Deutsche Bibelgesellschaft

Baruch / Barucherzählung / Baruchbuch

(erstellt: Juni 2016)

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Baruch ist der Name des Schreibers des Propheten Jeremia.

1. Name

Baruch 1
Der Eigenname Baruch (בָּרוּךְ bārûkh) leitet sich im Hebräischen als Partizip Passiv im Grundstamm Qal von der Verbwurzel ברך brk „segnen“ ab (→ segnen). In den meisten semitischen Sprachen ist dieses Verb im Grundstamm nur als Partizip Passiv bezeugt. Der Name bedeutet demnach „Gesegneter“, was nach Noth (183) am ehesten als Wunschname zu verstehen ist: „(Der Namensträger sei ein) Gesegneter“.

Baruch 2
Von der Wurzel ברך brk „segnen“ stammt auch der Name בֶּרֶכְיָהוּ bærækhjāhû „Berechjahu” (z.B. 1Chr 6,24; verkürzt zu „Berechja” z.B. 1Chr 9,16), der inschriftlich schon in der Königszeit belegt ist (WSS Nr. 111, 417, 463, 464, 464; HAE II/1, 63). In ihm ist das Verb ברך brk „segnen“ mit jhw „Jahu“, einer Kurzform des Gottesnamens → JHWH, verbunden, so dass der Name „JHWH hat gesegnet“ bedeutet. Bei dem Namen kann es sich (ursprünglich) aber auch um eine Langform von Baruch handeln; dann bedeutet der Name „Gesegneter JHWHs“. Für diese Deutung spricht das Siegel des Schreibers Baruch, da dieser auf ihm mit eben dieser Namensform (ברכיהו brkjhw) genannt wird.

Baruch 3
Von dem 11x13 mm großen Siegel sind zwei Abdrücke erhalten. Es enthält in paläohebräischer Schrift folgende dreizeilige Inschrift: (1) lbrkjhw (2) bn nrjhw (3) hspr, „(1) [zugehörig] zu Berekjahu, (2) dem Sohn Nerijahus, (3) dem Schreiber.“ Der erste Buchstabe der ersten Zeile bietet die hebräische Präposition לְ l, die in Verbindung mit Personennamen „Zugehörigkeit“ im Sinne eines besitzanzeigenden Dativs (dativus possessivus) bedeutet. Somit war für den Empfänger deutlich, wer der Absender des versiegelten Dokuments (Papyrusrolle oder Holztafel) war: der Schreiber Baruch ben Nerija, der mit dem im Alten Testament als Schreiber Jeremias vorgestellten Baruch ben Nerija (s.u.) identifiziert werden kann.

Auch wenn in jüngster Zeit diskutiert wird, ob es sich bei den Siegelabdrücken um moderne Fälschungen handelt (vgl. Goren / Arie), spricht doch einiges dafür, dass hier authentische Artefakte der späten Königszeit vorliegen.

2. Personen im Alten Testament

In alttestamentlicher Zeit ist der Name Baruch außerbiblisch nur auf einigen Siegelabdrücken belegt. Im Alten Testament finden sich vier Träger dieses Namens:

2.1. Baruch, der Sohn Sabbais

Im (spät)nachexilischen → Nehemiabuch wird er in Neh 3,20 als Bauleiter eines Abschnittes der Jerusalemer Stadtmauer erwähnt.

2.2. Baruch, der Priester

In Neh 10,7 taucht ein genealogisch nicht näher bestimmter Baruch auf. Gelegentlich wird er mit Baruch ben Sabbai in Neh 3,20 gleichgesetzt. In Neh 10,7 ist er einer von 22 Priestern, die die Bundesurkunde → Nehemias bzw. die Selbstverpflichtung (→ Bund) des Volkes unterzeichnen. Diese Selbstverpflichtung beinhaltet im Wesentlichen eine Auflösung von Mischehen (→ Ehe) zur Reinhaltung der Gemeinde bzw. Kultgemeinde (→ Gemeinde) und eine rigidere Observanz des → Sabbats als Identifikationsmarker Israels sowie weitere religiöse Pflichten.

2.3. Baruch, der Vater Maasejas

In einer Liste von Judäern, die sich in Jerusalem niedergelassen haben, wird in Neh 11,5 ein Baruch als Vater eines gewissen Maaseja erwähnt.

