Deutsche Bibelgesellschaft

Gilgamesch

Andere Schreibweise: Gilgamesh (engl.); Gilgamesch; Bilgames; Bilgamesch

(erstellt: Dezember 2007)

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1. Gilgamesch als literarische, historische und religiöse Gestalt

Gilgamesch ist eine der berühmtesten Gestalten der Antike, berühmt vor allem als Held verschiedener altorientalischer epischer Dichtungen.

Wichtigste Quellen: 1) Sumerische und akkadische (= babylonisch-assyrische) epische Dichtungen, nämlich das akkadisch überlieferte Gilgamesch-Epos (erschließbar ab dem 12. Jh. v. Chr., Tafelabschriften aus der 1. Hälfte des 1. Jt.s), dazu eine hethitische Übersetzung; auch eine hurritische Übersetzung muss existiert haben, von der jedoch nur Bruchtücke bekannt sind. 2) Die Sumerische Königsliste; 3) ein fiktiver Brief des Gilgamesch (George 2003, 117-119); 4) die Nennung in Götterlisten ab dem 26. Jh. v. Chr.; 5) Hymnen und Gebete sowie 6) Votivgaben mit inschriftlicher Widmung an Gilgamesch (George 2003, 119-137).

Nach der Sumerischen Königsliste ist Gilgamesch der 5. König der ersten Dynastie von → Uruk nach der Sintflut. Die literarischen Texte erzählen von Gilgamesch als einem herausragenden Herrscher und Helden. Zweierlei rühmt man an ihm: Zum einen seine Kraft und Furchtlosigkeit, die ihn dramatische Abenteuer bestehen lässt, zum anderen seine überragende Weisheit durch Einblicke in die „Tiefe“, in die Zeiten vor der Flut. Er ist es, dem man die Anlage der riesigen Stadtmauer von Uruk zuschreibt und die Kenntnis des richtigen, weil uranfänglichen Tempelbaus und der Rituale, die man im Umgang mit den Göttern kennen muss.

Unabhängig von der Frage, ob sich hinter den Dichtungen über Gilgamesch eine historische Persönlichkeit verbirgt, fangen diese Texte historische Realität vom Ende des 4. Jt.s und Anfang des 3. Jt.s v. Chr. ein, wo die Stadt Uruk die mit Abstand größte zeitgenössische Metropole wurde, umgeben von einer Stadtmauer von über 9 km Länge, eine Stadt mit großen Tempelanlagen, eine Stadt, in der die frühesten Zeugnisse von Schrift gefunden wurden. Von hier haben kulturelle Errungenschaften auf weite Teile des vorderasiatischen Raumes ausgestrahlt. Besondere Wertschätzung erfahren die Gilgamesch-Traditionen unter den Herrschern der Ur III-Zeit, Ur-Namma und Schulgi, die sich als Brüder Gilgameschs bezeichnen und sich dadurch als ideale Anwärter auf die Herrschaft über Uruk und Ur legitimieren; in dieser Zeit ist auch der Personenname Ur-Gilgamesch, „Der zu Gilgamesch Gehörige“, recht populär.

Gilgamesch gilt nicht nur als Herrscher und Held, sondern wurde schon ab der Mitte des 3. Jt.s als Gottheit verehrt; sein Kult steht oft im Zusammenhang mit dem Ahnenkult der Herrscher (George 2003, 124). Und noch aus dem 7. Jh. sind Gebete an ihn überliefert. Man sah in ihm einen der Richter im Totenreich, dessen man auch bei rituellen Festen für die Toten im fünften Monat Abu gedachte (George 2003, 125f).

2. Frühe Dichtungen über Gilgamesch

Sechs verschiedene Dichtungen über Gilgamesch sind in sumerischer Sprache überliefert, die Tontafeln datieren teilweise schon aus dem 3. Jt. (3 Fragmente stammen aus dem 21. Jh., u.a. Gilgamesch und der Himmelsstier, vgl. George 2003, 7; ein Text, der als Schilderung von Gilgameschs Geburt interpretiert wurde, stammt aus dem 26. Jh.). Gerade diese sumerischen Dichtungen bergen noch viele sprachliche und inhaltliche Herausforderungen für die Forschung. Sie lohnen eine genauere Studie besonders auch deshalb, weil viele der Themen oder die Art ihrer Behandlung in der bislang bekannten akkadischen Überlieferung kein Pendant haben. So kennen die sumerischen Texte z.B. eine Dichtung, welche den Tod des Gilgamesch zum Inhalt hat; davon schweigt das spätere akkadische Gilgamesch-Epos völlig, gestaltet hingegen den Tod des Enkidu zum ersten Mal. In der sumerischen Dichtung Gilgamesch und der Himmelsstier findet sich ein Hinweis, wie man sich die Aufführung solcher Dichtungen vorstellen kann. Während der Herrscher beim Bier sitzt, trägt der Sänger seinen Gesang vor.

