Tannin
(erstellt: März 2019)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/26497/
→ Chaos / Chaoskampf
Tannin (תַּנִּין tannîn) bzw. Tannim (תַּנִּים tannîm) leitet sich von der Primärwurzel *tnn „sich ausstrecken“ ab und bezeichnet in verschiedenen semitischen Sprachen ein mythisches Seeungeheuer bzw. ein Monster oder einen Drachen.
1. Tannin im Alten Orient
1.1. Ugarit
In den Texten, die in der spätbronzezeitlichen Stadt → Ugarit
Für ugaritisch tunnanu (tnn) finden sich acht Belege (Whitaker, 619), davon sechs in mythischen Texten und zwei als Teil eines Personennamens (KTU 4.35,13; 4.103,42). Drei der mythischen Belege sind zu fragmentarisch, um sie genauer einzuordnen (KTU I.16 v, 31-32; KTU 1.6 vi, 51; KTU 1.83, 8). Die verbleibenden Belege verorten tunnanu in einem Kampfkontext mit verschiedenen Seemonstern bzw. Gehilfen des Meergottes → Jammu
Einschlägig für den biblischen Vergleich ist KTU 1.3. iii,35-44:
Sie [Anat] erhob 36 ihre Stimme und rief:
„Warum ist gekommen Gupan-und-Ugar?
37 Welcher Feind hat sich erhoben gegen Baal,
welcher Gegner 38 gegen den Wolkenfahrer?
Habe ich nicht abgeknickt den Geliebten 39 Els, Yamm,
habe ich nicht vernichtet den Fluß [nahar], den Gott der Großen?
40 Habe ich nicht Tunnan (tnn) angebunden
habe ich <nicht> ... ihm/r geöffnet?
41 Ich habe abgeknickt die sich windende Schlange (bṯn ‛qltn),
42 die Mächtige mit sieben Köpfen! (šlyṭ d šb‛t r’ašm)
43 Ich habe abgeknickt den Geliebten Els, Arisch,
44 ich habe vernichtet das Stierkalb Els, Atik.“
(Übersetzung: Dietrich / Loretz, 1142f.; vgl. Smith / Pitard, 247-249)
In dieser Passage sind neben dem Meergott Jammu eine Reihe ans Wasser gebundener Feinde des Wettergottes Baals vereint, gefolgt von Feinden zu Land (Z. 45-47a: Kalb, Hund, Verlangen, Flamme / Feuer). Darunter befindet sich auch ein Wesen namens Tunnan. Die Begriffe Tnn, bṯn, šlyṭ sind entweder als Eigennamen für mehrere Helfeshelfer Jammus oder aber als Epitheta des Gottes Jammu gedeutet worden (Løkkegaard, s. das Fragment KTU 1.83; dazu Smith / Pitard, 2009, 251-258).
