Aufgabenanalyse, religionsdidaktisch
Andere Schreibweise: Analyse von Lernaufgaben; Analysis of learning task
(erstellt: Februar 2020)
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Digital Object Identifier: https://doi.org/10.23768/wirelex.Aufgabenanalyse_religionsdidaktisch.200779
1. Gegenstandsbeschreibung
1.1. Entwicklung
International vergleichende Schulleistungsstudien wie PISA (2000), TIMSS (1995) und IGLU (2001) (→ Bildungsstudien
1.2. Religionsdidaktische Situation
Während sich insbesondere die Mathematikdidaktik schon vor PISA mit der Konstruktion und Analyse von Lernaufgaben beschäftigte und dies in den letzten 20 Jahren verstärkt ausbaute (z.B. Lenné, 1969; Doyle/Carter, 1984; Neubrand, 2002; Büchter/Leuders, 2005; Jordan u.a., 2006), stellt sich die Situation in der Religionsdidaktik anders dar: „Lernaufgaben im Sinne der Kompetenzorientierung spielen in der religionsdidaktischen Diskussion bislang eine sehr untergeordnete Rolle“ (Schweitzer, 2014, 24). Diesem Umstand pflichtet auch David Käbisch bei, indem er Konsequenzen erörtert, die „sich aus der anspruchsvollen, bereits mehrfach referierten Theoriediskussion um einen kompetenzorientierten Religionsunterricht für die Gestalt von Aufgaben ergeben“ (Käbisch, 2014, 125). Friedrich Schweitzer plädiert für eine empirisch ausgerichtete Fachdidaktik hinsichtlich „aufgabengesteuerter Lehr-Lern-Prozesse“, welche die Aufgabenkultur sowie deren Effektivität innerhalb des Faches untersuchen, um einen gewissen „Ausstrahlungseffekt“ zu bewirken (Schweitzer, 2014, 30). Empirische Untersuchungen, die sich ausschließlich mit der Beschaffenheit, Konstruktion und/oder Analyse von religionsdidaktischen Lernaufgaben beschäftigen, existieren bislang nicht. Im Rahmen diverser Schulbuchanalysen (→ Schulbuchforschung
Festzuhalten ist, dass vor allem in den mathematischen und naturwissenschaftlichen als auch in jüngerer Zeit in den sprachlichen und wirtschaftswissenschaftlichen Fächern Anstrengungen unternommen wurden, die Konstruktion und Analyse von Lernaufgaben verstärkt in den Blick zu nehmen und wissenschaftlich zu fundieren. Die Religionsdidaktik kommt diesem Desiderat bislang nicht ausreichend nach. Es fehlt an einschlägiger Literatur zur Gestalt von Lernaufgaben im Religionsunterricht insgesamt, als auch spezifischer zu deren Konstruktion, Analyse sowie Evaluation. Wichtige Vorarbeiten zu diesem Forschungsfeld leistet der kompetenzorientierte Religionsunterricht (→ Kompetenzorientierter Religionsunterricht
2. Allgemeindidaktische Konzepte und Modelle
Allgemeindidaktische Modelle zur Aufgabenanalyse, die häufig aus einem mathematischen Aufgabenverständnis heraus konzipiert wurden, erheben den Anspruch, auch auf Aufgaben geisteswissenschaftlicher Fächer anwendbar zu sein. Im Vordergrund steht meist die Komplexität einer Lernaufgabe, die sich durch Aspekte wie beispielsweise Offenheit, die Art des Wissens oder die Anzahl von Wissenseinheiten bestimmen lässt. Drei dieser Modelle, die derzeit breit rezipiert werden, sollen näher erläutert werden (2.2). Anschließend folgt ein exemplarischer Einblick in Schulbuchanalyse-Raster, die ebenso zur Konstruktion einer Aufgabenanalyse geeignet sein können, indem Hinweise auf mögliche Kategorien gegeben werden, die es zu berücksichtigen gilt (2.3). Festzuhalten ist vorweg, dass keines dieser Modelle sich unmittelbar auf die Religionsdidaktik übertragen lässt, da das Aufgabenverständnis und somit auch die Aufgabengestalt innerhalb der verschiedenen Schulfächer stark divergiert. Außerdem ist die Konstruktion eines Analyseinstruments für Aufgaben immer von dem jeweiligen Forschungsinteresse abhängig, sodass verschiedene Untersuchungsperspektiven und Schwerpunktverlagerungen vorliegen, die vorab zu verdeutlichen sind (2.1).