● Gilgameschs Geburt? Der frühdynastische Textzeuge aus dem 26. Jh. v. Chr. ist noch immer schwierig zu interpretieren. Nach der Deutung von Frayne (1999, 41) handelt es sich um eine Schilderung von „Gilgameschs Geburt“ (anders Jacobsen, 1989).

● Gilgamesch und Akka schildert die Belagerung Uruks durch Akka von Kisch und die Entscheidung des Kampfes durch Gilgameschs Erscheinen auf der Mauer, das durch eine numinose Ausstrahlung die Feinde schlägt. Gilgamesch gewährt seinem Gegner Schonung (Jüngste Edition: Katz, 1993; weitere Quellen in Wilcke 1998, 457-485).

● Gilgamesch und die junge Frau: Gilgamesch vergnügt sich mit jungen Männern und Frauen und tanzt mit ihnen, dann schläft er mit einer Frau und küsst sie. Das Fragment aus dem 21. Jh. ist bislang unpubliziert und wird von G. Rubio zum Druck vorbereitet (vgl. George 2003, 7 Anm. 16).

● Gilgamesch und Huwawa, Versionen B + A: Zwei verschiedene Versionen berichten vom Zug Gilgameschs zum Zedernwald, seiner Auseinandersetzung mit dessen Wächter und vom Fällen der Zedern (Jüngste Editionen: Edzard, 1990, 165-203; ders., 1991, 165-233; ders., 1993).

● Gilgamesch und der Himmelsstier: Der Text schildert Auseinandersetzungen zwischen der Stadtgöttin von Uruk, Inana, und dem Herrscher Gilgamesch. Inana will Gilgamesch von seinen Aufgaben, dem „Rechtsprechen“ abhalten, und stattdessen als ihren Geliebten haben. Als er sie zurückweist, erzwingt sie von ihrem Vater den Himmelsstier, der Uruk verheert. Gilgamesch, der sich derweil bei Bier und Musik amüsiert, erschlägt dann den Himmelsstier und schmäht Inana. Das Fleisch des Himmelsstieres gibt er den Armen zu essen, die Hörner stiftet er dem Inana-Tempel (Jüngste Edition: Cavigneaux / Al-Rawi, 1993, 97-129).

● Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt: In der mythischen Urzeit, als die Welt unter den Götter verteilt wurde, segelt der Gott Enki in Richtung Unterwelt, und ein vom Sturm ausgerissener Baum treibt auf dem Euphrat. Diesen Baum pflanzt Inana, doch dämonische Wesen nisten sich darin ein. Gilgamesch vertreibt diese und will für die Göttin Bett und Stuhl daraus machen. Für sich selbst stellt er zwei Geräte her, die er begeistert einsetzt, die aber den Einwohnern der Stadt zur schweren Last werden. Ein solches Gerät fällt daraufhin in die Unterwelt, woher sein Diener Enkidu es zurückholen will. Die Unterwelt aber lässt ihn nicht mehr los. Mit Hilfe des Sonnengottes kann er nochmals zu Gilgamesch gelangen und berichtet diesem vom Los der Toten in der Unterwelt. Der Text wurde in Auszügen ins Akkadische übersetzt und als Tafel 12 dem Gilgamesch-Epos angehängt (Jüngste Edition: Shaffer, 1963; vgl. Cavigneaux / al-Rawi, 2000a, 1-19; Wilcke, 1976, 19-21).

● Gilgameschs Tod: Im Traum kann Gilgamesch einer Versammlung der Götter beiwohnen, die seinen Tod beschließt. Weil ein Teil von ihm göttlich ist, soll er aber zum Herrscher unter den Toten werden. Unter Mithilfe des Weisheitsgottes Enki gelingt ein steinerner Grabbau im Fluss, durch den dieser besondere Status erzielt werden kann.

