Deutsche Bibelgesellschaft

Frömmigkeit

(erstellt: März 2018)

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1. Das Wortfeld der Frömmigkeit

Der Begriff „Frömmigkeit“ kann als Pietät, Hingabe oder Religiosität aufgefasst werden. Allgemein bezeichnet er eine Haltung und Verhaltensweise, in der jemand entsprechend seiner Religion lebt, ein tugendhaftes Leben an den Tag legt und sich so für sein soziales Umfeld als nützlich erweist. Ein frommer Mensch lebt vortrefflich, also rechtschaffen und gerecht (→ gerecht). In seinem Gottesverhältnis ist er gottergeben und gottesfürchtig. Deshalb kann von einer individuellen persönlichen Frömmigkeit gesprochen werden, welche als „lammfromm / gottergeben“ auch negativ konnotiert sein kann, insbesondere, wenn sie sich als eine zur Schau getragene „frömmlerische“ Verhaltensweise äußert.

2. Frömmigkeit im Alten Testament

Die verschiedenen Aspekte der Frömmigkeit können nicht mit einem einzigen Hebräischen Begriff wiedergeben werden, sondern werden durch die Wortfelder mehrerer Wurzeln und Phrasen umschrieben:

- טוב ṭôv „gut sein“ (Spr 12,2; Spr 13,2) bzw. „gut handeln“ (Gen 4,7);

- תמם tmm „vollkommen / schuldlos sein“ (Gen 17,1; Hi 1,1.8; Hi 2,3.9; Ps. 37,37; Ps 41,13);

- ישׁר jšr „aufrecht sein“ (Hi 8,6; Spr 2,9; Spr 21,29);

- חָסִיד ḥāsîd „Frommer“ (Ps 12,2) und אַנְשֵׁי־חֶסֶד ’anšê-ḥæsæd „fromme Menschen“ (Jes 57,1);

- Begriffe für Gottesfurcht: יִרְאַת יְהוָה jirat jhwh (Spr 1,7 u.ö.) bzw. יִרְאַת אֲדֹנָי jirat ’donāj (Hi 28,28) oder יִרְאַת אֱלֹהִים jirat ’älohîm (Gen 20,11).

2.1. טוב ṭôv „gut sein / gut handeln“

Die Fähigkeit der Unterscheidung von „gut und böse“ (Gen 3,5.22; → Paradieserzählung) stellt den Menschen in eine ethische Verantwortung. Der Mensch ist deshalb gefordert sich dafür zu entscheiden, „gut zu handeln“. Dieses gilt auch für Kain nach dem Mord an seinem Bruder Abel, dessen psychisches Befinden sich im abwärts oder aufwärtsgewandten Blick zeigt (Gen 4,6.7; → Kain und Abel).

Im → Sprüchebuch wird „gut handeln“ in den → Tun-Ergehen-Zusammenhang gestellt. Wer „gut ist“ findet Gefallen bei JHWH, den Heimtückischen hingegen spricht er schuldig (Spr 12,2). Der Gute zehrt von der Frucht seiner Worte (Spr 13,2) bzw. seiner Gerechtigkeit (Spr 13,2 LXX).

2.2. תמם tmm „vollkommen sein / schuldlos sein“

Die Wurzel תמם tmm „vollkommen sein / schuldlos sein“ nimmt nicht die einzelnen Taten, sondern den Menschen als Ganzes in den Blick. תמם tmm wird gerne als Wortpaar mit ישׁר jšr verwendet, so bei den Erzählfiguren → Noah, der unter seiner Generation integer war (Gen 6,9), und → Hiob, aber auch in der Spruchweisheit (Spr 11,3) und der Poesie (Ps 37,37). Hiob wird als jemand geschildert, der sich fern vom Bösen hielt und als gottesfürchtiger Mensch (Hi 1,1.8; Hi 2,3.9) auch in der Übernahme kultischer Tätigkeiten für seine Familie (Hi 1,5) schuldlos / vollkommen und redlich war. Hier erscheint Frömmigkeit als korrekter Vollzug des Kultes (→ Ritus / Ritual).