2.4. Baruch, der Schreiber Jeremias

Baruch ben Nerija war ein Schreiber in Jerusalem, der in der erzählten Zeit des → Jeremiabuchs wenige Jahre vor, während und unmittelbar nach der → Zerstörung Jerusalems im Jahre 587 v. Chr. und dem damit beginnenden → Exil öffentlich als Sekretär und Schreibgehilfe (Amanuensis) des Propheten Jeremia auftrat. Er wird im Jeremiabuch an folgenden Stellen erwähnt: Jer 32,12-13; Jer 32,16; Jer 36,4-32; Jer 43,3-6; Jer 45,1-2. Dabei spielt das Kapitel Jer 36 eine Sonderrolle. Zum einen gewährt es tiefe Einblicke in viele historische Details über Baruch, den Schreiberberuf in der späten Königszeit sowie in die äußeren Bedingungen zu → Fortschreibung und Buchentstehung im Alten Israel (vgl. Schmid, 35-43). Zum anderen liegt die Besonderheit von Jer 36 gerade darin, dass in keinem anderen Kapitel des Jeremiabuchs, abgesehen von dem Trostwort an Baruch in Jer 45, die Person des Schreibers Baruch durch seine zweifache Niederschrift einer Buchrolle mit Worten Jeremias (Jer 36,4; Jer 36,32) derart stark hervorgehoben wird (vgl. Muilenburg, 236).

Jer 36,1 datiert zusammen mit Jer 25,1; Jer 45,1 und Jer 46,2 den Beginn des Zusammenwirkens von Jeremia und Baruch in das vierte Jahr → Jojakims (609-598 v. Chr.), also in das Jahr 605 v. Chr. Dies ist das Jahr der für die → Neubabylonier siegreichen → Schlacht von Karkemisch (vgl. Jer 46,2-12; 2Kön 24,7), durch die sich → Nebukadnezar II. (605-562) die Herrschaft auf der syropalästinischen Landbrücke gegenüber ägyptischen Ansprüchen sichern konnte und damit seine Ambitionen auf die Weltherrschaft anzeigte. Die Datierungen nach dem Herrschaftsantritt Jojakims dienen als geschichtstheologische Leseanleitung für das gesamte Jeremiabuch. Sie unterstreichen als „Code“ die Bedeutung der Ereignisse während der Chaosherrschaft Jojakims, die als Zeit des politischen und moralischen Zusammenbruchs der davidischen Dynastie gezeichnet wird (vgl. Stulman, 64). In dieser Zeit nimmt Baruch als Verschrifter und Vorleser der Unheilsankündigungen Jeremias (Jer 36) eine tragende Rolle ein.

Der Titel הַסֹּפֵר hassofer „der Schreiber“ für Baruch in Jer 36,26 und Jer 36,32 zeigt seinen professionellen Status als Berufsschreiber an. Er entstammt einer vornehmen Jerusalemer Schreiberfamilie. Seine Ahnenreihe wird in Jer 32,12 und Jer 51,59 genannt: Baruch ist der Sohn Nerijas („JHWH ist [mein] Licht“) und der Enkelsohn Machsejas („JHWH ist Zuflucht“). Sein Bruder Seraja – wahrscheinlich ebenfalls gut ausgebildeter Schreiber – war Quartiermeister bzw. Gesandter unter Judas letztem König → Zedekia (597-587 v. Chr.; vgl. Jer 51,59).

Nach Jer 36 pflegte Baruch weitreichende Kontakte zu Patriziern und Berufsgenossen am Königshofe. Er hatte Zugang zur Schreiberhalle des Schafaniden → Gemarja am Tempel, wo er zum ersten Mal die Schrifttrolle mit den Worten Jeremias vorlas. Zudem erteilte man ihm auch Zugang zum Königspalast, wo er laut Jer 36,11-19 in der Schreiberhalle (Jer 36,12: לִשְׁכַּת הַסֹּפֵר liškat hassofer) als dem Amtssitz eines hohen Beamten am Königshofe zum zweiten Male die Schriftrolle mit jeremianischer Prophetie deklamierte. Eben dieser Personenkreis von Notabeln übernahm nach Jer 36,19 die Schutzfunktion für Jeremia und Baruch. Sie versteckten beide und versuchten die Zerstörung der Schriftrolle durch König → Jojakim zu verhindern.