2.1. Konzeption einer Aufgabenanalyse - Vorüberlegungen
Das Oldenburger „Klee“-Team stellt verschiedene Perspektiven vor, unter welchen eine Aufgabenanalyse vorgenommen werden kann. Diese werden um mögliche Merkmale und Analysekriterien ergänzt, die zur Orientierung und Konzeption hilfreich erscheinen. Aufgabenanalysen lassen sich demnach in klassifizierende, prozessbezogene sowie bildungsgang-fokussierende Analyseverfahren unterteilen (Kiper u.a., 2010, 145).
Gegenstand klassifizierender Aufgabenanalysen sind bestimmte Gestaltungselemente von Einzelaufgaben (z.B. Komplexität, Offenheit, Bezug zum Vorwissen). Angeführt wird an dieser Stelle das von Blömeke et al. entwickelte Kategoriensystem (vgl. 2.2.1), welches durch das Klee-Team anhand weiterer möglicher Untersuchungsfragen um neue Aspekte ergänzt wird (z.B. Grad der Standardisierung, Anwendungsgebiete, Grad der Reflexivität). Mithilfe klassifizierender Aufgabenanalysen können Rückschlüsse zur Aufgabenqualität einer einzelnen Aufgabe gelingen, allerdings sieht dieses Analyseverfahren nicht vor, Aussagen zur Qualität des Lernprozesses (z.B. innerhalb einer Aufgabenfolge) und dem Kompetenzerwerb zu treffen (Kiper u.a., 2010, 146f.).
Das prozessbezogene Analyseverfahren geht über eine einfache Klassifizierung von Einzelaufgaben hinaus und berücksichtigt Elemente, die Aussagen zum intendierten Lernprozess und Kompetenzaufbau erlauben. Zur Analyse wird ein fünfschrittiges Verfahren vorgeschlagen: Zuerst gilt es die 1. Grunddaten eines Schulbuches zu analysieren, indem u.a. Titel, Klassenstufe, Schulform, Verlag, Herausgeber, Autoren, Zusatzmaterial, Inhaltsverzeichnis gesichtet werden (Kiper u.a., 2010, 150f.). In der 2. Makroanalyse soll anschließend die Verbindung der Kapitel bzw. des Inhalts mit dem intendierten Wissensaufbau erörtert werden. Bei der 3. Mesoanalyse wird begutachtet, ob Schülerinnen und Schülern ein Überblick über das Kapitel ermöglicht wird, in welchem Anforderungen und Kompetenzen transparent gemacht werden, sodass sie ihren eigenen Lernprozess nachvollziehen können. Dafür sind beispielsweise die Struktur des jeweiligen Kapitels, die Zuordnung der Materialien zu den Aufgaben, eine Unterscheidung von Lernaufgaben sowie Hinweise zu Arbeits- und Sozialformen zu analysieren. Durch eine zuvor angefertigte fachliche Strukturierung können auf diese Weise Lücken und Brüche identifiziert werden. Bei der im vierten Schritt folgenden 4. Mikroanalyse werden die Lernaufgaben in den Blick genommen und der Zusammenhang zwischen Material und Aufgabe hinterfragt, um den Charakter der Lernaufgabe zu erfassen. Ziel ist es zum einen genau zu bestimmen, welche Lernaktivitäten beabsichtigt und wie die Aufgaben sequenziert werden, sowie zum anderen die Vollständigkeit des Lernprozesses zu überprüfen. Außerdem wird in einem fünften Schritt – durch einen Rückschluss zur Mesoanalyse – 5. begutachtet, ob Lernaufgaben Bezüge zu vorherigen Kapiteln aufweisen (Kiper u.a., 2010, 151f.). Folgende Elemente sollten resümierend bei einer prozessbezogenen Aufgabenanalyse Berücksichtigung finden (Kiper u.a., 2010, 149f.): Semantische Aufgabenanalyse (präzise Beschreibung von Kompetenzen innerhalb des Schulbuches), Rationale Aufgabenanalyse (fachliche Strukturierung), Psychologische Aufgabenanalyse mit Blick auf die Makroprozesse (Vorwissen, Weltwissen, Anspruch, Schwierigkeitsgrad, Wissensaufbau) sowie Psychologische Aufgabenanalyse mit Blick auf die Mikroebene (Lernweg, Material, kognitive Operationen, Hilfestellungen, Defizite der Aufgaben, Operatoren).