Vgl. Cavigneaux / al-Rawi (2000b; mit der wichtigen Rezension von G. Selz, WZKM 91, 2001, 418-422) und Veldhuis (2001, 133-148): Ur-Lugal, Gilgameschs Sohn, als Löser des Traumes; Wilcke (2004): Abschluss als Rede einer Gottheit zu den Göttern; Zgoll (2006, 116-123): Der Gott An ist derjenige, der das Urteil fällt, dass Gilgamesch sterben muss; Enki ist hingegen der Helfer, der aus Gilgamesch einen Statthalter in der Unterwelt macht, wozu ein im Fluss versteckter Grabbau notwendig ist; Enki selbst offenbart das, indem er Gilgamesch den Traum sehen und die Deutung erkennen lässt.

Es existiert ein weiteres kleines Fragment aus dem 21. Jh., das bislang unpubliziert ist und von G. Rubio zum Druck vorbereitet wird (vgl. George 2003, 7 Anm. 16).

3. Das Gilgamesch-Epos

3.1. Überlieferung

Das sogenannte Gilgamesch-Epos ist auf 12 Tafeln überliefert. Dabei handelt es sich um 11 Tafeln mit dem Text des Epos, denen eine weitere Tafel mit der akkadischen Übersetzung eines Teiles der sumerischen Dichtung Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt angehängt wurde; es handelt sich dabei um den Ausschnitt, der vom Schicksal der Toten in der Unterwelt berichtet.

Das Gilgamesch-Epos hat einen geschätzten Umfang von ca. 3300 Zeilen; allerdings ist die textliche Überlieferung an vielen Stellen noch lückenhaft. Alle im Folgenden getroffenen Aussagen, die sich auf das Gesamt des Epos beziehen, sind daher als vorläufig zu betrachten und können durch neue Textfunde und Textidentifikationen jederzeit überholt werden.

Die uns überkommene Fassung des 11-Tafel-Epos stammt vermutlich vom Ende des 2. Jt.s, etwa dem 12. Jh. Als Verfasser nennt eine neuassyrische Liste von Texten und ihren Autoren einen Mann namens Sîn-lēqi-unninni (George 2003, 28). Funde dieser Fassung stammen aus verschiedenen Bibliotheken des Alten Orients, vornehmlich aus der Bibliothek des → Assurbanipal in → Ninive, aber auch aus → Assur, → Kalchu, Huzirīna, → Babylon und → Uruk.

Ältere sumerische und akkadische Erzählungen lagen dem oder den Kompilatoren der epischen Version des 12. Jh.s vor. Zu den sumerischen Dichtungen, die teils im bislang bekannten akkadischen Epos keinen Niederschlag gefunden haben, vgl. oben 2. Wichtige akkadische Tafeln stammen vom Beginn des 2. Jt.s, aus altbabylonischer Zeit (ca. 18. Jh. v. Chr.).

Das Gilgamesch-Epos (oder die Gilgamesch-Dichtungen?) wurde auch ins Hethitische und Hurritische übersetzt.

3.2. Inhalt

Man kann das Gilgamesch-Epos verkürzend auf eine einfache Formel bringen: Es ist ein Epos von der Suche nach dem Leben. Doch diese Suche nimmt verschiedene Gestalt an.

Im ersten Teil versucht Gilgamesch, das Leben durch Heldentaten zu erringen, d.h. sich einen Namen zu machen, der unsterblich sein wird. Hierher gehören die berühmten Abenteuer mit seinem Freund Enkidu, dessen Ankunft ihm schon durch Träume angekündigt wird, und mit dem er dann den Zug in den Zedernwald unternimmt (vgl. oben 2.). Als Gilgamesch dann das Heiratsangebot der Göttin → Ischtar ausschlägt und diese aus Zorn den Himmelsstier schickt, überwältigen die beiden Freunde auch dieses gefährliche Wesen.

Im zweiten Teil des Epos geht es dann nicht um Abenteuer um des Nachruhmes willen, sondern um das „nackte Leben“, das physische Weiterleben des Helden. Der Held sucht nach einem Weg, um die Grenze des Todes zu überwinden. Im Unterschied zum ersten Teil des Epos ist er völlig alleine unterwegs. Denn sein Freund Enkidu ist nicht mehr am Leben.