Mehrheitlich wird in der Forschung davon ausgegangen, dass es sich bei Baruch ben Nerija um eine historische Person handelt, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu Jeremia stand (vgl. Wanke, 1971, 147). Auch die Funde der oben genannten Siegelabdücke sprechen dafür, dass es sich bei Baruch um eine historische Gestalt (vgl. Avigad; Shanks, 1987; Shanks, 1996) und nicht um eine rein fiktive Legendenfigur (vgl. Mowinckel, 30) handelt.

3. Barucherzählung

Der Begriff „Barucherzählung“ im Jeremiabuch ist zweideutig. Denn er kann zum einen die wenigen erzählenden Prosatexte des Jeremiabuches über die Person des Schreibers Baruch (Jer 32,12-16; Jer 36; Jer 43; Jer 45) im Blick haben (3.1.). Zum andern können damit auch die erzählenden Prosateile im Jeremiabuch (etwa Jer 26-44*) gemeint sein, die vermeintlich auf Baruch als Autor zurückgehen. Mit letzterem Verständnis verbinden sich in der alttestamentlichen Forschung weitreichende literarkritische Theorien über die Entstehung des Jeremiabuches, die in der sog. Baruchhypothese ihre Gemeinsamkeit haben (3.2.). Diese geht im Kern davon aus, dass Baruch einen – mal größeren, mal kleineren – Beitrag bei der Entstehung des uns vorliegenden Jeremiabuches geleistet hat.

3.1. Erzählungen über Baruch

3.1.1. Jer 32,12-16

Nachdem schon Jer 29 in der Zeit nach der ersten Einnahme Jerusalems im Jahr 597 v. Chr. spielt, wechselt Jer 32 in die Zeit kurz vor dem Untergang des Südreichs Juda 587 v. Chr. Zum ersten Mal taucht hier der Name Baruch im Jeremiabuch auf. Während der Belagerung Jerusalems im 10. Jahr → Zedekias (587) kauft Jeremia auf Geheiß JHWHs als symbolische Heilszusage einen Acker in → Anatot. Trotz drohender Fremdherrschaft durch die → Babylonier bleibt nach dem Willen Gottes das verheißene → Land die bleibende Gabe für das Volk Israel. Jeremia lässt seinen Vertrauten Baruch die Kaufurkunde im Beisein vieler Zeugen für lange Zeit sicher aufbewahren. Jeremias Grundstückskauf ist sichtbares Zeichen für die Heilserwartungen des sogenannten Trostbüchleins (Jer 30-31), die darauf bauen, dass das gesellschaftliche Leben trotz Fremdherrschaft und → Exil weitergehen und überdauern wird. Baruch wird in seiner offiziellen Funktion als Schreiber und Verwahrer der Kaufurkunde zum Garanten der Heilszusagen.

3.1.2. Jer 36

Jer 36 springt wieder zurück in das Jahr 605. Jeremia überträgt seinem Sekretär Baruch qua göttlichem Auftrag die zweifache Verschriftung seiner Prophetenworte (Jer 36,4; Jer 36,32). Jer 36 kann nach den textimmanenten Gliederungsmarkern, konkret dem Überschriftensystem in Jer 36,1; Jer 36,9; Jer 36,27, in drei große Abschnitte eingeteilt werden:

I. Jer 36,1-8: Zweifache Beauftragung (JHWH an Jeremia, Jeremia an Baruch) zur Verschriftung und anschließenden Verlesung der Gesamtbotschaft des Propheten.

II. Jer 36,9-26: Der Konflikt um die erste Buchrolle: Ausführung des Auftrags durch Baruch, dreifache Verlesung und anschließende Verbrennung der Buchrolle durch Jojakim.

III. Jer 36,27-32: Beauftragung zur erneuten Niederschrift auf einer zweiten Buchrolle und Unheilsankündigung gegen Jojakim und Juda sowie Jerusalem.

Die Erzählung über die zweifache Verschriftung zeigt, dass die erste Schriftrolle mit Jeremias Prophetie als authentisches JHWH-Wort nicht durch Interventionen des Königs → Jojakim, der sich als absolutes Gegenbild seines Vaters → Josia (639-609) erwiesen hat, angefochten werden kann. An ihrer Stelle entsteht eine zweite Rolle mit weiteren Worten (Jer 36,32), die verbunden mit dem Gerichtswort über Jojakim (Jer 36,29-31) verdeutlicht, dass durch die „Unaustilgbarkeit des Prophetenwortes“ (Stipp, 2002, 163) auch Jeremias Anspruch als wahrer Prophet JHWHs durch nichts und niemanden in Frage gestellt werden kann und der Widerstand des Königs nur dazu führt, dass die Rolle noch erweitert wird.

