Abraham, interreligiös
(erstellt: Februar 2017)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Abraham_interreligis_.100174
1. Einleitung: Abraham als Grundlage und Garant trialogischen Lernens?
Die Gestalt Abrahams spielt in den Heiligen Schriften und Traditionen von Juden, Christen und Muslimen eine besondere, wenn auch mit je unterschiedlichen theologischen Gehalten gefüllte Rolle. Wie in allen Fragen des interreligiösen Dialogs bzw. Trialogs ist auch mit Blick auf Abraham der doppelte Fokus auf die Gemeinsamkeiten wie die Unterschiede zu richten. Die vor allem von Christen viel zitierte Rede von den abrahamitischen oder abrahamischen Religionen bzw. der abrahamischen Ökumene (zum Begriff der abrahamischen Ökumene: Kuschel, 2001, 213-305) hat dazu geführt, dass es für sie zu einer wenig reflektierten Selbstverständlichkeit geworden ist, von Abraham als dem Stammvater des Glaubens von Juden, Christen und Muslimen zu sprechen. Dies hat wesentlich damit zu tun, dass Abraham eine bedeutsame Gestalt des Glaubens sowohl im → Tenach
Weil solche Differenzen bei der Rede von den abrahami(ti)schen Religionen häufig nicht beachtet werden, spricht Daniel Krochmalnik von einer „Abraham-Formel im Trialog der Monotheisten […] Abraham wird von allen als väterliche Autorität akzeptiert, während die Ansichten über seine Nachkommen Moses, Jesus und Muhammad weit auseinandergehen“ (Krochmalnik, 2011, 55). Und so kommt Krochmalnik, das Bild der Familie aufgreifend, zu dem Schluss, dass – wie in jeder Familie – das Problem im Hause Abrahams „nicht die Fremdheit, sondern die Nähe“ (Krochmalnik, 2011, 58) ist. Obgleich also die Familienmetapher hinsichtlich des Trialogs auf hohe Plausibilität zielt (Eißler, 2013, 56), lassen sie die Unterschiede hinsichtlich der identitätsstiftenden, theologisch relevanten Inhalte, die mit der Gestalt Abrahams verbunden sind, unberücksichtigt.
Nicht nur für den interreligiösen Dialog oder Trialog unter Theologen (→ Dialog der Religionen
2. Abraham in den Traditionen der abrahami(ti)schen Religionen
Von Abraham bzw. Ibrāhīm wird sowohl in der hebräischen Bibel, im Neuen Testament als auch im Koran erzählt. Die Unterschiede in der Aussprache bzw. Schreibweise haben ihren Grund in der hebräischen bzw. arabischen Sprache. Daher wird im Folgenden, der deutschen Sprache entsprechend, durchgehend von Abraham gesprochen, auch wenn es um Erzählungen und (theologische) Deutungen des Koran geht (hierzu auch Behr, 2011, 109). Die biblische Grundlage bildet der umfangreiche Erzählstrang in Gen 11,27-25
Bevor die Traditionen der drei monotheistischen Religionen selbst zu Wort kommen, soll kurz der Frage nach der Historizität Abrahams nachgegangen werden. Von seinem Leben wird sowohl in den biblischen als auch koranischen Texten ausführlich erzählt. Orte, zu denen er sich aufmacht, an denen er lebt und wirkt, werden genannt. Dennoch lässt sich die Frage nach einer historischen Person hinter den Legenden nicht klären, da es u.a. keine archäologischen Beweise für seine Existenz gibt: „Archäologische Evidenzen der Abrahamorte wie Mamre, Machpela oder Hebron stammen aus herodianischer Zeit. In dem wesentlich älteren Teil des untersuchten antiken Hebron ließen sich aber keinerlei Hinweise auf Abraham finden“ (Zimmermann, 2007, 162). Dessen ungeachtet wurde die Erzählfigur Abraham „für die Juden Vorfahr (Abraham Awinu), für die Christen zum Vorbild der Gläubigen (Röm 4,11
2.1. Abraham im Kontext der jüdischen Tradition
Die Bedeutung der Gestalt Abrahams und der mit ihm verbundenen Erzählungen im Kontext jüdischer Tradition ist vielfältig. Sie speist sich einerseits aus den biblischen Erzählungen vom Leben Abrahams, in denen sich das Auf und Ab menschlichen Lebens, Erfahrungen von Gottesnähe und -ferne, Zukunftshoffnung und Verzweiflung spiegelt. Davon zeugt die in Gen 12,1
In der Erzählung von der Bindung Isaaks, der Akeda Jizchak, in Gen 22
Für Jüdinnen und Juden gilt diese zehnte Prüfung Abrahams, in der sein unbedingtes Vertrauen auf Gott gefragt ist, als ein Beispiel für Leidbewältigung in allen Notsituationen. Damit hat die Erzählung in Gen 22
Anders als in der christlichen Theologiegeschichte der Neuzeit, in der das Handeln Abrahams in Gen 22
Die Bedeutung Abrahams für die jüdische Tradition bis heute lässt sich auch an Bildern, Buchmalereien und Mosaiken erkennen. Im Bewusstsein der „elementaren Bedeutung des Bilderverbotes für das Judentum“ (Weber, 2013, 54) dienten die Darstellungen vor allem didaktischen Zwecken. Bekannt sind beispielsweise die Fresken in der Synagoge von Dura Europos, die jüdische Geschichte(n) illustrieren. Die im dritten Jahrhundert entstandenen Malereien auf der Westseite der Synagoge zeigen die Akeda; in der Synagoge von Bet Alaf aus dem sechsten Jahrhundert ist sie als Bodenmosaik gestaltet (Rosenau, 2007, 287; Stemberger, 1993, 64).
