Samuelbücher
(erstellt: August 2006)
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1. Inhalt und Aufbau der Samuelbücher
Die beiden Samuelbücher schildern den Geschichtsablauf von der Geburt des letzten Richters, → Samuel
2. Intention, Tendenz und Gegenstand israelitisch-judäischer Geschichtsschreibung
Die Intention der Samuelbücher als Geschichtsschreibung wird kontrovers diskutiert. Besonders die deutschsprachige Forschung des 20. Jh.s hob hervor, dass die Samuelbücher Geschichtsereignisse nicht auf direkten göttlichen Einfluss zurückführen (von Rad 1944) und dass in der Erzählüberlieferung deswegen eine zuverlässige geschichtliche Quelle für Geschehnisse der David- bzw. Salomozeit vorliege. Dem hielt man entgegen, dass es sich bei den Erzählungen der Samuelbücher lediglich um Unterhaltungsliteratur ohne jede Bedeutung für die israelitisch-judäische Königszeit handele (Gunn 1978; van Seters 1983, 287).
Während die Intention der Samuelbücher insgesamt und ihrer einzelnen Unterabschnitte noch weiterer Klärung bedarf, wird die Tendenz ihrer Geschichtsdarstellung zumeist als projudäisch / prodavidisch bestimmt. Dies lässt sich bereits in einer vordeuteronomistischen Stufe der Samuel- und → Königsbücher
Ausgehend von der projudäischen / prodavidischen Haltung ergibt sich das Verständnis der Samuelbücher als Quellen der israelitisch-judäischen Geschichte. Die Rekonstruktion der Redaktionsgeschichte der Samuelbücher zeigt, dass ihre Erzählungen keine unmittelbaren Zeugnisse für die Zeit Davids oder Salomos sind. Die Ebene, auf der die Geschichte spielt (die Lebenswelt der Erzählung) unterscheidet sich, wie bei den meisten Erzählungen, von der Zeit des Erzählers. Geht man davon aus, dass die Gesamtkomposition der Samuelbücher unter Verwendung älterer Überlieferungen im 8. bis 7. Jh. v. Chr. entstanden ist, legt sich nahe, dass die Erzählungen sich mit dem israelitischen und judäischen Königtum davor und zu dieser Zeit beschäftigen; spätere Ergänzungen haben Verhältnisse ihrer jeweiligen Zeit bis ins 3. bis 2. Jh. v. Chr. im Blick.
Als Gegenstand der Samuelbücher können die beiden Staaten Juda und Israel und ihr Verhältnis gelten, wobei sich die in den folgenden Gliederungspunkten genannten Unterthemen bestimmen lassen.
2.1. Die Erzählung von der Geschichte Judas und des Gründungsvaters der davidischen Dynastie
Die Samuelbücher beschreiben Juda als geographische Größe plastischer und differenzierter als Israel, indem sie Kernbereiche und Peripherie unterscheiden: Davids Herkunft aus Bethlehem (1Sam 16) wird von seinem früheren Herrschaftsgebiet in der Gegend um Hebron (2Sam 2,1-3
2.2. Die Samuel-Saul-Erzählungen und die Verhältnisse in Israel
Rücken die Saul-David-Erzählungen das Verhältnis zwischen beiden Staaten ins Zentrum der Geschichtsdarstellung, so beschreiben die Samuel-Saul-Erzählungen die Verhältnisse in Israel. Der Zeit vor bzw. nach der Dynastie der Sauliden werden die Erzählungen von der von den Philistern eroberten Lade (1Sam 4-6; 2Sam 6) zugeordnet. Juda als geschichtliche Realität kommt in den Samuel-Saul-Erzählungen nicht vor. Insgesamt entwerfen diese (zusammen mit den Saul-David-Erzählungen) ein problematisches Bild von den Zuständen in der ersten israelitischen Dynastie, die aufgrund innerer Schwierigkeiten am Hof Sauls (vgl. 1Sam 18-20) und damit letztlich an Saul (vgl. 1Sam 16; 1Sam 15 und 1Sam 28,3-25
2.3. Verarbeitung prophetischer Traditionen
Die Samuelbücher verarbeiten auf unterschiedlichen Ebenen Überlieferung, die prophetischen Kreisen entstammt. Die Erzählungen kennen unterschiedliche prophetische Rollen der Figuren. Als Hofpropheten werden → Nathan
2.4. Thematische Fäden
Durch die Überlieferungskreise um Samuel, Saul, David (und Salomo) laufen von diesen unabhängige thematische Fäden.