Das Sterben Enkidus, das in der 7. Tafel packend geschildert wird und Gilgamesch selbst im Licht eines zumindest nicht Unschuldigen zeichnet (Enkidu muss stellvertretend für Gilgamesch sterben; und Gilgamesch hat dem Freund, der ihm geholfen hat, selbst nicht geholfen (→ Freundschaft); vgl. Traum des Enkidu mit Deutung bei Zgoll 2006, 273-275), stellt die Zäsur zwischen den beiden Teilen dar. Der Tod des Freundes führt zur Auseinandersetzung mit dem Tod überhaupt, zunächst mit dem Tod des Freundes, den Gilgamesch noch ins Leben zurückzuholen versucht (8. Tafel), dann zur Auseinandersetzung mit dem eigenen Tod. Ein dramatischer Wendepunkt.

Die Suche nach dem Leben führt den einsamen Gilgamesch, ohne Herrscher-Attribute und völlig verwahrlost, durch die Zwillingsgebirge, welche sonst nur die Sonne bei ihrem Aufgang durcheilt, zum Ende der Welt, wo ihm die göttliche Schankwirtin Šī-dūrī den Rat erteilt, das Leben zu genießen, so lange es eben währe. Doch Gilgamesch drängt es weiter, er will zu dem Menschen, der die Sintflut überlebt hat und dann von den Göttern unsterblich gemacht wurde; dessen Geheimnis will er erfahren und so selbst unsterblich werden. Durch die Todeswasser gelangt er zu Utnapischtim, der ihm die Geschichte der Sintflut erzählt (deren Held nach anderer Überlieferung → Atram-Chasis heißt; → Sintflut / Sintfluterzählung im Alten Testament; → Sintfluterzählungen im Alten Orient). Doch wie soll Gilgamesch, dessen Los doch so ganz anders ist, den Tod überwinden können? Nicht einmal den „Schlaftest“, nämlich 7 Tage und Nächte wach zu bleiben, besteht er. Zuletzt kann er aber ein Verjüngungskraut aus den Tiefen des Meeres gewinnen, das er aber auf dem Weg zurück zu seiner Stadt Uruk verliert: Eine Schlange frisst es und häutet sich sofort, Zeichen ihrer Erneuerung. Das Epos lässt seinen Helden zuletzt auf die Stadtmauer verweisen: Sie soll für alle Zeiten an Gilgamesch und seine großen Taten erinnern. Und damit schließt sich ein Kreis, denn mit der Einladung, die Stadtmauer zu bewundern und von Gilgameschs Taten zu lesen, hatte das Epos eingesetzt (1:18-28). Die Weisheit, welche Gilgamesch erlangt hat, richtet sich somit an alle Menschen, die diesen Text lesen und bedenken.

Führt der erste Teil des Epos den Prototyp des erfolgreichen, kriegerischen Helden und Herrschers vor Augen, so zeichnet der zweite Teil eher den Prototyp eines weisheitlichen Heros, der die Grenzen zwischen Menschen und Göttern austestet; diese Grenzen scheinen für die altorientalische Antike nicht kategorisch, sondern an manchen Stellen durchlässig, verhandelbar, überspringbar. Das zeigt schon die Aussage des Epos, dass Gilgamesch zu zwei Dritteln Gott sei, geerbt von seiner göttlichen Mutter Ninsun, und nur zu einem Drittel Mensch. Wenngleich Gilgamesch mit seinem Anliegen scheitert, hat er doch durch seinen Grenzgang Wissen erlangt, welches das Wissen normal Sterblicher bei weitem übersteigt. Er ist zu einem herausragenden Weisen geworden, der Kunde gebracht hat von vielen für die Menschen, ihr Leben und ihre Kultur wichtigen Dingen und bedeutendem Wissen.

Übersicht über die einzelnen Tafeln

Tafel 1: Preis auf Gilgamesch und sein Werk. Uruk und Steppe – Erschaffung Enkidus: Der Rahmen, der den weisen und tatkräftigen Gilgamesch preist, bietet für den Leser bzw. Hörer eine Einladung, über die gewaltige Mauer, die Gilgamesch erbaut hat, zu staunen und von seinen Taten zu lesen.

Zur Entlastung von Uruk erschaffen die Götter Enkidu in der Steppe. Dorthin bringt der Fallensteller die Dirne Šamhat, um Enkidu den Tieren zu entfremden. Nach dem Liebeslager von Enkidu und Šamhat laufen die Tiere vor Enkidu davon. Šamhat lädt Enkidu ein, nach Uruk zu kommen, und erzählt zwei Träume Gilgameschs, welche diesem Enkidus Ankunft vorhergesagt haben.