Durch die Erzählung des Schicksals von Hiob, der neben Noah und → Daniel, zu den Vorbildern alttestamentlicher → Gerechtigkeit gezählt wird (Ez 14,14.20), tritt die Konnotation des „schuldlos“ hinzu. Für einen Menschen machen materieller Wohlstand und körperliche Gesundheit seine Vollständigkeit (תֻּמּוֹ tummô) aus (Hi 21,23-25). Hiob setzt seinen → Reichtum (Hi 1,3) zum Wohl der Armen ein (Hi 29,12.16). Hiobs Frömmigkeit erscheint im Reinigungseid (Hi 31) als rundum ethisch korrektes Verhalten. In einer eidlichen Aussage bezeugt er seine Unschuld durch die Aufzählung von Sünden, die er nicht getan hat. Dabei wird Gewicht auf innere Vorgänge gelegt (Hi 31,1.24.25.29.33). Nur einmal wird positives Verhalten, → Gastfreundschaft (Hi 31,32), kontrastiv mit aufgezählt. Im Auseinanderklaffen des Tun-Ergehen-Zusammenhangs verteidigt Hiob seine Unschuld gegenüber Gott (Hi 9,20-22; Hi 31,6) und seinen Freunden (Hi 27,5), die konsequent seine Vollkommenheit verneinen (Hi 4,6; Hi 8,20). Hier wird deutlich, dass nicht die individuelle Frömmigkeit Hiobs, sondern das → Leiden für Nichts thematisiert wird (Ngwa 2009, 375).

Abram wird zu einer integren Lebensführung aufgefordert (Gen 17,1) und der Beter ist sich einer dauerhaften Gottesgegenwart (Ps 41,13) gewiss. Die Lebensführung wird häufig durch die Wegmetapher zum Ausdruck gebracht (→ Weg). Die Treuen im Land gehen auf dem Weg der Vollkommenheit (Ps 101,6), Gott hat Wohlgefallen an ihnen (Spr 11,20) und die Gerechtigkeit des Vollkommenen ebnet ihm den Weg (Spr 11,5.6).

2.3. ישׁר jšr „gerade sein / aufrecht sein“

Die Wurzel ישׁר jšr „aufrecht sein“ steht für einen aufrichtigen, redlichen, frommen Menschen (Ps 11,7; Ps 32,11; Ps 33,1; Ps 36,11; Ps 37,14; Ps 49,15; Ps 107,42; Ps 111,1; Ps 112,2.4; Ps 140,14), der ein aufrechtes Herz hat (Ps 7,11; Ps 11,2; Ps 64,11; Ps 94,15; Ps 97,11; Ps 125,4) und recht redet (Spr 12,6). Solch einem Menschen bleibt Gott zugewandt (Spr 3,32; Spr 11,20; Spr 14,9). Er ist ein → Segen (Spr 11,11) und ist gesegnet (Spr 14,11).

ישׁר jšr ist ebenfalls mit der Metapher vom Weg verbunden, in welchen der Redliche Einsicht hat (Spr 2,9; vgl. Spr 21,29), um sich vom Bösen fern zu halten (Spr 16,17). Häufig sind die Wegmetaphern negativ konnotiert: Der Mensch kann sich bei der Wahl des geraden / rechten Weges verschätzen (Spr 14,12), sich damit als Narr erweisen (Spr 12,15), verführt werden (Spr 28,10) und sogar zu Tode kommen (Spr 16,25). Deshalb kommt es letztlich auf die Herzenshaltung an (Spr 21,2). Das Wissen darum, dass Gott das → Herz prüft, prägt die Frömmigkeit. Er ist es, der den Pfad des Gerechten so bahnt, dass er gerade (ישׁר jšr) ist (Jes 26,7). Diejenigen, die auf diesem rechten Weg sind, werden von den Frevlern als Abscheu betrachtet (Spr. 29,27) und im Extremfall sogar abgeschlachtet (Ps 37,14).

Quasi als Antithese zu Hiob bzw. als Referenz zum Epilog wird dem Vollkommenen (תָּמִים tāmîm) der dauerhafte Bestand seines Erbbesitzes zugesagt (Ps 37,18). Gott beschützt den Aufrichtigen und den Vollkommenen (Spr 2,7), sie bleiben im → Land (Spr 2,21).

