Deutsche Bibelgesellschaft

Garizim, Heiligtum

Andere Schreibweise: Samaritan Temple; Mount Gerizim; Hargarizim

(erstellt: Juni 2019; letzte Änderung: Dezember 2021)

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1. Der Berg Garizim und seine Grabungsgeschichte

Der Berg → Garizim ist Teil des Gebirges Ephraim, in dessen Zentrum die Ebene von → Sichem – dem heutigen Nablus – liegt, begrenzt durch die Berge → Ebal im Norden und Garizim im Süden. Hier kreuzten sich in der Antike eine Nordsüd- und eine Ostwestverkehrsverbindung, sodass für diese Ebene wie für ganz Samaria deutlich bessere infrastrukturelle Ausgangsbedingungen vorherrschten als für das benachbarte Juda.

Mit den 886m ü. NN des Garizim und 938m ü. NN für den Ebal sind die beiden Berge die höchsten ihres Umlands. Sowohl aufgrund der geographischen Lage, als auch aufgrund der kultischen Bedeutung des Ortes, die sich bis in das 2. Jahrtausend v. Chr. zurückverfolgen lässt (Papyrus Anastasi I), kann der Garizim als „geradezu typischer ‚Heiliger Berg‘“ bezeichnet werden (Hensel 2016, 44).

Bis zu der archäologischen Erschließung des Garizims stellte Flavius Josephus (Ant. 11, 297-347) die einzige Quelle dar, die das antike Heiligtum der Samaritanerinnen und → Samaritaner auf dem Berg schilderte. Doch vor dem Hintergrund des gegenwärtigen Forschungsstandes kann die Bezeugung der Existenz des samaritanischen Heiligtums auf dem Garizim als einziger historischer Wert von Josephus’ Bericht über den Ort angesehen werden, da sich seine Darstellungen – angefangen bei der Datierung des Baus bis hin zu seiner Schilderung des Kultbetriebs – als deutlich tendenziös und diffamierend erwiesen (Hensel 2016, 401-404).

Zwischen 1983 und 2003 wurden unter der Leitung von Yitzhak Magen große Teile eines samaritanischen Heiligtums und einer es umgebenden hellenistischen Stadt auf dem Garizim ausgegraben. Ein Zeus-Tempel aus römischer Zeit am nördlichen Kamm des Berges sowie eine Marienkirche auf dem Gipfel des Garizims wurden bereits während vorheriger archäologischer Expeditionen erschlossen. Magens Ausgrabungen konnten die These widerlegen, dass das samaritanische Heiligtum unter den Überresten jenes römischen Zeus-Tempels zu suchen sei, der auf einem der niedriger gelegenen Gipfel des Berges stand (Tell er-Ras). Vielmehr konnte gezeigt werden, dass dieses auf dem Ǧebel eṭ-Ṭōr, dem höchsten Punkt des Garizims gestanden hat und in byzantinischer Zeit durch jene Marienkirche überbaut wurde.

2. Der Tempelbezirk

Das Heiligtum für den Gott JHWH, das auf dem Garizim zwischen Mitte des 5. Jh.s v. Chr. und ca. 111 v. Chr. stand, war der kultische Fixpunkt der samarischen JHWH-Verehrerinnen und -Verehrer, aus denen in Kooperations- und Abgrenzungsprozessen mit der benachbarten JHWH-Gemeinde um Jerusalem die bis heute bestehende samaritanische Religionsgemeinschaft hervorging. Die archäologische Evidenz (Überblick über das → Areal) zeigt deutlich, dass sich die Zeitspanne der Existenz des Heiligtums in zwei Bauphasen einteilen lässt. So wurde der erste dort nachweisbare Bau in der Perserzeit errichtet und bestand für ca. 250 Jahre bis zum Ende des 3. Jh.s v. Chr., als das bestehende Heiligtum durch umfassende Aus- und Umbaumaßnahmen neu gestaltet wurde. Dieses hellenistische Heiligtum prägte die Erscheinung des Berges bis zu seiner Zerstörung um das Jahr 111 v. Chr. (online verfügbarer → Ausgrabungsplan).