Die Thronfolge bzw. die judäische Dynastiebildung in ihrer Frühzeit ist ein Hauptthema der Geschichtsüberlieferung, das die um den Absalomaufstand in 2Sam 15-19 als Kernbestand wachsende Überlieferung ebenso wie die Samuel-Saul- und die Saul-David-Erzählung in ihrer Kontrastierung der Protagonisten entfaltet.
Die juridische Thematik der Tötung mit und ohne Vorsatz, der Legitimität von Rache (vgl. nur 2Sam 2,18-24
2.5. Die Samuelbücher als Geschichtsschreibung im Verhältnis zur griechischen Überlieferung
Als narrative Geschichtsschreibung sind die Samuelbücher entsprechenden altorientalischen Geschichtsdarstellungen, aber auch der griechischen Geschichtsschreibung verwandt (→ Geschichte / Geschichtsschreibung
Anfang des 20. Jahrhunderts erhob man die Besonderheiten der narrativen Passagen der Samuelbücher (besonders der → Thronnachfolgegeschichte
Vielzitiert und häufig rezipiert in der alttestamentlichen Forschung ist die Auffassung des Historikers E. Meyer (1906, 486): „Es ist etwas Erstaunliches, dass eine derartige Geschichtsliteratur damals in Israel möglich gewesen ist. Sie steht weit über allem, was wir sonst von altorientalischer Geschichtsschreibung wissen, über den trockenen offiziellen Annalen der Babylonier, Assyrer, Ägypter, über den märchenhaften Geschichten der ägyptischen Volksliteratur. …. So hat sie ihr Analogon einzig und allein auf griechischem Boden: von Anfang an stellt sich mit ihr die israelitische Kultur, allein von allen anderen, in der Tat als geistig gleichberechtigt neben die griechische.“
Die Daviderzählungen des zweiten Samuelbuches verdanken ihre forschungsgeschichtlich prominente Stellung im Bereich der Historiographie besonders diesem Vergleich mit Texten der griechischen Antike. Meyers Versuch einer sachadäquaten Verhältnisbestimmung zwischen altisraelitischer und griechischer Historiographie, der die Fachwelt bis in die jüngste Zeit prägt, ist jedoch aus mehreren Gründen zu hinterfragen.
Meyers kulturelle Wertung der alttestamentlichen Überlieferung im Bezug zur griechischen muss nach heutigem Erkenntnisstand aus mindestens zwei Gründen revidiert werden. Zum einen liegt ihr ein für alle Kulturen als gültig erachtetes Entwicklungsmodell für die Geschichtsschreibung zugrunde. Solche kulturgeschichtlichen Wertungen verstellen oder verengen häufig den sachadäquaten Blick auf die Zeugnisse antiker Nachbarkulturen. So steht das Geschichtsbewusstsein im mesopotamischen Kulturraum dem von Syropalästina im ersten Jahrtausend in nichts nach (Gese 1974).
Darüber hinaus haben sich die Rahmendaten der Verhältnisbestimmung der altisraelitischen und der griechischen Geschichtsschreibung allein aufgrund der zeitlichen Einordnung der Überlieferungen der Samuelbücher geändert.
Für das Geschichtswerk der frühen Königszeit geht man von einer Entstehung im 8. bis 7. Jh. aus, unter Verarbeitung älterer, z. T. noch aus der frühen Königszeit stammender Überlieferungen (Dietrich 1997, 267). Kratz (2000, 187-188) nimmt eine um 722 v. Chr. entstandene vordeuteronomistische Komposition an (1Sam 1 bis 2Sam 5, bzw. 1Sam 1 bis 1Kön 2), die Saul und David in 1Sam 16 - 2Sam 5 (8-10) zusammenbringt und darauf in 2Sam 11 - 1Kön 2 die Salomozeit folgen lässt.
