Gelübde
(erstellt: März 2018)
Permanenter Link zum Artikel: https://bibelwissenschaft.de/stichwort/19196/
1. Allgemeine Bedeutung und Verwendung
Gelübde bezeichnet im Alten Testament ein zumeist bedingtes Versprechen von Personen oder Personengruppen gegenüber der Gottheit Jhwh, das einen formelhaften Sprachgebrauch aufweist und in den Erzähltexten nach dem Prinzip do ut des („ich gebe, damit du gibst“) aufgebaut ist. So beginnen die Gelübde in narrativen Kontexten stets mit einer durch die Partikel אִם ’im „wenn“ eingeleiteten Bedingung (Protasis), der in einem Nachsatz das Versprechen folgt (Apodosis). Das Versprechen muss der Gottheit wohlgefällig sein. Es kann sowohl positiv in Form von Opfern oder Gaben als auch negativ in Form von Verzichtserklärungen (z.B. Fasten) erfolgen. Dabei ist die zugesagte Leistung in ersterem Fall erst nach Erfüllung der Bitte zu erbringen, während sie im Rahmen einer Verzichtserklärung mit Erfüllung der Bitte bereits abgegolten ist. Eine besondere Form des Gelübdes stellt das Nasiräatsgelübde dar (Num 6,1-21
Die hebr. Wurzel für Gelübde / geloben ist alttestamentlich 91-mal belegt, davon 60-mal als Nomen (נֵדֶר nedær), 31-mal als Verb (נָדַר nādar). Zum formelhaften Sprachgebrauch vgl. נדר נֶדֶר „Gelübde geloben“: Gen 28,20
Die → Septuaginta
2. Anlass und Inhalt der Gelübde
Anlass von Gelübden ist eine individuelle oder kollektive Notsituation, aus der heraus sich die Gelobenden an Gott wenden. Die Anrufung aus einer Situation existentieller Not setzt ein Vertrauen in die reale Existenz und Wirkmacht der Gottheit voraus. Der Beter ist von der Hoffnung getragen, Gott möge seine Bitte erhören und zu seinen Gunsten eingreifen. Damit eignet dem Gelübde ein Bekenntnischarakter, insofern die angerufene Gottheit als Retter angesprochen und anerkannt ist. Vor dem Hintergrund dieses Gebets- und Bekenntnischarakters sollte das Moment eines Handels mit der Gottheit nicht einseitig überbetont werden. Vielmehr versteht sich das Gelübde ‒ einschließlich der als Anreiz für ein schnelles Eingreifen der Gottheit gedachten Bedingung („wenn“) ‒ als Verpflichtung eines Glaubenden im Rahmen des Gottesverhältnisses. Dem entspricht die breite und insgesamt positive Rezeption des Gelübdes in den Psalmen (s.u.), in denen das Geloben als selbstverständlicher Ausdruck der Gottesverehrung erscheint und mit dem Kult assoziiert wird. Im Anschluss an die auch in den Psalmen implizierte Notwendigkeit, die im Gelübde versprochene Gegenleistung unbedingt zu erfüllen, werden im Laufe der theologiegeschichtlichen Entwicklung jene Stimmen lauter, die vor allzu eilfertigem Geloben warnen (vgl. unten 2.3. und 2.4.).
2.1. Erzähltexte
Die individuellen Anlässe für ein Gelübde sind ausweislich des Befundes in den narrativen Kontexten ebenso verschieden wie die je versprochene Gegenleistung. Als mögliche Auslöser werden genannt: Kinderlosigkeit (1Sam 1,1ff
2.2. Psalmen
Ungeachtet der individuellen thematischen Ausrichtung steht der Charakter des Gelübdes als Bitte um Erretung aus einer Notsituation auch in den → Psalmen
2.3. Gesetzestexte
Die Gesetzestexte konzentrieren sich ‒ ihrer Natur entsprechend ‒ weniger auf die Notsituation der Menschen als vielmehr auf eine Definition von Art und Darbringung der versprochenen Gegenleistung. Dtn 12,6.11.17.26
Spezielle Verordnungen zu Gelübden, die von Frauen ausgesprochen werden, finden sich in Num 30,2-16
Eine besondere Position innerhalb der Gesetzestexte nimmt Dtn 23 ein. Dtn 23,22-24
2.4. Weisheit
Eine kritische Reflexion über den verbindlichen Charakter von Gelübden prägt auch die Belege der Weisheitsliteratur. Spr 20,25
Literaturverzeichnis
1. Lexikonartikel