2.1. Der Tempelbezirk in persischer Zeit

2.1.1. Der Befund

Der perserzeitliche Tempelbezirk ist der erste Bau, der auf dem Garizim archäologisch nachweisbar ist, und wurde in der Mitte des 5. Jh. v. Chr. errichtet. Die Fläche des Heiligtums maß ca. 98x96m und war von einer ca. 1,3m dicken Mauer umgeben. Bis heute ist die Westmauer mit einer Höhe von bis zu 2m in ganzer Länge erhalten. Es führte kein Tor durch diese Mauer, da in diesem Teil des Distrikts, der Westmauer zugewandt, wahrscheinlich das antike Allerheiligste zu lokalisieren ist, wo sich das – bis auf den heutigen Tag – samaritanische Heiligtum der 12 Steine befindet. Diese 6,5x18m große Struktur datiert Magen zufolge bereits in die Perserzeit. Er interpretiert sie als Überrest des perserzeitlichen Tempelgebäudes, welches im Inneren der Umfassungsmauern gestanden haben soll (vgl. dagegen Zangenberg, 409). Aufgrund seiner der Westmauer zugewandten Lage (so analog auch für das Allerheiligste des Jerusalemer Tempels anzunehmen) sowie aufgrund des Befundes, dass an einer derart zentralen Stelle im Tempelbezirk die hellenistischen Baumaßnahmen jene Struktur offenbar unberührt ließen, identifiziert Magen den Ort mit dem Allerheiligsten eines perserzeitlichen Tempelgebäudes (Magen 2008c, 113-114). Eine solche Annahme muss jedoch, wie so vieles in Magens Rekonstruktion, in den Bereich der Hypothesen eingeordnet werden.

Auch die Nordmauer konnte in beinahe ganzer Länge ausgegraben werden. In ihrer Mitte fand man ein 15x14m großes Sechskammertor, das während dieser ersten Phase des Heiligtums, angebunden an die Straße in Richtung Sichem, wahrscheinlich als Haupteingang diente. Im Osten und Süden der Anlage vermutet der Ausgräber ebenfalls Sechskammertore, die in das Innere des Bezirks geführt haben sollen, auch wenn spätere hellenistische Bauaktivitäten hier vieles zerstörten und diese daher archäologisch nicht nachweisbar sind.

Die Umfassungsmauern des perserzeitlichen Bezirks bestanden aus unbehauenen Steinen, die vor Ort aus dem Fels gebrochen wurden. Durch die Verwendung behauener Steine aus Steinbrüchen während des hellenistischen Ausbaus lassen sich die beiden Bauphasen gut differenzieren.

Es gibt keine archäologischen Belege für ein vorperserzeitliches Heiligtum auf dem Garizim. Angeblich eisenzeitliche Volutenkapitelle, die einer früheren These Magens zufolge in sekundärer Nutzung im persischen Heiligtum verbaut wurden, konnten mittlerweile als perserzeitliche, also primäre Elemente des Heiligtums, identifiziert werden (Zangenberg, 401-404). Doch kann aufgrund seiner geographischen Lage, der Prominenz des Berges im Alten Testament sowie der religionsgeschichtlichen Unwahrscheinlichkeit einer perserzeitlichen Neugründung statt anzunehmender Kultkontinuität durchaus von einem Vorgängerheiligtum auf dem Garizim ausgegangen werden. Ausgehend von dem Negativbefund eines entsprechenden Heiligtums in Samaria-Stadt wurde sogar angedeutet, es könnte sich hier bereits ein zentrales JHWH-Heiligtum zur Zeit des Nordreichs befunden haben (Dexinger, 106-107). Andere Ansätze erkennen Spuren etwa im Text des Deuteronomiums (Schorch in Dtn 12 und Dtn 27) oder der Königebücher (Dušek 2014, 130-132, in 2Kön 23,15-18), die ursprünglich auf ein vorperserzeitliches Heiligtum auf dem Garizim hingewiesen hätten. Archäologisch ist dies nicht zu überprüfen, da durch die hellenistischen sowie byzantinischen Bautätigkeiten selbst vom perserzeitlichen Heiligtum nur noch wenig zu erkennen ist.

2.1.2. Zum Charakter des Heiligtums in persischer Zeit entlang der archäologischen Funde

Östlich an das Nordtor anschließend stand ein Haus, in dem massenweise verbrannte Tierknochen und Asche gefunden wurden, die Anlass für eine Diskussion um den Charakter des Heiligtums gaben. Von den insgesamt 400.000 Tierknochen, die innerhalb des Distrikts gefunden wurden, datieren die meisten in persische Zeit. Darunter befinden sich vor allem die Knochen von ca. einjährigen Schafen, Ziegen, Rindern und Tauben, was an die Kultvorschriften aus Lev 1-6 erinnert (Magen u.a. 2004, 9). Im gleichen Gebäude wurde darüber hinaus ein tönerner Nebenaltar gefunden, den Magen mit dem in Lev 1,16 erwähnten „Ort der Fettasche“ in Verbindung bringt, wohin die Überreste von Opfern auf dem Hauptaltar gebracht wurden, um schließlich gänzlich zu verbrennen (Magen 2008a, 31).

In ähnlicher Weise weiß Magen weitere Fundstücke mit entsprechenden Passagen aus dem Pentateuch zu verbinden: Eine kleine Glocke etwa soll dem Ausgräber zufolge nach Ex 28,33-35 am Gewand des Hohepriesters angebracht gewesen sein. Auch eine Kupferschlange erinnere an Num 21,4-9, wo Mose eine solche an einem Stab anbrachte, um die Israeliten vor Plagen und Schlangen zu schützen (Magen 2008a, 31-32).

