Baruch / Barucherzählung / Baruchbuch
(erstellt: Juni 2016)
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Baruch ist der Name des Schreibers des Propheten Jeremia.
1. Name
Auch wenn in jüngster Zeit diskutiert wird, ob es sich bei den Siegelabdrücken um moderne Fälschungen handelt (vgl. Goren / Arie), spricht doch einiges dafür, dass hier authentische Artefakte der späten Königszeit vorliegen.
2. Personen im Alten Testament
In alttestamentlicher Zeit ist der Name Baruch außerbiblisch nur auf einigen Siegelabdrücken belegt. Im Alten Testament finden sich vier Träger dieses Namens:
2.1. Baruch, der Sohn Sabbais
Im (spät)nachexilischen → Nehemiabuch
2.2. Baruch, der Priester
In Neh 10,7
2.3. Baruch, der Vater Maasejas
In einer Liste von Judäern, die sich in Jerusalem niedergelassen haben, wird in Neh 11,5
2.4. Baruch, der Schreiber Jeremias
Baruch ben Nerija war ein Schreiber in Jerusalem, der in der erzählten Zeit des → Jeremiabuchs
Jer 36,1
Der Titel הַסֹּפֵר hassofer „der Schreiber“ für Baruch in Jer 36,26
Nach Jer 36 pflegte Baruch weitreichende Kontakte zu Patriziern und Berufsgenossen am Königshofe. Er hatte Zugang zur Schreiberhalle des Schafaniden → Gemarja
Mehrheitlich wird in der Forschung davon ausgegangen, dass es sich bei Baruch ben Nerija um eine historische Person handelt, die in einem besonderen Vertrauensverhältnis zu Jeremia stand (vgl. Wanke, 1971, 147). Auch die Funde der oben genannten Siegelabdücke sprechen dafür, dass es sich bei Baruch um eine historische Gestalt (vgl. Avigad; Shanks, 1987; Shanks, 1996) und nicht um eine rein fiktive Legendenfigur (vgl. Mowinckel, 30) handelt.
3. Barucherzählung
Der Begriff „Barucherzählung“ im Jeremiabuch ist zweideutig. Denn er kann zum einen die wenigen erzählenden Prosatexte des Jeremiabuches über die Person des Schreibers Baruch (Jer 32,12-16
3.1. Erzählungen über Baruch
3.1.1. Jer 32,12-16
Nachdem schon Jer 29
3.1.2. Jer 36
Jer 36 springt wieder zurück in das Jahr 605. Jeremia überträgt seinem Sekretär Baruch qua göttlichem Auftrag die zweifache Verschriftung seiner Prophetenworte (Jer 36,4
I. Jer 36,1-8: Zweifache Beauftragung (JHWH an Jeremia, Jeremia an Baruch) zur Verschriftung und anschließenden Verlesung der Gesamtbotschaft des Propheten.
II. Jer 36,9-26: Der Konflikt um die erste Buchrolle: Ausführung des Auftrags durch Baruch, dreifache Verlesung und anschließende Verbrennung der Buchrolle durch Jojakim.
III. Jer 36,27-32: Beauftragung zur erneuten Niederschrift auf einer zweiten Buchrolle und Unheilsankündigung gegen Jojakim und Juda sowie Jerusalem.
Die Erzählung über die zweifache Verschriftung zeigt, dass die erste Schriftrolle mit Jeremias Prophetie als authentisches JHWH-Wort nicht durch Interventionen des Königs → Jojakim
Beachtenswert ist auch das je unterschiedliche Bild, das jeweils im hebräischen Jeremiabuch (JerMT) und im griechischen Jeremiabuch (JerLXX) von Baruch gezeichnet wird. Die im JerMT enthaltenen Erweiterungen in Jer 36 rücken das Verhältnis zwischen Jeremia und Baruch insofern zurecht, als Baruch von einem selbständigen Mitarbeiter (JerLXX) zu einem gänzlich der Autorität des Propheten unterstellten Schreibgehilfen gemacht wird (JerMT) (vgl. Stipp, 1992, 129).
