Rückkehr
(erstellt: August 2010)
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1. Einleitung
Das hebräische Wort für „zurückkehren“ (שׁוּב šûv Qal) gehört zu den am häufigsten vorkommenden Verben des Alten Testaments. Entsprechend breit gefächert sind Bedeutungsspektrum und Verwendungsweisen der Wurzel שׁוּב šûv (vgl. Holladay; Soggin; Fabry / Graupner; zur Verwendung der Wurzel שׁוּב šûv Qal in der Bedeutung „umkehren / sich bekehren“ s. → Umkehr
Vom „Zurückkehren“ (Wurzel שׁוּב šûv) wird im Alten Testament sowohl im Sinne einer physischen Rückkehr an einen geographischen Ort als auch im übertragenen Sinne einer inneren Rückkehr zu einem Ausgangspunkt oder Ausgangszustand gesprochen. In manchen Fällen lassen sich beide Aspekte nicht voneinander trennen und ist die Rückkehr an einen Ort zugleich Ausdruck einer inneren Rückkehrbewegung, so z.B. im Falle der Rückkehr JHWHs nach Zion / Jerusalem (s.u. 2.2.1.).
Die wichtigsten theologischen Zusammenhänge, in denen im Alten Testament von Rückkehr die Rede ist, sind der Gedanke einer Rückkehr Gottes nach einer Zeit seiner zornigen Abwesenheit (2.), der prophetische Aufruf an Israel zur Rückkehr zu JHWH (3.) und die Rückkehr der Israeliten aus dem babylonischen Exil (4.) bzw. der Diaspora (5.).
2. Rückkehr Gottes
2.1. Abwesenheit und Rückkehr einer Gottheit im Alten Orient
Im → Weltbild
Die über die Stadt und ihre Bewohner erzürnte Gottheit wendet sich von ihrem Heiligtum ab und beschließt, vorübergehend an einem anderen Ort zu wohnen. Die dadurch verursachte Schutzlosigkeit der Stadt ermöglicht eine feindliche Eroberung und Plünderung. Dabei wird auch das Kultbild (→ Götterbild
Beispiele für diesen Vorstellungszusammenhang finden sich u.a. in den Inschriften Nebukadnezars I. (Frame, RIMB 2, B.2.4.5; B.2.4.7; B.2.4.8; B.2.4.9), der „Marduk-Prophetie“ (Borger, 1971), dem „Erra-Epos“ (Cagni), den „Babylon-Inschriften“ Asarhaddons (Borger, 1956) sowie der „Adad-guppi-Stele“ und der „Babylon-Stele“ Nabonids (Schaudig). Vgl. hierzu auch Block, 125-161; Ehring, 99ff.
2.2. Abwesenheit und Rückkehr JHWHs im Alten Testament
Im Alten Testament steht das Motiv der Rückkehr JHWHs im Kontext von Aussagen über Israels Gottesbeziehung. Dabei lassen sich zwei Ausformungen unterscheiden: In der exilisch-nachexilischen Prophetie wird mit der Rückkehr JHWHs nach → Zion
2.2.1. Die Rückkehr JHWHs nach Zion / Jerusalem
Das Motiv der Rückkehr JHWHs nach → Zion
Den grundlegenden Verständnishintergrund für das Alte Testament bildet dabei der auch in der vorexilischen Jerusalemer Kulttradition verankerte Gedanke, dass die Anwesenheit JHWHs in seinem → Tempel
2.2.1.1. Die Rückkehr JHWHs bei Deuterojesaja. In Jes 40,1-11
Auch das Gegenbild zum Rückkehrmotiv, das Szenario des die Stadt verlassenden Gottes, findet man bei Deuterojesaja (Jes 46,1-2
2.2.1.2. Auszug und Rückkehr der „Herrlichkeit JHWHs“ bei Ezechiel. Die Vision von der Rückkehr der „Herrlichkeit JHWHs“ (כְּבוֹד יהוה kəvôd JHWH) in den wiederaufgebauten Jerusalemer → Tempel
Visuell wahrnehmbar ist die Rückkehr der „Herrlichkeit JHWHs“ (כְּבוֹד יהוה kəvôd JHWH) als ein das Land und den Tempel erfüllender Lichtglanz, akustisch als ein starkes Rauschen (vgl. Ez 43,2
2.2.1.3. Die Rückkehr JHWHs bei Sacharja. Auch Protosacharja (Sach 1-8
2.2.2. Weitere Aussagen der Rückkehr JHWHs zu seinem Volk oder zu einem einzelnen Beter
Auch ohne den konkreten Bezug auf eine Rückkehr JHWHs an den Ort Zion / Jerusalem kann die positive Wende im Verhältnis zwischen JHWH und seinem Volk als Rückkehrbewegung JHWHs beschrieben werden.
