Luther als Bibelübersetzer
Von 1521 bis 1546 arbeitete Martin Luther mit seinen Mitarbeitern an der Übersetzung und Revision der Lutherbibel.
1. „Junker Jörgs“ Rekordleistung: Das Neue Testament in elf Wochen
Luther hat die Übersetzung der Bibel ins Deutsche nicht von langer Hand geplant. Er hatte sich eher gescheut vor der ungeheuren Aufgabe. Neben seinen Vorlesungspflichten an der Universität hatte er mehr als genug zu tun mit der Verteidigung und Sicherung seiner Reformation in Disputationen, Predigten, kleinen und großen Flugschriften. Da bescherte ihm die unfreiwillige Schutzhaft auf der Wartburg nach dem Wormser Reichstag von 1521 ein unerwartetes Maß an freier Zeit. Doch lange erkannte er die Chance nicht und beschäftigte sich mit ihm vordringlich erscheinenden Arbeiten.
Luther hatte zwar schon früher eine Übersetzung der Bibel ins Deutsche erwogen und die Bibeltexte zu seinen Predigten in Wittenberg regelmäßig auf Deutsch vorgetragen. Der Anstoß, die Übersetzung jetzt in Angriff zu nehmen, kam nun von außen: Als er nach sieben Monaten Anfang Dezember 1521 heimlich drei Tage in Wittenberg weilte, drängte ihn Melanchthon dazu (wie Luther später in einer Tischrede erzählte): „Philipp Melanchthon nötigte mich, das Neue Testament zu übersetzen.“ Vor allem die durch „Glossen und mancherlei (theologisches) Geschwätz verdunkelten“ Paulusbriefe wollte er „in das helle Licht“ gebracht haben.
Nach der Rückkehr auf die Wartburg machte sich Luther sofort an die Arbeit und vollendete die Übersetzung des Neuen Testaments in der unglaublich kurzen Zeit von elf Wochen. Das ist bei einer Sieben-Tage-Woche eine Tagesleistung von drei Kapiteln, und daneben schrieb Luther in derselben Zeit zwei Flugschriften und anderes mehr! Schon im September 1522 erschien die Übersetzung in Wittenberg im Druck. Nach dem Erscheinungsmonat nennt man sie das „Septembertestament“. Trotz der für die damalige Zeit ungewöhnlich hohen Auflage von 3000 bis 5000 Stück war das Buch in kürzester Zeit ausverkauft, sodass bereits im Dezember eine zweite Auflage auf den Markt kam. Noch im selben Jahr erschien in Basel ein Raubdruck und im folgenden Jahr zwölf weitere. In den dreizehn Jahren bis zum Erscheinen der Vollbibel 1534 werden 87 Drucke gezählt! Das ist angesichts dessen, was Bücher damals kosteten, ein ungeheurer Erfolg.
2. Luthers Sprachkompetenz – Griechisch und Deutsch
Luther war nicht der Erste, der die Bibel ins Deutsche übersetzte. Wir kennen aus der Zeit zwischen 1466 und 1522 vierzehn oberdeutsche und vier niederdeutsche Bibeldrucke. Die Übersetzung der zumeist unbekannten Verfasser war aber unbeholfen und zum Teil sprachlich schon veraltet. Luthers Verdeutschung dagegen erreichte die Menschen unmittelbar. Ein Kenner aus dem 19. Jahrhundert, der katholische Reformtheologe Ignaz Döllinger, hat das Verhältnis der Vorgänger zu Luther auf die Formel gebracht: „Sie stammelten, er redete.“
Aber Luther war nicht nur im Gebrauch des Deutschen in einmaliger Weise kompetent – er war seinen Vorgängern auch darin überlegen, dass er das Neue Testament nicht aus der lateinischen Bibelübersetzung des Hieronymus, der Vulgata, übertrug, sondern aus der Originalsprache, dem Griechischen. Hier kam Luther zustatten, dass der Humanist Erasmus erst kürzlich den griechischen Text des Neuen Testaments nach zwei (wenn auch späten) Handschriften zum ersten Mal im Druck herausgebracht hatte.