Smith / Pitard tendieren aber dazu, die entsprechenden Begriffe in KTU 1.3. iii in Z. 38-40 als Epitheta für Jammu und in Z. 41f. als solche für Tunnan zu deuten und somit von zwei beschriebenen, ans Wasser gebundenen Wesen auszugehen. Die in Z. 40 in Zusammenhang mit Tunnan verwendeten Verben šbm „überwältigen“ und šmd / ṣmd „einen Maulkorb bzw. Zaumzeug anlegen“ sind zwar Gegenstand der Diskussion (Hutton), doch ist der Vorgang der Unterwerfung des Monsters durch Anat deutlich herausgestellt (vgl. Smith / Pitard, 2009, 258f.). Die Szene erinnert an die Behandlung → Leviatans
1.2. Enuma Elisch
Im sogenannten babylonischen Weltschöpfungsepos Enuma Elisch (= En.El.) kommt der Begriff Tannin nicht vor, doch findet sich hier synonym mit den ugaritischen Texten akkadisch bašmu „schlangenhaftes Ungeheuer“ (En.El. I,141; II,27; III,31.89). Das prominenteste dieser Wesen ist die Urgöttin → Tiamat
2. Tannin im Alten Testament
Die überschaubare Anzahl an Belegen für Tannin im Alten Testament (s. den Überblick bei Wakeman, 68-70, die 10 Stellen listet) lässt sich in vier Gruppen untergliedern. Die erste Gruppe bilden die mythisch anmutenden Belege, die das Wesen in der Urzeit (Schöpfung) oder Endzeit (Eschaton) situieren. Die zweite Gruppe vereint diejenigen, in denen das Monster eine historische Person (König) oder ein Volk symbolisiert. Die dritte Gruppe setzt sich aus recht verschiedenartigen Belegen zusammen, die sich in ihrer Ausrichtung der mythischen wie der geschichtlichen Zeit entziehen und stattdessen konkrete Dinge benennen (Day spricht hier von „Naturalisierung“ – er teilt die Belege für Ungeheuer wie Leviatan, Behemot, Tannin u.a. in die vier Themenfelder Schöpfung, mutmaßliche Naturalisierung, Historisierung und Eschatologisierung ein).
Das Nomen תַּנִּין tannîn ist durch Artikel determiniert (vgl. Jes 27,1
2.1. Tannin in den mythischen Bezügen von Urzeit und Endzeit
2.1.1. Gen 1,21
Die Erschaffung der „großen Meerestiere“ in Gen 1,21
2.1.2. Ps 74,13-14
Der Abschnitt von Ps 74,12-17
2.1.3. Ps 148,7
In dem → Hallel
2.1.4. Hi 7,12
In Hi 7,12
2.1.5. Jes 27,1
In dem ergänzenden Kommentar zur → Jesajaapokalypse
2.2. Tannin mit historischen Bezügen
2.2.1. Jesaja
Anders als Jes 27,1
2.2.2. Jeremia
In Jer 51,34
2.2.3. Ezechiel
Tannin (hier: תַּנִּים tannim; jedoch nicht abzuleiten von תַּן tan „Schakal“ [Pl.]; s. auch eine hebräische Handschrift, → Septuaginta
Eine Stelle aus dem Psalter ist unsicher: In Ps 44,20
2.3. Tannin mit konkretem Bezug
Die erste Passage, die weder auf eine historisierende Metapher noch auf ein mythisches Wesen hindeutet und der zudem der bislang typische wässrige Bezug fehlt, findet sich in Ex 7,8-13
Im sogenannten Moselied (→ Lieder außerhalb des Psalters
Auch in dem Vertrauenspsalm Ps 91
In Neh 2,13
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992 („Dragon and Sea“)
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999
- Theologisches Wörterbuch zu den Qumrantexten, Stuttgart u.a. 2011ff
2. Weitere Literatur
- Batto, B.F., 1992, Slaying the Dragon. Mythmaking in the Biblical Tradition, Louisville/KN.
- Bauks, M., 1997, Die Welt am Anfang. Zum Verhältnis von Vorwelt und Weltentstehung in Gen 1 und in der altorientalischen Literatur (WMANT 74), Neukirchen-Vluyn.
- Bauks, M., 2008, Der eine Schöpfer und die anderen. Die Motive von Schöpfung und Chaos als Hinweise auf die Transformation des Gottesbildes im Hiobbuch, in: L. Bormann (Hg.), Schöpfung, Monotheismus und fremde Religionen. Studien zu Inklusion und Exklusion in den biblischen Schöpfungsvorstellungen (BThSt 95), Neukirchen-Vluyn, 99-124.
- Bauks, M., 2018, Gottesbild und Menschenbild. Zum Spannungsverhältnis von priesterschriftlichem Monotheismus und mythischen Versatzstücken in Gen 1, in: J. van Oorschot / A. Wagner (Hgg.), Gott und Mensch im Alten Testament. Zum Verhältnis von Gottes- und Menschenbild (VWThG 52), Leipzig, 105-122.