Charakteristisch ist die Bitte um JHWHs Rückkehr in den Klageliedern des Volkes (→ Psalmen
Auch mit Bezug auf einen einzelnen Beter kommt die Bitte um die Rückkehr JHWHs vor (Ps 6,5
Vergleichbare Bitten um die Rückkehr bzw. Wiederzuwendung der persönlichen Schutzgottheit, deren Abwendung als primäre Ursache der eingetretenen → Krankheit
Eine Sonderform der Rede von JHWHs Rückkehr stellt die Formel שׁוּב שְׁבוּת šûv šəvût dar (übliche Übersetzung: „das Geschick / die Gefangenschaft wenden“). Nach Willi-Plein (71) beschreibt die Formel ein Zurückkommen, das „Gott zugunsten der im Genetiv an das Verbalnomen [שׁבות] tretenden geographischen Größe oder Personengruppe vornimmt, indem er in bezug auf diese an den Ausgangspunkt ‚zurückkehrt‘ und einen Neuanfang möglich macht“ (vgl. Dtn 30,3
2.3. Personennamen mit der Wurzel שׁוּב „zurückkehren“
Sowohl alttestamentlich als auch außerbiblisch sind Personennamen belegt, in denen die Wurzel שׁוּב šûv zusammen mit einem Gottesnamen enthalten ist.
Im 1. Chronikbuch wird der Name Schebuël (שְׁבוּאֵל in 1Chr 23,16
Außerbiblisch belegt sind der Name šbn-jhw „Kehre doch zurück, JHWH“ (Arad-Ostraka 60,3 und 27,4; → Arad
Möglicherweise im Zuge der Bildung eines Hypokoristikons (Kurzform eines Eigennamens) weggefallen ist das theophore Element in den Namen Schobai „Kehre zurück!“ (Esr 2,42
3. Rückkehr Israels zu JHWH
Die Verheißung der Rückkehr JHWHs zu seinem Volk geht in der Regel mit einer Erwartungshaltung hinsichtlich des Verhaltens des Volkes einher. Je nach Kontext (Heilsprophetie, definitive oder noch abwendbare Unheilsankündigung) kann das Motiv der entweder verheißenen, unter Umständen noch möglichen oder bereits endgültig verspielten heilvollen Rückkehr JHWHs mit einer Rückkehrforderung an das Volk oder mit dem Nachweis der schuldhaft verpassten Chance zur Rückkehr zu JHWH verknüpft sein (→ Prophetie
In der nachexilischen Heilsprophetie bildet die Aufforderung an Israel, zu JHWH zurückzukehren, in der Regel das Gegenstück zur Verheißung der mit der Rückkehr JHWHs anbrechenden neuen Heilszeit (vgl. Sach 1,3
Im Kontext prophetischer Gerichtsreden findet sich der Aufruf zur Rückkehr zu JHWH immer dann, wenn das drohende Strafgericht durch eine Rückkehr des Volkes zu JHWH noch abgewendet werden kann (vgl. Jo 2,12-14
Dort, wo das göttliche Strafgericht bereits unabwendbar beschlossen ist, typischerweise in der Gerichtsprophetie des 8. Jh.s, dient der Vorwurf der nicht erfolgten Rückkehr Israels zu JHWH dem Aufweis der Schuld des Volkes und damit der Begründung des angekündigten Strafgerichts (vgl. Jes 9,12
4. Rückkehr aus dem babylonischen Exil
Die Erfahrungen des babylonischen Exils und der Rückkehr aus dem Exil spielen eine wichtige Rolle in der alttestamentlichen Literatur der nachexilischen Zeit (zu den historischen Hintergründen der Rückwanderung aus dem Exil s. → Exil
Die Heilsverkündigung des → Deuterojesajabuches
Auch in den Heilsverheißungen anderer Prophetenbücher spielt die Aussicht auf Rückkehr (שׁוּב šûv Qal) bzw. Rückführung durch JHWH (שׁוּב šûv Hif.) eine Rolle (vgl. Sach 8,7-8
5. „Zurückkehren“ (שׁוּב) aus der Diaspora als Leitwort im Buch Rut
Um Rückkehr aus der → Diaspora
Noomis (und Ruts) Rückkehr nach Juda wird in Rut 1
6. Rückkehr / Umkehr in der Qumranliteratur
In der Literatur aus → Qumran
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973ff
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
2. Weitere Literatur