Die erste und vor allem die zweite Rolle mit ihrem „Mehr“ an Unheilsworten gegen das Königtum, das Land und die Stadt Jerusalem sind nicht nur Kritik am politischen und religiösen Establishment; sie werden als verschriftete Worte JHWHs zum Stellvertreter und zum Sprachrohr des Propheten Jeremia, der die Verlesung und erneute Verschriftung Baruch überträgt.
Das Verhältnis zwischen Jeremia und Baruch erinnert an dasjenige zwischen dem Erzpropheten → Mose
3.1.3. Jer 43,1-7
Etwas unvorbereitet wird Baruch nach der langen Erzählung und der Rede Jeremias (Jer 42,10-22
3.1.4. Jer 45,1-5
In der Erteilung des Trostwortes an Baruch in Jer 45,1-5
Das griechische Jeremiabuch (JerLXX) gibt Jer 45,1-5
3.2. Baruchs Beitrag bei der Entstehung des Jeremiabuches
→ Bernhard Duhms
Forscher wie → Sigmund Mowinckel
Rudolph übernahm in modifizierter Weise das Quellenmodell Mowinckels, sah aber explizit in Baruch den Verfasser der Quelle B und verstand sie von Jer 37-45 her gelesen als sog. Leidensgeschichte des Propheten.
Neben einer historisierenden Auslegung von Jer 36 verführten vielfach die Angaben zur Anfertigung einer zweiten Schriftrolle durch Baruch nach dem Diktat Jeremias (Jer 36,2.28.32
Rietzschel schlägt als Umfang der Urrolle den Überlieferungskomplex Jer 1-6 mit den Sprüchen über den Feind aus dem Norden vor, die zwischen 627-621 (Jer 2,1-4,4
Jer 36 gilt auch heute noch als „Paradigma für die Entstehung schriftlicher Prophetie“ (Wahl, 382), doch hat die neuere Forschung zu Recht davon Abstand genommen, in Jer 36 eine für das Gesamtbuch und der Suche nach der sog. Urrolle aussagekräftige Theorie der literarischen Genese bzw. → Fortschreibung
Die mehrheitsfähige Meinung geht mittlerweile dahin, in Baruch nicht den Autor eines wie auch immer rekonstruierten Kerns des Jeremiabuches zu sehen. Baruch ist vielmehr eine historische Persönlichkeit, ein Schreiber aus der späten Königszeit, dem die hinter dem Jeremiabuch stehenden Tradentenpropheten mit ihrer Darstellung im Jeremiabuch ein Denkmal gesetzt haben. Sie verstehen sich als Erben Baruchs (vgl. Stipp, 2002) und rechtmäßige Bewahrer und Pfleger der Worte Jeremias, die sie als authentische Willenskundgebung JHWHs für ein Israel nach dem Exil tradieren.
4. Baruchbuch
4.1. Name, Titel
Das Buch Baruch (Bar) ist eine apokryphe bzw. deuterokanonische Schrift (→ Apokryphen
Laut Bar 1,1
4.2. Aufbau, Inhalt, Komposition
4.2.1. Aufbau
Das Baruchbuch besteht aus vier Teilen (vgl. Steck, 17):
A: Bar 1,1-15aα Erzählende Einleitung,
B: Bar 1,15aβ-3,8 Bußgebet der Deportierten,
C: Bar 3,9-4,4 Mahnrede als Lob der Weisheit,
D: Bar 4,5-5,9 Verheißungsrede auf Rückführung durch JHWH.
4.2.2. Inhalt
Die historische Einleitung A (Bar 1,1-15aα) zielt darauf ab, Baruch, den Schreiber und Vertrauten Jeremias (vgl. Jer 32
Der Teil B (Bar 1,15aβ-3,8) ist ein geschichtstheologisches Bußgebet, das die Deportierten im Exil dazu anleiten soll, die eigene Schuld zu bekennen und um Gottes Zuwendung zu bitten.
Das Lob der Weisheit als Teil C (Bar 3,9-4,4) ist eine Mahnrede, die Israel auffordert, zur Tora umzukehren und die gesamte Lebensführung nach ihr auszurichten. Nur in der Tora findet Israel die Lebensgabe der Weisheit. Nur in Ausrichtung auf die Tora besteht Hoffnung auf Heimkehr aus der Diaspora.
