Sklaverei (AT)
(erstellt: Januar 2019)
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1. Das Wortfeld
Der in den modernen europäischen Sprachen geläufige Wortstamm Sklave hat in den antiken Sprachen keine Entsprechung. Es ist deshalb nötig, zunächst zu klären, was in den modernen Sprachen unter Sklaverei verstanden wird, und sich von da den antiken Sprachen, in diesem Artikel konkret dem Hebräischen, zu nähern.
1.1. Die modernen europäischen Sprachen
Das Wort Sklave ist von seiner Herkunft her identisch mit der ethnischen Größe Slawe, weil im mittelalterlichen Orient überwiegend Slawen die Opfer von Sklaverei waren. Sklaverei wird dabei als eine Form totaler Abhängigkeit einer Arbeitskraft von einem Herrn (oder einer Herrin) verstanden dergestalt, dass die Person des Sklaven oder der Sklavin diesem Herrn gehört. Das umfasst die Arbeitskraft, aber etwa auch die Sexualität und bei Frauen die Gebärfähigkeit der Sklavin. Sklaverei im engen Sinn wird unterschieden von Leibeigenschaft und Knechtschaft. Nicht jede Arbeit für einen Herrn oder eine Herrin ist Sklaverei. Ein Diener oder eine Amme werden für ihre Arbeit bezahlt. Nicht einmal jede zwangsweise geforderte Arbeit ist Sklaverei. Das gilt in feudalen Gesellschaften für die Fronarbeit, die der jeweiligen Herrschaft geschuldet und zeitlich befristet ist, und in modernen Gesellschaften für eine allgemeine Dienstpflicht (als militärischer oder ziviler Dienst).
1.2. Das Hebräische
Hebräisches Äquivalent für das Phänomen der Sklaverei ist die Wurzel עבד ‘bd und insbesondere das Nomen עֶבֶד ‘ævæd für männliche Sklaven. Die Sklavin wird in Parallele zu עֶבֶד ‘ævæd als אָמָה ᾿āmāh bezeichnet. Ein klassisches Beispiel ist die Einbeziehung „deines Sklaven (עֶבֶד ‘ævæd) und deiner Sklavin (אָמָה ᾿āmāh)“ in das Gebot der Arbeitsruhe am Sabbat (Ex 20,10
Das zweite Problem bei der Äquivalenz von Sklave / Sklavin mit עֶבֶד ‘ævæd und אָמָה ᾿āmāh ist innerhebräischer Natur. Denn als עֶבֶד ‘ævæd oder אָמָה ᾿āmāh werden keineswegs nur Sklaven und Sklavinnen im modernen Sinn des Wortes bezeichnet, sondern generell Personen, die von einem höher Gestellten abhängig sind. Das können hohe Beamte sein, die „עֶבֶד ‘ævæd“ oder „אָמָה ᾿āmāh des Königs“ heißen; sie sind in biblischen Texten (2Kön 22,12
Im Bewusstsein, dass die hebräischen Vokabeln nicht mit den deutschen Begriffen aus dem Wortfeld Sklaverei identisch sind, soll im Folgenden dennoch der Versuch gemacht werden, die Sklaverei im modernen Sinn des Wortes in der Hebräischen Bibel in den Blick zu nehmen.
Dabei steht das alttestamentliche Bild der Sklaverei in einer grundsätzlichen Spannung. Zum einen ist die Sklaverei in ihren verschiedenen Ausprägungen (Schuldsklaverei, Dauersklaverei; Eintritt durch Überschuldung, Selbstverkauf, Kriegsgefangenschaft usw.) im alten Israel wie in der gesamten Antike eine selbstverständliche gesellschaftliche Einrichtung. Zum andern spielt der Ursprungsmythos von der Befreiung des Volkes Israel aus der Sklaverei in Ägypten durch den Gott Jhwh für das Selbstverständnis Israels eine grundlegende Rolle. Bereits im Dekalog wird diese Spannung greifbar, indem sich am Anfang der Gott vorstellt, der Israel „aus Ägypten, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat“ (Ex 20,2
2. Sklaverei in herrschaftlicher Perspektive
„Ein Sohn achtet den Vater und ein Sklave seinen Herrn“ (Mal 1,6
Sklaven können es innerhalb der patriarchalen Ordnung aber auch zu etwas bringen. Im Fall der Kinderlosigkeit der Herrschaft kann ihnen das Erbe zufallen (Gen 15,2f
3. Sklaverei in kritischer Perspektive
Neben Texten, die aus herrschaftlicher Perspektive auf die Sklaverei blicken, finden sich vor allem in der prophetischen Literatur jedoch auch kritische Stimmen. Sie richten sich primär auf den prekären Punkt des Übergangs von der Freiheit in die Sklaverei. So erzählt die Legende, wie der Prophet → Elisa
4. Sklaverei in den Gesetzessammlungen
Die Spannung zwischen der Selbstverständlichkeit, mit der die Institution der Sklaverei gesehen wird, und dem kritischen Blick auf deren prekäre Umstände prägt auch die Rechtssammlungen des Alten Testaments.