2.2. Abraham im Kontext der christlichen Tradition
Das Verständnis von Abraham, der sich ganz und gar auf Gott einlässt, dessen Vertrauen Gott gegenüber grenzenlos zu sein scheint, liegt auch den neutestamentlichen Befunden zugrunde. Paulus folgend, verkörpert Abraham den von Gott schon immer gewollten Weg zum Heil aufgrund des Glaubens und nicht der Gesetzeswerke (Lona, 1993, 62f.). Die Interpretation der Gestalt Abrahams spiegelt auf diese Weise die Verwurzelung des christlichen Glaubens (→ Glaube
Nach Gen 17
In der Geschichte der christlichen Begegnung mit dem Judentum (→ Judentum, als Thema christlich verantworteter Bildung
Hier wird die Stoßrichtung deutlich, die mit den christlichen Bemühungen der jüngeren Vergangenheit verbunden sind: Es geht um das Einüben in eine Haltung der Offenheit für den Anderen und für dessen je andersartige theologische Konzeption und Deutung. Es muss dabei aber auch darum gehen, in der Begegnung Gottes Ruf zu folgen (Brandscheidt, 2009, 345; Landeskirchenamt der Evangelischen Kirche im Rheinland, 2009, 23).
2.3. Abraham im Kontext der islamischen Tradition
Anders als in der christlichen Tradition und in Ansätzen vergleichbar mit der jüdischen kommt Abraham in der islamischen Tradition eine wichtige Rolle zu. Für Musliminnen und Muslime nimmt Abraham deshalb eine besondere Stellung innerhalb der Propheten ein, weil er „als Sinnbild des rechten Glaubens über die Grenzen von Epochen hinaus entworfen“ (Behr, 2011, 111) ist. Er gilt wie der Prophet Muhammad daher als Vorbild. Mehrfach wird im Koran das Leben und Wirken des Propheten Abraham parallel zu dem des Propheten Muhammad dargestellt. Auf diese Weise wird er „zum Prototypen des Propheten Muhammad“ (Bechmann/El-Kaisy-Friemuth, 2016, 123; auch Behr, 2011, 116-123). Abraham wird im Koran nicht nur als nachahmenswertes Beispiel für rechten Glauben beschrieben, sondern in ihm zeigt sich auch Typisches der koranischen Prophetologie. Dass Abraham zu den herausragenden Propheten gehört, die Gottes Wille in Form einer von Gott selbst offenbarten Schrift kundtun, wird darin (Sure 87,19; 53,36f.) zum Ausdruck gebracht, dass er zum Empfänger der ersten schriftlichen Offenbarung, den sogenannten Blättern Abrahams, wird (Bauschke, 2014, 11-13; Bechmann/El-Kaisy-Friemuth, 2016, 122).
Musliminnen und Muslime sprechen von Abraham als dem Urvater der Gläubigen, gleichzeitig gilt er ihnen aber auch als Ur-Muslim (Kaddor, 2009, 103; Frankemölle, 2016, 489). Wenn die islamische Tradition betont, dass Abraham als der Stammvater der Monotheisten gilt (Schimmel, 1993, 64), so kann das nicht dahingehend verstanden werden, dass mit Abraham das Verhältnis der drei monotheistischen Religionen (heute) bestimmt wird. Vielmehr geht es dem Koran um „Fragen des Menschseins in seiner Verhältnisbestimmung zu Gott“ (Behr, 2011, 144). Genau das wird in Sure 3,67 zum Ausdruck gebracht. „Abraham war weder Jude noch Christ, sondern er was Anhänger des reinen Glaubens, ein Gottergebener, und er gehörte nicht zu den Polytheisten.“ Der Glaube an den Einen und Einzigen Gott, sich ganz auf Gott einzulassen, seinen Weisungen Folge zu leisten, das ist es, was den Glauben Abrahams ausmacht, das ist es, was ihn auch vor der Herabsendung des Korans zu einem Muslim macht.
