Schöpfung (NT)
(erstellt: September 2022)
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1. Einleitung und Definition
Das Wort „Schöpfung“ hat verschiedene Bedeutungen, wie sich exemplarisch an den unterschiedlichen Konnotationen von „Schöpfung“ in den folgenden beiden Sätzen zeigen lässt.
Bsp. 1: Paulus meint in 2Kor 4,6
Bsp. 2: Die Bewahrung der Schöpfung ist ein wichtiges Ziel von religiösen Umweltinitiativen.
Während im ersten Satz der Prozess göttlichen Schaffens am Anfang der Welt gemeint ist, geht es im zweiten Satz um den Schutz von Natur sowie von klimatischen und ökologischen Gegebenheiten. Unter Schöpfung versteht man demnach mindestens zweierlei:
A) Schöpfung als Prozess (Handlung): Schöpfung bezeichnet göttliche Handlungen zur Erschaffung, Erhaltung und Vollendung der Welt bzw. von allem, was existiert.
B) Schöpfung als Resultat (Geschaffenes): Schöpfung meint auch die Objekte bzw. das Ergebnis dessen, was Gott schafft, erhält und vollendet, also die Welt bzw. das All und alles, was sich darin befindet, sowie grundlegende Strukturen (wie z.B. die Sieben-Tage-Struktur als zeitliche Ordnung).
Mit Schöpfung als Handlung hängen Subjekte (z.B. Gott als Schöpfer), Verben (z.B. erschaffen), Zeitangaben (z.B. am Anfang) und Materialien (z.B. aus Staub von der Erde) zusammen. Während bei einem engen Verständnis Schöpfung auf den Prozess (A) beschränkt bleibt, wird bei einem erweiterten Verständnis auch das Geschaffene (B) in den Blick genommen. Zu Schöpfung als Prozess (A) ist anzumerken, dass mit Erschaffung nicht nur das Hervorrufen von etwas, das vorher nicht existiert hat (Röm 4,17
Die oben genannten Schöpfungshandlungen können auf verschiedene Art und Weise vollzogen werden, sei es durch das Wort (2Petr 3,7
Beispiele für das Geschaffene (B) sind Himmelskörper, der Himmel, die Erde, Wetterphänomene (Scheinen des Lichts, Dunkelheit, Wind, Donner), Menschen, Tiere (Lämmer, Schafe, Fische), Pflanzen (Weizen, Weinstock), Ressourcen (Wasser) usw. Der Bereich des Geschaffenen fokussiert also Objekte der Schöpfung, die teilweise selbst zum Material werden, aus dem anderes entsteht (z.B. ist Erde / Staub das Objekt der Schöpfung, woraus wiederum der Mensch geformt wird).
2. Schöpfungsterminologie
Zur Schöpfungsterminologie können alle Wörter gerechnet werden, deren semantisches Potential und entsprechender Kontext schöpfungstheologische Konnotationen nicht ausschließen (Shoukry 2023). Zur Schöpfungsterminologie gehören Wörter der Wurzel *κτι- (*kti-: κτίζω / ktizō [„schaffen“] [Mt 19,4
Neben diesen Wörtern, die in biblischen und weiteren frühjüdischen Schriften (nahezu) ausschließlich als Schöpfungsterminologie verwendet werden, gibt es Wörter, die in bestimmten Kontexten eindeutige Bezüge zur Schöpfung aufweisen können, aber in anderen Kontexten nicht unbedingt auf Schöpfung bezogen sind. Ein Beispiel hierfür ist ποιέω / poieō („machen“, „schaffen“), das etwa in Apg 14,15
Die meisten der bisher genannten Wörter lassen sich dem Bedeutungsbereich A zuordnen (Schöpfung als Prozess). Würde man versuchen, die Wörter des Bedeutungsbereichs B (Schöpfung als Resultat) zusammenzustellen, hätte man eine nahezu endlos fortzusetzende Liste (vgl. den Ansatz eines Versuchs bei Moore). Hierzu zählen die Wörter „Himmel“, „Erde“, „Kosmos“, „Licht“, „Leben“, „alles / alle Dinge / das All“ (πᾶς / pas / (τὰ) πάντα / [ta] panta), „Erstgeschaffener / Erstgeformter“ (πρωτόπλαστος / prōtoplastos [Weish 7,1
3. Schöpfungstexte
3.1. Prä- und Inter-Texte des Neuen Testaments
In vielen Prä- und Inter-Texten des NT werden Schöpfungskonzeptionen aus Gen 1-3 und anderen Stellen des AT rezipiert (Jub 2; 4Esr 6; slawHen 24-33; Sib 1,5-35; Sib 3,8-25) und darüber hinaus auch eigene schöpfungstheologische Konzeptionen entwickelt. Dazu gehören etwa
- die Verknüpfung von → Geist
und Schöpfung (Jdt 16,14 ; Weish 15,11 ), - die → König-Metapher
als Ausdruck für Gott als Schöpfer (Jdt 9,12 ; Tob 13,7.16 ; Sib 1,7), - die Schöpfung als Anfang (Jub 1,27 // 4QJubileesa IV 7; Jub 4,15; äthHen 69,17-18
; LibAnt 1,1; 4Esr 3,4; 4Esr 6,1.38; syrBar 21,4; syrBar 48,7; slawHen 24,2; slawHen 47,2; Sib 3,16; Philo, De opificio mundi 26; De sacrificiis Abelis et Caini 8; De plantatione 93; Quis rerum divinarum heres sit 122; De praemiis et poenis 1; Josphus, Antiquitates judaicae 1,27; 8,280), - Adam und Eva als → ersterschaffene Menschen
(v.a. Vita Adae et Evae), - die Dialektik von Schöpfung und Neuschöpfung (Jub 1,29; äthHen 72,1; äthHen 91,15-16; Liber Antiquitatum Biblicarum 3,9-10),
- die Markierung eines Neubeginns bzw. von Neuschöpfung durch den achten Tag als Wiederkehr des ersten Schöpfungstages (Joseph und Aseneth 9,5; 11,1; slawHen 33,1-2),
- der → Sabbat
als gesegneter Ruhetag und Höhepunkt der Schöpfung (Jub 2) - sowie das Ringen mit der Aufhebung der → Flüche
des Schöpfers (die Auferstehungsthematik als Überwindung des Sterblichkeit-Fluchs in der Apokalypse des Mose 28,4).