Tafel 2: Hirten und Uruk – Zivilisierung und Freundschaft: Šamhat führt Enkidu in die Zivilisation ein und bei Hirten. Nach einem Kampf werden Gilgamesch und Enkidu zu Freunden. Enkidu erfährt Kummer, dessen Grund jedoch unklar bleibt. Für den Zug zum Zedernwald werden Beratungen und Vorbereitungen getroffen.

Tafel 3: Uruk – Ninsuns Gebete: Der Plan wird Gilgameschs Mutter Ninsun mitgeteilt. Sie bittet → Schamasch um Hilfe beim Zug zum Zedernwald und adoptiert Enkidu. Es folgt der Abschied.

Tafel 4: Unterwegs zum Zedernwald – Träume: Auf der schnellen Reise zum Zedernwald hat Gilgamesch fünf Träume. Von Ferne hören die Helden das Gebrüll des Humbaba, des Wächters des Zedernwalds.

Tafel 5: Im Zedernwald – Kampf und Tötung: Es folgen ein Streitgespräch und ein Kampf mit Humbaba. Trotz dessen Bitte um Schonung tötet Gilgamesch ihn auf Anraten Enkidus. Sie fällen Bäume und „die Zeder“, aus der Enkidu eine Tür für Nippur herstellt.

Tafel 6: In Uruk – Ischtar und Himmelsstier: Gilgamesch lehnt den Heiratsantrag der Göttin → Ischtar ab und schmäht sie. Aus Zorn schickt sie den verheerenden Himmelsstier, den die beiden Freunde besiegen. Von Enkidu wird Ischtar erneut verschmäht. Man feiert ein Fest in Uruk.

Tafel 7: In Uruk –Sterben Enkidus: [Erster Todestraum Enkidus: Die Götterversammlung beschließt seinen Tod.] Der Text bietet Flüche und Segnungen über die Tür aus Zedernholz, den Fallensteller und die Dirne. Dazwischen will Gilgamesch den Göttern ein Ersatzbild für seinen Freund geben, der jedoch abwehrt, weil er sein Schicksal besiegelt weiß. In einem zweiten Todestraum verschleppt ein Dämon Enkidu in die Unterwelt, und Enkidu stirbt.

Tafel 8: In Uruk – Totenklage: Wie ein Klageweib hält Gilgamesch Totenklage über seinen Freund. Er lässt eine kostbare Statue von ihm anfertigen und bringt den Unterweltsgottheiten Opfer dar. [Bestattung des Freundes, vermutlich in einem Grabbau im Fluss, vgl. Tafel 10:58-60 und die sumerische Erzählung von Gilgameschs Tod (dort für Gilgamesch)].

Tafel 9: Gang durch den Zwillingsberg zum Ende der Welt: Aus Furcht vor dem Tod durchstreift Gilgamesch die Steppe und gelangt bis zum Zwillingsberg, der den Himmel trägt und an die Unterwelt reicht. Dieser Berg wird von zwei Skorpionmenschen bewacht. Gilgamesch quert den Gang durch dieses Gebirge wie sonst der Sonnengott und gelangt in einen Edelsteingarten der Götterwelt.

Tafel 10: Fahrt über die Todeswasser zum Sintflutheld: Hier, am Rand der Welt, weist die Wirtin Siduri Gilgamesch den Weg zum Fährmann des Sintfluthelden Utnapischtim, mit dem er sich nach einem Kampf doch noch einigt und über die Wasser des Todes zu Utnapischtim gelangt. Der mahnt ihn, als König für die Menschen zu sorgen und sich um die Tempel der Götter zu kümmern (10:288f), d.h. die kultische Verehrung der Götter wieder wie vor der Sintflut einzurichten (1:41-44). Der Tod sei für die Menschen unausweichlich.

Tafel 11: Sintflut, Verjüngungskraut. Rückkehr nach Uruk. Rahmen: Auf die Frage, wie Utnapischtim die Unsterblichkeit erlangen konnte, berichtet dieser das „Geheimnis“ von der Sintflut, wie er und seine Frau durch eine Warnung des Weisheitsgottes Ea im Traum in einem Schiff überlebten und wie sie nach der Flut durch Enlil und die Götterversammlung unsterblich wurden. Gilgamesch kann die Prüfung, sieben Tage und Nächte wach zu bleiben, nicht bestehen. Auf Intervention seiner Frau verrät Utnapischtim Gilgamesch vom Kraut der Verjüngung, das der dann aus dem Meer heraufholt. Aufgetaucht befindet er sich wieder im irdischen Diesseits. Auf dem Rückweg nach Uruk entwendet eine Schlange das Kraut jedoch und häutet sich, verjüngt sich also.