Die dritte Perspektive, die bei einer Aufgabenanalyse eingenommen werden kann, ist bildungsgang-fokussierend. Während die zuvor vorgestellten Analyseformen Aussagen zu Lernaufgaben eines festgelegten Inhaltsbereichs ermöglichen, nimmt die bildungsgang-fokussierende Perspektive einen größeren Zeitraum in den Blick, indem beispielsweise der Aufbau des Wissens über bestimmte Schuljahre hinweg analysiert wird (Kiper u.a., 2010, 153). Meist wird für diese Analyseform zuvor ein Erkenntnisinteresse formuliert. Anhand von Lernaufgaben und -materialien von der fünften bis zur zehnten Klasse können der Wissensaufbau sowie mögliche Lücken über mehrere Jahre erfasst werden.
Die Oldenburger Forschungsgruppe weist daraufhin, dass bisherige Aufgabenanalysen hauptsächlich auf Merkmale von Einzelaufgaben zielen. Sie plädieren dafür, zukünftig auch prozessbezogene sowie bildungsgangfokussierende Aufgabenanalysen stärker in den Blick zu nehmen, um die Aufgabenkultur weiterzuentwickeln und Analyseverfahren zu präzisieren (Kiper u.a., 2010, 153f.). Die im Folgenden vorgestellten allgemeindidaktischen Modelle zur Aufgabenanalyse orientieren sich hauptsächlich an klassifizierenden Verfahren mit Blick auf die Einzelaufgabe, lassen sich aber durch weitere Analyseperspektiven je nach Erkenntnisinteresse modifizieren.
2.2. Modelle zur überfachlichen Aufgabenanalyse
2.2.1. Modell für prozessanregende Lernaufgaben
Das Forscherteam um die Professorin für Systematische Didaktik und Unterrichtsforschung Sigrid Blömeke veröffentlichte 2006 ein fachübergreifendes Modell zur „Analyse der Qualität von Aufgaben aus didaktischer und fachlicher Sicht“ (Blömeke u.a., 2006) am Beispiel der Mathematikdidaktik. Dieses, in drei Stufen angeordnete Analyseinstrument, folgt den Unterrichtsperspektiven „Inhalt, Lehren und Lernen“ und differenziert „zwischen dem objektiven Potenzial einer Aufgabe, den intendierten Anforderungen seitens der Lehrperson und der Realisierung dieser Anforderungen im Lehr-Lernprozess“ (Blömeke u.a., 2006, 330). Das Team orientiert sich dabei an den mathematikdidaktischen Aufgabenanalysen von Neubrand (2002) sowie Stein, Grover und Henningsen (1996), welche durch die im Anschluss folgende empirische Überprüfung im Unterricht ein „differenziertes Verfahren“ anwenden: Denn Lehrkräfte können durch die jeweilige Anleitung einer Aufgabe den Charakter der Aufgabenstellung nachträglich unbewusst oder bewusst verändern. Insofern ist folgerichtig zu fragen, „ob und wie weit eine Lehrperson die objektiv festgestellten Qualitätsmerkmale umsetzt oder sie sogar ausbaut“ (Blömeke u.a., 2006, 333). Zur Überprüfung empfehlen sie folgende Vorgehensweise (Blömeke u.a., 2006, 339): Nachdem die Aufgaben mithilfe fachlicher und didaktischer Kriterien analysiert wurden, werden auf Basis von Interviewaussagen die intendierten Anforderungen von Seiten der Lehrperson ermittelt und in einem dritten Schritt mit dem im Unterricht realisierten Aufgabenpotential abgeglichen (Aufgabestellung, Ausarbeitungsphase, Reflexion und Ergebnis).
