Verheißung / Erfüllung
(erstellt: März 2006)
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1. Verheißung
1.1. Sprachgebrauch
Im deutschen Sprachgebrauch kommt Verheißung fast nur noch im religiös-kirchlichen Kontext vor. Das Etymologische Wörterbuch von Kluge kennzeichnet „verheißen“ bereits als „obsolet“ – stark veraltet. In der alltäglichen Kommunikation werden für ähnliche Sachverhalte Begriffe wie „Versprechen“, „Zusage“ oder „Garantie“ verwendet. Dazu kommt, dass Verheißung und Versprechen nur im Deutschen unterschieden werden, nicht jedoch etwa im Lateinischen oder Englischen (vgl. dazu insgesamt Wonneberger / Hecht 1986).
Im Unterschied zum allgemeinen Sprachgebrauch wird Verheißung in der Theologie in den letzten Jahrzehnten eher häufiger verwendet. Zumindest tritt „Verheißung“ häufig an die Stelle von „Weissagung“. Von J.Ch.K. von Hofmann bis R. Bultmann lautete das hier verhandelte Begriffspaar meist „Weissagung / Erfüllung“. Demgegenüber findet sich heute fast nur noch die Verbindung „Verheißung / Erfüllung“ (vgl. z.B. Weippert 1991, Zenger 1995, Taschner 2000, aber auch schon Zimmerli 1952=1960). Im Unterschied zu Weissagung wird Verheißung dabei meist auf Heilsankündigungen beschränkt (anders jedoch z.B. Zimmerli 1960, Weippert 1991). Weissagung setzt außerdem immer ein menschliches Subjekt voraus, auch wenn sachlich wie bei der Verheißung Gott als Urheber gilt.
Zum deutschen Begriff „Verheißung“ gibt es kein direktes hebräisches Äquivalent im Alten Testament.
Welche unterschiedlichen Akzente sich daraus ergeben können, zeigt bereits ein Blick in die Übersetzungen. Luther (1984, Verb und Nomen zusammen 13 Belege) und Einheitsübersetzung (22 Belege) überschneiden sich nur an einer Stelle (Ps 77,9
Verheißungen im Alten Testament werden deshalb vor allem nach inhaltlichen Kriterien bestimmt. Wesentlich ist, dass es um Zusagen Gottes geht, in denen für die Zukunft eine heilvolle Intervention Gottes angekündigt wird. Den göttlichen Verheißungen entspricht auf Seiten des Menschen dann die Hoffnung oder die Erwartung, dass Gottes Verheißung auch erfüllt wird.
Hebräische Äquivalente für Verheißung oder verheißen sind u.a.: Nomen: ’omær „Wort“ (Ps 77,9
1.2. Verheißung im Alten Testament
In der Auslegung alttestamentlicher Texte wird der Begriff „Verheißung“ vor allem in zwei Bereichen verwendet: zum einen für die Verheißungen an die Erzväter (→ Väterverheißungen
Eine umfassende und vollständige Systematik alttestamentlicher Verheißungen ist angesichts der begrifflichen Unschärfe und der Vielfalt der Aussagen hier nicht möglich (→ Eschatologie
Umstritten ist, welches Gewicht den „messianischen Verheißungen“ zukommt und welche Texte dafür in Anspruch genommen werden können. Aus neutestamentlich-christlicher Perspektive sind sie in jedem Fall von besonderem Interesse, auch wenn sie alttestamentlich nicht immer im Zentrum stehen.