Wie skeptisch man Magens etwas zu weitreichenden Analogieschlüssen an dieser Stelle auch begegnen mag (und sollte), so zeichnet der archäologische Befund aus persischer Zeit doch das Bild eines florierenden Opferkultes auf dem Garizim, das keinen Anlass gibt von einer ‚synkretistischen’ Praxis der Samaritanerinnen und Samaritaner auszugehen, wie sie durch Josephus und deuteronomistisch überformte Geschichtswerke der Hebräischen Bibel impliziert worden ist. So fanden sich keinerlei Anzeichen, die den in diesen Werken polemisch erhobenen Anschuldigungen gegen die samaritanische Kultgemeinde recht gäben, wie etwa die der Verehrung verschiedener mesopotamischer Gottheiten neben JHWH (vgl. 2Kön 17,24-41). Vielmehr deutet der Befund auf einen JHWH-Tempel hin, der sich an solchen Kultbestimmungen orientierte, welche sich analog auch im Pentateuch finden. Demnach handelte es sich bei dem Heiligtum auf dem Garizim mit seiner Gemeinde also keineswegs um eine sektirische Spaltung vom Jerusalemer Mutterkult, sondern um eine Facette der Größe „Israel“, die genauso genuin Teil einer sich herausbildenden JHWH-Religion war wie die benachbarte Kultgemeinde um Jerusalem. Beachtet man zudem die marginale Größe und politische Bedeutung Jerusalems in der frühen Perserzeit im Kontrast zu den zeitgleichen monumentalen Bautätigkeiten und dem florierenden Opferbetrieb auf dem Garizim, scheint es sogar plausibel anzunehmen, dass die Kult(ur)-Dominanz des Nordens über den Süden aus der Königszeit auch in nachexilischer Zeit nicht an ihr Ende gekommen war. Mit anderen Worten: „Wenn man für die spätpersische Zeit nach einer großen Jahwe-Gemeinschaft in der südlichen Levante sucht, dann findet man diese hier, bei den ‚Samaritanern’, auf dem Garizim und nicht in Jerusalem“ (Schipper, 85-86).

Es gab also ab persischer Zeit zwei JHWH-Gemeinden in Palästina, die nicht nur die gleiche Kultpraxis teilten, sondern für sich jeweils den Titel ‚Israel’ beanspruchten und von anderen auch als solches verstanden wurden. Thesen der älteren Forschung, die Samaritanerinnen und Samaritaner hätten spezifisch jüdische Traditionen einfach adaptiert und seien somit eine ‚jüdische Sekte’, sind abzulehnen. Stattdessen ist während der Perserzeit mit regelmäßigem und engen Kontakt sowie Kooperationen zwischen beiden Gruppen, auch auf Ebene der kultischen Eliten zu rechnen, wie v.a. der gemeinsame Pentateuch belegt (Hensel 2016, 405-408; Römer, 79-81; Böhm).

In der älteren Forschung wird häufig das Wort ‚synkretistisch’ verwendet, um die samaritanische Religionsgemeinschaft zu beschreiben. Auch in jüngeren Veröffentlichungen findet dieses Wort regelmäßig Verwendung, um in der Negation des Ausdrucks den Kult auf den Garizim zu charakterisieren. Dieser sei hier also gerade nicht synkretistisch gewesen, sondern viel mehr ‚Tora-konform’ bzw. ‚-observant’. Beide Fälle führen in die Irre: So impliziert die These, ein Kult sei synkretistisch bzw. nicht synkretistisch, dass ein Original, im Sinne einer vollständig ausgeprägten Religionsgemeinschaft, existiere, von dem etwas abweichen oder mit ihm übereinstimmen könne. Doch genau das war für den perserzeitlichen JHWH-Kult in Palästina nicht der Fall, weder für den Jerusalemer noch für den Samarischer Prägung. Vielmehr kann die Perserzeit genau als diejenige Epoche gelten, in der sich viele Identitätsmarker der JHWH-Religion überhaupt erst herausbildeten. Für den Garizim wie für Jerusalem bedeutet das, dass sich hier überhaupt erst jenes ‚Original’ zu verfestigen begann, von dem ausgehend spätere Strömungen von ihren Zeitgenossen als synkretistisch diffamiert werden konnten. Vor diesem Hintergrund wird deutlich, dass die Verwendung des Wortes ‚synkretistisch’ in Bezug auf die palästinensischen JHWH-Kulte der Perserzeit der Komplexität der Religionsgeschichte Israels nicht hinreichend Rechnung trägt.

