart bedecken“ (s.u. 1.3.) und einmal wird davon gesprochen, dass der Lippenbart zurecht gemacht wird (2Sam 19,25
1.2. Körperaspekt
Die menschlichen Lippen sind auch in der Vorstellung des Alten Testaments wesentlich an der Hervorbringung von Lauten und Wörtern beteiligt und die „letzte Station“ (Kedar-Kopfstein, 843) dieses Vorgangs. Daher muss, wer etwas sagen will, seine Lippen auftun (vgl. Hi 32,20
Es können auch Worte unbedacht über die Lippen gehen, z.B. unüberlegte Gelübde (vgl. Num 30,13
Da die Lippen beim Hervorbringen der Worte gewissermaßen die „letzte Station“ (Kedar-Kopfstein, 843) sind, handelt der klug, der seine Lippen zügelt, d.h. wer nicht unbedacht losredet, und so kann man auch raten, „bewahre deine Lippen vor betrügerischer Rede“ (Ps 34,14
Die Lippen werden außerdem auch in Beschreibungen von Schönheit erwähnt, wo ihre rote Farbe (Hhld 4,3
Angst und Entsetzen zeigen sich neben Zittern am ganzen Körper auch am Zittern der Lippen (vgl. Hab 3,16
Dem Tier legt man einen Zaum in die Lippen (vgl. 2Kön 19,28
1.3. Gesten
1.3.1. Die Oberlippen / den Lippenbart bedecken
Das Bedecken der Oberlippe mit der Hand oder einem Stück der Kleidung ist eine im Alten Orient verbreitete Geste, um tiefen Kummer und Trauer, Scham und Demut auszudrücken (→ Trauer
1.3.2. Die Lippen verziehen / zusammenkneifen
Auch ohne Worte können Lippen dem Ausdruck dienen. So ist das Verziehen der Lippen in Zusammenhang mit Kopfschütteln eine Geste des Spotts (Ps 22,8
2. Übertragene Bedeutung
2.1. Rede und Sprache
Da die Lippen beim Sprechen eine wichtige Rolle spielen und bei der Formung der Laute essentiell sind, bedeutet שָׂפָה śāfāh an zahlreichen Stellen im Alten Testament, genau wie das hebräische Wort für Zunge, „Worte / Rede / Sprache“:
Der Ausdruck „Was aus meinen Lippen hervorging“ (Jer 17,16
Manchmal steht die Lippe auch für Geschwätz, also für leere Worte, so ist das „Wort der Lippen“ nur ein bloßes Wort. In Klgl 3,62
Wenn es in der → Turmbauerzählung
Die Lippen können daneben aber auch für die Fähigkeit zu sprechen stehen, bzw. für das geschulte Reden. So bedeutet der Ausdruck „unbeschnittene Lippen“ in Ex 6,12
Die Bezeichnung Volk mit stammelnder Lippe in Jes 28,11
2.2. Redeweise und Charaktermerkmal
Häufig werden die Lippen näher bestimmt. Dabei werden allerdings meist nicht die Lippen als Körperteil charakterisiert, sondern der Sprecher oder die Art der Rede werden mit einem Merkmal versehen. Hinter Letzterem steht die im Alten Orient weitverbreitete Ansicht, dass sich im Reden eines Menschen sein Charakter offenbare (Kedar-Kopfstein, 844-845):
Der Ausdruck „Mann der Lippen“ (Hi 11,2
Aber auch die Qualität der Rede kann im Blick sein, so kennzeichnet z.B. der Ausdruck „Süße der Lippen“ (Spr 16,21
Besonders in den weisheitlichen Texten wird vor falschen, närrischen oder lügnerischen Lippen gewarnt (Spr 4,24
2.3. Die Macht der Lippen
In einigen Texten wird die Macht der Lippen beschrieben. Dabei ist die Macht der Rede (vgl. → Zunge
Die Macht der Lippen wird jedoch kritisch beurteilt: Ein Wort der Lippen, d.h. bloßes Gerede, verleiht noch keine Macht zum Kämpfen (2Kön 18,20
2.4. Religiöse Aspekte der Lippen
Da die Lippen für die inneren Vorgänge im Menschen stehen können, können sie auch ein Ausdruck seiner Sündhaftigkeit sein. Daher müssen die Lippen gereinigt werden, bevor Jesaja den göttlichen Auftrag empfangen kann (Jes 6,5-7
Gott weiß, was aus jeder Lippe hervorgeht (Jer 17,16
In den → Psalmen
Die Lippen sind wie andere am Sprechen beteiligte Körperteile im religiösen Kontext auch zum Loben, Verkündigen, Geloben und Bekennen da. Häufig werden die Lippen sogar als Subjekt des Lobens, Singens und Rühmens (vgl. z.B. Ps 63,4
3. Die Lippen Gottes
Auch von Gottes Lippen ist im Alten Testament mehrmals die Rede.
Die Gebote seiner Lippen werden in Hi 23,12
Allerdings können Gottes Lippen auch im Gerichtskontext genannt werden: In Jes 28,11
Auch im Gericht gegen andere Völker wird die Lippe Gottes genannt. Im Rahmen einer als Unwetter dargestellten Gerichtstheophanie wird in Jes 30,27
Literaturverzeichnis
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