Es zeigt sich immer wieder, dass die Verwendung des Begriffs „Verheißung“ für die Bezeichnung alttestamentlicher Phänomene stark vom neutestamentlichen Begriff ἐπαγγελία geprägt ist. Denn im Neuen Testament wird ἐπαγγελία im theologischen Sinne ausschließlich für Heilsankündigungen verwendet, die in Jesus Christus verwirklicht werden (Apg 13,32-33
So unterschiedlich die jeweiligen Adressaten und Verheißungsgüter auch sein mögen – sie alle haben ihre Mitte in Jahwe als Subjekt der Verheißungen. Seine Zusage an Israel: „Ich bin der Herr dein Gott“ kann deshalb als „Grundverheißung an Israel“ bezeichnet werden (Baumgärtel 1952, 19). Verheißung als „heilvolle, Zukunft eröffnende Selbstmitteilung Gottes“ (Levin 2002, 333) erschließt damit zentrale Aussagen alttestamentlicher Theologie und durchdringt ganz unterschiedliche Textbereiche. Levin (2002, 332ff) sieht deshalb in der Verheißung sogar die „Mitte des Alten Testaments“. Diese Mitte finde sich jedoch nicht in den Texten selbst, sondern sie sei eine „externe Mitte“: „Sie liegt eben in jener Zukunft, die verheißen wird“ (2002, 336).
2. Erfüllung
„Erfüllung“ bezeichnet im Alten Testament dreierlei: Zum einen den ganz konkreten räumlichen Vorgang (1Kön 8,10
Zu den entsprechenden hebräischen Formulierungen gehört auch ml’ Pi. („erfüllen“), das sonst das räumliche Erfüllen beschreiben kann. So hat nach 1Kön 8,15
Die Erfüllung einer Verheißung kann jedoch auch ohne spezifische Formulierungen berichtet werden. Entscheidend ist der Verweis auf eine vorausgehende Ankündigung (Gen 21,1
Die Frage nach der Erfüllung ist demnach immer auch die Frage nach der Zuverlässigkeit der Ankündigung und nach der Wirksamkeit des göttlichen → Wortes
3. Verheißung und Erfüllung
3.1. Innerhalb des Alten Testaments
→ Zimmerli
„Selbst Texte, die nicht von sich aus eine Verheißung oder Erwartung enthalten, können durch die Diskrepanz von ‚Anspruch’ und gegebener Situation einen ungedeckten Anteil, einen ‚Überschuß’ in sich bergen, der sich als Unabgeschlossenheit oder Offenheit verstehen läßt und in Erwartung umschlagen kann. So ermöglicht oder veranlaßt die Nicht-Übereinstimmung von Aussage und Wirklichkeit nachträglich eine eschatologische Deutung“ (Schmidt, 2004, 450).
Der innere Zusammenhalt der verschiedenen Verheißungen besteht allein in Gott als dem Subjekt der Verheißung: „Die prophetische Verheißung verkündigt in ihrem tiefsten Grunde nicht wahrsagerisch ein kommendes Etwas, sondern den kommenden Ihn, wie er tötet, wie er zum Leben ruft. Von dieser Mitte her begreift sich allein die auffallende Freiheit gegenüber aller kalendermäßigen Fixierung des angekündigten Geschehens, wie auch der oft frappante Wandel der geschichtlichen Botschaftsgehalte“ (Zimmerli 1960, 80).
3.2. Altes Testament und Neues Testament
Der Zusammenhang von Verheißung und Erfüllung ist auch für das Verhältnis von Altem Testament und Neuem Testament von Bedeutung. Ansatzpunkt dazu sind zunächst die neutestamentlichen Verweise auf das Alte Testament, besonders die Erfüllungsnotizen der Evangelien. Dabei zeigt sich jedoch auch, dass häufig die Verheißung erst von der Erfüllung her als solche erkannt wird. Andererseits wird die neutestamentliche Erfüllung auch im Licht der alttestamentlichen Texte gedeutet (vgl. z.B. Ps 22 in der Passionsgeschichte). Das Schema „Verheißung und Erfüllung“ lässt deshalb sowohl Verbindungen vom Alten Testament zum Neuen Testament als auch vom Neuen Testament zum Alten Testament sichtbar werden. Dieses wechselseitige Verhältnis sollte nicht zu einem einlinigen „Weissagungsbeweis“ verkürzt werden, der Jesus als den Messias Israels dadurch zu erweisen sucht, dass bestimmte alttestamentliche Verheißungen möglichst genau erfüllt werden. „Erfüllung“ bedeutet im Neuen Testament auch nicht, dass das Alte Testament seine Bedeutung verloren hätte, sondern die alttestamentlichen Verheißungen werden in Jesus Christus bekräftigt (2Kor 1,20
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Theologisches Wörterbuch zum Neuen Testament, Stuttgart 1933-1979 (epaggelō etc.; plēroō)
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965 (Weissagung und Erfüllung)
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004 (Verheißung)
- Etymologisches Wörterbuch der deutschen Sprache (Kluge), 23. Aufl., Berlin u.a. 1995 (verheißen)
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998ff. (Verheißung; Weissagung)
- Neues Bibel Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001 (Verheißung)
- Calwer Bibellexikon, Stuttgart 2003 (Erfüllung; Verheißung; Weissagung)
2. Weitere Literatur
- Baumgärtel, Friedrich, 1952, Verheißung. Zur Frage des evangelischen Verständnisses des Alten Testaments, Gütersloh
- Bultmann, Rudolf, 1960, Weissagung und Erfüllung, in: Westermann 1960, 28-53.