2.4. חָסִיד ḥāsîd „Frommer Mensch“

Die Bezeichnung חָסִיד ḥāsîd „frommer Mensch“ tritt vor allem in liturgisch-poetischen Texten auf und hat in einige deutsche Übersetzungen punktuell Eingang gefunden (Elberfelder / Einheitsübersetzung). Sie bezieht sich auf einen Menschen, der synonym zum Treuen (Ps 12,2) und zusammen mit dem יָשָׁר jāšār „Aufrichtigen“ (Mi 7,2) und צַדִּיק ṣaddîq „Gerechten“ (Ps 97,11) verwendet wird, so auch in der Wendung אַנְשֵׁי־חֶסֶד ’anšê-ḥæsæd „fromme Leute“ (Jes 57,1). Er tritt auch als Beter (Ps 32,6) auf.

חָסִיד ḥāsîd ist Selbstbezeichnung des Frommen, der sich als → Knecht Gottes sieht (Ps 86,2; Ps 116,15-16). Er steht im Gegensatz zum „Ungerechten / Bösen / Frevler“ (רָשָׁע rāšā‘; 1Sam 2,9) und ist wie die anderen Bezeichnungen für „Fromme“ mit der Wegmetapher verbunden (Spr 2,8).

Der synonyme Gebrauch von תָּמִים tāmîm und חָסִיד ḥāsîd (Ps 18,26; 2Sam 22,6) lässt die reziproke Zuwendung Gottes als eine Loyalität erscheinen, welche den frommen Beter als „Vollkommenen / Untadeligen“ erscheinen lässt.

Eine häufige Verwendung ist die Kollektivbezeichnung für die Kultgemeinde Israels, Jhwhs Volk (Ps 148,14), welche in das Danklied des Betenden einstimmt (Ps 30,5) und bei der Erwählung Davids zum König anwesend ist.

2.5. יִרְאַת אֲדֹנָי jirat ’donāj „Gottesfurcht“

Die → Furcht Gottes bzw. Jhwhs charakterisiert eine alttestamentliche Frömmigkeit, die sich in gerechtem Handeln äußert (2Sam 23,3; Neh 5,15). Sie ist damit weniger kultisch als vielmehr ethisch ausgerichtet und tritt markant in Texten der Weisheit und Weisheitspoesie auf (Ps 19,10; Ps 34,12; Ps 111,10; Hi 28,28; Spr 1,7; Spr. 9,10; Spr 15,33; Pred 5,6; Pred 7,18; Pred 8,12-13; Pred 12,13; Tob 2,13 [nicht in allen Fassungen]; Sir 6,37; Sir 19,20 [Lutherbibel: Sir 19,18]; Sir 23,27 [Lutherbibel: Sir 23,37]; Sir 25,11 [Lutherbibel: Sir 25,15]). Gelegentlich ist von der Gottesfürchtigkeit eines Ortes oder einer Personengruppe die Rede (Gen 20,11; Neh 7,2; ZusDan 1,2).

An Hiob und den Äußerungen seiner Freunde zeigt sich ein Verständnis der Frömmigkeit als Gottesfurcht (Hi 4,6), die mit seinem integren, tadellosen (תמם tmm) Leben Hand in Hand geht.

3. Die persönliche Frömmigkeit

Religion äußert sich im Kult (→ Ritual), der als Staatskult oder als lokal begrenzter Kult auftritt. Zum Staatskult sind die Heiligtümer des Nordreichs in → Dan und → Bethel (1Kön 12,28-30), der Tempel in → Samaria (1Kön 16,29-32) und der Tempel des Südreichs in → Jerusalem (1Kön 7,13-51) zu rechnen. Er wird vom König initiiert und dient der Legitimation und Festigung seines Königtums. Das Volk konnte sich durch Feste und Wallfahrten daran beteiligen. Lokale Kulte gab es bereits in vorstaatlicher Zeit (Ri 17,1-6). Der Ortskult wurde durch Priester ausgeübt (1Sam 21,2-7) und persönliche Nöte, wie Kinderlosigkeit (1Sam 1,9-20) und die Bitte um Schutz, wurden dort vor Gott gebracht.

Hier zeigt sich der Übergang zur persönlichen Frömmigkeit, denn diese gehört in den Bereich des Einzelnen und seiner Familie (Jer 7,18) und nicht in die Großgruppe oder den Stamm (Albertz 1978, 12). Spuren solcher persönlichen Frömmigkeit finden sich in theophoren Namenselementen (→ Merib-Baal 1Chr 8,34; → Adonija und Schafatja 2Sam 3,4) auch außerhalb des Alten Testaments (→ Name / Namensgebung). In den Funden aus Kuntillet ‘Aǧrūd (→ Kuntillet ‘Aǧrūd [Kuntillet Agrud]; Koordinaten: 0948.9554 N 30° 11' 35'', E 34° 25' 16'') spricht Amarjau einen Schutzsegen im Namen von Jahwe von Teman und seiner → Aschera (Keel / Uehlinger §134). Funde von Hausaltären, Räuchertassen und Räucheraltären fügen sich hier ebenfalls ein.

