Religionsbuch, katholisch
(erstellt: Januar 2015)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Religionsbuch_katholisch.100031
Ein Religionsbuch ist nach gegenwärtigem Verständnis ein Schulbuch für das Fach Religionslehre (→ Religionsunterricht, katholisch
Das Religionsbuch als Lehr- und Lernbuch rückt im Zuge der → Gegenreformation
1. Vorformen des Religionsbuches
Das älteste uns bekannte Unterweisungsbuch ist die Didache (Abkürzung von „Lehre der zwölf Apostel“), ein um 100 nach Christus entstandenes Lehrbüchlein, das den frühen christlichen Gemeinden als christliche Sittenlehre, als Formular für die → Katechese
2. Katechismen im Umfeld der Gegenreformation
Das Wort → „Katechismus“
Der Jesuit Petrus Canisius (1521-1597) entwickelte Katechismen, die diesem Anspruch gerecht wurden und dem mangelnden Glaubenswissen der breiten Bevölkerungsschichten, aber auch der Kleriker, entgegenwirken sollten. Der Reihe nach erschienen 1555, 1556 und 1559 der sogenannte „Große Katechismus“ für die Universitätsstudenten, der „Mittlere“ für Gymnasiasten und der „Kleine Katechismus“ für die Schulkinder (→ Schule
Die didaktische Konzeption des → Katechismus
Das Frage-Antwort-Schema hat seinen Ursprung aber nicht nur in dieser autoritativ geprägten Unterweisungsform, sondern wurde aus der Taufpraxis der Alten Kirche übernommen. Bei der Anmeldung zum Katechumenat wurde der Taufbewerber über die Beweggründe befragt, weshalb er in die christliche Gemeinde aufgenommen werden wollte (vgl. Augustinus, De catechizandis rudibus, 9). Am Ende des Katechumenats erfolgte eine weitere Befragung. Sie war bereits der einleitende Teil der Taufliturgie, indem der Täufling auf die Befragung des Taufspenders hin sein Taufgelübde ablegte. Während aber das Taufgelübde ein bewusstes und aktives Bekenntnis war, reduzierte sich das Frage-Antwort-Schema des Katechismus auf eine reaktive Wiedergabe von memoriertem Wissen.
Dass aber bereits im 16. Jahrhundert andere didaktische Zugangsweisen denkbar gewesen wären, hat der Katechismus von Georg Witzel gezeigt. Er verwendete zwar auch ein Frage-Schema, aber bei ihm war es die Form eines Lehrgesprächs nach dem Vorbild antiker Dialoge, der sogenannte Maieutik, das heißt Hebammenkunst, durch geeignetes Fragen den Schüler die Einsicht selber „gebären“ zu lassen. Witzel hielt es für die natürliche Form des Lernens und Lehrens, dass der → Schüler
Für die Gliederungsstruktur des Katechismus orientierte man sich an den Glaubensbekenntnissen der frühen Kirche. Die einzelnen Glaubensartikel bildeten die Hauptkapitel. Ergänzt wurden sie durch die Vaterunser-Bitten, die Zehn Gebote und die Sakramente, letztere vor allem mit Blickrichtung auf die reformatorischen Kirchen.
