Barnabasbrief
(erstellt: September 2011)
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1.Textüberlieferung und Bezeugung
1.1 Überlieferung
Die anonyme, seit Klemens von Alexandria als Barnabasbrief (Barn) bezeugte Schrift ist mit ihren 21 Kap. vollständig nur im Cod. Sinaiticus (א, 4. Jh.) und im Cod. Hierosolymitanus 54 (H, 11. Jh.) (→ Codices
1.2 Bezeugung
Die Bezeugung des Barn setzt in der zweiten Hälfte des 2. Jh.s ein. Wahrscheinlich haben bereits → Justin der Märtyrer
2.Entstehungsverhältnisse
2.1 Abfassungszeit
Für eine präzisere Datierung des Textes kamen wiederholt Barn 4,3–5 und 16,3f. in die Diskussion. Jedoch ist von Barn 4,3–5 wegen des Traditionscharakters, der apokalyptischen Prägung (→ Apokalypse
2.2 Entstehungs- und Bestimmungsort
Der Barn nennt weder seinen Entstehungs- noch einen Bestimmungsort. Es gibt jedoch einige Gründe, die zu der berechtigten Annahme führen, → Alexandria
2.3 Verfasserschaft
Der Verfasser ist unbekannt. Die Anonymität ist ebenso programmatisch wie die mit Bedacht gepflegte Unbestimmtheit von Abfassungs- und Bestimmungsort. Die inscriptio ΒΑΡΝΑΒΑ ΕΠΙΣΤΟΛΗ (BARNABA EPOSTOLĒ) stellt dabei den ältesten Kommentar zu dieser anonymen Schrift dar. Durch die epistolare Rahmung des Schriftstücks drängte sich die „Gattungsbestimmung“ als Brief auf. Die angesichts der antijüdischen Polemik erstaunliche Namenswahl, und damit die Behauptung der Verfasserschaft des aus Apg, 1 Kor und Gal bekannten zypriotischen Leviten Joseph, setzt indes Kenntnis dieser Schrift sowie eine Vorstellung der theologischen Propria des „Apostels neben → Paulus
3. Struktur und literarischer Charakter
3.1 Struktur
Die literar- und formkritischen Analysen haben Dreierlei erwiesen: 1. Der Barn hatte von Anfang an den von den Hauptschriften א und H überlieferten Umfang. 2. Man trifft fortgesetzt auf Traditionen, wobei in Barn 17 zwei Traditionskomplexe aneinander stoßen. 3. Im stilistischen Gleichklang mit Barn 17 heben sich Barn 1 als Begrüßung mit Einleitung und Barn 21 als Schluss vom übrigen Schriftstück ab und rahmen als kompositorische Eckpfeiler zwei Abschnitte unterschiedlicher Länge (Barn 2–16; 18,1b–20,2) mit je eigenem inhaltlichen, formalen und traditionsgeschichtlichen Profil. Barn 17,1–18,1a markiert dabei nicht nur deren Schnittstelle, sondern leitet zugleich vom ersten zum zweiten Hauptteil über.
3.3 Literarischer Charakter
Sprachliche und situative Konstanz sowie argumentative Bezüge und Kohärenz zeigen die literarische Integrität des Barn an.
Epistulare Rahmung (Barn 1 und 21), schriftstellerischer Impetus (Barn 1,5; 4,9; 12,2; 21,9), universale Adresse (Barn 1,1), Autoritätsanspruch (Barn 1,1.8; 4,9; 5,3; 6,5.10 passim) und didaktische Emphase (Barn 6,5; 7,1.9; 9,7–9 passim) sowie intensive Zitierung und Auslegung der Schrift kennzeichnen den Barn als brieflich gerahmten Traktat. Er will auf der Grundlage autoritativer Zeugnisse (→ Schrift
Der Anlass des Barn ist ein Dissens über die soteriologische Bedeutung des Christusereignisses. Der Zweck ist der exegetische Nachweis, dass die Schrift als die unstrittig autoritative Grundlage (vgl. Barn 1,7f.; 5,3; 7,1; 21,1.5) exklusiv auf → Christus
3.4 Disposition
Die beiden Hauptteile konvergieren thematisch darin, dass Glaube und Handeln der Christen in der prophetischen Überlieferung vorgegeben und daher bindend sind. Daher und wegen der Axiome, dass alles in der prophetischen (→ Prophetie, Prophet
4. Theologische Charakteristika
Die Soteriologie (Barn 4-8) ist das theologische Thema des Barn, die christologischen, ekklesiologischen und eschatologischen Themen sind ihr funktional zugeordnet und gewinnen ihre Konturen in der Sicherung der Soteriologie. Die Frage der eschatologischen Rettung (Barn 2,10b; 4,1) bestimmt die Auswahl und die Behandlung der Einzelthemen. Hierdurch disponiert will der Barn im Sinne eines Kompendiums geltender Tradition (Barn 1,5-8; 17,1) anhand autoritativer Zeugnisse die christliche Identität seiner Leser in Front zu anderen Christen (Barn 4,6) aufzeigen und sichern (Barn 1,5; 4,9; 7,2).