Blömeke et al. formulieren aus einem kognitionstheoretischen Verständnis von Lernen (Blömeke u.a., 2006, 334) heraus neun Anforderungen (Abb.1), denen lernprozessanregende Aufgaben unterliegen und die ein fachübergreifendes Modell der Aufgabenqualität anbieten (Blömeke u.a., 2006, 336f.).
2.2.2. Modell für kognitiv aktivierende Lernaufgaben
Alleinstellungsmerkmal des von Kleinknecht et al. entwickelten allgemeindidaktischen Kategoriensystems zur Analyse von Lern- und Leistungsaufgaben ist die transparente Verwendung und Erprobung des Systems durch Fachdidaktiker und Fachdidaktikerinnen an Aufgaben des entsprechenden Faches. Diese ergänzen dadurch anschaulich die Arbeit mit Perspektiven aus den Fachdidaktiken und erweitern das Kategoriensystem durch Beispiele aus den verschiedenen Unterrichtsfächern (Deutsch, Mathematik, Naturwissenschaften, Physik, Biologie, Chemie, Geschichte, Kunst, Sport, Wirtschaft). In der Religionsdidaktik wurde das Analyseinstrument bislang nicht erprobt. Während Blömeke et al. den Schwerpunkt auf Aspekte wie Motivation und Interesse legen, die den Lernprozess anregen sollen, und sich auf die tatsächliche Realisierung dieser Anforderung im Unterricht durch die Lehrperson beziehen, fokussiert das Forscherteam um Kleinknecht auf das kognitive Aktivierungspotential von Aufgaben (Kleinknecht u.a., 2013, 7;28): „Leitend war die Idee, dass einer Analyse von Aufgaben ein differenziertes Verständnis der kognitiven Prozesse und Wissenselemente in einer Fachdomäne zu Grunde liegen muss“ (Kleinknecht u.a., 2013, 28).
Wie bei Blömeke et al. auch, orientieren sich die Fachdidaktiker und Fachdidaktikerinnen an mathematischen und naturwissenschaftlichen Aufgabenanalysen (Neubrand, 2002; Jordan u.a., 2006) sowie an der durch Anderson und Krathwohl (2001) weiterentwickelten Bloom´schen Lernzieltaxonomie (1956). Auf Grundlage dessen entwickeln sie sieben Dimensionen mit jeweils drei bis vier Subkategorien bzw. Merkmalsausprägungen zur Analyse von Lern- und Leistungsaufgaben (Abb. 2).
2.2.3. Modell für kompetenzfördernde Lernaufgaben
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Fachdidaktiken und Allgemeinen Didaktik der Pädagogischen Hochschule Luzern entwickelten gemeinsam das „Luzerner Modell zur Entwicklung Kompetenzfördernder Aufgabensets“ (LUKAS-Modell). Dieses beinhaltet neben einem Kategoriensystem zur Auswahl und Analyse von Aufgaben ein Lernprozessmodell, in welchem unterschiedliche Aufgabentypen (Konfrontations-, Erarbeitungs-, Vertiefungs-, Übungs-, Synthese- und Transferaufgaben sowie summative Beurteilungsaufgaben) differenziert und den verschiedenen Unterrichtsphasen zugeordnet werden (Luthiger u.a., 2018, 39f.).
Das LUKAS-Kategoriensystem wurde auf der Grundlage von Modellen aus der Allgemeinen Didaktik (Blömeke u.a., 2006; Kleinknecht u.a., 2013) sowie der Fachdidaktik (Abraham/Müller, 2009; Bruder, 2010; Büchter/Leuders, 2005; Köster, 2008) und der Unterrichtsqualitätsforschung (Hattie, 2013; Helmke, 2009; Meyer, 2004; Wellenreuther, 2004) entwickelt. Es gliedert sich in die vier Merkmalsbereiche Authentizität, Kognition, Komplexität sowie Differenzierung, welchen wiederum unterschiedliche Merkmale und Ausprägungen unterliegen (Abb. 3).