Beachtenswert ist auch das je unterschiedliche Bild, das jeweils im hebräischen Jeremiabuch (JerMT) und im griechischen Jeremiabuch (JerLXX) von Baruch gezeichnet wird. Die im JerMT enthaltenen Erweiterungen in Jer 36 rücken das Verhältnis zwischen Jeremia und Baruch insofern zurecht, als Baruch von einem selbständigen Mitarbeiter (JerLXX) zu einem gänzlich der Autorität des Propheten unterstellten Schreibgehilfen gemacht wird (JerMT) (vgl. Stipp, 1992, 129).

Die erste und vor allem die zweite Rolle mit ihrem „Mehr“ an Unheilsworten gegen das Königtum, das Land und die Stadt Jerusalem sind nicht nur Kritik am politischen und religiösen Establishment; sie werden als verschriftete Worte JHWHs zum Stellvertreter und zum Sprachrohr des Propheten Jeremia, der die Verlesung und erneute Verschriftung Baruch überträgt.

Das Verhältnis zwischen Jeremia und Baruch erinnert an dasjenige zwischen dem Erzpropheten → Mose und seinem Bruder → Aaron. So wie Aaron in Ex 4,14-16 von JHWH als Sprachrohr und Hermeneut des Mose für das Volk berufen wird, so beruft Jeremia seinen ihm unterstellten Schreiber Baruch zum Sprachrohr seiner Prophetie. Dass Baruch dabei noch die mosaische Funktion der Verschriftung von Gottesworten übertragen bekommt (vgl. Dtn 31,9), und er nach Jer 36,32 in Umkehrung der Kanonformel (→ Kanon) aus Dtn 4,2; Dtn 13,1 („nichts dazutun“) „noch viele ähnliche Worte“ der zweiten Rolle hinzufügt, kann als Versuch verstanden werden, das mosaische Offenbarungs- und Verschriftungsmonopol von JHWHs Wort aufzubrechen (vgl. Knobloch).

3.1.3. Jer 43,1-7

Etwas unvorbereitet wird Baruch nach der langen Erzählung und der Rede Jeremias (Jer 42,10-22), in der er vor der Auswanderung nach Ägypten warnt, am Ende von Jer 41,16-43,7 in Jer 43,3 und Jer 43,6 erwähnt. Ein kleiner Rest von Judäern zieht etwa fünf Jahre nach der Eroberung und → Zerstörung Jerusalems (587 v. Chr.) freiwillig – und damit gegen den expliziten Willen JHWHs – nach Ägypten und nimmt Jeremia und Baruch mit sich, wo sich ihre Spuren verlieren. Die Gruppe beschuldigt Baruch als Vertrauten des Propheten, Jeremia zu seiner pro-babylonischen Haltung verführt zu haben. Dieser freiwillige Auszug nach Ägypten pervertiert das → Exodusgeschehen als Gottes Befreiungstat zu Zeiten → Moses (vgl. Fischer, 2005, II, 416).

3.1.4. Jer 45,1-5

In der Erteilung des Trostwortes an Baruch in Jer 45,1-5, wird eine Funktion auf Jeremia übertragen, die in der → Berufung des Propheten JHWH selbst vorbehalten war: der Zuspruch des Beistands und der Errettung Jeremias durch JHWH (vgl. Jer 1,8; Jer 1,11). Baruch erweist sich als treuer Mittler und Sprachrohr der verschrifteten Worte Jeremias, der trotz der Anfeindungen und Verfolgungen (nach Jer 36), trotz des Ackerkaufs (in Jer 32) und trotz der gemeinsam mit Jeremia erlebten Verschleppung nach Ägypten (in Jer 43) nicht rebelliert. Deshalb reicht ihm Jeremia in Jer 45,1-5 den Beistand weiter, den JHWH ihm selbst zugesichert hatte (Jer 1,8). Baruch wird damit zu einer „Symbol- und Hoffnungsfigur“ erhoben, von der sich nachweislich sogar Dietrich Bonhoeffer inspirieren ließ (vgl. Fischer, 2005, II, 460).