Der Teil D (Bar 4,5-5,9) ermutigt als Verheißungsrede die Exulanten wie auch Israel und Jerusalem, indem die nahende Heimkehr ganz Israels angekündigt wird.
4.2.3. Komposition
Das Baruchbuch stimmt einen Dreiklang aus Schuldbekenntnis, Umkehr zur Tora und Hoffnung auf Heimkehr aus dem Exil an. Auch wenn es den Anschein hat, als ob die Teile B, C und D ursprünglich selbständige Teile unterschiedlicher Herkunft gewesen sind, so bilden sie doch ein großes Ganzes, das durch die Leitthematik der Zerstreuung Israels in die Diaspora und die Überwindung eben dieser zusammengehalten wird.
4.3. Textüberlieferung
Die fünf Kapitel des Baruchbuchs sind nicht in der Hebräischen Bibel enthalten. Die älteste erreichbare Textgrundlage bietet die griechische Textüberlieferung der → Septuaginta
4.4. Entstehung
Trotz verschiedener – teils umstrittener – Versuche manche Widersprüche der vier Teile A bis D in Form und Inhalt literarkritisch aufzulösen, erweist sich das Baruchbuch als „ein genau durchgeplanter, völlig kohärenter und von Anfang an in seinem Gesamtbestand niedergeschriebener Text“ (Steck, 18). Lediglich Bar 3,38 scheint eine frühchristliche Glosse und Zeugnis der christlichen Aneignung des Baruchbuchs zu sein.
Da das Baruchbuch als literarische Einheit sowohl das gesamte corpus propheticum des Alten Testaments, wie auch das → Sirachbuch
4.5. Geschichtlicher Hintergrund
Das Baruchbuch thematisiert die Einheit Israels als Heimkehr und Wiedervereinigung aller Zerstreuten und Exilierten. Dies wird aufgrund des geschichtlichen Hintergrundes verständlich. Denn die Entstehung der Schrift fällt in die Zeit nach der seleukidischen Verfolgung und den damit verbundenen Deportationen (vgl. 1Makk 1,24ff
Das Baruchbuch kann auf diesem Hintergrund als eine Programmschrift verstanden werden, die auf unpolemische Weise und durch Rückgriff auf kanonische, besonders deuteronomistische Traditionen (→ Deuteronomismus
4.6. Theologie
Das Baruchbuch orientiert sich mit seinem Einheitskonzept ganz bewusst an der Autorität des → Kanons
Dabei spielt die Person des Baruch eine herausragende Rolle. Als „Zeitzeuge mit Überlebensgarantie (Jer 45,1-5
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Die Religion in Geschichte und Gegenwart, 3. Aufl., Tübingen 1957-1965
- Biblisch-historisches Handwörterbuch, Göttingen 1962-1979
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Theologisches Handwörterbuch zum Alten Testament, 5. Aufl., München / Zürich 1994-1995
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., Freiburg i.Br. 1993-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
- Hebräisches und Aramäisches Lexikon zum Alten Testament, 3. Aufl., Leiden u.a. 2004
2. Kommentare
- Duhm, B., 1901, Das Buch Jeremia (KHC XI), Tübingen / Leipzig
- Fischer, G., 2005, Jeremia 1-25 (HThKAT), Freiburg
- Fischer, G., 2005, Jeremia 26-52 (HThKAT), Freiburg
- Rudolph, W., 1968, Jeremia (HAT I/12), 3. Auflage, Tübingen
- Steck, O.H. u.a., 1998, Das Buch Baruch, (ATD Apokryphen 5), 11-68
- Wanke, G., 1995, Jeremia, Teilband 1: Jeremia 1,1-25,14 (ZBK 20.1), Zürich
- Wanke, G., 2003, Jeremia, Teilband 2: Jeremia 25,15-52,34 (ZBK 20.2), Zürich