Ähnlich wie bei Kleinknecht et al. liefert der 2018 erschienene Band „Kompetenzförderung mit Aufgabensets“ in einem zweiten Teil fachliche Perspektiven auf das Modell. Die darin analysierten Aufgaben sind dem Aufgabenmaterial der Fächer allerdings nicht frei entnommen, sondern wurden explizit auf Grundlage des LUKAS-Lernprozessmodels für diesen Band konstruiert. Eine empirische Überprüfung des Kategoriensystems, wie dies bei Kleinknecht et al. bereits erfolgte, steht daher noch aus. Das Fach „Ethik, Religionen, Gemeinschaft“ wurde im Kanon berücksichtigt: Es wird eine religionskundliche Unterrichtseinheit zu den Speiseregeln und Fastenangeboten der verschiedenen Religionen präsentiert (Luthiger u.a., 2018, 237f.).
2.2.4. Zusammenfassung
Die drei vorgestellten allgemeindidaktischen Modelle zur Aufgabenanalyse bieten eine gute Orientierung für die Konzeption eines Analyseinstruments. Auffällig ist, dass jedes der drei Modelle unterschiedliche Schwerpunkte setzt, die sich einerseits aus dem fachdidaktischen bzw. wissenschaftlichen Hintergrund der Teams ergeben, andererseits aus den von ihnen genutzten Vorläufern und der Hinzuziehung anderer Wissenschaftsbereiche (z.B. der Unterrichtsqualitätsforschung). Während Blömeke et al. einen Schwerpunkt auf prozessanregendes Aufgabenpotenzial legen, bei welchem beispielsweise auch die soziale Interaktion und die Vielfalt der möglichen Lernwege ein Qualitätsmerkmal darstellen, fokussieren Kleinknecht et al. (2013) auf die kognitive Leistung, die zur Bearbeitung der Lernaufgabe zu erbringen ist. Luthiger et al. (2018) vereinen die beiden Modelle unter dem Oberbegriff „kompetenzanregend“ und untergliedern diesen in vier verschiedene Merkmalsbereiche. Auffällig ist, dass die Kategorien „kognitive Funktion“ und „Anforderungsmerkmale“, „Lebensweltbezug“ sowie die „Offenheit der Aufgabenstellung“ allen drei Modellen gemein ist. Darüber hinaus integrieren Luthiger et al. und Kleinknecht et al. in ihr Kategoriensystem ausschließlich allgemeindidaktische Aspekte, während bei Blömeke et al. (2006) auch fachdidaktische Kategorien wie der Inhaltsbereich, die curriculare Einordnung sowie die soziale Interaktion eine Rolle spielen.
2.3. Analyse- und Evaluationsraster für Bildungsmedien
Nach wie vor werden Lernaufgaben vor allem für Schulbücher konzipiert und von Lehrkräften für den eigenen Unterricht übernommen oder modifiziert, sodass für eine Analyse dieses Gegenstandes auch das Medium Schulbuch in den Blick zu nehmen ist. Im Vergleich zur Aufgabenanalyse stellt das Forschungsfeld der wissenschaftlichen und internationalen → Schulbuchforschung
Ähnlich den allgemeindidaktischen Modellen zur Aufgabenanalyse, existieren auch im Forschungsfeld ‚Schulbuchanalyse‘ fachübergreifende Raster zur Konstruktion, Analyse und Evaluation von Bildungsmedien, deren Konzeption bereits vor der „PISA-Wende“ begann. Diese unterscheiden sich deutlich hinsichtlich ihres Umfangs (23 bis zu 450 Items) sowie ihrer durch das Forschungsinteresse bedingten Kriterienauswahl und -formulierung, beispielsweise hinsichtlich standardisierter oder nicht-standardisierter Items (hierzu die detaillierte Aufstellung der Kriterienraster von Carl-Christian Fey in Fey/Matthes, 2017, 16-18). Nennenswert für den deutschsprachigen Raum sind insbesondere das Bielefelder (Laubig u.a., 1986), das Reutlinger (vgl. Rauch/Tomaschewski, 1986) und das Salzburger Raster (Astleitner u.a., 1998), das aktuellere Tool zur Evaluation von Lehrmitteln „LEVANTO“ der schweizerischen interkantonalen Lehrmittelzentrale (ILZ) aus dem Jahr 2009 sowie das erst kürzlich erschienene Augsburger Analyse- und Evaluationsraster für analoge und digitale Bildungsmedien (Fey/Matthes, 2017). Letztere werden an dieser Stelle exemplarisch vorgestellt.