Der Rahmen bietet für den Leser bzw. Hörer erneut eine Einladung zum Staunen über die gewaltige Mauer, die Gilgamesch gebaut hat.

Tafel 12: Schicksal der Toten: Um eine kostbare Sache für Gilgamesch aus der Unterwelt zurückzuholen, steigt Enkidu hinab und wird dort festgehalten. Auf Intervention des Weisheitsgottes Ea öffnet der Sonnengott Schamasch ein Loch, durch welches der Totengeist des Enkidu wieder emporkommt. Er beantwortet Gilgameschs Fragen über die Schicksale der verschiedenen Toten.

3.3. Form

Gestaltung im Detail: Das Gilgamesch-Epos ist geprägt von rhythmischer Sprache. Epische Formeln finden vielfach Verwendung wie z.B. mimmû šēri ina namāri „Beim ersten Schimmer der Morgenröte“ oder pâšu īpušma iqabbi izakkara „Seinen Mund tat er auf, er sprach mit den Worten (wörtlich: sprach und sagte) …“.

Die großflächige Gestaltung arbeitet z.B. mit der epischen Wiederholung. Da erzählt die Dirne Šamhat, als sie den wilden Enkidu in die Zivilisation einführt, einen Traum, den Gilgamesch geträumt hat, zweimal: Einmal im Bericht des Traumes, dann in der Deutung durch die Mutter Ninsun (1:247ff // 1:261ff). Oder Enkidu warnt Gilgamesch, später die Männer der Stadt vor dem gefährlichen Huwawa, dessen Mund Tod, dessen Atem Feuer sei; dieselbe Warnung wird dann den Ältesten in den Mund gelegt (2:221f // 2:278f // 2:291f).

Das Gesamtwerk der 11 Tafeln ist von einem formalen und semantischen Rahmen umgeben: Anfang und Ende des Werkes fordern dazu auf, die gewaltige Mauer und die von ihr umschlossene Stadt zu bewundern, die Gilgamesch hat erbauen lassen. Man kann in diesem formalen Kunstgriff m.E. unschwer dichtungstheoretische Konnotationen erkennen. Die Aufforderung, die Stadtmauer und die von ihr umschlossene Stadt zu bewundern, umschließt das Werk als Rahmen. Dieser Rahmen fungiert selbst wie eine Mauer. Dann aber ist die innerhalb der Mauer, d.h. des Rahmens, liegende „Stadt“ in konnotativer Übertragung nichts anderes, als das Werk selbst, das Epos von Gilgamesch! Dezent versteckt bedeutet dies, dass der oder die Dichter des Werkes selbst eine Art Anspruch anmelden, wie sie ihn dem Helden Gilgamesch in den Mund legen, den Anspruch, ein Werk zu schaffen, das höchste Bewunderung verdient. Und das die Zeitläufe überdauern soll.

Dass diese neue Deutung nicht fehlgeht, zeigen die Details: Zu Beginn des Epos in Tafel 1 ist der Leser oder Hörer des Textes selbst angesprochen, auf die Mauer zu steigen und sie zu bewundern.

„Auf, steig auf die Mauer von Uruk, ergeh dich dort!

Das Fundament prüfe, inspiziere das Ziegelwerk,

ob ihr Ziegelwerk nicht aus gebrannten Ziegeln ist,

und ihre Grundmauern nicht die Sieben Weisen legten!

Ein Šar (= etwas über anderthalb Quadratmeilen) ist Stadt, ein Šar sind Baumgärten, ein Šar sind Tongruben, ein halbes Šar ist der Tempel der Ischtar.

Drei Šar und ein halbes, das ist Uruk, (seine) Maße.“ (Gilgamesch-Epos 1:18-23)

Es ist also von Anfang des Textes an ein Dialog zwischen Autor bzw. Autoren und Lesern (1:27f) intendiert. Dass der Leser auf der Mauer von Uruk herumspazieren soll, ist denotativ, in erster Lesart ein genialer dichtungstechnischer Schachzug, um den Leser mitten ins Geschehen hineinzunehmen. Aber dahinter steckt noch mehr. Die Aufforderung zur Lektüre des Werkes und zur Bewunderung der Taten des Gilgamesch ist zugleich die Aufforderung an den Leser, das Werk selbst, das literarische Kunstwerk über Gilgamesch zu bewundern. Wenn es am Ende von Tafel 11 dann der Fährmann des Sintfluthelden ist, der Gilgamesch auf seinem Rückweg von Utnapischtim begleitet hat, und der nun mit genau denselben Worten wie der Leser / Hörer in Tafel 1 zum Bewundern von Mauer und Stadt eingeladen wird, so lässt sich in ihm das Modell des Lesers / Hörers erblicken, der Gilgamesch auch noch auf seinem letzten Weg begleitet hat, d.h. der das Werk bis zu seinem Ende gelesen hat.