4.1. Das Bundesbuch
Bereits die älteste kodifizierte Sammlung, das → Bundesbuch
4.2. Das Deuteronomium
Obwohl auch im → Deuteronomium
4.3. Das Heiligkeitsgesetz
Das → Heiligkeitsgesetz (Lev 17-26) aus dem 6./5. Jh. v. Chr. geht über Bundesbuch und Deuteronomium darin hinaus, dass es im Fall der Verarmung von Israeliten festlegt, dass diese überhaupt nicht versklavt werden sollen (Lev 25,39
5. Besonderheiten weiblicher Sklaverei
Generell können Frauen wie Männer in Sklaverei geraten. Wegen der weiblichen Fähigkeit, Kinder zu gebären, gibt es allerdings einige Besonderheiten. Wird ein zeitlich befristeter Schuldsklave während der Zeit seines Sklavendienstes verheiratet, gilt sein Kind dauerhaft als Sklave; es kommt mit dem Ende seiner Dienstzeit nicht frei (Ex 21,4
Ein besonderer Fall liegt vor, wenn ein Mädchen Sklavin einer Herrin ist. In diesem Fall heißt sie nicht אָמָה ᾿āmāh, wie die Sklavin des Mannes, sondern שִׁפְחָה šifḥāh (zu den beiden Termini vgl. Jepsen). Sie ist ihrer Herrin ausgeliefert bis dahin, dass sie für ihre Herrin Kinder gebären muss (Gen 16,1-4
6. Entwicklungen in nachexilischer Zeit
In der Zeit der persischen und griechischen Vorherrschaft nach dem babylonischen Exil wird die Frage der Sklaverei bei Nicht-Juden immer drängender. Dies hängt damit zusammen, dass die Juden in der Diaspora in ständigem Kontakt mit Fremden stehen, dass aber auch in den persischen Provinzen Juda und Samaria neben der israelitischen eine starke nicht-israelitische Bevölkerung lebt. Deshalb behandelt das Heiligkeitsgesetz den Fall der Versklavung bei Nicht-Juden. Deutlich wird das Problem auch zur Zeit → Nehemias
Allerdings darf man sich nicht der Illusion hingeben, alles, was in der Gesetzgebung der Tora zum Schutz von Sklavinnen und Sklaven festgeschrieben ist, sei auch in die gesellschaftliche Realität eingeflossen. Darüber, wie weit Torabestimmungen und tatsächliche Verhältnisse auseinander liegen können, geben die so genannten Samaria-Papyri beredt Auskunft (Kessler 2009a). Sie stammen aus dem 4. Jh. v. Chr. und enthalten Verträge, in denen Sklaven (und in einem Fall eine Sklavin) zwischen zwei Vertragsparteien verkauft werden, und zwar aufgrund des Verkaufs in Dauersklaverei. Das aber ist nach der Tora verboten, denn nur durch freiwilligen Entschluss kann ein Schuldsklave zum Dauersklaven werden (Ex 21,5f
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979.
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004.
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001.
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992.
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007.
- Handbuch theologischer Grundbegriffe zum Alten und Neuen Testament, Darmstadt 2006.
- Sozialgeschichtliches Wörterbuch zur Bibel, Gütersloh 2009.
- Wörterbuch alttestamentlicher Motive, Darmstadt 2013.
- Handwörterbuch der antiken Sklaverei, Stuttgart 2017ff.
2. Weitere Literatur
- Aḥituv, Shmuel / Klein, Eitan / Ganor, Amir, 2017, The 'Jerusalem' Papyrus. A Seventh-Century BCE Shipping Certificate, IEJ 67, 168-182.
- Cardellini, Innocenzo, 1981, Die biblischen „Sklaven“-Gesetze im Lichte des keilschriftlichen Sklavenrechts. Ein Beitrag zur Tradition, Überlieferung und Redaktion der alttestamentlichen Rechtstexte (BBB 55), Königstein.
- Carmichael, Calum, 2000, The Three Laws on the Release of Slaves (Ex 21,2-11; Dtn 15,12-18; Lev 25,39-46), ZAW 112, 509-525.
- Chirichigno, Gregory C., 1993, Debt-Slavery in Israel and the Ancient Near East (JSOT.S 141), Sheffield.
- Jepsen, Alfred, 1958, Amah und Schiphchah, VT 8, 293-297.
- Kessler, Rainer, 2009a, Samaria-Papyri und Sklaverei in Israel, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart, 196-206.
- Kessler, Rainer, 2009b, Die Sklavin als Ehefrau. Zur Stellung der ᾿amah, in: ders., Studien zur Sozialgeschichte Israels (SBAB 46), Stuttgart, 124-133.
- Lang, Bernhard, 1981, Sklaven und Unfreie im Buch Amos (II 6, VIII 6), VT 31, 482-488.
- Riesener, Ingrid, 1979, Der Stamm ‘bd im Alten Testament. Eine Wortuntersuchung unter Berücksichtigung neuerer sprachwissenschaftlicher Methoden (BZAW 149), Berlin / New York.
- Van Seters, John, 1996, The Law of the Hebrew Slave, ZAW 108, 534-546.
Abbildungsverzeichnis
- Siegel mit der Aufschrift: „Dem Schema, Diener Jerobeams, gehörend“ (Megiddo, 8. Jh.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
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