Abrahams Such nach Gott schildert der Koran als einen Prozess, der von der menschlichen Vernunft geleitet wird. Seine Gottsuche zeichnet ihn als einen Mann aus, der seinen Verstand in rechter Weise zu nutzen weiß. Bei seiner Beobachtung der Gestirne, dem Sinken von Sternen, Mond und Sonne, gelangt Abraham zum Eingottglauben an den Schöpfer der Gestirne und der Erde. Er begründet diese Erkenntnis damit, dass untergehende Größen, die sich dem Menschen entziehen, keine Gottheiten sein können. Die Verse 75-79 in Sure 6 beschreiben diesen Erkenntnisvorgang Abrahams (Schimmel, 1993, 64). Auch die jüdische Tradition kennt diese Erzählung, die deutlich machen soll, dass „Abraham auch ohne äußere Leistung zur natürlichen Gotteserkenntnis“ (Krochmalnik, 2001, 112; auch Kasher, 2007, 284) gelangt.
Das denkende und glaubende Sich-Einlassen auf Gott und dessen Willen macht Abraham zu einem Freund Gottes. Nicht nur in Zeugnissen des Tenach (Jes 41,8
Wie in der jüdischen Tradition zeigt sich die Bedeutung Abrahams für Musliminnen und Muslime nicht allein in der Vielzahl der koranischen Verweise auf ihn, sondern auch in der täglichen spirituellen Praxis. So sprechen die Gläubigen in einem Abschnitt des täglichen Gebets (ṣalāt) „Gott, segne Muhammad und das Haus Muhammads, so wie Du Abraham und das Haus Abrahams gesegnet hast […]“ (Behr, 2011, 111). Zur Zeit der Pilgerfahrt feiern Musliminnen und Muslime jedes Jahr das Opferfest, in dem sie daran erinnern, dass Abraham bereit war, seinen Sohn Ismael zu opfern, der dazu seinerseits eingewilligt hatte (Sure 37,102). Wie in Gen 22
Die theologische Deutung Abrahams im Koran schreibt ihm verschiedene Rollen zu, die für interreligiöse Bildungsprozesse bedeutsam werden können: seine Suche nach Gott, seinen Gehorsam Gott gegenüber, sein Zweifeln an der → Auferstehung der Toten
2.4. Nochmals die Frage nach Abraham als Grundlage und Garant trialogischen Lernens
Die Ausführungen zu den je eigenen Deutungen Abrahams in der jüdischen, der christlichen und der islamischen Tradition zeigen, dass die These von Abraham als Grundlage und Garant trialogischen Lernens problematisch ist. Sie ist es, weil Abraham die → religiöse Identität
In der Geschichte der Begegnung von Juden, Christen und Muslimen ist Abraham ebenso als Paradigma für den Dialog bzw. Trialog der Religionen herangezogen worden wie er auch als „Chiffre für einen Kampf der Kulturen“ (Bauschke, 2009, 40) herhalten musste und muss. Abraham zur notwendigen Bedingung für einen geschwisterlichen Umgang mit dem Anderen zu erheben, bedeutet, die theologischen Unterschiede zu leugnen. Abrahamische Geschwisterlichkeit würde damit zu einer bloßen Form, die ohne Gehalt bleibt, ja bleiben muss. Wenn Abraham auch nicht Grundlage des Dialogs ist und sein kann, so bieten die Abrahamerzählungen in den jüdischen, christlichen und islamischen Traditionen doch Potenziale, „die immer wieder – auch heute noch – zum Spiegel der eigenen Wirklichkeit“ (Zimmermann, 2007, 165) werden. Denn diese Erzählungen fördern einen Trialog, der sich aus den Wurzeln der je eigenen Tradition und Spiritualität speist und mit Interesse – hier im eigentlichen Sinne des Wortes als ein Dazwischensein verstanden – auf den Anderen zugehen lässt.