3.4. Moderne Deutungen

Moderne Studien zum Gilgamesch-Epos haben auf ganz unterschiedliche Aspekte dieses vielschichtigen Werkes aufmerksam gemacht. Einige von ihnen sollen im Folgenden ganz knapp angeführt werden. Es handelt sich um die Themen: Menschliches Leben; Tod und Sterblichkeit; Freundschaft; Erwachsenwerden; Natur versus Kultur; Konflikt der Werte; Dichtungstheorie.

Die großen Themen des menschlichen Lebens überhaupt und der Todes-Problematik beschreiben viele Forscher als zentrales Anliegen des Gilgamesch-Epos. Nach Oberhuber (1977) wird „Gilgamesch … zum Sinnbild des menschlichen Lebens“, das Epos sei „eine in hohem Maße existentialistische Dichtung“. Abusch (1986, 183): In der älteren Fassung denkt der Mensch Gilgamesch, er könne Gott und damit unsterblich werden. In der jüngeren Fassung (mit Hinzunahme von Tf. 6) denkt der Gott Gilgamesch, er könne Mensch werden, und dadurch dem Tod entgehen. George (1998, 179ff) erkennt im Gilgamesch-Epos einen Fortschritt bis zur Akzeptanz der eigenen Sterblichkeit (vgl. auch de Liagre Böhl, 1953, 234-262). Dass der Kompilator bzw. die Kompilatoren des Gilgamesch-Epos ein immenses Interesse am Tod und am Leben nach dem Tod hatten, zeigt sich insbesondere an den Auszügen aus der sumerischen Dichtung Gilgamesch, Enkidu und die Unterwelt, die in akkadischer Übersetzung, als eigene Tafel 12, an das Epos angehängt wurde und vom Schicksal der Menschen nach dem Tod berichtet.

Doch werden auch andere Aspekte betont: Furlani (1958) sieht im Epos den Wert der Freundschaft zwischen Männern im Unterschied zur Frauenliebe betont (→ Freundschaft).

Jacobsen (1976, 218f) interpretiert das Gilgamesch-Epos als Geschichte des Erwachsenwerdens. Gilgamesch wehre sich dagegen, wolle bei seinem „Kumpel“ Enkidu bleiben, fliehe vor dem Tod, den das präaduleszente Stadium des Menschen nicht kenne. Der Sintflutheld und seine Frau seien als Elternfiguren zu verstehen.

Nach Westenholz / Koch (2000) prägt der Gegensatz zwischen Natur und Kultur das Epos. Beide Bereiche, dargestellt als Steppe und städtische Zivilisation, würden in ihren positiven und negativen Auswirkungen gegeneinander abgewogen.

Für Abusch (2001, 614-622) spiegeln die verschiedenen Versionen des Epos und seiner Vorläufer Konflikte zwischen verschiedenen Werten der mesopotamischen Kultur, die sich aus den neuen Errungenschaften des Helden ergeben: zunächst, in der altbabylonischen Zeit, gehe es um den Konflikt zwischen Held und Mann; in der 11-Tafel-Version gehe es um den Konflikt zwischen Held und König; in der 12-Tafel-Version schließlich um den Konflikt zwischen Held und Gott.

Dass die Gestalt des Gilgamesch auch mit Zügen eines „cultural hero“, eines Kulturbringers, ausgestattet ist (v.a. im zweiten Teil des Epos und in der Einleitung von Tafel 1), zeigt George (2003, 92ff): Gilgamesch führt Techniken ein, mit denen er eine neue Aufgabe bestehen kann (98): Er erklimmt Berge, gräbt Brunnen, die den Weg durch die Wüste gangbar machen, überquert den Ozean mit einem Segel, taucht im Meer. Außerdem erschlägt er Stiere. Man kann mit Blick auf die sumerischen Quellen hinzufügen, dass auch das Fällen von Bäumen als neue Errungenschaft angesehen wird.

Zur Dichtungstheorie, die im Gilgamesch-Epos sichtbar wird, vgl. oben 4. Form.