3. Der Katechismus im Zeitalter der Aufklärung
Von einigen Modifizierungen abgesehen, erreichte der Katechismus mit dieser Struktur das 20. Jahrhundert, auch wenn seit der → Aufklärung
4. Der Katechismusstreit im 19. Jahrhundert
Im 19. Jahrhundert steht die katholische Kirche im Bann der rasanten Umwälzungen von Wissenschaft und Gesellschaft, gegen die sie sich mit rückwärts gewandten Positionen zu stabilisieren suchte. Innerkirchlich entbrennt gerade um den Katechismus ein heftiger Streit, dessen Wogen noch bis in die Gegenwart schlagen. Unter dem Einfluss der Tübinger Theologischen Schule, einer Reformbewegung auf universitärer Ebene, machte sich der Moral- und Pastoraltheologe → Johann Baptist Hirscher
5. Die Schulbibel als zusätzliches Religionsbuch
Parallel dazu wollten jedoch einige Katecheten gegen das dogmatisch ausgerichtete Katechismuswissen mit der „biblischen Geschichte“ ein Gegengewicht schaffen. Da man die → Bibel
6. Schulbuchentwicklung seit 1945
Da die Kirche während des Nationalsozialismus (→ Kirchen im Nationalsozialismus
7. Das jahrgangsbezogene Religionsbuch
Nach der „Gemeinsamen Synode der Bistümer Deutschlands“ (1972-74) erschien zum letzten Mal ein Katechismus für die Schule, der „Grundriss des Glaubens“ (1980). Obwohl staatlich und kirchlich genehmigt, fand er kaum noch Eingang in die Schulen, denn inzwischen hatten sich die äußeren Bedingungen der → Schule
In Konsequenz daraus wurden nun lehrplanbezogene Jahrgangsbücher entwickelt. Dabei sind zwei Typen zu unterscheiden: die darbietenden Bücher, in denen die Inhalte lehrgangsmäßig angeordnet sind, und die prozessorientierten, bei denen die Schülerinnen und Schüler ihren eigenen Lernweg mitbestimmen. Heute hat sich aufgrund bildungs- und schulpolitischer Entscheidungen der zweite Typ durchgesetzt. Die Schülerinnen und Schüler sind nicht mehr Objekte der Unterweisung, sondern → Subjekte
Im Hinblick auf die Schülerinnen und Schüler sollen zeitgenössische Religionsbücher nicht nur Inhalte vermitteln, sondern grundlegende Kompetenzen entfalten helfen.
Daraus ergeben sich folgende Aufgaben:
- Religionsbücher müssen → religiöse
Phänomene so darstellen, dass sie von den Schülerinnen und Schülern als lebensbedeutsame Phänomene wahrgenommen und beschrieben werden können. - Sie müssen sich als Sprach- und Ausdrucksschule verstehen, damit Schülerinnen und Schüler die religiöse Sprache einschließlich der sprachlichen und bildnerischen Zeugnisse aus Vergangenheit und Gegenwart deuten können. (→ Bildung, ästhetische
) - Sie müssen religiöse und ethische Fragen (→ Ethische Bildung und Erziehung
) problemorientiert entfalten, damit die Schülerinnen und Schüler begründet urteilen können. - Sie müssen die Vielfalt der Religionen so darstellen, dass Schülerinnen und Schüler am religiösen und → interreligiösen Dialog
teilnehmen können. - Sie müssen zu religiös bedeutsamen Ausdrucks- und Gestaltungsformen anregen, damit Schülerinnen und Schüler an religiösen Angeboten reflektiert teilnehmen und eigene religiöse Ausdrucksformen entwickeln können.
- Sie müssen Begegnungen mit ethischen, insbesondere sozialen Handlungsfeldern ermöglichen, damit Schülerinnen und Schüler, entsprechend ihrer religiösen und moralischen Einsicht, zum eigenen Handeln motiviert werden.
Ein modernes Religionsbuch muss vielfältige Gestaltungselemente enthalten, z.B.:
- Texte: kirchliche, biblische und meditative Texte, literarische Texte (→ Erzählungen
, → Gedichte ), informierende Texte, Zeitungs- und Zeitschriftentexte, Aphorismen und Sprichwörter; dabei können sich verschiedene Textarten auch überschneiden (→ Textarbeit ) - Bilder: informierende Bilder (→ Fotos
und Abbildungen), → Bilder der Kunst aus allen Epochen, auch Fotokunst - Mischformen wie Bildergeschichten, → Comics
, Karikaturen - Lieder (→ Musik
) - Steuerungstexte wie Arbeitsimpulse (→ Aufgabenanalyse, religionsdidaktisch
), kurze erschließende Texte, Meditationshilfen oder Hilfen für kreatives Gestalten, Projektanleitungen