- Beuken, W.A.M., 2007, Jesaja 1-27 (HThKAT), Freiburg.
- Berges, U., 2015, Jesaja 49-54 (HThKAT), Freiburg.
- Day, J., 1985, God’s Conflict with the Dragon and the Sea, Echoes of a Canaanite Myth in the Old Testament, Cambridge.
- Gertz, C., 2018, Das erste Buch Mose (Genesis). Die Urgeschichte Gen 1-11 (ATD 1/1), Göttingen.
- Greenstein, E.L., 1982, Snaring of Sea in the Baal Epic, Maraav 3, 195-216.
- Gunkel, H., 1917, Genesis (HAT I,1), Göttingen, 3. Auflage.
- Gunkel, H., 1921, Schöpfung und Chaos in Urzeit und Endzeit, Göttingen, 2. Auflage.
- Heider, G.C., Art. Tannin, in: Dictionary of Deities and Demons in the Bible, 2. Aufl., Leiden 1999, 834-836.
- Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., 2000, Psalmen 51-100 (HThKAT), Freiburg.
- Hossfeld, F.-L. / Zenger, E., 2008, Psalmen 101-150 (HThKAT), Freiburg.
- Hutton, J.M., 2006, Ugaritic */š/ and the Roots šbm and šm[d] in KTU 1.3.III.40, Maarav 13, 75-83.
- Koenen, K., 2015, Klageleider (Threni) 1,1-5,22 (BK.AT 20), Neukirchen-Vluyn.
- Loewenstamm, S., 1975, Anat’s Victory over the Tunnanu, JSS 20 (1975), 27.
- Løkkegaard, F., 1953, A Plea for El, the Bull, and Other Ugaritic Miscellanies, in: E. Munksgaard (Hg.), Studia Orientalia (FS Ioanni Pedersen), Copenhagen, 213-235.
- Marzouk, F., 2015, Egypt as a Monster in the Book of Ezekiel (FAT II/76), Tübingen.
- Mettinger, T.N.D., 1985, Fighting the Powers of Chaos and Hell – Towards the Biblical Portrait of God, StTh 39, 21-38.
- Niehr, H., 1995, Art. Tannin, in: Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Bd. 8, Stuttgart u.a 1995, 715-720
- Smith, M. / Pitard, W.T., The Ugaritic Baal Cycle, Vol. II, Introduction with Text, Translation and Commentary of KTU/CAT 1.3. – 1.4. (SVT 114), Leiden / Boston 2009.
- Töyräänvuori, J., 2018, Sea and the Combat Myth: North West Semitic Political Mythology in the brew Bible (AOAT 457), Münster.
- Wakeman, M.K., 1973, God’s Battle with the Monster. A Study in Biblical Imagery, Leiden.
- Weissert, E., 1997, Creating a Political Climate: Literary Allusions to Enuma Elish in Sennacherib’s Account of the Battle of Halule, in: H. Waetzoldt / H. Hauptmann (Hgg.), Assyrien im Wandel der Zeiten (CRRAI 39), Heidelberg, 191-202.
- Whitaker, R.E., 1972, A Concordance of the Ugaritic Literature, Cambridge.
- Wüste, C., 2018, Fels – Geier – Eltern. Untersuchungen zum Gottesbild des Moseliedes (Dtn 32), (BBB 182), Göttingen.
- Zimmerli, W. 1979, Ezechiel 25-48 (BKAT XIII/2), Neukirchen-Vluyn 2. Auflage.
Abbildungsverzeichnis
- Ein Drache (hier eine siebenköpfige Schlange) bedroht als Chaoswesen die göttliche Heilsordnung. Die Götter bzw. der irdische König als deren Stellvertreter müssen das Chaos in Zaum halten (Rollsiegel; Tell Asmar; 3. Jt.). © Deutsche Bibelgesellschaft, Stuttgart
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)