Dialog der Religionen, katholische Sicht
Andere Schreibweise: Interreligiöser Dialog – aus katholischer Sicht
(erstellt: Februar 2016)
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1. Definition und geschichtliche Aspekte
Unter → Dialog der Religionen
Wann erstmals der Begriff des interreligiösen Dialogs auftaucht, ist unbekannt, sicher nicht vor dem 20. Jahrhundert. Interreligiöse Beziehungen und Lernprozesse aber, ob bewusst oder unbewusst, gibt es wohl, seit es verschiedene Religionen gibt, da jede Religion auf andere Religionen mehr oder weniger Bezug nimmt und sei es in Form der Abgrenzung. So ist etwa auch die jüdische Bibel und Glaubensweise wesentlich in Abhängigkeit und im Gegenüber zu den altorientalischen Religionen entstanden oder das Neue Testament und das Christentum auf dem Fundament und zugleich in Abgrenzung zum zeitgenössischen Judentum.
Bis weit in die Neuzeit hinein war das Verhältnis der Religionen zueinander je nach den gesellschaftlichen Umständen entweder von einem feindseligen Gegeneinander oder von einem pragmatischen Miteinander geprägt. Mittelalterliche Religionsgespräche wurden meist eher apologetisch und polemisch und im Kontext eines gesellschaftlichen oder politischen Machtgefälles geführt. Ein Dialog auf Augenhöhe mit dem ehrlichen Ziel einer gemeinsamen Suche nach der → Wahrheit
2. Der dialogische Ansatz des Zweiten Vatikanischen Konzils
2.1. Vorgeschichte
2.1.1. Von der Mission zu Dialog und Zeugnis
Das dialogische Paradigma des Zweiten Vatikanums wäre nicht denkbar gewesen ohne die Vorerfahrungen und Vorarbeiten von Wegbereitern, die zu einem großen Teil den Ordensgemeinschaften angehörten. Sie hatten zunächst meist missionarische Motive, merkten in der konkreten Begegnung mit Menschen anderen Glaubens aber bald, dass sie erst einmal deren Sprach- und Denkwelt sowie religiöses Empfinden kennen lernen mussten, um mit der eigenen Botschaft überhaupt anzukommen. Durch die vertiefte Beschäftigung mit der anderen Religion entdeckten sie auch Gemeinsamkeiten und Ähnlichkeiten mit dem eigenen Glauben oder gar Neues, das den eigenen Glauben vertiefen konnte. Frühere Wahrnehmungen wurden dagegen als polemische und apologetische Verzerrungen erkannt.
In Bezug auf den Islam sind etwa folgende Pioniere zu nennen: der katholische Islamwissenschaftler Louis Massignon (1883-1962), der Dominikaner Georges Anawati (1905-1994), der Weiße Vater Robert Caspar (1923-2007), die für die Konzilserklärung über die Muslime wichtige Beiträge lieferten. Massignon und Anawati hatten bereits in den 1940er Jahren intensive Dialogerfahrungen etwa in Kairo gemacht. Für einen positiveren Zugang zum Hinduismus sorgten die Benediktiner Jules Monchanin (1895-1957) und Henri Le Saux (1910-1973), der Jesuit Josef Neuner (1908-2009) und Raimon Panikkar (1918-2010). Auch der Buddhismus in seinen verschiedenen Strömungen und kulturellen Ausformungen, besonders der Zen-Buddhismus, wurde in der Mitte des 20. Jhs. zunehmend von katholischen Theologen wie den Jesuiten Henri de Lubac (1896-1991) und Hugo Enomiya-Lassalle (1898-1990) entdeckt und im Westen bekannt gemacht.