3.1. Altes Testament / Hebräische Bibel

Wenn Frömmigkeit vom Kult unterschieden auf das Individuum fokussiert betrachtet wird, so lässt sich dieses nicht nur im Kontext der → Weisheit erfassen, sondern in einem individuellen Gottesbezug, der von Hingabe und Kommunikation geprägt ist. In → Totenkult, → Ritualpraktiken, → Magie und der Verehrung anderer Götter spiegelt sich eine Alltags- und Volksfrömmigkeit, die als Zauberei abgelehnt und mit → Götzenpolemik niedergemacht wurde, dort aber akzeptiert war, wo sie auf den Gott Israels als Wirkinstanz ausgerichtet war, von dem Segen und Fluch ausgehen (Num 23,8) und der aus dem Zauberwettstreit (Ex 7,13-18) siegreich hervorgeht.

Im Anklang an ägyptologische Terminologie soll dort von persönlicher Frömmigkeit gesprochen werden, wo es um die Hinwendung des Einzelnen zu Gott und Gottes zum Einzelnen geht (Guglielmi / Dittmar 1992, 121 Anm. 4). Persönliche Frömmigkeit soll damit von einer Laienfrömmigkeit außerhalb des Tempelkultes und der Gattungsbezeichnung „Persönliche Frömmigkeit“, wie sie für Gebete auf Votivstelen aus Dēr el-Medīna (Koordinaten: N 25° 43' 44'', E 32° 36' 05'') verwendet wird, unterschieden werden.

Der Fromme betet und verlangt nach der Anrede (Hi 11,5) und Intervention Gottes (Ps 69,14-15). Hymnen und Gebete der → Psalmen gehören häufig in das Kollektiv der versammelten Gemeinde oder einer Sängergruppe. Im liturgischen Ich der Individualpsalmen kann sich der Einzelne mit den Betenden identifizieren (Ps 3,5-7; Ps 4,2.4.9; Ps 5,3-4 u.ö.) und gelegentlich zwischen dem geschichtlichen Wir des Volkes und dem liturgischen Ich wechseln (Ps 44,7-8). Dieses ist auch aus den Gebeten von → Ester und → Mordechai ersichtlich ist (LXX Est 4,12b-29), die als privates und öffentliches Gebet in einer literarischen Einheit miteinander korrespondieren (Schorch 2010, 35). Das Individuum tritt besonders im Klage- und Danklied des Einzelnen (→ Psalmen) hervor, öfters ergänzt durch ein Vertrauensbekenntnis oder Lobgelübde (Ps 13,6; Ps 22,10-11.23; Ps 35,28). Da typische und allgemeine Aussagen vorherrschen, handelt sich nicht um Gebete und Lieder persönlicher Frömmigkeit, sondern institutionalisierter, liturgischer Frömmigkeit.

3.2. Ägypten

In Ägypten kommt es seit der Ramessidenzeit (→ Neues Reich) zu einem verstärkten Auftreten persönlicher Frömmigkeit, die durch die Amarnareligion (→ Amenophis IV.) nicht initiiert, aber katalysiert worden sein mag. Dort ist es die königliche Familie, die in die Gegenwart Gottes gerückt wird, aber durch die Verfolgungssituation der traditionellen Religion eine Gottesnähe der Innerlichkeit evoziert, auch wenn der Kult mit seinen Speis- und Trankopfern darniederlag, so dass es zu einer Sättigung ohne Essen und einer Trunkenheit ohne Trinken kommen konnte. Letztlich geht es um die individuelle Zuwendung Gottes:

„Wende dich uns wieder zu, du Herr der Ewigkeit, du warst hier, als noch nichts entstanden war, und du wirst hier sein, wenn sie zu Ende sind. Du lässest mich Finsternis sehen, die du gibst – leuchte mir, daß ich dich sehe!“ (ÄHG 147, 26-30)

Diese individuelle Dimension der Gottesnähe zeigt sich bereits im Mittleren Reich bei Sinuhe: „Mögest du mir gnädig sein. […] Möge mir Gott Gnade (ḥtp.t) geben.“ (Blumenthal 1998, 218), je nach Interpretation als persönliche Frömmigkeit oder „dämonische Instanz“ (Fischer-Elfert 2007, 9).