Dabei soll dem Religionsbuch eine reflektierte didaktische Struktur zugrunde liegen. Durch die Repräsentanz verschiedener Aspekte des Themas am Anfang des jeweiligen Buchkapitels können Impulse für ein selbsttätiges Lernen des Einzelnen oder der Gruppe angestoßen werden. In arbeitsteiligen Verfahren können die Schülerinnen und Schüler verschiedene Lernwege auf unterschiedlichem Anspruchsniveau wählen und dabei immer auf informierende und deutende Seiten des Kapitels zurückgreifen. Auch ein Glossar am Ende des Buches kann als Information oder für Projektideen genutzt werden (vgl. →Schulbuchforschung
8. Genehmigungsverfahren von Religionsbüchern
Autorinnen und Autoren von Schulbüchern (→ Schulbücher, aktuelle, katholisch, Grundschule/Förderschule
Das kirchliche Verfahren wurde durch die Deutsche Bischofskonferenz einer gemeinsamen Schulbuchkommission übertragen. Sie begutachtet neue Unterrichtswerke. Mit ihrer Empfehlung befindet dann jeder Diözesanbischof, in dessen Bistum das Unterrichtswerk eingesetzt werden soll, nochmal eigens über die Zulassung. Erst dann kann das Manuskript an die staatliche Genehmigungsbehörde weitergeleitet werden. Kompliziert wird es aufgrund der Kulturhoheit der Länder, wenn sich die Bistumsgrenzen nicht mit den Landesgrenzen decken, was in Deutschland nicht selten der Fall ist. Dann kann es zu erheblichen Verzögerungen für das Erscheinen eines Unterrichtswerks kommen. In den letzten Jahren haben sich die kirchlichen Genehmigungsverfahren auch oft deshalb verzögert, weil, um es verkürzt auszudrücken, der lange Arm der Neuscholastik noch bis in die Gegenwart reicht. Bei den meisten Verantwortlichen in der Katholischen Kirche ist der Maßstab für die religiöse Bildung heute noch der Katechismus in seiner dogmatischen Ausrichtung, vor allem, seit Kardinal Joseph Ratzinger, der nachmalige Papst Benedikt XVI., 1980 in Frankreich seine Rede „Die Krise der Katechese und ihre Überwindung“ gehalten hat. Dort bezeichnete er es als schwerwiegenden Fehler, den Katechismus abzuschaffen. Er kritisierte die allgemeine didaktische und pädagogische Entwicklung, die durch eine Hypertrophie der Methode gegenüber den Inhalten gekennzeichnet sei; die Methode wäre zum Maßstab des Inhalts geworden, nicht mehr zu seinem Vehikel. Nicht ohne Grund wurden seit den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts neue Katechismen veröffentlicht; der bekannteste ist der vatikanische „Katechismus der Katholischen Kirche“ (1993). Aus ihm ist 2010 der Jugendkatechismus „Youcat“ hervorgegangen. Als Unterrichtsbuch konnte er nicht Fuß fassen, er mag aber als Begleitmedium im → Religionsunterricht
Literaturverzeichnis
- Augustinus, Aurelius, Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte praktische Schriften homiletischen und katechetischen Inhalts, aus dem Lateinischen übers. u. mit Einleitung versehen von Sigisbert Mitterer, Des heiligen Kirchenvaters Aurelius Augustinus ausgewählte Schriften, Bd. 8, Bibliothek der Kirchenväter 1,49, Kempten/München 1925.
- Chrobak, Werner (Hg.), Der Katechismus von den Anfängen bis zur Gegenwart, München/Zürich 1984.
- Günther, Henning/Willeke, Rudolf, Was uns deutsche Schulbücher sagen: Eine empirische Untersuchung der genehmigten Deutsch-, Politik- und Religionsbücher, Werl 1982.
- Hilger, Georg, Wie offen darf ein Schulbuch sein? Ein Beitrag zur Kriteriendiskussion, in: Katechetische Blätter 100 (1975) 6, 475-481.
- Miller, Gabriele, Art. Religionsbücher: katholisch, in: Lexikon der Religionspädagogik II (2001), 1682-1684.
- Miller, Gabriele, Biblische Schulbücher – Schulbibeln – Auswahlbibeln, in: Katechetische Blätter 100 (1975) 10, 738-749.
- Ringshausen, Gerhard, Das Religionsbuch als Steuerungsinstrument für Unterrichtsziele und Methoden, in: Katechetische Blätter 103 (1978) 1, 53-62.
- Schädle, Georg, Untersuchung katholischer Religionsbücher in Bayern mit bibeldidaktischen Impulsen, Duisburg 2008.
- Weidmann, Fritz, Das Religionsbuch, in: Weidmann, Fritz (Hg.), Didaktik des Religionsunterrichts, Donauwörth 7. Aufl. 1997, 339-354.
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