Das griechische Jeremiabuch (JerLXX) gibt Jer 45,1-5 als Kolophon (Schlusswort bzw. Nachschrift des Schreibers der Rolle) des Jeremiabuches eine besondere Bedeutung. Dadurch wird das griechische Jeremiabuch in direkter Fortführung von Jer 36 zu einem Buch der Worte und Erzählungen Jeremias, wie es sein treuer Schreiber Baruch aufgezeichnet und weitergetragen hat (vgl. Schmid, 7). In JerMT bildet dagegen Jer 51,64b das Kolophon des Jeremiabuches.

3.2. Baruchs Beitrag bei der Entstehung des Jeremiabuches

Bernhard Duhms Jeremiakommentar von 1901 markiert den Übergang zur modernen Jeremiaforschung (→ Jeremiabuch). Duhm datierte den Großteil des Jeremiabuches mit guten Gründen in die nachexilische Zeit. 280 Verse von authentischen Dichtungen Jeremias im Metrum der Totenklage (→ Qina-Metrum mit 3+2 Hebungen) und 220 Verse aus der zweiteiligen Biographie Baruchs (Teil I: Jer 26-29*; Jer 32*; Jer 34-36*; Teil II: Jer 37-45) stehen seiner Auffassung nach ca. 850 Versen von sog. nachexilischen Ergänzungen gegenüber. Die Ergänzungen vertreten eine nahezu kategorische Theologie des Nomismus, „die Thora ist ihr Ein und Alles“ (Duhm, XVIII). Und entsprechend steht ihr Bild von Jeremia als einem Toralehrer und Schriftgelehrten nicht mit dem historischen Propheten in Einklang, wie Duhm ihn in den Dichtungen und in den von Baruch verfassten biographischen Fremdberichten authentisch herausgefiltert zu haben glaubte.

Forscher wie → Sigmund Mowinckel und → Wilhelm Rudolph griffen die Baruchhypothese auf und integrierten sie in ihre Quellenmodelle von der Entstehung des Jeremiabuches.

Baruch 4
Mowinckel sah in einer von ihm als Quelle B beizeichneten Schicht des Jeremiabuchs (Jer 19; Jer 26-44*) zunächst nicht Baruch als Verfasser am Werk. Die Fremdberichte stammten seiner Meinung nach von einem eher volkstümlichen Verfasser, dessen Absicht es war „nicht die einzelnen denkwürdigen Erlebnisse an sich, sondern diese, insofern sie Gelegenheit zu denkwürdigen Worten gegeben haben, mitzuteilen“ (Mowinckel, 25). Später revidierte Mowinckel seine Meinung und schloss sich der Baruchhypothese wieder ausdrücklich an.

Rudolph übernahm in modifizierter Weise das Quellenmodell Mowinckels, sah aber explizit in Baruch den Verfasser der Quelle B und verstand sie von Jer 37-45 her gelesen als sog. Leidensgeschichte des Propheten.

Neben einer historisierenden Auslegung von Jer 36 verführten vielfach die Angaben zur Anfertigung einer zweiten Schriftrolle durch Baruch nach dem Diktat Jeremias (Jer 36,2.28.32) dazu, sich auf die Suche nach der sog. Urrolle zu begeben. Es war Claus Rietzschel, der in akribischer redaktionsgeschichtlicher Arbeit die Rekonstruktion der Urrolle betrieb, aber zugleich – und damit wurde eine Weiche in der Beurteilung des Kapitels gestellt – von einer historisierenden Deutung der Erzählung in Jer 36 absah, d.h. Jer 36 nicht zwingend auf Baruch als Verfasser zurückführte.

Rietzschel schlägt als Umfang der Urrolle den Überlieferungskomplex Jer 1-6 mit den Sprüchen über den Feind aus dem Norden vor, die zwischen 627-621 (Jer 2,1-4,4) und 605/4 (Jer 4,5-6,30) entstanden sind und auf die → Babylonier (605 → Schlacht von Karkemisch) als den von JHWH erwählten Feind abzielen. Jer 25 und Jer 36 sind dabei nach Rietzschel wichtige Indikatoren für den Charakter der Urrolle. „Der Zweck der Urrolle war entweder Bußruf (so Kap. 36) oder Ankündigung des Strafgerichts (so Jer 25,1-11), auf keinen Fall jedoch Heilsverkündigung“ (Rietzschel, 130).