In Ägypten tritt die Göttin → Maat als personifizierte Gerechtigkeit auf. Ein Maat gemäßes Leben äußert sich ähnlich wie bei Hiob im Reinigungseid (Hi 31) als rundum ethisch korrektes Verhalten: „Ich habe Brot dem Hungrigen und Wasser dem Dürstenden gegeben, Kleider dem Nackten und ein Fährboot dem, der kein Boot hatte.“ (Totenbuch Spr. 125). Das Verhältnis wandelt sich jedoch zu einem Leben in der Gunst Gottes, so dass sie zur großen Gabe Gottes wird, der sie gibt, wem er will (Vgl. → Lehre des Amenemope XXI, 5.6). Dieses dem Menschen gegenüber freie Handeln Gottes findet sich auch im Buch der → Sprüche (Spr 15,16; Spr 19,16-17).

3.3. Alter Orient

Bereits in der sumerischen Königsliste (TUAT I/4, 328-337) kommt das Königtum vom Himmel auf die Erde herab, so dass die Gesellschaft die himmlische Realität widerspiegelt, in welcher dem König ex officio die Aufrechterhaltung der umfassenden gesellschaftlichen Ordnung obliegt. Frömmigkeit äußert sich als institutionalisierter Kult. Entsprechend bezeichnet König → Hammurabi sich wiederholt als fromm, denn er ist ein Verehrer der Götter, der sich für den Tempel einsetzt und betet (Prolog → Hammurabi-Stele, TUAT I/1, 40-44). Frömmigkeit als rechte Kultausübung bis hin zur Wiederherstellung von Tempeln obliegt dem König und rückt ihn in die Nähe Gottes. Dieses kommt besonders in den neubabylonischen Königsinschriften von Nabupolassar, → Nebukadnezar II. und → Nabonid zum Ausdruck (TUAT E-11-20). Der König Nabupolassar sucht von Jugend auf beständig die Heiligtümer seiner Götter auf und Marduk lässt ihm einen Schutzgeist und den Gott Nergal zur Seite gehen. Nebukadnezar II. und Nabonid treten als Tempelbauer hervor.

Im ugaritischen Aqhat-Epos (KTU I.17-19; → Ugarit) handelt der → gerechte Danil vorbildlich, indem er Trauerkleidung anlegt und das Weihegeschenk der Götter isst und trinkt (TUAT III/6, 1259), also einen Inkubationsritus vollzieht und Schlachtopfer darbringt. Sein kultisches Handeln und die göttliche Zuwendung durch die Geburt seines Sohnes (TUAT III/6, 1259) sind ein Beispiel individueller Frömmigkeit.

Die poetisch-didaktische Weisheitsliteratur erörtert Frömmigkeit im Kontext des Ergehens des Menschen: Ein persönlicher Gott schützt vor → Dämonen. Entsprechend werden → Leid und → Krankheit auf dessen Abwesenheit zurückgeführt („Der Mensch und sein Gott“, sog. „sumerischer Hiob“ TUAT III/1, 102-109). Oft erscheint Frömmigkeit als gerechtes Handeln innerhalb eines Tun-Ergehen-Zusammenhangs: Der betrügerische Kaufmann verliert sein Vermögen, aber dem Ehrlichen wird alles Mögliche in Fülle geschenkt (Großer Hymnus an Schamasch, SAHG, 244). Schamasch vergilt dem Menschen nach seinen Taten mit Gutem oder Bösem (Counsels of Wisdom, Z.60-64, in; Lambert, 96-107). In der babylonischen Theodizee hingegen erfährt der Dulder, dessen Frömmigkeit sich in der kultischen Verehrung seiner Göttin zeigt, die scheinbare Vergeblichkeit seines Tuns und wird angesichts der fehlenden Gerechtigkeit wie Hiob von seinem Freund zur Gottesfurcht aufgefordert:

„Nur, wer auf den Gott schaut, hat volle Lebens[kraft];

in kritischer Lage (selbst) häuft, wer die Göttin fürchtet, die Fül[le] auf.“ (TUAT III/1, 147, Z.21-22).

und der Geringschätzung der Vorhersehung Gottes und des Kultes beschuldigt:

„die Wahrheit verwarfst du nun, das von Gott Vorgezeichnete schätzt du gering.