Die zwischenzeitlich erheblich vorangeschrittene Erforschung antiker Nachbarkulturen erfordert eine Reformulierung des Verhältnisses zwischen den Erzählungen der Samuelbücher und der griechischen Geschichtsschreibung. Während beide in ihrer Datierung näher zueinander gerückt werden, bleibt der Unterschied zwischen der griechischen Geschichtsschreibung durch einzelne Historiker und der anonymen Traditionsliteratur Israels hervorzuheben (Blum 2000, 4-14).
3. Name und Einteilung der Samuelbücher
Ihren Namen erhielten die Samuelbücher aufgrund der Notiz 1Chr 29,29-30
Die Samuelbücher bilden in der hebräischen Bibel zusammen mit den Königsbüchern ein Buch. Die Trennung von den Königsbüchern drang, ebenso wie die Zweiteilung der Samuelbücher erst nach 1448 aus der → Septuaginta
Der griechische Text der LXX ist kürzer als der Masoretische Text (MT). Das Verhältnis der beiden Versionen zueinander wird in der Forschung diskutiert. Der längere MT dürfte sich im Wesentlichen aus dem kürzeren der LXX entwickelt haben.
4. Entstehung der Samuelbücher
Doppelungen und Mehrfachüberlieferungen (vgl. Davids doppelte Einführung bei Saul in 1Sam 16,14-23
Die gegenwärtigen Erklärungen der Entstehung zeigen bei allen Unterschieden zwei Tendenzen. Zum einen nimmt man verstärkt eine gemeinsame vordeuteronomistische Entstehungsgeschichte der Samuel- und der Königsbücher an. Zum anderen veranschlagt man die Rolle der Deuteronomisten bei der Zusammenführung der Überlieferung der Samuel- und der Königsbücher insgesamt geringer als im Deuteronomistischen Geschichtswerk Noths. Anstelle großer vom Deuteronomisten eingefügter Quellenwerke (→ Thronfolgegeschichte
5. Formen der Geschichtsschreibung in den Samuelbüchern
5.1. Erzählung
Die am häufigsten verwendete Gattung der Samuelbüchern ist die Erzählung, häufig mit einem hohen Anteil an direkter Rede. Formal und inhaltlich sind Unterformen erkennbar. Das Verständnis der Erzählfiguren und die spezifischen Aussageleistungen als Geschichtsschreibung variieren.
5.1.1. Erzählgattungen
Die Erzählüberlieferung besonders der Davidgeschichten der Samuelbücher, die die Forschung zunächst als Novelle einordnete (vgl. B. Luther 1906), ist zugunsten einer Einordnung ausgehend von der Entwicklung einer Königsüberlieferung der Samuelbücher von den kurzen Notizen der Rahmenformulierungen der Königsbücher (auch Königsschema genannt) zu ersetzen. Es lassen sich unter anderem die (Makro-)Gattungen einer Hofgeschichte und der Vita aufzeigen.
Hofgeschichte: Die Saul- und die Daviderzählungen beschreiben Ereignisse am israelitischen bzw. judäischen Hof um Saul, David und Salomo.
Vita: Die Überlieferungen von Samuel, Saul und David sind als Viten dieser Könige biographisch angeordnet, die jeweils das Ganze des Lebens überblicken. Sie enthalten Jugendgeschichten mit proleptischen Ereignissen (Samuel: 1Sam 1-3; Saul: 1Sam 9,1-10,27
Einzelabschnitte der Überlieferung werden ins Verhältnis zu altorientalischen Gattungen gesetzt. In den kleineren Erzählwerken der Thronfolgegeschichte und der Geschichte vom Aufstieg Davids erkannte man Parallelen zur altorientalischen Literatur, insbesondere zur autobiographischen Literatur, wie der hethitischen Apologie des Hattuschilis und der biographischen Erzählung des Idrimi von Alalah.