2.3.1. LEVANTO Tool, 2009
Die schweizerische interkantonale Lehrmittelzentrale (ILZ) führte 2009 ein webbasiertes Instrument zur Lehrmittelevaluation ein, welches seit 2015 in der weiterentwickelten Form 2.0 vorliegt. Dieses nützt in erster Linie den Lehrmittelkommissionen der 26 schweizerischen Kantone, ihre Lehrmittel nach Eignung und weiteren Kriterien auszuwählen und durch die Zusammenarbeit das Tool kollaborierend weiterzuentwickeln (https://www.ilz.ch/cms/index.php/dienstleistungen/levanto
Die durch eine Expertenevaluation gebildeten Kriterien (Wirthensohn, 2012, 200) lassen sich in vier überfachliche Bereiche untergliedern: einen pädagogisch-didaktischen Bereich, einen thematisch-inhaltlichen Bereich, einen formal-gestalterischen sowie einen digital-interaktiven Bereich. Hinsichtlich Lernaufgaben wurde lediglich ein Item integriert, das sich auf den Grad der Individualisierung bezieht (https://www.ilz.ch/cms/index.php/dienstleistungen/levanto
2.3.2. Augsburger Analyse- und Evaluationsraster (AAER), 2017
Das in Folge der Dissertation von Carl-Christian Fey und im Projekt „Förderung der Lehrerprofessionalität im Umgang mit Heterogenität“ an der Universität Augsburg entwickelte „Augsburger Analyse- und Evaluationsraster für analoge und digitale Bildungsmedien“ hat man in Workshops und Seminaren durch Personen aus der Erziehungswissenschaft und Fachdidaktik erprobt und modifiziert. An bisherigen Schulbuchrastern wurde bemängelt, dass „entsprechende jüngere didaktische Innovationslinien, Neuerungen, Schwerpunktverlagerungen“ (Fey/Matthes, 2017, 17) nicht integriert seien. Darüber hinaus sei nicht mehr ausschließlich das Schulbuch in den Blick zu nehmen – durch eine zunehmende Digitalisierung stünden weitaus mehr Lehrmittel zur Verfügung (Fey/Matthes, 2017, 18). Das Raster untergliedert sich in sieben Dimensionen (Abb. 4), die eine sogenannte „Qualität“ von Unterricht repräsentieren (Fey/Matthes, 2017, 21). Innerhalb dieser Dimensionen findet sich auch das „Aufgabendesign“ – es wurde erkannt, dass Aufgaben ein hoher Wert zukommt und diese zur Qualität maßgeblich beitragen: „Aufgaben strukturieren Unterrichtssequenzen und Lernwege maßgeblich und bilden daher Schlüsselstellen für erfolgreiches Lehren und Lernen“ (Fey/Matthes, 2017, 23). Innerhalb der Aufgabendimension sind drei standardisierte Items zu bearbeiten: Sequenzierung (fachlich und didaktisch sinnvoller Zusammenhang von Aufgaben), Aktivierung (übergeordnete Problemstellung) sowie Multiple Lösungswege (Anregung zur Bildung mehrerer Lösungswege). Das Raster insgesamt ist durch den dreiteiligen Aufbau pro Item - unterteilt in Beschreibung, Item-Definition sowie Indikatoren - strukturiert und sehr gut anwendbar (Fey/Matthes, 2017, 24).