Jer 36 gilt auch heute noch als „Paradigma für die Entstehung schriftlicher Prophetie“ (Wahl, 382), doch hat die neuere Forschung zu Recht davon Abstand genommen, in Jer 36 eine für das Gesamtbuch und der Suche nach der sog. Urrolle aussagekräftige Theorie der literarischen Genese bzw. → Fortschreibung des Jeremiabuches durch Baruch zu sehen (vgl. Fischer, 2005, I, 91f.; 2007, 107).

Die mehrheitsfähige Meinung geht mittlerweile dahin, in Baruch nicht den Autor eines wie auch immer rekonstruierten Kerns des Jeremiabuches zu sehen. Baruch ist vielmehr eine historische Persönlichkeit, ein Schreiber aus der späten Königszeit, dem die hinter dem Jeremiabuch stehenden Tradentenpropheten mit ihrer Darstellung im Jeremiabuch ein Denkmal gesetzt haben. Sie verstehen sich als Erben Baruchs (vgl. Stipp, 2002) und rechtmäßige Bewahrer und Pfleger der Worte Jeremias, die sie als authentische Willenskundgebung JHWHs für ein Israel nach dem Exil tradieren.

4. Baruchbuch

4.1. Name, Titel

Das Buch Baruch (Bar) ist eine apokryphe bzw. deuterokanonische Schrift (→ Apokryphen). Ihr Name geht auf Baruch, den Schreiber und Gefährten Jeremias zurück.

Laut Bar 1,1; Bar 1,3 verfasste und verlas Baruch das nach ihm benannte Buch im babylonischen Exil unter den Deportierten. Die Notiz in Bar 1,2 terminiert die Verschriftung auf das Jahr 582 v. Chr. am fünften Jahrestag der Tempelzerstörung.

4.2. Aufbau, Inhalt, Komposition

4.2.1. Aufbau

Das Baruchbuch besteht aus vier Teilen (vgl. Steck, 17):

A: Bar 1,1-15aα Erzählende Einleitung,

B: Bar 1,15aβ-3,8 Bußgebet der Deportierten,

C: Bar 3,9-4,4 Mahnrede als Lob der Weisheit,

D: Bar 4,5-5,9 Verheißungsrede auf Rückführung durch JHWH.

4.2.2. Inhalt

Die historische Einleitung A (Bar 1,1-15aα) zielt darauf ab, Baruch, den Schreiber und Vertrauten Jeremias (vgl. Jer 32; Jer 36; Jer 43; Jer 45) als Verfasser des Baruchbuchs zu präsentieren, der in Analogie zu Jer 36 nunmehr – entkoppelt von der Autorität des Propheten Jeremia – sein eigenes Buch verfasst und wirkungsvoll vor den Deportierten vorliest. Diese senden es laut Bar 1,7 nach Jerusalem, wo es im gottesdienstlichen Rahmen ebenso verlesen wird.

Der Teil B (Bar 1,15aβ-3,8) ist ein geschichtstheologisches Bußgebet, das die Deportierten im Exil dazu anleiten soll, die eigene Schuld zu bekennen und um Gottes Zuwendung zu bitten.

Das Lob der Weisheit als Teil C (Bar 3,9-4,4) ist eine Mahnrede, die Israel auffordert, zur Tora umzukehren und die gesamte Lebensführung nach ihr auszurichten. Nur in der Tora findet Israel die Lebensgabe der Weisheit. Nur in Ausrichtung auf die Tora besteht Hoffnung auf Heimkehr aus der Diaspora.

Der Teil D (Bar 4,5-5,9) ermutigt als Verheißungsrede die Exulanten wie auch Israel und Jerusalem, indem die nahende Heimkehr ganz Israels angekündigt wird.

4.2.3. Komposition

Das Baruchbuch stimmt einen Dreiklang aus Schuldbekenntnis, Umkehr zur Tora und Hoffnung auf Heimkehr aus dem Exil an. Auch wenn es den Anschein hat, als ob die Teile B, C und D ursprünglich selbständige Teile unterschiedlicher Herkunft gewesen sind, so bilden sie doch ein großes Ganzes, das durch die Leitthematik der Zerstreuung Israels in die Diaspora und die Überwindung eben dieser zusammengehalten wird.

4.3. Textüberlieferung

Die fünf Kapitel des Baruchbuchs sind nicht in der Hebräischen Bibel enthalten. Die älteste erreichbare Textgrundlage bietet die griechische Textüberlieferung der → Septuaginta (LXX). Doch war die Originalsprache für alle Teile wohl das Hebräische. Dies scheint wahrscheinlich, da das Baruchbuch in einem Griechisch geschrieben ist, das viele Hebraismen aufweist. Neben weiteren sekundären syrischen, koptischen, äthiopischen, arabischen und armenischen Textüberlieferungen, hat die lateinische Textüberlieferung dem Baruchbuch als sechstes Kapitel noch den apokryphen → Brief Jeremias (EpJer) hinzugefügt.