Ein weiterer Glücksfall war, dass 1518 der ausgezeichnete Gräzist Philipp Melanchthon auf einen Lehrstuhl nach Wittenberg berufen worden war. Unter seiner Anleitung hatte Luther seine Griechischkenntnisse bedeutend erweitert, und mit ihm zusammen ging er nach der Rückkehr von der Wartburg das ganze Manuskript seiner Übersetzung vor dem Druck noch einmal kritisch durch.
3. Zwölf Jahre Arbeit am Alten Testament
Die Rekordleistung der Übersetzung des Neuen Testaments konnte Luther bei der Arbeit am Alten Testament nicht wiederholen. Er brauchte für das Alte Testament mehr Jahre als für das Neue Wochen! Zu Anfang kam er allerdings noch recht gut voran: Schon 1523 erschienen die fünf Bücher Mose im Druck, im Jahr darauf die historischen und poetischen Bücher (also Josua bis Hoheslied). Auch bei diesem Teil ließ sich Luther sprachlich beraten – von Melanchthon und daneben vor allem von dem Wittenberger Hebräisch-Professor Matthäus Aurogallus. Aber schon beim Buch Hiob, das die poetischen Bücher eröffnet, hatte Luther mit den enormen Schwierigkeiten der hebräischen Sprache zu kämpfen, die ihm dann auch bei manchen Propheten zu schaffen machten: „Im Hiob taten wir uns so schwer, Magister Philipp (Melanchthon), Aurogallus und ich, dass wir in vier Tagen zuweilen kaum drei Zeilen konnten fertigstellen.“
Dazu kamen dann ab 1524 Reisen und Erkrankungen, die Luther von der Arbeit abhielten, außerdem theologische Auseinandersetzungen, der Bauernkrieg, der Streit mit den Schweizern über das Abendmahl und andere Abhaltungen. Luther brachte in den Folgejahren einzelne Prophetenbücher heraus, aber erst 1534 konnte seine erste vollständige deutsche Bibel erscheinen. Sie enthielt auch die sogenannten „Apokryphen“, die Luther als eigenen Teil aus dem Alten Testament ausgesondert hatte, da sie nicht in der Ursprache des Alten Testaments, dem Hebräischen, sondern nur in griechischen und lateinischen Fassungen überliefert sind. Von diesen Schriften ließ Luther, um zu Ende zu kommen, die Makkabäerbücher und Jesus Sirach durch Melanchthon und die Bücher Judit, Tobias und Baruch durch Justus Jonas übersetzen. Vor der Drucklegung der Gesamtbibel „revidierte“ er noch einmal zusammen mit Melanchthon das Neue Testament und zusammen mit drei Hebraisten gründlich die Psalmen.
4. Von der ersten Vollbibel bis zu Luthers Tod 1546
Wie viele andere Bibelübersetzungen entstand Luthers Bibelübersetzung nicht in einem Zug, sondern wurde Teil um Teil ergänzt, bis schließlich 1534 die ganze Bibel vorlag. Dabei wurden auch die bereits vorliegenden Bibelteile durch eine Gruppe unter Luthers Leitung erneut überprüft und korrigiert. Diese „Biblia / das ist / die gantze Heilige Schrifft Deudsch“ enthielt neben dem Alten und Neuen Testament auch die Apokryphen. Die erste Auflage war innerhalb kürzester Zeit verkauft und musste in Wittenberg fast jedes Jahr erneut nachgedruckt werden. Doch noch bis zu seinem Tod 1546 hat der Reformator mehrfach mit Mitarbeitern die Texte geprüft und verändert. Diese steten Verbesserungen finden sich bei Martin Luther in keiner seiner anderen Schriften und beweisen, welchen Rang er der Bibelübersetzung beimaß.
Als die Ausgabe „letzter Hand“ gilt heute mehrheitlich die Lutherbibel aus dem Jahr 1545. Die letzten von ihm selbst noch autorisierten Änderungen im Römerbrief und im 2. Korintherbrief erschienen erst nach seinem Tod 1546. Trotz teils prominenter Rehabilitationsversuche und obwohl zahlreiche Ausgaben in der Folgezeit diese Fassung zugrunde legten, bleibt dem 1546er-Text die breite Akzeptanz verwehrt.