2.1.3. Die Frage nach der Datierung des perserzeitlichen Heiligtums

Bzgl. der Datierung der perserzeitlichen Anlage ist die Diskussion alles andere als abgeschlossen (Pummer, 61-64). Nachdem Magen 2007 mit Verweis auf eine zyprische Münze, welche im Tempelbezirk gefunden wurde und ca. im Jahre 480 v. Chr. geprägt wurde, die erste Bauphase klar in die Mitte des 5. Jh.s v. Chr. datierte, wurde dasselbe Argument gegen ihn verwendet: Nur eine einzige von 68 perserzeitlichen Münzen datiere in die erste Hälfte des 5. Jh.s, was für eine Datierung nicht ausreiche. Darüber hinaus argumentieren spätere Datierungen mit dem Elephantine-Brief aus dem Jahre 407 v. Chr. Dieses sowohl an Autoritäten in Yehud als auch in Samaria gewandte Schreiben erwähnt zwar den Hohepriester von Jerusalem, bezüglich Samarias adressiert es aber an die Söhne des Statthalters Sanballat. Diese Nichterwähnung einer Garizimer Priesterschaft solle belegen, dass das Garizim-Heiligtum zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht existiert habe, sofern die Briefschreiber von dessen Existenz wussten bzw. diese nicht bewusst ignorierten. Des weiteren zeigten Ausgrabungen auf dem Tell Balāṭa, dem antiken → Sichem, dass dieser Ort zwischen ca. 475 und 325 v. Chr. nicht oder nur sehr spärlich besiedelt war. Um ein Kultzentrum wie das auf dem Garizim versorgen zu können, bedurfte es aber einer Anbindung an einen Ort, der zu einer solchen Versorgung auch wirtschaftlich in der Lage war. Diesen Argumenten zufolge sei eine Datierung der perserzeitlichen Anlage in das 5. Jh. nicht haltbar.

Dem erwiderten Vertreterinnen und Vertreter der Datierung Magens jedoch, dass bereits ein stratifizierbarer Münzfund ein starkes Argument sei, zumal zu bedenken sei, dass perserzeitliche Münzen von ausgesprochen kleiner Größe waren. Dadurch könne eine Verzerrung der Evidenz vorliegen, da während der Ausgrabungen keine Metalldetektoren eingesetzt wurden und somit weitere Münzen möglicherweise verloren gingen. Bezüglich des Elephantine-Briefes gelte es, die Besonderheiten des Perserreiches zu berücksichtigen, welches lokale Eliten in die eigene Verwaltung integrieren konnte. Der Jerusalemer Hohepriester könnte daher theoretisch auch die zivile Administration über Yehud ausgeübt haben, könnte insofern also in dieser Rolle in Sanballats Söhnen sein samarisches Äquivalent gefunden haben (vgl. Römer, 81). Auch in Bezug auf die Versorgung des Garizim Heiligtums zeigten Surveys, dass das Umland zu keinem Zeitpunkt bis in byzantinische Zeit hinein so dicht besiedelt war und so viele Ortslagen aufwies wie in persischer Zeit – auch wenn Sichem selbst verlassen war. All diese Orte zusammen ermöglichten eine Versorgung des Garizims (Zangenberg, 406-407; Hensel 2016, 68-72).

Vor diesem Hintergrund wird verständlich, dass ein Großteil der Forschung mittlerweile die These Magens einer Datierung des Baus in die Mitte des 5. Jh.s v. Chr. übernimmt. Demnach bestimmte dieser perserzeitliche Komplex 250 Jahre, bis zu den hellenistischen Aus- und Umbaumaßnahmen, das Erscheinungsbild und den Kult auf dem Garizim.

2.2. Der Tempelbezirk in hellenistischer Zeit

2.2.1. Der Befund

Nach der Eroberung Samaria-Stadts durch Alexander den Großen und ihrer Umwandelung in eine Militärkolonie entstand eine Stadt auf dem Garizim um den perserzeitlichen Tempelbezirk herum. Doch erst ab ca. 200 v. Chr. wurde auch der Tempelbezirk erheblich aus- und umgebaut. Durch diese Erweiterungen entstand ein Areal, das nach Magens vermutlich etwas zu wohlwollender Annahme bis zu 10.000 Pilgerinnen und Pilger fassen konnte. Anders als in persischer Zeit wurden für diesen Ausbau nun behauene Steine aus Steinbrüchen verwendet. Die Sechskammertore wurden zu großen Vierkammertoren umgebaut und die Außenmauern des perserzeitlichen Komplexes auf ca. 2,9m verstärkt. Die Mauern des hellenistischen Distrikts waren nun – untypisch für die hellenistische Architektur Palästinas – weiß verputzt, was dem hoch über der Ebene von Sichem gelegenen Heiligtum ein imposantes Aussehen verliehen haben muss. Zwar blieb der Kern der Anlage in seiner Größe bestehen, doch verdoppelte sich die Fläche des gesamten Komplexes durch zahlreiche Anbauten beinahe.

Dieser Ausbau betraf vor allem den Bezirk an seiner Süd- und Ostseite, wo die bestehenden Mauern nicht nur verstärkt, sondern durch zahlreiche weitere Strukturen ergänzt wurden. Zentral im Süden schlossen sich an den Bezirk nun öffentliche Gebäude an, die wahrscheinlich der kultischen wie zivilen Verwaltung des Garizims dienten. An der südöstlichen Ecke des Tempelbezirks wurde auf einer Fläche von 24x25m eine mindestens zweistöckige Festung errichtet, während an der südwestlichen Ecke ein durch einen Turm befestigter Treppenaufgang den Eingang in den Tempelbezirk ermöglichte. Durch die Verstärkung der Mauern, verschiedentlich gesicherte Toranlagen und die angrenzende Festung konnte der Tempelbezirk in seiner zweiten Bauphase – im Unterschied zu der ihn umgebenden Stadt – als befestigt gelten.