5.1.2. Verständnis der Erzählfiguren
Die Erzählfiguren Samuel, Saul, David sind nicht nur Individuen, sondern vor allem Repräsentanten ihrer Institutionen, der (judäischen) → Prophetie
5.1.3. Das Verständnis von Figuren und Motiven der Erzählungen
Die Erzählung als Form der → Geschichtsdarstellung
In der Motivik der Samuelbücher sind die Themen der dynastischen Sukzession und deren Unterbrechung durch eine Usurpation von besonderer Bedeutung. Diesem inhaltlichen Schwerpunkt kann man die Erzählungen um die Schwierigkeit der Thronfolge Davids zuordnen, wie Rost aufgezeigt hat. Dynastie und Usurpation sind jedoch nicht auf diesen Textbereich beschränkt. Auch die Erzählungen von Saul und seiner abgebrochenen Dynastie im ersten und zweiten Samuelbuch sind der Frage nach dem Nachfolger des Königs verpflichtet.
5.2. Regierungsnotizen / Berichte
1. Angaben zur Regierungszeit. In Analogie zu den Rahmenformulierungen der Königsbücher finden sich Regierungszeitangaben mit Regierungsdauer, Begräbnisnotiz (und teilweise Residenz). Diese Notizen und Berichte bilden nicht die literarische Grundlage für die Entstehung der Samuelbücher, denn sie finden sich nur vereinzelt. Teils sind sie nachgebildet, wie z.B. die umstrittene Angabe zu Sauls Regierungszeit in 1Sam 13,1
- Saul: 1Sam 13,1
- David: 2Sam 2,10-11
; 2Sam 5,4-5 ; 1Kön 2,10-11 - Herrschaftsgebiet, -dauer, Alter Ischbaals: 2Sam 2,9-10
2. Genealogien bzw. Angaben zu Frauen und Nachkommen. Genealogische Angaben finden sich in den Samuelbüchern zu Saul und David.
- Saul: 1Sam 9,1-2
- David: 1Sam 16,18-19
; 1Sam 25,43 ; 2Sam 3,2-4
Ferner finden sich Bezeichnungen von Erzählfiguren mit Patronym oder Matronym („Sohn der Zeruja“ 1Sam 26,6
5.3. Listen
Listen (vgl. z.T. auch bereits unter 6.2) finden sich an folgenden Stellen:
- Liste der Orte der Tätigkeit Samuels: 1Sam 7,16
- Aufzählung von Ländern, mit denen Saul Krieg führte: 1Sam 14,47
- Liste der Verwandten Sauls: 1Sam 14,49-51
- Städte Judas, denen Beute von David zukommt: 1Sam 30,27-30
- Herrschaftsgebiet Ischbaals: 2Sam 2,9
- Aufzählung von Ländern, mit denen David Krieg führte: 2Sam 8,1-8
- Beamtenliste Davids: 2Sam 8,16-18
; 2Sam 20,23-26 - Liste der Philisterkämpfe: 2Sam 21,18-22
- Heldenliste: 2Sam 23,8-39
Für die Heldenlisten finden sich keine vergleichbaren Formen in der israelitischen Überlieferung. Diese werden zumeist als Quellen der Samuelbücher verstanden.
5.4. Poetische Abschnitte
Als poetische Texte im Samuelbuch finden sich folgende Abschnitte:
- Das Lied der Hanna: 1Sam 1,1-10
- Siegeslied über David: 1Sam 18,7
; 1Sam 21,12 ; 1Sam 29,5 - Davids Lied auf Saul und Jonatan: 2Sam 1,17-27
- Davids Lied auf Abner: 2Sam 3,33-34
- Davids Siegeslied: 2Sam 22 (=Ps 18)
- Davids letzte Worte: 2Sam 23,1-7
Die poetischen Texte haben unterschiedliche Funktionen für ihren Erzählkontext. Davids kurzes Siegeslied hat in den Erzählungen eine wichtige Bedeutung für die Handlungsabfolge. Die Klage um Abner 2Sam 3,33-34
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Abbildungsverzeichnis
- Samuel wird von seiner Mutter Hanna dem Priester Eli am Tempel von Silo übergeben (1Sam 2; Psalter des Heiligen Ludwig; 13. Jh.).
- Samuel salbt Saul in Rama (1Sam 10; Holbein, 16. Jh.).
- Samuel salbt David (1Sam 16; Wandmalerei in der Synagoge von Dura Europos; 3. Jh.).
- David spielt die Harfe vor Saul (Lucas van Leyden; 1509).
- Sauls Tod in den Gilboabergen (Pieter Brueghel der Ältere; ca. 1525-1569).
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