2.1.2. Die Schoa als Zivilisationsbruch
Nach dem einzigartigen Zivilisationsbruch durch die Schoa wurde zunächst der Dialog mit den überlebenden Juden zur größten Verpflichtung und Herausforderung. Die Kirchen waren gezwungen, ihre jahrhundertelange religiös motivierte Judenfeindschaft kritisch aufzuarbeiten und zu überwinden: Die christliche Theologie und Haltung konnte und durfte nach → Auschwitz
Johannes XXIII. sorgte auf Initiative des jüdischen Historikers Jules Isaac (1877-1963) schließlich dafür, dass das Thema Judentum auf die Tagesordnung des Konzils kommen sollte, um den Kern des christlichen → Antijudaismus
2.2. Die Konzilserklärung „Nostra aetate“ als Grundlage des Dialogs
2.2.1. Kirche in Beziehung
Die Erklärung „Nostra aetate“ (NA) ist als Vertiefung der Aussagen der sog. Kirchenkonstitution „Lumen gentium“ von 1964 zu verstehen: Dort heißt es in Art. 16, dass die anderen Religionen auf verschiedene Weise in Beziehung zur Kirche stehen: Die engste Beziehung besteht demnach zum jüdischen Volk, dessen bleibende Bundesbeziehung mit →
Gott
Damit wird erstmals in einem kirchenamtlichen Dokument eine positive Verhältnisbestimmung zum Judentum und zu den anderen Religionen formuliert und das klassische exklusivistische Modell („außerhalb der Kirche kein Heil“) implizit aufgegeben (→ Dialog der Religionen: Entwicklung, Modelle, religionspädagogische Relevanz
2.2.2. Versöhnung, Anerkennung und Zeugnis als Aufgabe der Kirche
Die Konzilserklärung „Nostra aetate“ sieht die von Gott gegebene Aufgabe der Kirche darin, durch Dialog und Zusammenarbeit „Einheit und Liebe unter den Menschen und damit auch unter den Völkern zu fördern“ (Art. 1). Um in diesen Prozess einzusteigen, betont die Erklärung besonders die Gemeinsamkeiten zwischen den Religionen, wohl wissend um die Unterschiede, Widersprüche und Konflikte in Geschichte und Gegenwart. Das Konzil geht vom universalen Heilswillen Gottes aus und spricht den Religionen eine gewisse Rolle im Heilshandeln Gottes zu, jedoch nicht unabhängig von → Christus
2.2.3. Haltung der Hochachtung gegenüber den Muslimen
Die Haltung, die die katholische Kirche gegenüber Gläubigen anderer Religionen fortan einnehmen möchte, ist die der Hochachtung, der Wertschätzung sowohl der einzelnen Menschen wie auch gegenüber ihrem Glauben. Dies gilt auch und besonders für die Muslime, weil sie nach Überzeugung der Konzilsväter, wenn auch auf andere Weise als Christen, sich zu dem einen Gott, dem Gott Abrahams, dem Allmächtigen, Barmherzigen und Gerechten, bekennen (Art. 3). Positiv sieht das Konzil auch die islamische Verehrung Jesu als Propheten und seiner Mutter → Maria
2.2.4. Das Volk Israel als „heilige Wurzel“
Am Nächsten aber unter allen nicht-christlichen Religionen steht der Kirche das Judentum. Das Volk Israel ist die „heilige Wurzel“, weshalb die Kirche sich selbst nicht definieren und verstehen kann ohne den Bezug auf diese Wurzel (Art. 4).Dass Jesus, Maria, die Apostel und ersten Christen Juden waren, ruft das Konzil neu in Erinnerung. Gegen die überkommene Substitutionstheologie wird mit Berufung auf
Röm 11
2.2.5. Einheit von Gottes- und Nächstenliebe
Der fünfte Artikel der Erklärung „Nostra aetate“ betont dann die Gottebenbildlichkeit jedes Menschen, in der die unverlierbare Würde jedes Menschen begründet liegt, sowie den Gedanken der Einheit von Gottes- und → Nächstenliebe
2.3. Rezeption und Nachgeschichte des Konzils
In den Jahren und Jahrzehnten nach dem Konzil wurden diese Aussagen rege rezipiert, mit Leben gefüllt und vertieft. Dafür wurden Strukturen geschaffen wie das Sekretariat für die Nicht-Christen (seit 1988 Päpstlicher Rat für den Interreligiösen Dialog) und kirchliche Dialogeinrichtungen. Vom Konzil noch unerledigte Fragen wie die Verhältnisbestimmung von Dialog und → Mission