Auch angrenzend an die Umfassungsmauer des Tempelbezirks wurde an den steil nach Osten hin abfallenden Hang eine Treppenanlage errichtet. Von diesem monumentalen, 34m langen, sich nach oben hin verjüngenden Treppenaufgang sind heute noch mehr als die Hälfte der Stufen erhalten. Einen Höhenunterschied von ca. 15,5m überwindend führte die Treppe von einem an ihrem Fuße gelegenen Zweikammertor nach oben zu einem großen Vierkammertor in der östlichen Umfassungsmauer des Tempelbezirks, das in dieser Zeit wahrscheinlich als Haupteingang diente. Südlich und Nördlich dieser Treppenanlage schlossen sich große Höfe für die zahlreichen Pilgerinnen und Pilger an.

Aus der Problematik des Aus- und Umbaus des Heiligtums bei gleichzeitiger Aufrechterhaltung des Kultbetriebs heraus erklärt Magen einen Vorsprung in der Nordmauer des hellenistischen heiligen Bezirks. Demnach habe das Nordtor des perserzeitlichen Komplexes während des hellenistischen Umbaus als Eingang gedient, damit der Tempelbezirk auch während der Bauarbeiten weiter genutzt werden konnte. Das neue Tor sei daher nordöstlich neben dem perserzeitlichen Nordtor gebaut worden, das erst nach der Fertigstellung des hellenistischen Tores zugedeckt wurde. Hierin könnte dann auch der Grund ausgemacht werden, warum das perserzeitliche Nordtor als einziges archäologisch nachweisbar ist, während zwei angenommene weitere Tore durch die hellenistische Überbauung nicht mehr greifbar sind.

Es ist auffällig, dass die massive Erweiterung des Heiligtums zeitlich mit dem Machtwechsel zwischen Ptolemäern und Seleukiden in Palästina zusammenfällt. Zusammen mit dem Befund in 2Makk 5,22-23, wonach ein seleukidischer Beamter auf dem Garizim eingesetzt wurde, sowie der wirtschaftsstrategisch günstigen Lage des Garizims im Allgemeinen hat dies zu der These geführt, der Garizim sei in seleukidischer Zeit ein offizielles Staatsheiligtum mit steuerlichen Privilegien gewesen (dazu Hensel 2016, 49). Die ca. 14.000 Münzen aus hellenistischer Zeit, die insgesamt auf dem Garizim gefunden wurden, sind ein starkes Indiz für eine solche Annahme.

Bis zu seiner Zerstörung unter dem Hasmonäer Johannes Hyrkan um das Jahr 111 v. Chr. bestand das hellenistische Heiligtum für ca. 90 Jahre. Die späteren Bauaktivitäten der Byzantiner an dieser Stelle zerstörten, was immer sich innerhalb des Tempelbezirks befunden hatte, und ließen lediglich die Umfassungsmauer stehen.

2.2.2. Zum Charakter des Heiligtums in hellenistischer Zeit entlang der Garizim-Inschriften

Rund 500 Inschriften wurden auf dem Garizim, größtenteils auf dem Gebiet des Tempelbezirks, gefunden. Alle diese Inschriften wurden in Stein eingraviert. Lediglich eine einzige konnte in situ gefunden werden, da die Steinquader, auf denen sie zu lesen waren, in byzantinischer Zeit sekundär verbaut wurden. Sämtliche Inschriften datieren höchstwahrscheinlich erst in die zweite Bauphase des Heiligtums (Pummer, 66-67; Hensel 2016, 52-53). Bei diesen Inschriften handelt es sich größtenteils um private Weiheinschriften. Für ihre Anfertigung wurde zunächst auf den Stein vorgeschrieben, um die Vorlage anschließend von Steinmetzen eingravieren zu lassen, wodurch eine relativ hohe Qualität der Inschriften erreicht wurde. So deuten sie nicht nur auf einen professionalisierten Tempelbetrieb in dieser Zeit auf dem Garizim hin, sondern auch auf dessen wirtschaftliche Potenz und Ausrichtung. Die Inschriften, deren Text einem genauen Formular folgte, geben Auskunft über die Kultteilnehmerinnen und -teilnehmer auf dem Garizim, wie sie hießen, woher sie kamen und was sie opferten. So lassen sich aus ihnen auch Schlüsse über den Charakter des praktizierten Kults selbst, der – ein Negativbefund hellenistischer Ikonographie, mythologischer Bilder auf griechischer Keramik sowie bildlicher Darstellungen von Gottheiten, Menschen oder Tieren legt das nahe – in dieser Zeit wahrscheinlich als ein bildloser Kult betrieben wurde.