- Hofmann, Johann Chr. K. von, 1841-1844, Weissagung und Erfüllung, Erlangen.
- Jenson, Philip P., 1995, Models of Prophetic Prediction and Matthew’s Quotation of Micah 5:2, in: Philip E. Satterthwaite u.a. (Hgg.), The Lord’s Anointed. Interpretation of Old Testament Messianic Texts, Carlisle, 189-211.
- Levin, Christoph, 2002, Verheißung und Rechtfertigung, in: C. Bultmann u.a. (Hgg.), Vergegenwärtigung des Alten Testaments (FS R. Smend, Beiträge zur biblischen Hermeneutik), Göttingen, 327-344.
- Rad, Gerhard von, 1965, Die deuteronomistische Geschichtstheologie in den Königebüchern, in: ders., Gesammelte Studien zum Alten Testament (TB 8), München, 3. Auflage, 189-204
- Saß, Gerhard, 1995, Leben aus den Verheißungen (FRLANT 164), Göttingen
- Schmidt, Werner H., 2004, Alttestamentlicher Glaube, 9. Auflage, Neukirchen-Vluyn
- Steymans, Hans Ulrich, 1999, Verheißung und Drohung: Lev 26, in: Fabry, Heinz-Josef (Hg.), Levitikus als Buch (BBB 119), Bodenheim, 263-307
- Taschner, Johannes, 2000, Verheißung und Erfüllung in der Jakoberzählung (Gen 25,19 - 33,17). Eine Analyse ihres Spannungsbogens (HBS 27), Freiburg u.a.
- Tiemeyer, Lena-Sofia, 2005, Prophecy as a Way of Cancelling Prophecy. The Strategic Uses of Foreknowledge, ZAW 117, 329-350.
- Weippert, Helga, 1991, Geschichten und Geschichte: Verheißung und Erfüllung im Deuteronomistischen Geschichtswerk (VT.S 43), Leiden, 116-131
- Westermann, Claus, 1960, (Hg.), Probleme alttestamentlicher Hermeneutik. Aufsätze zum Verstehen des Alten Testaments (ThB 11), München
- Westermann, Claus, 1987, Prophetische Heilsworte im Alten Testament (FRLANT 145), Göttingen
- Wonneberger, Reinhard / Hecht, Hans Peter, 1986, Verheißung und Versprechen. Eine theologische und sprachanalytische Klärung, Göttingen
- Zenger, Erich, 1995, Das Erste Testament zwischen Erfüllung und Verheißung, in: K. Richter u.a. (Hg.), Christologie der Liturgie (QD 159), Freiburg u.a., 31-56.
- Zimmerli, Walther, 1975, Zum Problem der „Mitte des Alten Testaments“, EvTh 35, 97-118.
- Zimmerli, Walther, 1960, Verheißung und Erfüllung, in: Westermann 1960, 69-101 (= EvTh 12, 1952, 34-59).
Abbildungsverzeichnis
- Amos und Jesaja verheißen Christus (Gebetbuch der hl. Elisabeth; 13. Jh.).
- Verheißung an Abraham (Wiener Genesishandschrift; 6. Jh.).
- Jewgeni Vuchetich, „WE SHALL BEAT OUR SWORDS INTO PLOWSHARES“ (1957). Aus: Wikimedia Commons; © public domain
; Zugriff 11.4.2022
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