Deutsche Bibelgesellschaft

Mene-tekel-uparsin

Andere Schreibweise: Mene thekel u-parsin

(erstellt: Mai 2009)

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1. Die geheimnisvolle Wandinschrift in Dan 5

Mene-tekel-uparsin 1

In Dan 5 wird erzählt, wie der babylonische König → Belsazar, der Sohn → Nebukadnezars, während eines Festmahles die aus dem Jerusalemer Tempel geraubten heiligen Gefäße herbeibringen lässt, um daraus zu trinken. In dieser Situation schreibt eine Geisterhand eine Inschrift an die Kalkwand des Palastes: מנא מנא תקל ופרסין məne’ məne’ təqel ûfarsîn (Dan 5,25). Die viergliedrige aramäische Wortfolge gewinnt, insbesondere durch die Verdoppelung des ersten Gliedes məne’ einen dunklen Ton und ist semantisch rätselhaft. In der Tat können die Weisen des Königs die Inschrift auch nicht deuten (Dan 5,8). Erst → Daniel gelingt es, sie zu enträtseln (Dan 5,26-28).

Man muss zwischen der Inschrift in Dan 5,25 und der im Text enthaltenen Deutung in Dan 5,26-28 unterscheiden, da Letztere nur eine von mehreren möglichen Deutungen bietet, die die Inschrift eigentlich zulässt. Schon im Prolog der Septuaginta zu Dan 5 wird eine Deutung der Einzelglieder der Inschrift entworfen, die sich nicht mit der Deutung von Dan 5,26-28 deckt.

2. Antike Transkriptionen und Übersetzungen

Vom Danielbuch sind zwei verschiedene griechische Übersetzungen erhalten, die Septuaginta- und die Theodotion-Version.

1. Die Inschrift. In der → Septuaginta wird Dan 5 von einem zusammenfassenden Prolog eingeleitet, in dem die geheimnisvolle Inschrift mit μανη φαρες θεκελ manē phares thekel transkribiert wird. Die Reihenfolge der Wörter ist also geändert und ûfarsîn als phares wiedergegeben. Für Dan 5,25 gibt es in der Septuaginta-Fassung kein Gegenstück. Die Theodotion-Fassung (zu ihr → Septuaginta) bietet keinen Prolog zu Dan 5 und transkribiert die Inschrift in V. 25 wie die LXX ohne Wiedergabe der Konjunktion u- einfach durch μανη θεκελ φαρες manē thekel phares. Die Reihenfolge der Wörter entspricht anders als im LXX-Prolog der aramäischen Vorlage.

In der Vokalisation stimmen Septuaginta und Theodotion überein. Beide folgen dem Typus der einfachsten aramäischen Nominalform qetēl. Diese Lösung wird auch im masoretischen Text und in der Vulgata (mane thecel phares) adaptiert. Auch Josephus (Antiquitates X 11:3; Text gr. und lat. Autoren) sieht in den Einzelgliedern der Wendung Nominalformen, die er mit den griechischen Wörtern ἀριθμός, σταθμός, κλάσμα arithmos, stathmos, klasma (d.h. etwa „Zahl, Waage / Gewicht, Teil / Bruchstück“) wiedergibt.

2. Die Deutung der Inschrift. Die im LXX-Prolog der Inschrift unmittelbar folgende Deutung versteht die drei Wörter, ebenso wie der aramäische Text in Dan 5,26-28, nicht als Nominalformen, sondern als passive Partizipien und übersetzt: „Mane – es ist gezählt; phares – es ist weggeschafft; thekel – es steht fest“ (LXX.D). In V. 26 übersetzt die LXX:

„Gezählt ist deine Zeitspanne der Königsherrschaft, deine Königsherrschaft hört auf, sie ist zusammengeschnitten und beendet. Deine Königsherrschaft wird den Medern und den Persern gegeben.“ (Engel / Neef, LXX.D).

Theodotion lautet dagegen:

„V.26 … „Mane (bedeutet:) gemessen hat Gott deine Königsherrschaft und hat sie vollständig gemacht; V.27 thekel – es wurde auf eine Waage gestellt und für mangelhaft befunden; V.28 phares – geteilt ist dein Königreich, und es wurde Medern und Persern gegeben.“ (Engel / Neef, LXX.D).

Die LXX formuliert also passivisch mit dem Königtum Belsazars als Subjekt, die Theodotion-Fassung führt dagegen zunächst Gott als handelndes Subjekt ein, ehe sie zum Passiv übergeht.