Der Großteil der hier belegten Namen ist hebräisch und aus der Bibel bzw. der Geschichte Israels wohl bekannt. Viele Namen werden außerdem über die theophoren Elemente ya oder el gebildet. Darüber hinaus tragen einige von ihnen den Titel Priester (Magen u.a. 2004, No. 24-25, No. 253-254 No. 382, No. 257-259 No. 388-389) oder Levit (vgl. Knoppers, 165: lediglich Personenname) als Zusatz. Möglicherweise findet sich auch ein Beleg für den Titel des Hohepriesters (Magen u.a. 2004, No. 384, vgl. Hensel 2016, 58). Die meisten Namen der in den Widmungsinschriften erwähnten Spenderinnen und Spender, sind männlich, in einigen Fällen sind aber auch ein Mann und eine Frau gleichermaßen genannt, in wenigen weiteren sogar nur ein weiblicher Name.

Der Großteil der erwähnten Ortsnamen scheint sich auf in der Nähe des Garizim gelegene Siedlungen zu beziehen. Deutlich wird aber auch, dass es nach der makedonischen Eroberung von Samaria-Stadt dort weiterhin Anhängerinnen und Anhänger des JHWH-Kults gegeben hat (Magen u.a. 2004, No. 14-15). Darüber hinaus ist der Name Yehud belegt, allerdings als Personenname, der wahrscheinlich die Herkunft eines Spenders aus der im Süden angrenzenden Verwaltungseinheit um Jerusalem impliziert (Magen u.a. 2004, No. 49; vgl. Pummer, 69). Es scheint also durchaus vorgekommen zu sein, dass auf Jerusalem ausgerichtete JHWH-Verehrerinnen und Verehrer am Kult auf dem Garizim teilnahmen. Eine strikte Trennung beider Kultgemeinden, wie sie etwa die Bücher Esra und Nehemia implizieren, kann so durch den archäologischen Befund nicht gestützt werden.

Als Termini für den auf dem Garizim verehrten Gott begegnen hier die Bezeichnungen Adonai, Elohim und in einem Fall auch das Tetragramm JHWH (Magen u.a. 2004, No. 383), die auch in der Hebräischen Bibel am häufigsten Verwendung finden. Zusammen mit der Erwähnung entsprechender Opfertiere, die mit den Knochenfunden (s.o.) übereinstimmen, deutet das darauf hin, dass der hier praktizierte Kult weitgehende Analogien zu dem in Lev 1-6 beschriebenen aufweist (Hensel 2016, 57).

Die Inschriften verdeutlichen einmal mehr, dass es sich in hellenistischer Zeit bei den Kultorten auf dem Garizim sowie auf dem Zion um zwei Facetten einer religionsgeschichtlichen Entwicklung handelte: „Nothing indicates, however, that the worship of Yhwh on Mt. Gerizim at that time differed from the one in Jerusalem. (…) The culture of the Samaritans was to a large extent indistinguishable from that of the Jews“ (Pummer, 77). So unterscheiden sich die beiden palästinensischen JHWH-Gemeinden, die seit der Perserzeit nebeneinander im Land existierten, bis tief in hellenistische Zeit in erster Linie durch ihre lokale Ausrichtung. In diesem Kontext erscheint die formative Phase der später als Judentum und samaritanische Religionsgemeinschaft zu bezeichnenden Größen als ein wechselseitig eng aufeinander bezogener, von Kooperation (wie im Fall des gemeinsamen Pentateuchs; vgl. Böhm) und Abgrenzung (in der lokalen Ausrichtung) geprägter Prozess.

Mit Beginn der seleukidischen Herrschaft über Palästina am Übergang vom 3. zum 2. Jh. scheint die kulturelle Dominanz des samarischen JHWH-Kults eine Konkurrenzsituation geschaffen zu haben, die eine scharfe Polemik von judäischer Seite aus provozierte, welche sich in den Schriften der Hebräischen Bibel außerhalb des gemeinsamen Pentateuchs finden lässt (Hjelm, 95-96; Hensel 2014, 475-479). Erst in hasmonäischer Zeit schlug diese Konkurrenz und Polemik in offene Aggression um, als um 111 v. Chr. unter dem Jerusalemer Hasmonäerkönig Johannes Hyrkan das Garizim-Heiligtum und die Tempelstadt zerstört wurden. Ab diesem Zeitpunkt verstanden sich beide Gruppen zunehmend als von einander getrennte Größen und bildeten eigene Traditionen und Identitätsmarker aus (Hensel 2016, 407-408). Doch sorgte jene Polemik und ihre Rezeption bei Josephus dafür, dass ein Verständnis von ‚Israel’ als einer Größe aus (mindestens) zwei Teilen in den letzten Jahrzehnten unter dem Staub des Garizim und der Theologie des deuteronomistischen Geschichtswerkes erst wieder neu entdeckt werden musste (Böhm 2012, 188, 198-199; Hensel 2016, 396-399).