Die Christologie stellt für den Barn den hermeneutischen Schlüssel (→ Hermeneutik
5. Antijüdische Polemik und ihre Funktion
Der Barn wird in der Frühchristentumsforschung nicht selten neben Joh 8,30-47
Tragende Elemente der antijüdischen Polemik im Barn sind offene polemische Aussagen und Wendungen. Unter Berufung auf die prophetische Kritik warnen Barn 2,9f. und 3,6 davor, gemäß jüdischer Vorschriften → Opfer
Zwar übergießt der Verfasser die Juden und das Judentum mit heftigster Polemik, aber er zielt damit nicht auf sie. Der Verfasser will mit seinen Ausführungen möglichst prägnant vor Augen führen, dass der christliche Glaube schriftgemäß ist (Barn 2–16) und dass das christliche Handeln die hohen sittlichen Standards der Tradition erfüllt (Barn 18–20). Mit dieser Intention übt der Verfasser schärfste Kritik an Christen, die eine dem Christusereignis vorausliegende und bindende Heilssetzung und Heilsgeschichte bekennen. Mag diese Heilsgeschichte auf Christus und die Christen hinführen, so relativiert dem Verfasser zufolge dieser Glaube dennoch das Christusereignis, weil dessen soteriologische Exklusivität tangiert wird. Aus seiner Sicht kann solcher Glaube und solche Hoffnung nur einem verfehlten Schriftverständnis entsprungen sein, das im übrigen Zeichen fehlender → Gnade
Charakteristisch an dieser zum Zweck einer innerchristlichen Ketzerpolemik geäußerten Kritik an allem Jüdischen ist ihre Legitimierung unter Berufung auf die Schrift. Ebenso wie nach Ausweis des Vf. die → Präexistenz
Kirchengeschichtlich überaus folgenreich ist die mit der theologischen Paralyse einer dem Christentum vorausliegenden Heilsgeschichte gekoppelte Aufgabe der kultischen Gemeinschaft mit der Religion, aus der das Christentum stammt. Die Kirche glaubt nicht nur anders, sie betet und feiert anders als das Judentum. Der Gottesdienst der Kirche liegt auf einem anderen Termin, weil ihre Liturgie ihren Grund in der eschatologischen Heilssetzung Gottes in Jesus hat. Im Unterschied zur Didache, die die Begehung des → Sabbats
Literaturverzeichnis
1. Editionen und Übersetzungen (in Auswahl)
- Holmes, M. W. (Hg.), Apostolic Fathers (Early Christian collection). Translated by J. B. Lightfoot / J. R. Harmer. Grand Rapids, Mich. 2. Aufl. 1990.
- Kraft, R. A., The Apostolic Fathers. Bd. 3: Barnabas and the Didache. New Translation and Commentary. New York / Toronto 1965.
- Lindemann, A. / Paulsen, H. (Hg.), Die Apostolischen Väter. Griechisch-deutsche Parallelausgabe auf der Grundlage der Ausgaben von Franz Xaver Funk / Karl Bihlmeyer und Molly Whittaker, mit Übersetzung von M. Dibelius und D.-A. Koch. Tübingen 1992.
- Prigent, P. / Kraft, R. A. (Hg.), Épître de Barnabé. Introduction, traduction et notes par P. Prigent, Texte grec établi et présenté par R. A. Kraft. SC 172. Paris 1971.
- Scorza Barcellona, F. (Hg.), Epistola di Barnaba. Introduzione, testo critico, traduzione, commento, glossario e indici. CorPat 1. Torino 1975.
- Wengst, K. (Hg.), Didache (Apostellehre), Barnabasbrief, Zweiter Klemensbrief, Schrift an Diognet. SUC 2. Darmstadt 1984 (ND 2004, 2006).
2. Kommentare zum Barnabasbrief
- Prostmeier, F.R., Der Barnabasbrief. KAV 8. Göttingen 1999.
- Windisch, H., Die Apostolischen Väter. III: Der Barnabasbrief. HNT Erg.-bd., Hg. v. H. Lietzmann. Tübingen 1920, 299-413.
3. Sonstige Literatur
- Carleton Paget, J., The Epistle of Barnabas. Outlook and Background. WUNT 2,64. Tübingen 1994.
- Hvalvik, R., The Struggle for Scripture and Covenant. The Purpose of the Epistle of Barnabas and Jewish-Christian Competition in the Second Century. WUNT 2,82. Tübingen 1996 (zugl. Diss. Masch. Oslo 1994).
- Prostmeier, F.R., Antijüdische Polemik im Rahmen christlicher Hermeneutik. Zum Streit über christliche Identität in der Alten Kirche. ZAC 6 (2002) 38-58.
- Prostmeier, F.R., Der Barnabasbrief, in: W. Pratscher (Hg.) Die Apostolischen Väter. Eine Einleitung. UTB 3272. Göttingen 2009, 37-58.
- Prostmeier, F.R., Zur handschriftlichen Überlieferung des Polykarp- und des Barnabasbriefes. Zwei nicht beachtete Deszendenten des Cod. Vat. gr. 859. VigChr 48 (1994) 48-64.
- Wengst, K., Tradition und Theologie des Barnabasbriefes. AKG 42. Berlin 1971.
Abbildungsverzeichnis
- Gliederung des Barnabasbriefes Gliederung: Ferdinand Prostmeier
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