- Block, D.I., The Gods of the Nations (Studies in Ancient Near Eastern National Theology, Evangelical Theological Society Monograph Series 2) Mississippi 1988
- Bodi, D., The Book of Ezekiel and the Poem of Erra (OBO 104), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 1991
- Dommershausen, W., Leitwortstil in der Ruthrolle, in: Theologie im Wandel, Festschrift zum 150jährigen Bestehen der katholisch-theologischen Fakultät an der Universität Tübingen 1817-1967 (Tübinger Theologische Reihe 1), München 1967, 394-407
- Ehring, C., Die Rückkehr JHWHs. Traditions- und religionsgeschichtliche Untersuchungen zu Jesaja 40,1-11, Jesaja 52,7-10 und verwandten Texten (WMANT 116), Neukirchen-Vluyn 2007
- Eliade, M., Kosmos und Geschichte. Der Mythos der ewigen Wiederkehr, 2. Aufl., Frankfurt a.M. 1984 (frz. 1949)
- Fabry, H.-J. / Graupner, A., Art. שׁוּב, Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Bd. VII, Stuttgart u.a. 1993, 1118-1176
- Fabry, H.-J., Die Wurzel ŠÛB in der Qumran-Literatur. Zur Semantik eines Grundbegriffes (BBB 46), 1975
- Fabry, H.-J., Die Wurzel שׁוּב in der Qumrânliteratur, in: M. Delcor (Hg.), Qumrân. Sa piété, sa théologie et son milieu (BEThL 46), Paris / Leuven 1978, 285-293
- Fischer, I., Rut (HThKAT 11), Freiburg i. Br. 2001
- Fowler, J.D., Theophoric Personal Names in Ancient Hebrew. A Comparative Study (JSOT Suppl. Series 49), Sheffield 1988
- Hartenstein, F., Die Unzugänglichkeit Gottes im Heiligtum. Jesaja 6 und der Wohnort JHWHs in der Jerusalemer Kulttradition (WMANT 75), Neukirchen-Vluyn 1997
- Höffken, P., Zur Mardukinterpretation in Babylonien mit besonderer Hinsicht auf Deuterojesaja, BN 125 (2005), 11-23
- Holladay, W.L., The Root šûb in the Old Testament with Particular Reference to its Usage in Covenantal Contexts, Leiden 1958
- Jeremias, J., Zur Eschatologie des Hoseabuches, in: J. Jeremias / L. Perlitt (Hgg.), Die Botschaft und die Boten (FS H.W. Wolff), Neukirchen-Vluyn 1981, 217-234; auch in: ders., Hosea und Amos (FAT 13), Tübingen 1996, 67-85
- Köhlmoos, M., Ruth (ATD 9/3), Göttingen 2010
- Kratz, R.G., Kyros im Deuterojesaja-Buch. Redaktionsgeschichtliche Untersuchungen zu Entstehung und Theologie von Jes 40-55, Tübingen 1991
- Lux, R., JHWHs „Herrlichkeit“ und „Geist“. Die „Rückkehr JHWHs“ in den Nachtgesichten des Sacharja, in: ders., Prophetie und Zweiter Tempel. Studien zu Haggai und Sacharja (FAT 65), Tübingen 2009, 193-222
- Soggin, J.A., Art. שׁוּב šûb, in: Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995, 884-891
- Willi-Plein, I., ŠWB ŠBWT – eine Wiedererwägung, ZAH 4 (1991), 55-71
3. Quelleneditionen und -übersetzungen
- Cagni, L., L’Epopea di Erra, Studi Semitici 34, Rom 1969. Engl. Übers.: ders., The Poem of Erra, (SANE I/3), Malibu 1977
- Borger, R., Gott Marduk und Gott-König Šulgi als Propheten, BiOr 28 (1971), 3-24
- Borger, R., Die Inschriften Asarhaddons, Königs von Assyrien, AfO Beiheft 9, Graz 1956
- Frame, G., The Royal Inscriptions of Mesopotamia. Babylonian Periods II. Rulers of Babylonia. From the Second Dynasty of Isin to the End of Assyrian Domination (1157-612 BC), Toronto, Buffalo, London 1995
- Maul, S.M., ‚Herzberuhigungsklagen’. Die sumerisch-akkadischen Eršaḫunga-Gebete, Wiesbaden 1988
- Schaudig, H., Die Inschriften Nabonids von Babylon und Kyros’ des Großen samt den in ihrem Umfeld entstandenen Tendenzschriften (AOAT 256), Münster 2001
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