Versöhnung (AT)
(erstellt: März 2015)
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1. Hinführung
Nach traditionellem exegetischem Verständnis ist der Begriff „Versöhnung“ kein direktes Äquivalent eines speziellen hebräischen Wortes. Er umfasst zwar Belege der Wurzel כִּפֶּר kippær „sühnen“, ist konzeptionell aber weiter zu verstehen. Deshalb ergeben sich in sachlicher Hinsicht Probleme bei der Abgrenzung des damit Gemeinten.
Grundsätzlich zielt der Begriff „Versöhnung“ auf die Überwindung einer Kluft zwischen zwei Parteien. Da sich eine solche Kluft einerseits in zwischenmenschlichen Beziehungen, andererseits in der Beziehung Gott-Mensch manifestieren kann, bezeichnet „Versöhnung“ entweder ein Geschehen auf horizontaler oder auf vertikaler Ebene. Das Alte Testament enthält Erzählungen, Rechtssammlungen und das Kultrecht, die jeweils die Überwindung von Beziehungsklüften in der einen oder anderen Dimension thematisieren.
2. „Versöhnung“ in deutschen Übersetzungen
Der Begriff „versöhnen / Versöhnung“ kommt in der Lutherübersetzung (1984) des Alten Testaments (ohne Apokryphen) konkret nur sechsmal vor (Gen 32,21
Da diese Belege sämtlich unter das Stichwort → „Sühne
3. Das Konzept „Versöhnung“
3.1. Erzählungen
Versöhnung kommt im Alten Testament in Erzählungen, Rechtssammlungen und im Kultrecht vor. In Erzählungen ist in der Regel brüderlicher Zwist der Grund für den Zusammenbruch zwischenmenschlicher Beziehungen. Eine diesbezüglich paradigmatische Erzählung ist die → Josefsnovelle
Versöhnung auf horizontaler Ebene ist in Erzählungen des Alten Testaments allerdings auch dort greifbar, wo es in Bemühungen um soziale Gerechtigkeit letztlich um die langfristige Aussöhnung verschiedener Bevölkerungsschichten geht. Versöhnung überschneidet sich dann mit – bzw. wird ein Anliegen von – prophetischer → Sozialkritik
3.2. Rechtssammlungen
Von Versöhnung lässt sich mit Blick auf Rechtssammlungen des Alten Testaments insofern sprechen, als diesen an Normen gelegen ist, welche Konfliktparteien im Falle von Vergehen verschiedenster Art die Rückkehr zu friedlichen Verhältnissen ermöglichen (→ „Friede
Allerdings haben auch Rechtssammlungen eine vertikale Dimension. Stifter und Garant des Rechts bleibt JHWH, der Gott Israels. Jede Störung auf horizontaler Ebene ist folglich theologisch zu reflektieren, was im Kultrecht geschieht.
3.3. Kultrecht
Israels Gott ist ein heiliger Gott (Ps 71,22
Literaturverzeichnis
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