Der frühjüdische Kontext ist der dominante Schriftenbereich neutestamentlicher Schöpfungskonzeptionen. Es gibt aber auch einige gewichtige Verwandtschaften zwischen biblischen und stoischen sowie anderen griechischen Schöpfungsvorstellungen:
- Die Entstehung der Welt kann auf Gott zurückgeführt werden (Seneca, Brief Nr. 65; Plutarchus, Moralia 1014a-b / De animae procreatione in Timaeo 5; anders Cicero, De natura deorum 1,18-56).
- Der erschaffene Mensch ist geformter Lehm / Ton bzw. Schlamm ([Pseudo-]Apollodor, Bibliothek 1,7.1; Lucianus, Prometheus 13).
- Der Mensch ist göttliches Ebenbild (Epiktet, Lehrgespräche 1,1,11; Lucianus, Prometheus 11-17).
- Der Logos hat schöpferische und schöpfungserhaltende Funktion (Seneca, Brief Nr. 65,12; Plutarchus, Moralia 373b-c / De Iside et Osiride 54; Plutarchus, Moralia 436d / De defectu oraculorum 47; Mark Aurel, Selbstbetrachtungen 5,32).
Selbstverständlich sind diese Vorstellungen nicht identisch mit den biblischen, da z.B. Gott und Logos anders als im NT weniger personal konzipiert werden und teilweise eher abstraktere Größen sind. Nichtsdestotrotz lassen sich einige Verbindungslinien erkennen.
Als Vertreter von jüdischen Philosophen, die teilweise um die Verbindung des frühjüdischen Schöpfungsglaubens mit anderem zeitgenössischem Gedankengut bemüht sind, müssen zumindest → Aristobulos
3.2. Evangelien
3.2.1. Synoptische Evangelien
Die Bergpredigt (Mt 5-7
Der Himmel kommt nicht nur als unsichtbarer Aufenthaltsort von Gott und Engeln vor, sondern auch als geschaffener Himmel, der z.B. als Lebensraum für die Vögel auftaucht (Mt 8,20
Das Verhältnis des Menschen zur Schöpfung ist dergestalt, dass er sie wahrnehmen und daraus Schlüsse ziehen kann (Mt 16,2-3
Was die Lehre Jesu angeht, ist hervorzuheben, dass in der Diskussion um die Ehescheidung der markinische sowie der matthäische Jesus mit Gen 1,27
Aber nicht nur die Lehre, sondern auch die Wunder und Heilungen werden schöpfungstheologisch gelesen, wie etwa die Sturmstillung in Mk 4,35-41
In der Auferstehungsperikope (Mk 16,1-7
Alles in allem kann man sagen, dass es in den synoptischen Evangelien auch, aber weniger um Schöpfung als Prozess (A), sondern eher um Schöpfungsmotive im Sinne der Definition B (das Geschaffene) geht. Anders als im Johannesevangelium (JohEv) und bei Paulus werden kaum eigenständige, explizite schöpfungstheologische Konzeptionen entwickelt, sondern diese scheinen vielmehr vorausgesetzt zu sein. Zu wesentlichen Aspekten der synoptischen Schöpfungstheologie zählt die Vorstellung von Anfang und Ende der Schöpfung sowie von Gott als Erhalter. Während Paulus die anthropologische Dimension der Neuschöpfung hervorhebt (Verwandlung von Menschen), spielt die Natur bei den Synoptikern eine größere Rolle.