2.2.3. Die Frage nach einem Tempelgebäude auf dem Garizim

Da kein Tempelgebäude im heiligen Bezirk gefunden werden konnte, das aller Wahrscheinlichkeit nach von den byzantinischen Bautätigkeiten abgetragen und überbaut wurde, bleibt es eine offene Frage, ob es sich bei dem Heiligtum selbst um einen Altar unter freiem Himmel handelte oder ob sich tatsächlich ein Tempelhaus im heiligen Bezirk befand. Eine Vielzahl von Hinweisen spricht jedoch für die archäologisch nicht zu beweisende Annahme, dass es spätestens in hellenistischer Zeit auch ein Tempelgebäude gegeben hat: Die sauber behauenen Kalksteinquader, die für den Bau der byzantinischen Kirche in sekundärer Nutzung wiederverwendet wurden, könnten ursprünglich zu diesem Gebäude gehört haben. Auch die Inschriften weisen deutlich in die Richtung der Existenz eines Tempelgebäudes, zumindest in Bezug auf den hellenistischen Komplex. In ihnen begegnen etwa Wendungen wie „vor dem Herrn im Tempel“ (Magen u.a. 2004, No. 150) oder „Haus des Opfers“ (Magen u.a. 2004, No. 199).

Die Mehrheitsmeinung in der Forschung ist mittlerweile, dass es ein solches Gebäude gegeben hat, wenngleich einige Forscher daran noch zweifeln (vgl. Zangenberg, 409-411). Für ein solches Tempelgebäude, das dann wahrscheinlich aus jenen Kalksteinquadern bestand, welche für die spätere Marienkirche wiederverwendet wurden, scheinen keine Kosten und Mühen gescheut worden zu sein. Denn diese konnten nicht auf dem Berg gebrochen werden und mussten demensprechend angeliefert werden, was bei knapp 900m Höhe des Garizim einen immensen Kraftaufwand bedeutete.

3. Die Tempelstadt

Zu Beginn der hellenistischen Zeit in Palästina entstand nach der makedonischen Eroberung Samaria-Stadts eine Siedlung um das perserzeitliche Heiligtum herum. Da der Garizim keine Wasserquellen oder andere lebensnotwenigen Ressourcen bietet, ist davon auszugehen, dass die Stadt hier in erste Linie als Tempel- und Priesterstadt entstand, und dementsprechend angewiesen auf die wirtschaftliche Anbindung an das Umland war. Die Besiedlung erstreckte sich auf eine Fläche von ca. 500x800m und hatte während ihrer Blütephase mehrere Tausend Einwohnerinnen und Einwohner. Der Großteil der Wohneinheiten befand sich im Süden und Westen des Heiligtums, wo das Gefälle des Berges weniger steil ist. Befestigt war die Stadt nicht, was den Hasmonäern die Eroberung und Zerstörung erleichterte, die sich parallel mit der Zerstörung des Heiligtums ereignete. Darüber hinaus lässt sich erkennen, dass die Stadt wohl nicht planvoll angelegt wurde, sondern langsam um immer mehr Wohneinheiten, Straßen und entstehende Viertel erweitert wurde. Die Häuser selbst folgten jedoch mehrheitlich einem einheitlichen Grundriss und wurden wie auch das Heiligtum weiß verputzt, sodass beide beeindruckend weiß glänzend auf dem Garizim erschienen sein müssen. Zu den Besonderheiten dieser Wohneinheiten gehört der Befund von Badezimmern mit Badewannen, die sich in zahlreichen Häusern fanden und, abgesehen vom Garizim, in Palästina erst ab hasmonäischer Zeit regelmäßig belegt sind (Magen 2008c, 90-91).

Das Viertel südlich des Tempelbezirks war das älteste der Stadt, dicht besiedelt und durch eine improvisierte Mauer, bestehend aus den Außenmauern der randständigen Häuser, teilweise gesichert. Darüber hinaus befand sich im südwestlichen Teil dieser Begrenzungsmauer eine ca. 25x25m große Zitadelle. Im Süden der Mauer führte ein Zweikammertor in die Stadt hinein, von hier aus durchquerte eine Hauptstraße das Viertel. Neben dem Tor standen auf jeder Straßenseite zwei öffentliche Einrichtungen vergleichbarer Größe und Aufbaus. 885 Münzen wurden insgesamt in diesen beiden Gebäuden gefunden, was zusammen mit ihrer Lage, das südliche Tor der Stadt flankierend, auf einen wirtschaftlichen Funktionszusammenhang hindeutet. Insgesamt zeigt sich an der Toranlage der Versuch einer Stadtplanung in frühhellenistischer Zeit – ein Versuch, der mit Blick auf die ganze Stadt, niemals ganz zum Tragen kam (Magen 2008c, 89-90).