3. Religionspädagogische Relevanz für interreligiöse Bildungsprozesse
Die Vielfalt interreligiöser Bildungsprozesse in Schule und Gemeinde kann hier nicht angemessen abgebildet werden. Es geht im Folgenden darum, Impulse aufzuzeigen, wie die Erzählungen von Abraham und die Deutungen dieser Erzählungen in den Traditionen der drei monotheistischen Religionen für ein Lernen fruchtbar gemacht werden können, das sich der inter- wie intrareligiösen Deutungsvielfalt der Gestalt Abrahams stellt. Form und Gehalt sollten einander entsprechen. „Abraham könnte dann ein generativer Topos für Analyse, Gespräch und für gemeinsames Handeln sein, indem er bewusst als das genommen wird, was er in Schrift wie Tradition war: Ein semantischer Ort, der immer neu Differentes repräsentiert und ein ‚Topos‘, der die pragmatischen Beziehungen zueinander thematisiert“ (Bechmann, 2007, 125). So können interreligiöse Bildungsprozesse in Gang gesetzt werden, die reflektiert in die nicht selten widersprüchliche Vielfalt der Gestalt Abrahams einführen. Von hier aus können nicht nur Gemeinsamkeiten, sondern auch Unterschiede erarbeitet werden, die das Proprium der jeweiligen Religion am Beispiel Abrahams aufscheinen lassen, die auf diese Weise den Eigen-Wert der jeweiligen religiösen Tradition deutlich machen und die eine (spirituelle) Haltung einüben lassen, welche von Toleranz dem Anderen gegenüber gerade in der streitbaren Auseinandersetzung geprägt ist. Denn Toleranz kann erst dann eingeübt werden, wenn „in der Vielfalt die Unterschiede schmerzlich spürbar werden“ (Eißler, 2013, 67; vgl. hierzu auch die kritische Frage nach einem Zusammenleben angesichts bleibender Differenz bei Schweitzer, 2013, 91).
Ein solches Lernen an und mit Abraham kann ganz unterschiedliche Schwerpunkte setzen (zu religionsdidaktischen Bespielen: z.B. Baur, 2007; Behr/Krochmalnik/Schröder, 2011; Hagemann/Hirsch, 2002; Jamal, 2006). Abraham kann zu einem Thema interreligiösen Lernens werden, indem beispielsweise Hebron als Ort der Begegnung von Geschwisterrivalität in den Blick genommen wird. Biblische Texte belegen am Beispiel Hebrons, jenes Ortes, an dem sowohl Abraham als auch Isaak und Jakob begraben sind, die Spannungen zwischen den Geschwistern – in biblischen Zeiten wie heute. Die Bibel erzählt davon (Gen 25,9
In diesem Zusammenhang kann die Charakterisierung Abrahams als dem „Freund Gottes“ (Jes 41,8
Sich um die Frauen Abrahams rankende Erzählungen spielen in der traditionellen Auslegung oft nur am Rande eine Rolle (Bechmann/El-Kaisy-Friemuth, 2016, 118). Nicht zuletzt mit Blick auf Sara und Hagar könnte die jüdisch-rabbinische Schriftauslegung Impulse für religiöse Bildungsprozesse (→ Bildung, religiöse
Den entwicklungsbedingten Voraussetzungen entsprechend, sind für unterschiedliche Alters- und Entwicklungsgruppen verschiedene Zugänge zu beachten. Gerade für Kinder im Kindergarten- und Grundschulalter sind narrative Zugänge mit kreativen Umsetzungen sinnvoll (vgl. das Beispiel bei Jamal, 2006). Es geht um das Kennenlernen der Geschichten Abrahams. Eine vergleichende Gegenüberstellung biblischer und koranischer Erzählungen ist hier verfrüht.
Motive der Abrahamerzählungen im Sinne korrelativen Arbeitens mit Blick auf theologische und lebensweltliche Erschließungsprozesse bieten sich vor allem für die Sekundarstufe I an. Da die Fähigkeit zum → Perspektivenwechsel
Für die Sekundarstufe II kann die wirkungs- und rezeptionsgeschichtlich-kritische Sichtung vorangebracht werden, indem beispielsweise ausgewählte Rezeptionen der Erzählung von der Bindung Isaaks (jüdischer Kontext) bzw. dem Opfer Abrahams (christlicher und islamischer Kontext) in den Traditionen der drei Religionen miteinander ins Gespräch gebracht werden, um den theologischen Topos des Opfers zu reflektieren (zur theologischen Reflexion aus christlicher Perspektive: Stosch, 2013, 191-196).
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- Der Koran. Übersetzt und kommentiert von Adel Theodor Khoury, Gütersloh 2007.
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