3. Annäherung an eine fachdidaktische Konkretisierung
3.1. Übertragbarkeit von allgemeindidaktischen Modellen
Lernaufgaben unterscheiden sich im Fächerkanon natürlich stark voneinander, da beispielsweise Multiplikationsaufgaben nicht mit Aufgaben zur Urteilsbegründung in einem geisteswissenschaftlichen Fach gleichgesetzt werden können und unterschiedlicher Analyseperspektiven bedürfen. Die Erprobung und Evaluation allgemeindidaktischer Modelle zur Aufgabenanalyse (2.2) in den verschiedenen Fächern ist demnach unabdingbar und trägt zu einer kontinuierlichen Modifikation bei. Das gilt auch für religionsdidaktisch relevante Aufgaben:
Der Lebensweltbezug wurde in allen drei vorgestellten Modellen zur Aufgabenanalyse integriert. Dieser, im Zuge der Kompetenzorientierung eingeführte Aspekt, zielt laut Kleinknecht et al. auf die „Relation zwischen domänenspezifischem Fachwissen und Erfahrungs- und Lebenswelt des Jugendlichen“ (Kleinknecht u.a., 2013, 37). Bei Aufgaben der naturwissenschaftlichen und mathematischen sowie sprachlichen Fächer ist ein Lebensweltbezug oftmals nicht gegeben. Meist handelt es sich um einen konstruierten Lebensweltbezug, wenn beispielsweise das Errechnen des eigenen Taschengeldes, das Schreiben eines Tagebucheintrages o.Ä. verlangt wird. Wie sieht das im Religions- und Ethikunterricht aus? Hat der Religionsunterricht nicht per se einen Lebensweltbezug für Schülerinnen und Schüler (→ Korrelation
Die vorgestellten allgemeindidaktischen Modelle zur Aufgaben- und Schulbuchanalyse bieten einen Überblick zu möglichen Kategorien, die es durch fachdidaktische Aspekte zu modifizieren und zu ergänzen gilt. Die Verwobenheit und die Synergieeffekte, die durch einen Austausch von Allgemeiner Didaktik und Fachdidaktiken entstehen können, gilt es weiter zu verfolgen.
3.2. Fachdidaktische Ergänzungen
Bei fachdidaktischen Konkretionen wird weniger die Aufgabenkomplexität, sondern eher die Gestalt, der Inhalt und die Stellung der Aufgabe im Lehr-Lern-Prozess in den Blick genommen. Diese fällt je nach Forschungsinteresse unterschiedlich aus, sodass auch die Kategorien variieren. Im Folgenden sollen einige Beispiele benannt werden, die fachdidaktisch – auch bei der Konstruktion von Lernaufgaben – zu berücksichtigen sind.
1. Kompetenzen
Hinsichtlich der Kompetenzen lässt sich zwischen fachübergreifenden (z.B. soziale, personale und methodische) sowie fachspezifischen Kompetenzen unterscheiden. Bei Letzterem können fundierte Kompetenzmodelle der Religionspädagogik für die Analyse herangezogen werden (z.B. Fischer/Elsenbast, 2006; Obst, 2015).
2. Operatoren
In den Einheitlichen Prüfungsanforderungen (EPA) wurden speziell für den Religionsunterricht sogenannte Operatoren formuliert. Es handelt sich dabei um Handlungsanweisungen, die einheitlich in Form von Verben verfasst sind. Sie geben bestenfalls Aufschluss darüber, welche Schritte für die Aufgabenbearbeitung vonnöten sind. Die Einteilung in die drei Anforderungsbereiche kann als Indiz für die Komplexität einer Aufgabe gesehen werden. Allerdings ist darauf zu verweisen, dass Operatoren oftmals nicht ihrer Bedeutung gemäß genutzt werden und insbesondere in Schulbüchern häufig Handlungsaufforderungen im Sinne von Fragewörtern weichen.