3. Herausforderungen des interreligiösen Dialogs heute
3.1.1. Ebenen und Ziele des interreligiösen Dialogs
Die kirchlichen Dokumente nach dem Konzil unterscheiden vier Ebenen oder Aspekte des interreligiösen Dialogs, die letztlich eine Einheit bilden sollten:
-
Die Ebene des Alltags, des alltäglichen Zusammenlebens in der Nachbarschaft, in Kindergarten, Schule, Arbeitsplatz, Sport und Freizeit, im Stadtteil. Hier geht es darum, überhaupt einander kennen zu lernen, sich wechselseitig einzuladen, gemeinsam zu spielen, zu kochen, zu arbeiten. Auf diese Weise können Ängste, Unkenntnis, Vorurteile auf beiden Seiten abgebaut, Vertrauen, Kenntnis voneinander und → Solidarität
aufgebaut werden. -
Die Ebene des partnerschaftlichen Handelns etwa im → caritativen Bereich
, in der → Seelsorge , im Umwelt- und Friedensengagement. Hier geht es darum, sich gemeinsam den Nächsten zuzuwenden und gemeinsam für das Wohl der Menschheit einzutreten. - Die Ebene des religiösen und theologischen Austausches, die nicht nur den Experten aufgegeben ist. Hier geht es darum, Gemeinsamkeiten, Ähnlichkeiten, Unterschiede und Widersprüche zwischen den religiösen Lehren und Praktiken zu finden und ehrlich zu benennen. Es geht nicht darum, den kleinsten gemeinsamen Nenner zu finden oder eine Einheitsreligion herzustellen.
-
Schließlich die Ebene des spirituellen Dialogs: Vom wechselseitigen Besuch in den jeweiligen Sakralräumen (→ Kirchenraumpädagogik
; → Moschee-, Synagogen- und Tempelpädagogik ) angefangen über Formen des multireligiösen Gebets (nebeneinander, nicht miteinander beten) bis hin zu Formen des intermonastischen Dialogs. Diese Form setzt ein hohes Maß an wechselseitiger Vertrautheit und zugleich Verwurzelung im Eigenen voraus, denn hier geht es um den innersten Kern religiöser Identitäten (→ Identität, religiöse ).
3.1.2. Hindernisse im interreligiösen Dialog
Den genannten Formen und Zielen stehen in der Realität nicht selten Hindernisse im Weg, die den Dialog zumindest erschweren oder gar scheitern lassen können, aber auch gerade deswegen notwendig machen: Sprach- und Verständigungsprobleme, kulturelle Missverständnisse, strukturelle Asymmetrien (personell, finanziell, rechtlich etc.), mangelndes Interesse, unklare Zielvorstellungen und Verantwortlichkeiten, persönliche Animositäten, Apologetik, mangelnde Selbstkritik, Generationenwechsel, Störungen von außen (z.B. fundamentalistische Querschüsse, politische Probleme) usw.
3.1.3. Kontextualisierung des interreligiösen Dialogs
Der interreligiöse Dialog braucht einen Sitz im Leben, das heißt er muss konkret verortet sein, andernfalls verkommt er zur Showveranstaltung mit fremden Akteuren ohne nachhaltige Wirkung. Der christlich-jüdische Dialog in einer Stadt in Deutschland kann nicht den Israel-Palästina-Konflikt lösen, der christlich-islamische Dialog nicht die aktuellen Kriege im Nahen und Mittleren Osten. Es wäre eine Überfrachtung des interreligiösen Dialogs, politische oder gar militärische Konflikte lösen zu wollen. Es geht vielmehr um die gemeinsame Suche nach einem konstruktiven Zusammenleben vor Ort, um den Aufbau lokaler Beziehungen und persönlicher Freundschaften, um den Aufbau eines Netzes gegenseitiger Verantwortung und Solidarität. Deshalb darf von diesem Dialog grundsätzlich niemand ausgeschlossen werden, der zum Dialog bereit ist und die Voraussetzungen dafür (Freiheits- und Gleichheitsrechte) anerkennt.
Auch die verschiedenen Richtungen innerhalb der Religionen müssen berücksichtigt werden. So sollte der interreligiöse Dialog immer auch ein intrareligiöser Dialog sein. Eine wichtige Rolle an der Basis spielen dabei oft → Frauen
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