3. Zur Deutung der Inschrift

3.1. Die Inschrift in Dan 5,25

Unwahrscheinlich ist die These, die Inschrift habe gar keine Bedeutung, sondern reihe einfach einige geheimnisvoll klingende Laute hintereinander und bringe gerade auf diese Weise zum Ausdruck, dass es sich um ein göttlich inspiriertes Wort handele.

Manche jüdischen Ausleger haben angenommen, dass die Buchstaben in der Art eines Anagramms geschrieben wurden, in dem die Buchstaben umzustellen sind. Die Deutung hänge von der intelligenten Vokalisation der konsonantischen Inschrift ab (vgl. Babylonischer Talmud, Traktat Sanhedrin 22a Text Talmud).

3.1.1. Die einzelnen Wörter

1. mn’. Das aramäische Wort מנא mn’ kann man mit hebräisch מנה mānæh „Mine“ – einem Lehnwort von akkadisch manû(m) II „Mine“ (kommt seinerseits von sumerisch mana; HALAT 1739; AHw 604a; CAD M/1, 219b) – und griechisch μνᾶ mna „Mine / Münze“ gleichsetzen. Die Konsonanten מנא mn’ sind demnach als Substantiv zu verstehen und als Maßeinheit aufzufassen. Auf der anderen Seite können dieselben Konsonanten auch als Partizip passiv des Verbes מנה mnh „zählen“ verstanden werden.

2. tql. Das zweite Wort, תקל tql, dürfte das genaue aramäische Äquivalent des hebräischen Nomens שקל šæqæl sein, das als Lehnwort von akkadisch šiqlu (Gewicht von Metall oder Geld) ein Gewicht bzw. eine Gewichtseinheit bezeichnet, die nur den Bruchteil einer Mine ausmacht (HALAT 1800; AHw 1248a; CAD Š/3, 96ff.).

3. parsîn / paras. Das aramäische Verb פרס prs bedeutet wie das gleichlautende hebräische Verb „teilen / trennen“ (HALAT 1766; vgl. akkadisch parāsu „trennen / abtrennen“; AHw 830b). Das aramäische Nomen פרסין parsîn wird traditionell als Plural verstanden: „Halbminen“. Eissfeldt deutet die Form dagegen als Dual „zwei Halbminen“. Josephus (Antiquitates X 11:3; Text gr. und lat. Autoren), Theodotion und Vulgata lesen in Dan 5,28 den Singular φαρές phares (HALAT 1766f.).

3.1.2. Der Text

1. Geldgewichte. Die Wörter məne’ təqel ûfarsîn werden meist als Bezeichnungen von Gewichts- und Geldwerten verstanden: „eine Mine, ein Schekel, eine Halbmine“ (Plöger). Behrmann (37) verweist dazu auf den modernen hinduistischen Spruch, „Brahma, Allah und der Christengott seien nichts, ihre Götter seien ‚Pfund, Schilling und Penny’“. Gegen den Bezug auf Geldgewichte spricht allerdings, dass die Werte nicht in einer absteigenden Reihenfolge angeordnet sind, also Mine – Halbmine – Schekel, und damit keine Degeneration veranschaulichen können. Doch gibt es nach Collins keinen Grund, warum die Termini logisch aneinandergereiht sein sollten, da ihre eigentliche Bedeutung hier nicht reflektiert werde (242).

2. Könige. Nach Frost (348f) beziehen sich die drei Begriffe jeweils auf babylonische Könige, nämlich auf → Nebukadnezar (Mine), → Amel-Marduk (Schekel) sowie → Nabonid und → Belsazar (Halbminen).

3. Reiche. Haag (50f.; vgl. 10f.) bezieht die viergliedrige Wortkombination – in Anspielung auf das Vier-Reiche-Schema – auf die Weltherrschaft Babels, deren Tage gezählt seien, weil Gott aufgrund des schuldbeladenen Verhaltens der babylonischen Herrscher ihr Ende und ihre Aufteilung beschlossen hat.

məne’ məne’. Im aramäischen Text steht məne’ doppelt, in LXX, Josephus, Theodotion und Vulgata sowie in der Wiederaufnahme der Inschriftworte in Dan 5,26-28 dagegen nur einfach. Das wirft die Frage auf, ob es sich bei dem zweiten məne’ um einen sekundären Zusatz handelt oder dem Verfasser die Doppelung in fester Form vorgegeben war (Marti). Nach Kamphausen (28) ist das erste məne’ ein Partizip passiv „gezählt“ (vgl. 2Kön 12,11f; gezähltes Geld und Weihegaben des Jerusalemer Tempels), das zweite dagegen das Nomen im status absolutus: „Mine“. Eissfeldt (109) versteht das zweite məne’ als eine Art Prüfungs- oder Beglaubigungsvermerk im Sinne von „gezählt“.