3.2.2. Johannes
Teilweise wird vom JohEv behauptet, dass Schöpfung ein Randthema sei, das nur vereinzelt vorkomme, nämlich nur in Joh 1,1-4.10
Das JohEv thematisiert wie die Synoptiker das kontinuierliche Schöpfungshandeln. Charakteristisch ist für das JohEv vor allem die prominente Rolle, die Jesus schon bei der creatio prima zugeschrieben wird.
3.3. Apostelgeschichte
Die Jerusalemer Gemeinde preist nach lukanischer Darstellung in ihrem Gebet in Apg 4,24
Laut der → Areopagrede
3.4. Paulinische Briefe
3.4.1. Protopaulinische Briefe
Schon zu Beginn des Römerbriefs finden sich wichtige schöpfungstheologische Passagen (Röm 1,18-23
Die Sünde der Geschöpfe ist seit dem ersten Menschen Adam als Grundgegebenheit präsent, die zur Sterblichkeit und zum Tod führt (Röm 6,23
Die Souveränität des Schöpfers über die Menschen als Geschöpfe wird in der Töpfer-Ton-Metapher ausgedrückt (Röm 9,20-21
Ähnlich hymnisch lobt Paulus Gott als Ursprung von allem in 1Kor 8,4-6
Paulus scheint mit den Schöpfungstexten aus Gen vertraut zu sein, da er sich auf bestimmte Stellen exemplarisch zurückbezieht (1Kor 6,16
Paulus greift Ez 36,6
3.4.2. Deuteropaulinische Briefe
Die Grundlegung des Kosmos markiert den Beginn der Schöpfung (Eph 1,4
Wie schon in den protopaulinischen Briefen scheinen die Genesis-Schöpfungstexte bekannt zu sein, da beispielsweise Gen 2,24
Es werden aber auch eigenständige theologische Konzeptionen entwickelt, die an die Genesis-Texte anknüpfen und sich gleichzeitig davon abgrenzen. Die Überordnung des Mannes über die Frau wird in 1Tim 2,8-15
Ein weiteres Beispiel für eine gegenüber den Genesis-Texten eigenständige Entwicklung ist Kol 3,9-10
3.5. Katholische und restliche Briefe
Wie in den Evangelien und bei den Deuteropaulinen ist die Grundlegung des Kosmos (Hebr 1,10
Das Diesseits kann als „diese Schöpfung“ bezeichnet werden (Hebr 9,11
Kein Geschöpf kann vor Gott verborgen bleiben, sondern alle sind gegenüber ihrem Schöpfer rechenschaftspflichtig (Hebr 4,13
Die (Menschen-)Welt bzw. der Kosmos ist vergänglich (1Joh 2,17
3.6. Johannesapokalypse
Wie in den Evangelien und Briefen ist die Grundlegung des Kosmos der Anfang der Schöpfung (Apk 13,8
Die gegenwärtige Schöpfung ist durch Dürre, Plagen und andere Katastrophen bedroht (Apk 9,3
4. Ausblick
Neutestamentliche Schöpfungstheologie bietet einen Ausweg aus den wenig zielführenden Gegenüberstellungen von Naturwissenschaft vs. Glaube. Das NT ist nicht an naturwissenschaftlichen Fragen der Weltentstehung interessiert, sondern es geht um die Fragen des Ursprungs – nämlich wem die Geschöpfe ihren Ursprung verdanken –, der Erhaltung und des Ziels der Schöpfung. Dabei dient die Natur oft als Anschauungsbereich und Erkenntnisfeld. Womöglich steckt mehr Potential für natürliche Theologie im NT, als bisher angenommen wurde.
Neutestamentliche Schöpfungstheologie kann für heutige Schöpfungsethik fruchtbar gemacht werden. Da die Schöpfung an Gott und Christus zurückgebunden wird, kommt ihr eine prinzipielle Güte zu. Zwar wird nirgends explizit ein Auftrag zur Bewahrung ausgesprochen, allerdings folgt aus Gottes Liebe zum Kosmos die Sendung seines Sohnes, der sich mit den Bedingungen der Schöpfung, ja mit der Geschöpflichkeit selbst identifiziert. Jesus sendet die ihm Nachfolgenden so, wie ihn sein Vater geschickt hat, was eine Hinwendung zur Schöpfung impliziert.
Siehe auch
Literaturverzeichnis
Lexikonartikel
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- Reallexikon für Antike und Christentum, 1950-heute
- Theologische Realenzyklopädie, 1976-2004
- Lexikon für Theologie und Kirche, 3. Aufl., 1993-2001
- Religion in Geschichte und Gegenwart, 4. Aufl., 1998-2005
- Exegetisches Wörterbuch zum Neuen Testament, 3. Aufl., 2011 (jeweils die Artikel zu der genannten Schöpfungsterminologie)
- Historical and Theological Lexicon of the Septuagint, 2020-heute
Empfehlungen
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Weitere Literatur
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Abbildungsverzeichnis
- Jesus heilt einen Kranken (232 n. Chr.) http://media.artgallery.yale.edu/duraeuropos/data/christian-building/images/gallery-1/zoom/y-298a-01.jpg , Public Domain
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