4.4. Entstehung

Trotz verschiedener – teils umstrittener – Versuche manche Widersprüche der vier Teile A bis D in Form und Inhalt literarkritisch aufzulösen, erweist sich das Baruchbuch als „ein genau durchgeplanter, völlig kohärenter und von Anfang an in seinem Gesamtbestand niedergeschriebener Text“ (Steck, 18). Lediglich Bar 3,38 scheint eine frühchristliche Glosse und Zeugnis der christlichen Aneignung des Baruchbuchs zu sein.

Da das Baruchbuch als literarische Einheit sowohl das gesamte corpus propheticum des Alten Testaments, wie auch das → Sirachbuch und Dan 1-9 voraussetzt und darauf zurückgreift, ist das Baruchbuch am ehesten in das 2. Jh. v. Chr. einzuordnen, und wahrscheinlich in den Jahren 164-162 v. Chr. in Jerusalem entstanden.

4.5. Geschichtlicher Hintergrund

Das Baruchbuch thematisiert die Einheit Israels als Heimkehr und Wiedervereinigung aller Zerstreuten und Exilierten. Dies wird aufgrund des geschichtlichen Hintergrundes verständlich. Denn die Entstehung der Schrift fällt in die Zeit nach der seleukidischen Verfolgung und den damit verbundenen Deportationen (vgl. 1Makk 1,24ff; 1Makk 3,41; 1Makk 6,12; 2Makk 5,13-14.24), also in die Regierungszeit von → Antiochos IV. Epiphanes (175-164). Dieser griff gegen den Tempel in Jerusalem ein und versuchte den JHWH-Kult durch eine Zwangshellenisierung zu überwinden. Er verbot die Einhaltung jüdischer Gesetze und entweihte den Jerusalemer Brandopferaltar durch die Einrichtung des Kultes von Zeus-Olympios (vgl. 1Makk 1; Dan 9,27; Dan 11,31). Dagegen richtete sich der Aufstand der → Makkabäer (166-164) als Guerillakrieg gegen die → Seleukiden, der mit der Wiedereinweihung des Jerusalemer Tempels und dem Tod Antiochos IV. zunächst endete.

Das Baruchbuch kann auf diesem Hintergrund als eine Programmschrift verstanden werden, die auf unpolemische Weise und durch Rückgriff auf kanonische, besonders deuteronomistische Traditionen (→ Deuteronomismus) versucht, ganz Israel zu einer neuen Einheit zu formen, das seine Wegweisung hin zu einer hoffnungsvollen Zukunft durch die Umkehr zur Tora erhält.

4.6. Theologie

Das Baruchbuch orientiert sich mit seinem Einheitskonzept ganz bewusst an der Autorität des → Kanons. Als „relecture“ des Kanons greift es in Sprache und Theologie für den Leser erkennbar auf ältere alttestamentliche Texte zurück. Fast jeder Satz, jeder Gedanke ist rückgebunden an die Autorität der kanonischen Überlieferung. Das Baruchbuch lehnt sich lexikalisch und motivisch eng an entscheidende Texte an, wie den Brief Jeremias (Jer 29), die Baruchtexte im Jeremiabuch (Jer 32; Jer 36), Mose-Texte im → Deuteronomium mit ihrem kolportierten deuteronomisch-deuteronomistischen Geschichtsbild (Dtn 4,26ff; Dtn 28,63ff; Dtn 30,1ff), Neh 8-11, Dan 9, Weisheitstexte wie Hi 28, und vielfältige Heils- und Heimkehraussagen aus den Prophetenbüchern. Diese Anlehnungen zeigen eine wirksame Konzentration auf das, was für Israel seit jeher einend und wegweisend gewesen ist.

Dabei spielt die Person des Baruch eine herausragende Rolle. Als „Zeitzeuge mit Überlebensgarantie (Jer 45,1-5)“ (Steck, 21), als jemand der aus der Autorität Jeremias heraus schon einmal einen wegweisenden Text am Tempel verlesen hatte (Jer 36), als einer, der selbst die Deportation erlebt hatte (Jer 43), als ein Schriftgelehrter, der mit seinem kanonischen Wissen an die einenden und wegweisenden Traditionen Israels anzuknüpfen weiß, ist Baruch im Baruchbuch aus dem Schatten der Autorität Jeremias getreten und selbst zu einer kanonischen Gestalt geworden.