3. Inhalt und Curriculum
Lernaufgaben beziehen sich auf ein oder mehrere religionspädagogisch relevante Themen. Innerhalb des Faches gibt es so beispielsweise biblische, systematisch-theologische oder auch religionskundliche Topoi (hierzu z.B. die Einteilung von Schröder, 2012, 583). Lernaufgaben können bei einer Analyse verschiedenen Topoi zugeordnet werden, um ihre unterschiedliche Gestaltung je nach Themenspektrum zu vergleichen. Darüber hinaus kann geprüft werden, ob und inwiefern die Aufgabe einen Bezug zum Curriculum des Faches aufweist.
4. Material und Darstellungsform
Der Inhalt einer Themeneinheit wird für Schülerinnen und Schüler didaktisch reduziert und in Form eines bestimmten Materials eingeführt. Zu unterscheiden ist beispielsweise die Auseinandersetzung mit einem biblischen Text, einem Liedtext, einer Bilddarstellung oder auch einem Filmausschnitt. Die Materialmöglichkeiten sind dabei unbegrenzt. Die Einheitlichen Prüfungsanforderungen für das Abitur (EPA) unterscheiden zwischen theologischen Texten, anderen Texten, religiösem Bildmaterial sowie anderem Bildmaterial (Kultusministerkonferenz, 2006, 16).
5. Didaktische Funktion
Die didaktische Funktion einer Aufgabe kann sich beispielsweise auf die Stellung je nach Unterrichtsphase einer Unterrichtsstunde oder Themeneinheit beziehen: Einstiegs-, Lern- und Anwendungs-, oder Verfügbarkeits- und Testaufgabe. Darüber hinaus ist zu bedenken, welche Position die Aufgabe im Rahmen des gesamten Aufgabenkonstruktes innehat. Zu unterscheiden sind beispielsweise Haupt-, Teil- sowie Zusatzaufgaben.
6. Methode und Sozialform
In einigen Aufgaben wird explizit angegeben, mit welcher Methode die Aufgabe zu bewältigen ist (z.B. Schreibaufgabe, Diskussionsaufgabe, szenische oder künstlerische Umsetzung). Häufig lässt sich die Methode bereits von den verwendeten Operatoren ableiten. Auch hinsichtlich der Sozialform bestehen verschiedene Optionen (z. B. Gruppen-, Partner-, oder Einzelarbeit).
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Diese Publikation erscheint im Kontext des vom LOEWE-Programm des Hessischen Ministeriums für Wissenschaft und Kunst geförderten Forschungsschwerpunkt "Religiöse Positionierung: Modalitäten und Konstellationen in jüdischen, christlichen und islamischen Kontexten" an der Goethe-Universität Frankfurt/Justus-Liebig-Universität Gießen.
Abbildungsverzeichnis
- Merkmale didaktischer und fachlicher Aufgabenqualität mit Analysekriterien. Blömeke, Sigrid/Risse, Jana/Müller, Christiane/Eichler, Dana/Schulz, Wolfgang, Analyse der Qualität von Aufgaben aus didaktischer und fachlicher Sicht. Ein allgemeines Modell und seine exemplarische Umsetzung im Unterrichtsfach Mathematik, in: Unterrichtswissenschaft, 34 (2006) 4, 337
- Kategorien und Subkategorien der fächerübergreifenden Aufgabenanalyse. Kleinknecht, Marc u.a. (Hg.), Lern- und Leistungsaufgaben im Unterricht. Fächerübergreifende Kriterien zur Auswahl und Analyse, Bad Heilbrunn 2013, 27
- Interdisziplinäres LUKAS-Kategoriensystem. Luthiger, Herbert u.a. (Hg.), Kompetenzförderung mit Aufgabensets. Theorie – Konzept – Praxis, Bern 2018, 59
- Dimensionen und Einzelkriterien des Augsburger Analyse- und Evaluationsrasters. Fey, Carl-Christian/Matthes, Eva (Hg.), Das Augsburger Analyse- und Evaluationsraster für analoge und digitale Bildungsmedien (AAER). Grundlegung und Anwendungsbeispiele in interdisziplinärer Perspektive, Kempten 2017, 21
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