- Encyclopaedia Judaica, Jerusalem 1971-1996
- Theologisches Wörterbuch zum Alten Testament, Stuttgart u.a. 1973-2015
- Theologische Realenzyklopädie, Berlin / New York 1977-2004
- Neues Bibel-Lexikon, Zürich u.a. 1991-2001
- The Anchor Bible Dictionary, New York 1992
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., Tübingen 1998-2007
2. Weitere Literatur
- Becker, Uwe, Jakob in Bet-El und Sichem, in: Die Erzväter in der biblischen Tradition, (FS Köckert, BZAW 400), Berlin 2009, 159-185
- Berlinerblau, Jaques, The Vow and the ‚Popular Religious Groups‘ of Ancient Israel. A Philological and Sociological Inquiry (JSOT.SS 210), Sheffield 1996
- Blum, Erhard, Noch einmal: Jakobs Traum in Bethel – Genesis 28,10-22, in: ders., Textgestalt und Komposition. Exegetische Beiträge zu Tora und Vordere Propheten (FAT 69), Tübingen 2010, 21-41
- Cartledge, Tony W., Conditional Vows in the Psalms of Lament. A New Approach to an Old Problem, in E. Hoglund / E. Huwiler / J. Glass u.a. (Hgg.), The Listening Heart (JSOT.SS 58), Sheffield 1987, 77-94
- Cartledge, Tony W., Vows in the Hebrew Bible and the Ancient Near East (JSOT.SS 147), Sheffield 1992
- Gold, Israel, Das Gelübde nach Bibel und Talmud, Würzburg 1925
- Grätz, Sebastian, Jiftach und seine Tochter, in: Geschichte Israels und deuteronomistisches Geschichtsdenken (FS W. Thiel; AOAT 380), Münster 2010, 119-134
- Groß, Walter, Jiftachs Rolle in der Erzählung von seinem Gelübde. Elemente der Rezeptions- und Auslegungsgeschichte, in: ders., Studien zum Richterbuch und seinen Völkernamen (SBAB.AT 54), Stuttgart 2012, 8-43
- Horst, Friedrich, Der Eid im Alten Testament, in: ders., Studien zum Recht im Alten Testament (Theologische Bücherei 12), München 1961
- Malmes, Judith, Die Erzählung von Jiftach und seiner Tochter (Ri 11,29-40), PzB 18/1 (2009), 1-30
- Milne, Pamela J., Son of a Prostitute and Daughter of a Warrior: What Do You Think the Story in Judges 11 Means?, LectDiff 10/2 (2009), 1-26
- Neef, Heinz-Dieter, Jephta und seine Tochter (Jdc. XI 29-40), VT 49/2 (1999), 206-217
- Parker, Simon B., The Vow in Ugaritic and Israelite Narrative Literature, UF 11 (1979), 693-700
- Rottzoll, Dirk U. / Rottzoll, Alexandra, Die Erzählung von Jiftach und seiner Tochter (Jdc 11,30-40) in der mittelalterlich-jüdischen und historisch-kritischen Bibelexegese, ZAW115/2 (2003), 210-230
- Rendtorff, Rolf, Die Geburt des Retters. Beobachtungen zur Jugendgeschichte Samuels im Rahmen der literarischen Komposition, in: ders., Kanon und Theologie. Vorarbeiten zu einer Theologie des Alten Testaments, Neukirchen-Vluyn 1991, 132-141
- Schenker, Adrian, Gelübde im Alten Testament: unbeachtete Aspekte, in: ders., Recht und Kult im Alten Testament. Achtzehn Studien (OBO 172), Freiburg (Schweiz) / Göttingen 2000, 28-32.
- Schöpflin, Karin, Notschrei, Dank, Disput. Beten im Jonabuch, Bibl. 78 (1997), 389-404
- Spieckermann, Hermann, Rede Gottes und Wort Gottes in den Psalmen, in: E. Zenger / K. Seybold (Hgg.), Neue Wege der Psalmenforschung (HBS 1), Freiburg i.Br. 1994, 157-173
- Tita, Hubert, Gelübde als Bekenntnis. Eine Studie zu den Gelübden im Alten Testament (OBO 181), Göttingen 2001
- Trible, Phyllis, Die Tochter Jiphtachs, in: dies., Mein Gott, warum hast du mich vergessen? Frauenschicksale im Alten Testament, Gütersloh 1990
- Wendel, Adolf, Das israelitisch-jüdische Gelübde, Berlin 1931
PDF-Archiv
Alle Fassungen dieses Artikels ab Oktober 2017 als PDF-Archiv zum Download:
Abbildungen
Unser besonderer Dank gilt allen Personen und Institutionen, die für WiBiLex Abbildungen zur Verfügung gestellt bzw. deren Verwendung in WiBiLex gestattet haben, insbesondere der Stiftung BIBEL+ORIENT (Freiburg/Schweiz)