Literaturverzeichnis

1. Lexikonartikel

  • Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
  • Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
  • Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
  • Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
  • Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
  • The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
  • Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
  • Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
  • Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 3. Aufl., Leiden u.a. 2004

2. Kommentare

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  • Fischer, G., 2005, Jeremia 1-25 (HThKAT), Freiburg
  • Fischer, G., 2005, Jeremia 26-52 (HThKAT), Freiburg
  • Rudolph, W., 1968, Jeremia (HAT I/12), 3. Auflage, Tübingen
  • Steck, O.H. u.a., 1998, Das Buch Baruch, (ATD Apokryphen 5), 11-68
  • Wanke, G., 1995, Jeremia, Teilband 1: Jeremia 1,1-25,14 (ZBK 20.1), Zürich
  • Wanke, G., 2003, Jeremia, Teilband 2: Jeremia 25,15-52,34 (ZBK 20.2), Zürich

3. Weitere Literatur

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  • Fischer, G., 2007, Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt
  • Goren, Y. / Arie, E., 2014, The Authencity of the Bullae of Berekhyahu Son of Neriyahu the Scribe (Bulletin of the American Schools of Oriental Research 372),147-158
  • Knobloch, H., 2009, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches (BZAR 12), Wiesbaden
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  • Rietzschel, C., 1966, Das Problem der Urrolle. Ein Beitrag zur Redaktionsgeschichte des Jeremiabuches, Gütersloher
  • Schmid, K., 1996, Buchgestalten des Jeremiabuches. Untersuchungen zur Redaktions- und Rezeptionsgeschichte von Jer 30-33 im Kontext des Buches (WMANT 72), Neukirchen-Vluyn
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  • Shanks, H., 1996, Fingerprint of Jeremiah’s Scribe (BAR 22.2), 36-38
  • Stulman, L., 1998, Order Amid Chaos. Jeremiah as Symbolic Tapestry (The Biblical Seminar 57), Sheffield
  • Stipp, H.-J., 1992, Jeremia im Parteienstreit. Studien zur Textentwicklung von Jer 26,36-43 und 45 als Beitrag zur Geschichte Jeremias, seines Buches und judäischer Parteien im 6. Jahrhundert (BBB 82), Frankfurt a.M.
  • Stipp, H.-J., 2002, Baruchs Erben. Die Schriftprophetie im Spiegel von Jer 36, in: H. Irsigler (Hg.), „Wer darf hinaufziehen zum Berg JHWHs?“ Beiträge zu Prophetie und Poesie des Alten Testaments (FS S.Ö. Steingrimsson; ATSAT 72), St. Ottilien, 145-170
  • Wahl, H.M., 1998, Die Entstehung der Schriftprophetie nach Jer 36, ZAW 110, 365-389
  • Wanke, G., 1971, Untersuchungen zur sogenannten Baruchschrift (BZAW 122), Berlin
  • Zenger, E. u.a. (Hgg.), 2015, Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1,1), 9. Auflage, Stuttgart

Abbildungsverzeichnis

  • Baruch sitzend auf Wolken; in seiner rechten Hand hält er ein Buch und eine Rolle mit der Inschrift „BARVCH PROFETA“ (Gravur, Florenz, Baccio Baldini, ca. 1470-1480).
  • Siegelabdruck des Schreibers Baruch, des Sohnes Nerijas (Ton, Herkunft unbekannt, spätes 7. Jh. v. Chr.). Stiftung des Reuben and Edith Hecht Trust, Haifa; mit freundlicher Genehmigung des Israel Museums, Jerusalem, und von Robert Deutsch / Peter van der Veen; Foto: R. Deutsch (© The Israel Museum)
  • Zeichnung des Siegelabdrucks des Schreibers Baruch ben Nerija. Aus: R. Deutsch / M. Heltzer, Forty New Ancient West Semitic Inscriptions, Tel Aviv / Jaffa 1994, 37 Abb. 11 (bearbeitet), mit freundlicher Genehmigung von Robert Deutsch / Peter van der Veen
  • Die Entstehung des Jeremiabuchs nach S. Mowinckel. Erstellt von H. Knobloch

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