Die Kulte Gottes nicht recht zu beachten begehrtest du in deinem Sinn.

Die zuverlässigen Ordnungen der Göttin [. . . . . . . . ].“ (TUAT III/1, 150f. Z.78-80).

4. Zwischentestamentliche Zeit

Die durch ethisches Handeln bestimmte Gottesfurcht findet ihre Fortsetzung (Weish 10,12; Sir 1,11-30 [Lutherbibel: Sir 1,11-36]; Sir 9,16 [Lutherbibel: Sir 9,23]; Sir 19,20 [Lutherbibel: Sir 19,18], u.ö.). Hinzu tritt mit dem Wortfeld von θρησκεία thrēskeia eine Frömmigkeit, die als religiöse Kultusausübung umschrieben, die aus jüdischer Sicht als Götzendienst (Weish 11,15; Weish 14,16.27) oder aus Sicht eines Nichtjuden als jüdische Religionsausübung (4Makk 5,7; 4Makk 5,13) angesehen wird. Ein neutraler Gebrauch findet sich im Neuen Testament (Jak 1,26).

Frömmigkeit als Beachtung dessen, was Gott heilig ist, setzt einen neuen griechisch-hellenistisch geprägten Akzent und kommt durch das Wortfeld von σεμνός semnos zum Ausdruck (2Makk 6,11.28; 2Makk 8,15; 4Makk 5,36; 7,15; 17,5), welches zuvor eine Eigenschaft „ehrenhaft / freundlich“ (LXX Spr 6,8; Spr 8,6; Spr 15,26) beschrieb. Weit häufiger ist der Begriff εὐσέβεια eusebeia, der die Furcht Gottes als Frömmigkeitshaltung (Jes 33,6; 2Makk 12,45 ) auffasst und in der Spruchweisheit von der → Septuaginta immer wieder ergänzt wird (LXX Spr 1,7; Spr 13,11). Diese Haltung tritt im ersten 1. Jh. n. Chr besonders hervor und zwar sowohl im Christentum (2Petr 1,3; 2Tim 3,5) als auch im Diasporajudentum (4Makk 5,18; 13;26 u.ö.).

Der Fromme חָסִיד ḥāsîd, von dem parallel zum Gerechten die Rede ist, wird bereits in der → Septuaginta in Mi 7,2 mit εὐλαβής eulabēs übersetzt. Damit ist das situationsgerechte, gute Handeln gemeint (Sir 11,17), so dass sich Frömmigkeit nicht als Innerlichkeit, sondern als gerechte Tat zeigt.

In den → Makkabäerbüchern wandelte sich חָסִידים ḥāsîdîm (LXX: Ασιδαîοι Asiadioi) von der allgemeinen Bezeichnung für fromme Juden zur Bezeichnung einer jüdischen Gruppierung, welche auf Recht und Gerechtigkeit ausgerichtet den Gebeten gemäß leben wollte (1Makk 7,13; 2Makk 14,6; vgl. 1Makk 2,29-38; 2Makk 5,24-26) und deren Mitglieder später Chassidim genannt wurden.

In den → Qumrantexten findet der alttestamentliche Gedanke, dass Gott sich den חָסִידים ḥāsîdîm (meist im Plural verwendet) besonders zuwendet und ihnen seine Gunst erweist, seine Fortsetzung (11 QPsa 19,7), ohne dass diese Frommen einer spezifischen jüdischen Gruppierung zugerechnet werden können. Sie stehen in der Messiasapokalypse parallel zu den Gerechten (4Q521 2 ii+4,5) und bilden die Gemeinschaft derer, die Gott verherrlichen (11 QPsa 22,3.6).

Außerhalb des Alten Testaments tritt חסד ḥsd als Aramäisches חסה ḥsh auf einer Grabstele (5. Jh. v. Chr.) in Ägypten auf, wo die Verstorbene unter die חסיה ḥsjh „Lobenswerten / Frommen“ gezählt wird. (D 20.5.4; Porten / Yardeni, 254.256).

Literaturverzeichnis

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