Literaturverzeichnis

1. Wichtige Textausgaben

  • George, A.R., 2003, The Babylonian Gilgamesh Epic – Introduction, Critical Edition and Cuneiform Texts, Oxford (Lit.!)
  • Maul, S., 2005, Das Gilgamesch-Epos, München

2. Weitere Literatur

  • Abusch, T., 1986, Ishtar’s Proposal and Gilgamesh’s Refusal: An Interpretation of The Gilgamesh Epic, Tablet 6, Lines 1-79, History of Religions 26, 143-87
  • Abusch, T., 2001, The Development and Meaning of the Epic of Gilgamesh: An Interpretive Essay, JAOS 121, 614-622
  • Cavigneaux, A. / Al-Rawi, F.N.H., 1993, Gilgameš et Taureau de Ciel (šul-mè-kam). Textes de Tell Haddad IV, RA 87, 97-129
  • Cavigneaux, A. / Al-Rawi, F.N.H., 2000a, La fin de Gilgameš, Enkidu et les Enfers d’après les manuscrits d’Ur et de Meturan (Textes de Tell Haddad VIII), Iraq 62, 1-19
  • Cavigneaux, A. / Al-Rawi, F.N.H., 2000b, Gilgamesh et la Mort: Textes de Tell Haddad VI avec un appendice sur les textes funéraires sumériens (CM 19), Groningen
  • Edzard, D.O., 1990, Gilgameš und Huwawa A, I. Teil, ZA 80, 165-203
  • Edzard, D.O., 1991, Gilgameš und Huwawa A, II. Teil, ZA 81, 165-233
  • Edzard, D.O., 1993, „Gilgameš und Huwawa“. Zwei Versionen der sumerischen Zedernwaldepisode nebst einer Edition von Version „B“ (Sitzungsberichte der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Philosophisch-historische Klasse, Heft 1993), 1-16
  • Frayne, D.R., 1999, The Birth of Gilgameš in Ancient Mesopotamian Art, Bulletin of the Canadian Society for Mesopotamian Studies 34, 39-49
  • Furlani, G. (Hg.), 1958, Miti Babilonesi e Assiri, Firenze
  • George, A.R., 1998, The Day the Earth Divided: A Geological Aetiology in the Babylonian Gilgamesh Epic, in 34. CRRA, Istanbul 1987, 179ff
  • Jacobsen, T., 1976, The Treasures of Darkness. A History of Mesopotamian Religion, New Haven
  • Jacobsen, Th., 1989, Lugalbanda and Ninsuna, JCS 41/1, 69-86
  • Katz, D., Gilgameš and Akka, Groningen 1993
  • Liagre Böhl, F.M.Th. de, 1953, Das Problem des ewigen Lebens in den verschiedenen Stadien der Gilgamesch-Dichtung, in: ders., Opera Minora, Groningen, 234-262
  • Shaffer, A., 1963, Sumerian Sources of Tablet XII of the Epic of Gilgamesh (University Microfilms), Ann Arbor
  • Veldhuis, N., 2001, The Solution of the Dream: A New Interpretation of Bilgames’ Death, JCS 53, 133-148
  • Westenholz, A. / Koch-Westenholz, U., 2000, Enkidu – The Noble Savage?, in: A.R. George / I.L. Finkel (Hgg.), Wisdom, Gods, and Literature (FS W.G. Lambert), Winona Lake, 437-451
  • Wilcke, C., 1976, Kollationen zu den sumerischen literarischen Texten aus Nippur in der Hilprecht-Sammlung Jena, Berlin
  • Wilcke, C., 1998, „Gilgameš und Akka“. Überlegungen zur Zeit von Entstehung und Niederschrift , wie auch zum Text des Epos mit einem Exkurs zur Überlieferung von „Šulgi A“ und von „Lugalbanda II“, in: M. Dietrich / O. Loretz (Hgg.), Dubsar anta-men. Studien zur Altorientalistik (FS W.H.Ph. Römer; AOAT 253), Münster, 457-485
  • Wilcke, C., 2004, Der Schluß von „Gilgameš’s Tod“ in der Version von Me-Turan (Tall Haddad), NABU 98
  • Zgoll, A., 2006, Antoine Cavigneaux – Farouk N.H. Al-Rawi, Gilgameš et la Mort. Textes de Tall Haddad VI avec un appendice sur les textes funéraires sumériens. CM 19. Groningen 2000, Zeitschrift für Assyriologie 96, 116-123

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