3.2. Die Deutung in Dan 5,26-28

Die Deutung der Inschrift durch Daniel in Dan 5,26-28 betrachtet die Wörter der Inschrift nicht als Nomina, sondern als passive Verbalformen und arbeitet zusätzlich mit doppelten Aussagen und Wortspielen. Sie bezieht alle drei Wörter der Inschrift auf Belsazar.

„Mene – gezählt hat Gott deine Königsherrschaft, und er hat sie beendet. Tekel – gewogen worden bist du auf der Waage, und für zu leicht bist du befunden worden. Peres – zerteilt ist deine Königsherrschaft, und den Medern und den Persern ist sie gegeben.“ (Züricher Übersetzung)

Die Geldwerte der Inschrift werden bildlich auf „zählen, wägen und teilen“ bezogen. Plöger kommentiert: „In V. 26 wird ein Gesamturteil ausgesprochen, das durch den Vorgang des Abwägens in V. 27 bestätigt wird: die Preisgabe der Herrschaft Belsazars besteht zu Recht. V. 28 enthält gleichsam die Ausführungsbestimmung als Folge der Beurteilung: die Übergabe an die Meder und Perser und die darin zum Ausdruck kommende Teilung des Reiches.“ Diese Deutung in V. 26-28 versucht der Inschrift also einen situationsbezogenen Sinn zu geben, wobei mit Marti (vgl. Eissfeldt) zu vermuten ist, dass „nur die Beziehung der Worte zu den Ereignissen den Verfasser veranlassen konnte, sie in der Erzählung zu verwenden“.

Literaturverzeichnis

  • Bauer, H., 1925, Menetekel. Vierter Deutscher Münzforschertag zu Halle / Saale (Festgabe), Halle / Saale, 27-30
  • Behrmann, G., 1894, Das Buch Daniel, HAT III/3,2, Göttingen
  • Clermont-Ganneau, C., 1886, Mané, Thécel, Pharès, et le Festin de Balthasar (Journal Asiatique VIII,8), 36-67; =1888, (Recueil d'Archéologie Orientale I), Paris, 136-159
  • Collins, J.J., 1993, Daniel (Hermeneia), Minneapolis
  • Eissfeldt, O., 1951, Die Menetekel-Inschrift und ihre Deutung, ZAW 63, 105-114
  • Engel, H. / Neef, H.-D., 2009, Das Buch Daniel in: W. Kraus / M. Karrer (Hgg.), Septuaginta deutsch. Das griechische Alte Testament in deutscher Übersetzung, Stuttgart, 1442ff.
  • Frost, S.B., Art. Mene, Mene, Tekel, and Parsin, in: IDB 1962, 348f
  • Ginsberg, H.L., 1948, Studies in Daniel, New York, 25
  • Goldingay, J.E., 1989, Daniel (WBC 30), Dallas, Texas
  • Haag, H., 1993, Daniel (NEB.AT 30), Würzburg
  • Hoffmann, G., 1887, Mene, mene tekel upharsin, ZA 2, 45-48
  • Kamphausen, A., 1896. The Book of Daniel, Leipzig / Baltimore / London
  • Kraeling, E.G., 1944, The Handwriting on the Wall, JBL 63, 17f.
  • Lister, J.M., 1899-1900, Mene, mene tekel upharsin, ExpT 11, 234
  • Marti, K., 1901, Das Buch Daniel erklärt (KHC XVIII), Tübingen / Leipzig
  • Nöldeke, Th., 1887, Mene Tekel, ZA 1, 414-418
  • Peters, J.P., 1896, Mene, mene tekel upharsin, Sec 4 of „Notes on the Old Testament, JBL 15, 114-117
  • Plöger, O., 1965. Das Buch Daniel (KAT XVIII), Gütersloh
  • Prince, J. D., 1893, Mene, Mene Tekel Upharsin. A Historical Study of the Fifth Chapter of Daniel, Diss John Hopkins University
  • Vaux, R. De, 1960. Das Alte Testament und seine Lebensordnungen 1, Basel / Wien, 327-331
  • Wills, L.M., 1990. The Jew in the Court of the Foreign King: Ancient Jewish Court Legends (HDR 26), Minneapolis

Abbildungsverzeichnis

  • Belsazars Gastmahl (Rembrandt, 1635).

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