Im Westen an den Tempelbezirk angrenzend befand sich ein ca. 40x40m großer Komplex, der aus drei Komponenten, nämlich einer Ölpresse, Wohn- und Handelsräumen sowie luxuriösen Wohneinheiten, bestand. Die Bauweise und Ausstattung (gepflasterte Böden, sauber behauene Türschwellen, bunte Wandfresken und Stuckarbeit, eine große Empfangshalle) zeugen von einem auf dem Garizim unvergleichbar wohlhabenden und mächtigen Gebäudekomplex. Das wird nicht zuletzt daran deutlich, dass bis heute teilweise mehrere Stockwerke erhalten sind. Magen zufolge könnte hier der Hohepriester residieret haben, worauf die einzigartige Ausgestaltung der Räume hinweisen könnte (Magen 2008c, 50-59).

Auffällig ist, dass sich in der ganzen Stadt zwar hellenistische Bauelemente befanden, jedoch keine Merkmale hellenistischer Kultur, die nach Interpretation des Ausgräbers im Widerspruch zu den Kultbestimmungen des Pentateuchs stünden, wie etwa bildliche Darstellungen. Ob dieser Befund auf eine strenge Tora-Observanz der Garizim-Gemeinde oder vielmehr auf „Abgrenzungsbestrebungen gegenüber der nur wenig entfernten, seit Alexander soziokulturell stark veränderten und pagan gewordene Metropole Samaria-Stadt“ (Böhm 2012, 187) hindeutet, ist eine der vielen offenen Fragen in der Diskussion um den Charakter des Garizim-Heiligtums und der es umgebenden Stadt (Hensel 2016, 74-75). Der Ausgräber geht in dieser Sache sogar so weit die Bewohnerinnen und Bewohner der hellenistischen Tempelstadt für konservativer als die Kultteilnehmerinnen und -teilnehmer in Jerusalem zu erklären, was Magen auf die, gegenüber der Priester- und Tempelstadt auf dem Garizim, heterogenere Bevölkerungszusammensetzung in Jerusalem zurückführt (Magen 2008, 89).

4. Die Grabungsberichte

In zweifacher Hinsicht sollten aus den bisher erschienen Grabungsberichten sowie der Sekundärliteratur zu den archäologischen Funden vom Garizim sämtliche Schlüsse nur unter Vorbehalt gezogen werden:

1) Die Publikation der Ergebnisse der über 30 Jahre langen archäologischen Ausgrabungen auf dem Garizim wurde vom Ausgräber auf fünf Bände angelegt. Der erste (2004) beinhaltete die Inschriften, die während der Grabungen gefunden wurden, der zweite (2008) einen vorläufigen Grabungsbericht. Die Veröffentlichung der übrigen Bände ist seitdem ins Stocken geraten, sodass die Grabungsergebnisse nicht vollständig zugänglich sind. Für eine abschließende Bewertung der Grabungen fehlt derzeit ein finaler Grabungsbericht.

2) Darüber hinaus ist dadurch derzeit schwer abschätzbar, inwieweit nicht auch die Euphorie und Faszination der Archäologinnen und Archäologen, einen antiken JHWH-Tempel in Palästina ausgegraben zu haben, die bisherigen Interpretationen der Befunde zugespitzt oder verklärt haben. So machen es beispielweise die ungeklärten Fragen der Literaturgeschichte der Hebräischen Bibel sowie der Religionsgeschichte des JHWH-Kultes für den Garizim, nicht weniger als für Jerusalem, schwer, in der Perserzeit von ‚Tora-Konformität’ oder ‚-Observanz’ zu sprechen, was allerdings in den bisherigen Veröffentlichungen zum Garizim immer wieder geschieht.

Ein Beispiel soll dieses Problem veranschaulichen: Auf dem Garizim wurden in zahlreichen Privathäusern der Tempelstadt Badewannen eines hellenistischen Bautyps gefunden, der zu dieser Zeit v.a. in der Ägäis verbreitet war. Da am Heiligtum jedoch keine Mikwen oder ähnliches gefunden werden konnten, bringt Magen diesen Befund mit dem Bedarf nach ritueller Reinheit der Priester am Tempel in Verbindung. Demnach wären die hellenistischen Badewannen Ritualbäder gewesen (Magen u.a. 2004, 10). Die Interpretation des Ausgräbers beruht an dieser Stelle allein auf der Annahme einer Analogie zu späterer jüdischer Praxis und dem Verweis auf das entsprechende Gebot in Lev 14. An solchen Stellen gilt es der voraussetzungsreichen Darstellung der Grabungsbefunde etwas entgegenzusetzen. Denn der archäologische Befund an sich zeugt in erster Linie von hellenistischen Kultureinflüssen (Böhm 2018, 186-187), die auch auf dem Garizim greifbar werden, und nicht von spezifisch israelitischen Identitätsmarkern.

So gilt es für die Berichte vom Garizim, genauso wie in der Diskussion um die hochgradig ideologisch aufgeladenen Grabungen um den Berg der Heiligtümer in Jerusalem, Vorsicht walten zu lassen, wenn archäologische Zeugnisse vorschnell neben biblische Texte gestellt und entlang dieser interpretiert werden.

Literaturverzeichnis

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