3. Weitere Literatur
- Avigad, N., 1979, Jerahmeel & Baruch (BAR 42.2), 114-118
- Deutsch, R. / Heltzer, M., 1994, Forty New Ancient West Semitic Inscriptions, Tel Aviv / Jaffa
- Fischer, G., 2007, Jeremia. Der Stand der theologischen Diskussion, Darmstadt
- Goren, Y. / Arie, E., 2014, The Authencity of the Bullae of Berekhyahu Son of Neriyahu the Scribe (Bulletin of the American Schools of Oriental Research 372),147-158
- Knobloch, H., 2009, Die nachexilische Prophetentheorie des Jeremiabuches (BZAR 12), Wiesbaden
- Mowinckel, S., 1914, Zur Komposition des Buches Jeremia (Videnskapsselskapets Skrifter. II. Hist.-filos. Klasse 1913, No. 5), Kristiania
- Muilenburg, J., 1984, Baruch the Scribe, in: L.G. Perdue / B.W. Kovacs (Hgg.), A Prophet to the Nations. Essays in Jeremiah Studies, Winona Lake, 229-245
- Noth, M., 1928, Die israelitischen Personennamen im Rahmen der gemeinsemitischen Namengebung (BWANT 46 = 3/10), Stuttgart
- Rietzschel, C., 1966, Das Problem der Urrolle. Ein Beitrag zur Redaktionsgeschichte des Jeremiabuches, Gütersloher
- Schmid, K., 1996, Buchgestalten des Jeremiabuches. Untersuchungen zur Redaktions- und Rezeptionsgeschichte von Jer 30-33 im Kontext des Buches (WMANT 72), Neukirchen-Vluyn
- Shanks, H., 1987, Jeremiah’s Scribe and Confidant Speaks from a Hoard of Clay Bullae (BAR 13.5), 58-65
- Shanks, H., 1996, Fingerprint of Jeremiah’s Scribe (BAR 22.2), 36-38
- Stulman, L., 1998, Order Amid Chaos. Jeremiah as Symbolic Tapestry (The Biblical Seminar 57), Sheffield
- Stipp, H.-J., 1992, Jeremia im Parteienstreit. Studien zur Textentwicklung von Jer 26,36-43 und 45 als Beitrag zur Geschichte Jeremias, seines Buches und judäischer Parteien im 6. Jahrhundert (BBB 82), Frankfurt a.M.
- Stipp, H.-J., 2002, Baruchs Erben. Die Schriftprophetie im Spiegel von Jer 36, in: H. Irsigler (Hg.), „Wer darf hinaufziehen zum Berg JHWHs?“ Beiträge zu Prophetie und Poesie des Alten Testaments (FS S.Ö. Steingrimsson; ATSAT 72), St. Ottilien, 145-170
- Wahl, H.M., 1998, Die Entstehung der Schriftprophetie nach Jer 36, ZAW 110, 365-389
- Wanke, G., 1971, Untersuchungen zur sogenannten Baruchschrift (BZAW 122), Berlin
- Zenger, E. u.a. (Hgg.), 2015, Einleitung in das Alte Testament (KStTh 1,1), 9. Auflage, Stuttgart
Abbildungsverzeichnis
- Baruch sitzend auf Wolken; in seiner rechten Hand hält er ein Buch und eine Rolle mit der Inschrift „BARVCH PROFETA“ (Gravur, Florenz, Baccio Baldini, ca. 1470-1480).
- Siegelabdruck des Schreibers Baruch, des Sohnes Nerijas (Ton, Herkunft unbekannt, spätes 7. Jh. v. Chr.). Stiftung des Reuben and Edith Hecht Trust, Haifa; mit freundlicher Genehmigung des Israel Museums, Jerusalem, und von Robert Deutsch / Peter van der Veen; Foto: R. Deutsch (© The Israel Museum)
- Zeichnung des Siegelabdrucks des Schreibers Baruch ben Nerija. Aus: R. Deutsch / M. Heltzer, Forty New Ancient West Semitic Inscriptions, Tel Aviv / Jaffa 1994, 37 Abb. 11 (bearbeitet), mit freundlicher Genehmigung von Robert Deutsch / Peter van der Veen
- Die Entstehung des Jeremiabuchs nach S. Mowinckel. Erstellt von H. Knobloch
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